Flohmarktbriefe (VI)
Arnold an Maria ‘Mietze’ Priester, 12.Dezember 1914
Meine liebe Mieze!
Zwar ist die Geisterstunde schon nahe und viel Gelaufe und tiefes Nachdenken hat mich müde gemacht, dennoch aber will ich Dir noch heute gleich auf Deinen Brief antworten. Herzlich danke ich Dir dafür, er hat mich so froh gemacht. Traurig und freudlos schon sind mir Wochen vergangen. Dein Brief vor diesem letzten, lieben war so schmerzvoll, so niederschlagend, daß ich in Vergnügen aller Art unterzukriegen suchte, was mich quälte. Fast jeden Abend ging es hinaus in fröhliche Gesellschaft. Auch Pensionat Senger traf ich einst bei Fräulein Ottmann und tanzte mit einigen Damen daraus, ja hatte die Cousine meines Freundes Hasenjäger sogar zum Kaffee gebeten. Doch alles Gebraus und Festgetöse gab mir nicht meine offene Fröhlichkeit wieder, manche zu dolle Nacht machte mich sogar noch unfreundlicher und unfroher. Es war, Du siehst, eine gräßliche, unschöne Zeit. Vor allem fragte ich mich immer wieder: „Warum, warum hat Dir Mieze DEN Brief gesandt?“ Ich zürnte Dir nicht darum, ich tadelte Dich nicht, ich dachte auch nie mit Tante über Deinen Charackter überein, das hast Du falsch aufgefasst, Liebe Mieze, sondern war nur wahnsinnig traurig, daß gerade Du so Deine Launen grundlos an mit ausließest. Doppelt dankbar bin ich Dir nun, daß Du es doch über Dich brachtest, mir zu schreiben, solch herzlichn Brief zu schicken. Wie freue ich mich, dass Deine Gedanken, doch noch bei mir weilten. Könnte ich doch direkt nach H. kommen und Dir danken und Dir sagen, wie ich mich nach solchen Zeilen von Dir sehnte. Immer, immer eher habe ich Dich lieb, daß weißt Du, doch. Darf ich das aber? – Wie oft fragte ich mich bang danach. Könnte es Dir, liebe Mieze, nicht schaden gar? Bitte, bitte, verstehe mich recht darin. Als ich zuletzt Dich bat, nach H. zu kommen, hätte ich so gern über manches mit Dir gesprochen, was ich Briefen nicht anvertrauen möchte. Doch das wird nie möglich werden, Dir nocheinmal in die lieben Augen zu blicken, wenn ich auch Anfang April noch einmal nach H. komme. Kannst Du nicht einmal nach Br. gesprungen kommen. Das wäre doch ganz wunderbar.
Hoffentlich gibt Dir mein Brieflein nun alle Deine Ruhe wieder, wie mir der Deine auch Frohsinn und Offenheit wiedergab. Ich glaube, ich dummes Menschenkindle war Deine Liebe gar nicht wert.
Lebe wohl nun! Gute Nacht! Guten Morgen! Herzlich sein gegrüßt von
Deinem Arnold.
*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.