Bald Wegflug (2014)

Eine Pusteblume in der Nahaufnahme


Fragestunde (XI)

Glaubst Du, dass man Kunst, Musik, Literatur und Filme objektiv bewerten kann?

Falls ja: Trennst Du Deine subjektive von der objektiven Bewertung? Wie erklärst Du es Dir, wenn diese beiden Dinge deutlich auseinanderfallen? Wie geschieht die Bewertung der Dinge a) objektiv und b) für Dich? Ist a) ein demokratischer Prozess? Wer stimmt in welcher Form ab? Konsultierst Du für b) Rezensionen und die Meinungen anderer Personen? Was genau unterscheidet a) und b)?

Falls nicht: Was hältst Du von Kritikern, deren Job darauf basiert, derartige Einordnungen vorzunehmen? Wie erklärst Du es Dir, dass manche Dinge von eben diesen Kritikern relativ einstimmig für gut oder schlecht befunden werden? Nimmst Du jedes „das ist gut / schlecht“ als rein subjektive Meinungsäußerung wahr? Falls ja: Wie bildest Du Deine eigene Meinung und hältst Du sie für genau so subjektiv wie die Meinung anderer Personen?


Individualität (2014)


Nanoskop XLVII

Statussymbol Selbstironie. / Tags: Avant-Garde Metal, Post-Black Metal, Music My Cats Like. / Sich gleichgeschalteten sozialen Gruppen anschließen, die sich nach außen abgrenzen – der Individualismus des kleinen Geistes. / „Schließt Du mit mir einen Stabilitäts- und Wachstumspakt?“ / „Eene meene Seepferd, ich weiß, wer zur See fährt.“ / „Ich würde Dich gerne kennenlernen.“ – „Ne, damit habe ich keine guten Erfahrungen gemacht.“/ Kessel Buntes, Eimer Graustufen. / Nur der dünne Firnis der Zivilisation verhindert, dass ich Dir dafür das Gesicht abbeiße. / Die müden alten Knochen ins Bett werfen und mit dem Rest zurück ins Arbeitszimmer robben. / Bandprobe im Aquarium. Der Unterwasserbass erzeugt kleine Wellen, die mein Ruderboot im Takt schaukeln; Melodiefetzen in Luftblasen etc. / „Ich schwärme für Dich wie ein Rudel Bienen.“ / Warum sind Illusion und Desillusion beide negativ konnotiert?


Einklang.

1

„Es kam mir nie in den Sinn, dass Du etwas aus meiner Perspektive so Rätselhaftes tun könntest und so sehr ich die Tat als solche verabscheuen mag, weil sie mich betrifft, so sehr bewundere ich gleichermaßen ihre, oder vielleicht eher Deine Radikalität“, schrieb er. Dann klickte er nacheinander auf ‘Datei’ und auf ‘Speichern’, gab dem Dokument einen Namen, beendete das Programm, zog die eben erstellte Datei in den Papierkorb und entleerte diesen. Dieser Brief wollte noch nicht geschrieben werden, obwohl er wenigstens den Status als eigene Datei, wenn auch mit kurzer Lebensdauer, durchaus verdient hatte.

2

In der Nacht hatte er wieder von der Straße geträumt, auf der sie sich das letzte Mal gesehen hatten. In seinem Traum war er zunächst zwei Personen, nahm eine doppelte Beobachterperspektive auf den ansonsten menschenleeren Ort ein und versuchte herauszufinden, wer die jeweils andere Person war, die er verkörperte, ein Vorhaben, das ihm mangels Steuerbarkeit der beiden Figuren in seiner Traumwelt nicht gelang, fast so, als wäre er nicht zwei Personen, sondern zwei Kameras, die jeweils von einer der beiden Straßenseiten auf die Szenerie blickten. Dann saß er alleine in ihrem Auto, das an der Straße geparkt war und war eine einzelne Person, deren Gedanken er nicht mit seinem Bild von sich in Einklang bringen konnte.


Sinkflug (2014)

Eine dadaistische Collage mit einem schnurrbärtigen Orakel
“135 Flüsternde Verständnis-Illusionen / im Sinkflug gegen Gott”


Wege.

Manchmal fühlte es sich unangenehm abstrakt an. Peter telefonierte mit Frank, der wiederum mit irgendwem telefonierte und so wurden „Dinge in die Wege geleitet“, wie Peter es ausdrückte. Wie sich das schon anhörte, „Dinge in die Wege leiten“.

Ich stand am Fenster und wartete darauf, dass mich endlich jemand anrief. Als der Anruf kam, war es mir beinahe schon egal. Ich nahm den Hörer mit mechanischem Pflichtgefühl ab, führte in an mein Ohr, drückte auf den Knopf mit dem grünen Symbol und sagte kein Wort. Peter murmelte den üblichen Mist durch die Drähte, von größeren Unvorhersehbarkeiten und der Frage, ob man so kurzfristig überhaupt noch jemandem finden könnte, dass er sich aber sicher darum kümmern würde, dann legte er auf, „wir sprechen später nochmal in Ruhe über uns, ok, Oliver?“

Dieses „später“, von dem sehr oft die Rede war, dieses später, das kam nie, aber das ist eine andere Geschichte, in der mich irgendwann die Nachricht erreicht, dass Peter tot ist. Ich hatte während des ganzen Telefonats kein einziges Wort gesagt, nur in zustimmenden und ablehnenden Brummlauten mit ihm kommuniziert, das fiel mir erst auf, als ich auf den Knopf gedrückt, das Telefon rüber auf die Couch geworfen hatte und wieder aus dem Fenster starrte. Peter fand natürlich jemanden. Er fand immer jemanden, aber nie, ohne vorher ein entsprechendes Theater um seine eigene Aufopferung für die Sache zu veranstalten, permanent zu betonen, wie verdammt anstrengend und schwierig sein Job war, quasi seine eigene Unentbehrlichkeit mit Hilfe von dramatisierter Darstellung aller kleinsten Hindernisse, die sich auftaten, derart übertrieben zu inszenieren, dass alle, die mit ihm zu tun hatten, glauben musste, er wäre unersetzlich und überhaupt der einzige, der seine Aufgabe bewältigen konnte. Ich glaubte das nicht, aber das sagte ich ihm nie. Ich wollte nicht, dass er sich enttarnt fühlte, denn sich enttarnt zu fühlen, das ist kein schönes Gefühl.


Dance, Dance, Dance (2013)

Vertrocknete Blumen


Traumsequenzen (XI)

Ein halbblinder Riese setzt sich zwei Menschen als Kontaktlinsen ein, die ihm wild gestikulierend und schreiend den Weg deuten.

Eine Frau hat eine lebende Katze als Handtasche. Die Katze liegt auf den Rücken und hat den Schwanz nach oben eingerollt (Henkel), die Sachen greift sie mit den Pfoten und Krallen.

In einem Haus mit sehr vielen Stockwerken, in dem die Treppen jeweils an einem anderen Ort sind und aus anderen Materialien bestehen, kann man sich alternativ auch im Erdgeschoss selbst die Toilette hinabspülen, um ganz nach oben zu gelangen.

Ein kleines Auto fährt plötzlich neben mir, als ich eine Straße entlang jogge. Darin sitzt ein Mädchen mit blauen Haaren. Sie kurbelt die Scheibe herunter und ruft mir pathetisch klingende Sätze in einer Sprache zu, die ich nicht verstehe. Die Worte treffen mich wie Messer, jedes Wort schneidet eine Wunde in mein Fleisch.

Ein riesiger roter Schwan watschelt durch den Wald. Die Bäume sind für ihn wie Gras, er knickt sie einfach um und hinterlässt eine gewaltige Schneise.

Ich wohne in einer Wohnung, in der in jedem Zimmer eine Unmenge an Hirschgeweihen an den Wänden hängen. An jedem davon hängt ein Kleidungsstück. Wenn ich nach Hause komme, ziehe ich meine Klamotten aus und werfe sie nacheinander in die Luft, sie bleiben jeweils an einem Geweih hängen. Zum Ankleiden habe ich in jedem Raum eine Holzleiter, mit deren Hilfe ich die Kleidung wieder herunterholen kann.

Ein Mann mit einem spitzen Hut steht auf einem Baumstamm und hält eine kleine Dose in die Luft. Er ruft: „Warum hasst Gott Schnupftabak?“

Ich bin in einer Art Festsaal, dessen Wände mit Kritzeleien beschmiert sind. Alle Anwesenden außer mir sind menschengroße Frösche, die auf zwei Beinen laufen und mit feinen Gewändern, Mänteln und Hüten bekleidet sind. Auf einer Bühne wird eine Rede gehalten. Die Frösche stehen um viele lange Tische herum und statt zu applaudieren hüpfen sie an verschiedenen Stellen der Rede wild im Saal herum, so dass sich die Stehordnung permanent verändert.

Im Büro eines Bonbonfabrikanten findet eine Besprechung mit mir statt. Der Bonbonfabrikant besteht darauf, dass seine neuen Bonbons alle Konkurrenzprodukte vom Markt fegen werden. Einen Namen haben sie noch nicht. Ich sage, dass es so einfach auch wieder nicht wäre. Auf das Design der Verpackung und den Namen käme es genauso an wie auf die Qualität des Produktes. Er lacht mir ins Gesicht und lässt einen Angestellten eine Schale mit den Bonbons hereinbringen. Ich probiere eines davon. Einige Sekunden, nachdem ich mir das erste davon in den Mund gesteckt habe, weiß ich: Er wird mich nicht brauchen. Er könnte sie auch in einer weißen, unbeschrifteten und blickdichten Tüte verkaufen, so fantastisch gut sind die Dinger. Er findet die Idee mit der Tüte gar nicht schlecht. Ich frage ihn, ob ich die restlichen Bonbons aus der Schale mitnehmen darf.

Drei junge Frauen in Dienstmädchenuniformen mit langen Röcken stehen auf einem unbewachsenen Feld. Es ist Herbst, aber sie behaupten unablässig, dass Sommer wäre. Dann ziehen sie gleichzeitig ihre Röcke hoch. Statt Beinen haben sie beidseitig geschärfte Klingen, auf denen sie im Boden stehen. Sie wollen, dass ich näher komme und fuchteln wild mit den Armen.


Nanoskop (XLVI)

„Mensch sein gilt hier nicht als seriös!“ / Warnung: Diese verlogene „Wissen ist Macht“-Propaganda lässt einen massiv auf das falsche Pferd setzen. /  Traumfundstück: Igel als Topfpflanze. / Versuche mir seit Jahren erfolglos einzureden, dass ich Optimist bin. Bin unsicher, zu was mich das macht. / Höllisch verschmorter Schmorbraten (aus der Hölle). / „So fiel er dann aus ihrer Gunst und allen Wolken.“ / „Wenn ich jetzt eine Pistole hätte, dann würde ich diesen Leuten die Spitzen von ihren Nordic Walking-Stöcken wegschießen.“ / Selbstbildnis als blindes Huhn auf Wolke Sieben, das auch „B“ sagen muss. / Das Kreisen der Gedanken um das immer Gleiche kann man vermutlich gesamtkosmisch herleiten. / Dünnes Eis und nichts dahinter. / Entscheidender Selektionsvorteil im Egozeitalter: Sich für sich selbst als Person nicht besonders zu interessieren. / „Langsam werd ich zu alt für diesen Quatsch.“ – „Für was denn?“ – „So ziemlich alles.“ / Alle Katzen kommen in den siebten Himmel.


Rot (gedacht) (2014)

Eine Collage mir roten Strichen

Mehr.


Instant Poetry (CLXXX)

So blieb der Friede doch gewahrt:

Vier Scharten längs in ihrem Kopf,
dann endlich eine quer.


Nanoskop (XLV)

„Wir treffen uns auf dem Regenbogen. Ich bin der mit der überbordenden Phantasie.“ / Aus dem Licht der Straßenlaterne schält sich ein Gesicht heraus. Es hat eine neutrale Miene aufgesetzt. / Aufmütig. / Ich weiß manchmal echt nicht, was ich von mir eigentlich will. / „Ich bin in der Überzahl.“ / „Du bist ein Nerd, weil Du solche Dinge weißt.“ – „Ich weiß das nicht absichtlich.“ / Mein Harmoniebedürfnis werd ich mir schon noch austreiben. / Stark zerklüftet, ergo massiv. / Auf dem Nachhauseweg von einer Mondkätzchengang in ein Gespräch über Schnurrhaarspülung verwickelt werden. / „Ich stemple Dir die Erlaubnis mit meinen Zähnen auf die Haut.“ / Die groteske Perücke einer Identität sitzt wieder schief. / Beim guten, alten „Wer weicht zuerst aus auf dem Bürgersteig?“ ein paar Siege erzwingen. / Servicewüste Pazifik. / „Seitdem bin ich alarmiert und frage immer gleich nach einem einfachen Longdrink.“