Traumsequenzen (XI)

Ein halbblinder Riese setzt sich zwei Menschen als Kontaktlinsen ein, die ihm wild gestikulierend und schreiend den Weg deuten.

Eine Frau hat eine lebende Katze als Handtasche. Die Katze liegt auf den Rücken und hat den Schwanz nach oben eingerollt (Henkel), die Sachen greift sie mit den Pfoten und Krallen.

In einem Haus mit sehr vielen Stockwerken, in dem die Treppen jeweils an einem anderen Ort sind und aus anderen Materialien bestehen, kann man sich alternativ auch im Erdgeschoss selbst die Toilette hinabspülen, um ganz nach oben zu gelangen.

Ein kleines Auto fährt plötzlich neben mir, als ich eine Straße entlang jogge. Darin sitzt ein Mädchen mit blauen Haaren. Sie kurbelt die Scheibe herunter und ruft mir pathetisch klingende Sätze in einer Sprache zu, die ich nicht verstehe. Die Worte treffen mich wie Messer, jedes Wort schneidet eine Wunde in mein Fleisch.

Ein riesiger roter Schwan watschelt durch den Wald. Die Bäume sind für ihn wie Gras, er knickt sie einfach um und hinterlässt eine gewaltige Schneise.

Ich wohne in einer Wohnung, in der in jedem Zimmer eine Unmenge an Hirschgeweihen an den Wänden hängen. An jedem davon hängt ein Kleidungsstück. Wenn ich nach Hause komme, ziehe ich meine Klamotten aus und werfe sie nacheinander in die Luft, sie bleiben jeweils an einem Geweih hängen. Zum Ankleiden habe ich in jedem Raum eine Holzleiter, mit deren Hilfe ich die Kleidung wieder herunterholen kann.

Ein Mann mit einem spitzen Hut steht auf einem Baumstamm und hält eine kleine Dose in die Luft. Er ruft: „Warum hasst Gott Schnupftabak?“

Ich bin in einer Art Festsaal, dessen Wände mit Kritzeleien beschmiert sind. Alle Anwesenden außer mir sind menschengroße Frösche, die auf zwei Beinen laufen und mit feinen Gewändern, Mänteln und Hüten bekleidet sind. Auf einer Bühne wird eine Rede gehalten. Die Frösche stehen um viele lange Tische herum und statt zu applaudieren hüpfen sie an verschiedenen Stellen der Rede wild im Saal herum, so dass sich die Stehordnung permanent verändert.

Im Büro eines Bonbonfabrikanten findet eine Besprechung mit mir statt. Der Bonbonfabrikant besteht darauf, dass seine neuen Bonbons alle Konkurrenzprodukte vom Markt fegen werden. Einen Namen haben sie noch nicht. Ich sage, dass es so einfach auch wieder nicht wäre. Auf das Design der Verpackung und den Namen käme es genauso an wie auf die Qualität des Produktes. Er lacht mir ins Gesicht und lässt einen Angestellten eine Schale mit den Bonbons hereinbringen. Ich probiere eines davon. Einige Sekunden, nachdem ich mir das erste davon in den Mund gesteckt habe, weiß ich: Er wird mich nicht brauchen. Er könnte sie auch in einer weißen, unbeschrifteten und blickdichten Tüte verkaufen, so fantastisch gut sind die Dinger. Er findet die Idee mit der Tüte gar nicht schlecht. Ich frage ihn, ob ich die restlichen Bonbons aus der Schale mitnehmen darf.

Drei junge Frauen in Dienstmädchenuniformen mit langen Röcken stehen auf einem unbewachsenen Feld. Es ist Herbst, aber sie behaupten unablässig, dass Sommer wäre. Dann ziehen sie gleichzeitig ihre Röcke hoch. Statt Beinen haben sie beidseitig geschärfte Klingen, auf denen sie im Boden stehen. Sie wollen, dass ich näher komme und fuchteln wild mit den Armen.


Ereignis.

Nacht, zwei, drei Uhr, sie wacht auf, das Kissen schweissnass, hat geträumt, geträumt wie sie ihn ermordet, weiss nicht, was sie denken soll, darüber.

Der Hammer plötzlich in ihrer Hand, er schreit noch herum hinter ihrem Rücken, wild, plötzlich still, als er ihren Blick sieht (und das Werkzeug). Zwei, drei, vier, fünf Mal saust der Hammer auf seinen Kopf, am Anfang wehrt er sich noch, später röchelt er, dann röchelt er nicht mehr, dann wehrt er sich nicht mehr, sondern liegt nur noch auf dem Boden, liegt herum wie ein Gegenstand. Sie, unsicher ob er tot ist, dann das Blut, schwarzes, dickes, wundervolles Blut, fliesst warm und in Strömen, Halsabschneider mit abgeschnittenem Hals. Schlaf, du brauchst Schlaf, du wirst nicht mehr erwachen, murmelt sie, ihr Haar ist wirr, ihr Blick jetzt sanft.

Sie legt den Kopf wieder auf das Kissen, das jetzt trocken ist, später, ihre Augen wandern durch das Zimmer, die Schattenrisse fallen hinein, Schrank, Schreibtisch, Bücherregal, Mantel auf dem Boden, das ist die Leiche. Sie zählt und lässt sie springen, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, schläft dann wieder ein, halb fünf, vielleicht auch sechs, ihre Hände noch blutig.


Traumsequenzen (X)

Neuartige Turngeräte aus lebenden Giraffen. Ich nehme zwei davon mit und benutze sie in der U-Bahnstation, vor mir ein Hut, um Geld für die Weiterentwicklung des Konzepts zu sammeln. Ich arbeite für eine Firma, die derartige Dinge herstellt. Niemand schenkt dem Treiben irgendeine Beachtung, der Trick hat sich schon abgenutzt. Die Tiere müssen sich bücken, damit hier reinpassen und die Rolltreppe ist jedesmal das größte Hindernis.

Später: Ich werde damit beauftragt, ein neues Grab für Salvador Dalí zu entwerfen. Meine Idee ist eine von Pflanzen überwucherte, schwere Holztür in einem ebensolchen Rahmen, die einfach so in der Gegend steht. Die Tür hat ein Klingelschild mit goldenen Knöpfen, statt Namen stehen dort die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder des Toten. Über dem Klingelschild ist eine Gegensprechanlage angebracht.

Eine alte Bekannte nimmt meine Hand und legt sie zwischen ihre Beine. „Mach Dich mal nützlich, statt immer nur dieses merkwürdige Zeug“, sagt sie.

Ich irre durch die Stadt und versuche, zur richtigen U-Bahnstation zu gelangen. Es gelingt mir nicht, ich kann die Karten plötzlich wieder genauso schlecht lesen wie in meinen ersten Wochen in der Großstadt, in der ich Menschenangst als Grund dafür vorgeschoben habe, dass ich niemals mit der Bahn fuhr. Ich weiß nicht warum, aber ich habe plötzlich Blut an der Unterlippe und dann fallen alle meine Zähne in meinen Mund. Ich spucke sie in meine Handfläche und starre den blutigen Haufen an. „Ha, da kann sich die Krankenkasse aber nicht wieder rausreden, dieses Mal müssen sie zahlen“, denke ich und lächle zahnlos.


Traumsequenzen (IX)

Ich erwache auf einer Fähre. Ich will in den Urlaub fahren, in ein neu entdecktes skandinavisches Land, in den Winter. In meiner Kabine liegen alle meine Sachen wüst verstreut herum, dazwischen endlos viel Müll, ganz viele schmutzige Messer und Gabeln, seltsame Werkzeuge. Was ist hier passiert? Ich habe viel zu lange geschlafen, bemerke ich, und stelle beim Blick aus dem Fenster fest, dass die Fähre bereits wieder in die entgegengesetzte Richtung fährt, dass ich es verpasst habe, auszuchecken.

Ich sammle wahllos Sachen ein, die ich dringend brauche, werfe sie in meinen Rucksack und versuche, einen Weg zu finden, das fahrende Schiff zu verlassen, was sich als schwierig entpuppt, denn es ist komplett verwinkelt, trotzdem ich mit einem roten Moped durch seinen Unterbau fahre (darüber, dass wir mitten auf dem Ozean sind, denke ich aus irgendeinem Grund gar nicht erst nach, als ich beschließe, hier sofort runter zu wollen). Irgendwann hält mich ein glatzköpfiger Mann auf. Polizeikontrolle. Er findet ein mit Senf und Blut beschmiertes Messer auf dem Boden, ich kann ihn überzeugen, dass es nicht von mir ist, obwohl ich gehört hatte, wie es aus meinem Rucksack fiel, als ich bremste. Er kann mir nur eine Strafe dafür geben, dass ich auf meinem Zweirad nicht angegurtet war (das sei auf diesem Schiffstyp so üblich). Ich fahre und fahre weiter durch das finstere Schiff und finde irgendwann eine rote Luke an der Außenwand, die man mit Eingabe eine Passworts an einem Touchscreen öffnen kann. Ich weiß das Passwort und öffne sie. Es lautet „Halt die Klappe“, hah, ein infantiler Witz, den sich der Programmierer ausgedacht hat.

Draußen plumpse ich nach dem Kriechen durch eine gummiartigen Röhre irgendwann auf ein Förderband mit grünen Teppichen, dass mich immer wieder in Windeseile ein paar hundert Meter weiter transportiert, zu einem Checkpoint. An jedem dieser Orte, an denen das Förderband für unterschiedlich lange Zeitspannen stoppt, machen Soldaten irgendwelche Übungen, es wirkt, als sei ich in irgendein innovatives Videospiel geraten und hätte keine Anleitung bekommen. Am dritten dieser Checkpoints, die wohl allesamt Teil einer Grenzkontrolle sind, besteht die Übung darin, dass ein ein erfahrener Soldat einem Neuling, einem Rekruten, aus einiger Entfernung in die Schulter schießt und dass eben der Getroffene den Schmerz erträgt und das Gefühl kennen lernt, von einem Schuss getroffen zu werden. Ich stehe plötzlich neben direkt dem heute zu prüfenden Neuling und noch während ich überlege, woher ich den etwa zweihundert Meter entfernt auf einer Plattform zielenden Schützen kenne, reißt mich die Wucht der Kugel zu Boden. Er hat auf meine Schulter geschossen. Absicht. Es war der Polizist vom Schiff, wütend darüber, dass er mir nichts anhängen könnte. Verflucht.

Schnitt. Ich renne durch den Schnee, die Sonne scheint, ich greife immer wieder in die weiße Masse und werfe Schnee über mich, wühle ihn mit den Füßen auf, lache, freue mich. Ein Gefühl von unendlicher Freiheit, ich schreie in kindlicher Spielfreude laut, als ich im Schneeanzug absichtlich einen Abhang hinter kugele. Ich bin in dem Land, in das ich wollte. Schnitt. In einer Hütte mitten im Schnee, in alle Richtungen bis zum Horizont nur ein weißer Ozean. Ich werfe Holzscheite in den Ofen, es wird nach und nach wärmer. Mit mir sind zwei Frauen dort, eine ist permanent nackt und über und über mit Wörtern in Runenlettern tätowiert. Sie ist es, die mir erzählt, wie dankbar sie mir dafür wäre, dass ich sie mit hierher gebracht hätte. Dass sie nun endlich verstehe, wie es ist, losgelöst zu sein. Sie lächelt und auf ihr oberes Zahnfleisch, das sehe ich erst, als sie lacht, ist das Wort „liar“ tätowiert. Ich frage mich, ob sie davon etwas weiß. Schnitt. Mit der anderen Dame, einer eher unscheinbaren Person im grauen Mantel vom Typ Lehrerin, bin ich Einkaufen in einer kleinen Stadt irgendwo in der Nähe unseres Ferienortes. An der Bushaltestelle kommt es zum Streit, als ich sie über über die Tätowierte ausfragen will. Das gehe mich nichts an, sagt sie, ich werde wütend und laufe weg. Ein paar Häuser später komme ich zum Stehen, rauche eine Zigarette, denke nach, überlege mir die Sache anders und gehe wieder zurück. Der Busfahrer hat auf mich gewartet. Meine Einkaufsbegleitung hatte ihn darum gebeten, denn sie glaubte an das Gute in mir, so erzählt sie mir lächelnd, als wird zur Hütte fahren, vor der absurderweise genau eine Bushaltestelle liegt. Wieder in Freiheit, mitten im Schnee.


Traumsequenzen (VII)

Wir kommen von einer Abschlussparty, die auf einem Schloss stattfand und wollen auf den Weihnachtsmarkt. Wir, das sind meine Begleitung, eine junge Dame, die mir seltsam bekannt vorkommt und die ich vor dem Schloss minutenlang küsse, ein paar Freunde von ihr und so ein nerdiger, dicker Typ mit einer riesigen Brille, der mein eigener Doppelgänger aus einem parallelen Universum zu sein scheint. Er stand auf der Party plötzlich vor mir und grinste mich an, ohne zu reden. Er redet nie, erklärte man mir.

Der Weihnachtsmarkt ist etwa so grauenhaft wie die Halloween-Version eines Weihnachtsmarktes in einem Film von Tim Burton. Nur ohne den Humor. Es tummeln sich dicht an dicht als Monstren verkleidete Verrückte aller Art, dazwischen entstellte Menschen, die bizarre Dinge tun. Man quetscht sich durch die Menge und plötzlich sieht man eine offene Wunde mit Maden auf der Wange des Typen, der zwei Zentimeter neben einem steht und auch noch bedrohlich schwankt. Irgendwo sitzt ein einäugiger, bärtiger Mann und zwitschert permanent vor sich hin wie ein verendender Vogel, das ist sein Trick. Auf dem übergroßen Holzschild, das er mit einer Schnur um den Hals trägt, steht, dass man ihm folgen sollte. Zwei Menschen tragen das Kostüm einer siamesischen Giraffe, andere haben sich derart mit diversem Metall bekleidet, dass sie nur noch wie wandelnde Schrotthaufen aussehen, die absichtlich Passanten anrempeln. Das sei hier eben so, ich solle mich doch mal freuen, sagt jemand, den ich darauf anspreche, was hier eigentlich los sei. Wir gehen weiter durch den Markt und sehen unfassbar viele unvorstellbare Dinge. Auf einer kleinen Bühne wird ein Kunststück vorgeführt, das nur darin besteht, dass ein kleines Mädchen vortäuscht, bei einem anderen Kunststück in einer dieser alten Metallwannen zu ertrinken. Das Publikum johlt.

Ein Bekannter meiner Begleitung hat sich in einem verfallenen Haus unter einer Treppe sein eigenes kleines Domizil eingerichtet: Es werden psychedelische Kinderlieder auf einem alten Grammophon gespielt, dazu tanzen in den Regalen unzählige Gartenzwerge (er besteht darauf, dass es sieben wären, dabei sind es mindestens siebzig), die er mit einem Mechanismus ausgerüstet hat, der sie dazu bringt, sich hüpfend im Kreis zu drehen. Manchmal fällt einer runter und zerbricht. In der Ecke gibt es Besen und Schaufel für diesen Fall, daneben ein riesiger Müllsack voller Scherben, in den man besser nicht hineinsieht, denn es sieht dort aus wie in einem Zwergenmassengrab, erklärt man mir. Ich blicke dennoch hinein und muss mich direkt in die Tüte übergeben. Ich will nach Hause, aber die Fähre, die  die Leute an diesen Ort bringt, kommt erst in einigen Stunden wieder. Wir müssen zurück auf den Markt.

Eine der Attraktionen auf dem wohl finstersten Weihnachtsmarkt der Welt, die ich noch unbedingt ausprobieren soll: Man kann sich blutsaugende Marienkäfer auf den Arm setzen lassen. Das bringe Glück, erklärt meine Bekannte, die inzwischen eine Brille trägt und zu einer alten Frau geworden ist. Dann lacht sie verrückt, nimmt meinen Arm und steckt ihn bis zum Ellenbogen in dieses riesige Einmachglas voller bunter Marienkäfer. Ich bin ganz ruhig. Vielleicht bringt das ja wirklich Glück, denke ich, als ich spüre, wie sich die Insekten in mir verbeißen. Ich wache auf. Mein Arm ist eingeschlafen. Das Kribbeln kommt bestimmt von diesen verdammten Viechern, denke ich, noch ganz in der Traumwelt.


Traumsequenzen (VI)

Ich bin angeklagt, bei meiner Magisterprüfung geschummelt zu haben, der Titel soll mir aberkannt werden. Mein damaliger Professor H. ruft mich an und zu sich, sein Assistent legt eine Videokassette in einen uralten Fernseher ein, der mitten im Büro einfach auf den Boden gestellt wurde. Auf dem Video sei der eindeutige Beweis für meinen Betrug. Im ersten Teil des Videos sieht man eine große, schicke Wohnung, in der halbnackte Frauen herum albern. Irgendwann bin ich auch im Bild. Ich erinnere mich nicht an die Wohnung, aber ich weiß intuitiv, dass ich dort gewohnt habe und ich weiß, dass mein Professor selbst dieses Video gedreht hat. „Wer sind diese Frauen?“, fragt er mich, als ob er nicht wüsste, dass er selbst hinter der Kamera stand. „Freunde von meiner Ex-Freundin!“, antworte ich etwas unbeholfen, etwas schuldbewusst, aber aus meiner Sicht doch überzeugend und füge hinzu: „Was spielt das für eine Rolle?“ Er schweigt und wir gucken weiter das Video, das immer pornographischere Züge annimmt. „Das wirst Du schon noch erfahren“, sagt er. Er stelle hier die Fragen.

Im zweiten Teil des Videos steigt eine alte Frau mit einem blauen Kapuzenpulli, die Mütze über den Kopf gezogen, aus einem dieser roten Londoner Busse aus. Sie soll der Schlüssel zu meinem angeblichen Betrug sein, so wird mit erklärt. Ich erkenne sie sofort wieder, obwohl sie viel zu stark gealtert ist: Es ist meine ehemalige Linguistikprofessorin K., aber sie erinnert sich leider nicht an mich, sie ist nämlich nicht nur in dem Video, sondern im selben Moment real vor dem Haus aus dem Bus gestiegen und steht plötzlich neben uns, blickt auf sich selbst auf dem Fernsehschirm und spricht die Worte synchron mit ihrer Aufnahme, die nun ebenfalls auf meine Fragen antwortet. Ich schaffe es nicht, sie zu überzeugen, sich an mich zu erinnern. Um meine Unschuld zu beweisen, trete ich mit ihr, Professor H., seinem Assistenten und einer kleinen Gruppe von gesichtslosen Menschen in roten Hemden die Reise zum Gipfel eines surrealen Berges irgendwo in Asien an. Ich weiß nicht, was ich dort zu finden glaube, aber es wird mich entlasten, das glaube ich zu wissen. Im Laufe der Reise, die wir in einer Kutsche beginnen, wird meine Linguistikprofessorin K. immer jünger und ich erinnere mich an eine zweite Begegnung mit ihr, als sie derart verjüngt ist, dass sie in meinem Alter ist: Sie war eine Ex-Freundin von mir, mit ihr habe ich in dieser Wohnung gewohnt, die zu Beginn des Videos gezeigt wurde. Und ich verliebe mich noch einmal in sie.

Je weiter wir nach oben steigen, desto seltsamer werden die Verhältnisse auf dem Berg. Dichter Nebel macht es bald unmöglich, zu erkennen, wo eigentlich oben und unten ist und wenn man auf die Bäume klettert, dann endet man nicht in Baumkronen, sondern wieder auf auf einem Boden und man steht Kopf an einer Decke, die es auf einem Berg gar nicht geben sollte. Immer mehr Vegetation tritt auf, wir sind nach einigen Tagen mitten auf einem Dschungelberg, auf dem es kein Oben und Unten (im doppelten Sinne) gibt. Der Assistent von Professors H. verliert derweilen die Videokamera, die er mitgebracht hat, um die Reise zu meinen Ungunsten zu dokumentieren. Irgendwann erscheint in der weiten Ferne auf dem Gipfel (der sinnigerweise in einem Tal liegt) ein futuristischer Turm, der an der Spitze eine kugelförmige Kuppel hat, umgeben von kleineren Bauten, die in verschiedenen Farben beleuchtet werden. Dort müssen wir hin, dort ist die Bibliothek, denke ich.


Somewhere Below (2009)

somewherebelow-raventhird.de


Traumsequenzen (V)

Ich bin einer von denen, die rübergehen, einer von den neun Männern. Aber vorher müssen wir acht Tage in einer roten, geleeartigen Flüssigkeit verbringen, nackt, am neunten Tag können wir erst das Paralleluniversum betreten, das ich unbedingt sehen will. Was denkt man, wenn man acht Tage mit seinem ganzen Körper in einer glibberigen Masse eingeschlossen ist, die Bewegungen nur wie in Zeitlupe erlaubt? Nackt an nackt, die anderen sehen alle gleich aus, das ist fast homoerotisch, sie sehen aus wie ich ohne jegliche Haare am Körper, sie sind glatzköpfige, haarlose Klone von mir. Sie haben die Augen geschlossen, sie kommen mir irgendwie wie schneeweiße Statuen vor, ab und zu zuckt einer oder bewegt verträumt den Arm. Was wollen diese Typen in dem anderen Universum? Oder kommen sie ursprünglich von dort? Gibt es mich dort acht Mal? Fragen wurden mir nicht erlaubt. Am neunten Tag weckt mich ein Geräusch, ich bemerke eine Bewegung und wie durch einen Abfluss im Geleebecken werden wir rübergesaugt, dorthin. Ich komme nicht an, irgendetwas läuft schief, ich hänge zwischen den Welten und habe das Gefühl, dass das geplant war, von irgendjemandem.


Traumsequenz (IV)

Mum schubste die überdimensionierte Hauskatze in den extrem überdimensionierten Rachen des roten Goldfischs als wäre es die normalste Sache der Welt. Timmy, der sich, wie auch schon beim erste Mal nur mit Widerwillen dort hineinbegab (es musste wohl eine Art angeborener Instinkt bei ihm sein, der ihm sagte, dass irgendwas nicht stimmte, wenn ein Fisch ihn verschluckte und nicht umgekehrt) knurrte und stellte die Nackenhaare auf, ließ sich aber schließlich doch nocheinmal auf die Sache ein. Mum folgte ihm. Ich wartete, bis beide sicher verstaut waren. In den Moment als ich gerade dabei war, es ihnen nachzutun, bewegte der Fisch seinen Körper nach rechts und trank einen Schluck Wasser, der mich seitlich am Magen vorbeispülte.

„Hihi, das kitzelt“, rief ich unwillkürlich. „David, wo bist Du?“, rief Mum. „Schon ok, ich glaube, der Fisch hat in dem Moment geatmet, als ich rein wollte. Ich bin wohl irgendwo im Kiemenkanal. Wenn er losschwimmt, werde ich wieder rausgespült und dann versuche ich mich, irgendwo festzuhalten“, antwortete ich. „Und wenn Du es nicht schaffst?“ „Keine Angst, ich werde es schon schaffen“, rief ich, und fügte hinzu „Ist interessant hier.“ „Aber wenn Du es nicht schaffst, wie willst Du dann nach Hause finden?“ Mum klang besorgt. „Mum, ich finde schon nach Hause. Ich kann doch einfach irgendwen fragen. Du vergißt, wo wir sind.“ „Nun, wo sind wir denn, David?“ „Es muss irgendein Märchenland sein, soviel ist sicher.“


Traumsequenz (III)

Mein schlimmster wiederkehrender Alptraum (I) (ja, das schreib ich mit “p”, verdammt)

Ich wache auf, es ist tiefe Nacht. Irgendwie fühlt sich mein Körper anders an. So dünn, schlaksig. Meine Haare sind abgeschnitten worden, nein, sie sind auch anders. Kurz. Sehr glatt. Zur Seite gekämmt. Mich überkommt Panik, ich habe die Befürchtung, zu einem Emo mutiert zu sein. Als ich “verdammter Mist, was geht hier vor” laut vor mich hinmurmele, gefriert mir das Blut in den Adern. Ich kenne die Stimme, und fasse mir unter die Nase. Haare, dort. Ich weiß jetzt, dass ich kein Emo bin, sondern jemand anders. Ich stolpere aus dem Bett, drücke auf den Lichtschalter und renne zum Spiegel, wo sich meine Vorahnung bestätigt: Ich bin plötzlich Adolf Hitler.

Die restliche Nacht verbringe ich in meiner Wohnung und denke darüber nach, wie ich so auf die Strasse gehen soll. Wie ich es anstelle, dass man mich morgen beim Bäcker nicht erkennt.


Traumsequenz (II)

Ich sitz’ irgendwo im Zuschauerraum einer Fernsehsendung, neben mir eine sehr alte Dame mit weißem Haar. Ich albere mit ihr rum, sie hat einen schwarzen Edding und bemalt mich damit, sie malt mir ein Herz auf den Oberschenkel, direkt auf meine Jeans. Ich bin wohl mit dieser alten Dame liiert, obwohl ich selbst jung bin. Sie ist klug, witzig, kindisch, ihre Augen funkeln. Der Moderator der Sendung mahnt uns zur Ruhe. Er scheint irgendwie zu glauben, dass ich Arzt bin. “Ist ja schön zu sehen, dass sie so ein gutes Verhältnis zu ihren Patientinnen haben, Doktor, aber bitte jetzt”, sagt er. “Sie ist nicht meine Patientin”, rufe ich zurück, denn ich habe kein Mikrofon.


Traumsequenz (I)

An die Rückenflossen von Delphinen geklammert jagen wir durch die stürmische und verregnete See an einem pazifischen Traumort, einen mitten im Ozean wachsenden, bräunlichen Sandkegelberg nach und nach immer enger umkreisend, ich weiß nicht, nach was wir suchen oder wer die anderen drei Personen sind, bis sich einer von ihnen als Jared Leeto vorstellt (wer ist Jared Leeto? – Ich kenne den Namen) und behauptet, er hätte sein Leben lang nichts Anderes als das hier gemacht. Ich habe so ein diffuses Gefühl, dass diese Suche schwierig wird, dass wir Experten sind in dem, was wir tun, dass hier Experten gebraucht werden und dass hier etwas gesucht wird, das böse ist. Tote Seesterne, gelbe und rote, treiben in den Wellen, die wir in der Geschwindigkeit der Delphine durchkämmen, man muss aufpassen, dass einen die Seesterne, die sich aussen wie Schmirgelpapier anfühlen, nicht ins Gesicht treffen, denn selbiges ist sehr schmerzhaft. Jared will mit seinen Fähigkeiten glänzen, verbeisst sich in die Schwanzflosse seines Delphins und lässt sich so weiterziehen.

Und vor meinem inneren Auge sehe ich plötzlich eine animierte Grafik, die den nicht entzifferbaren Namen einer Frau in gelber, verschwommener und sich bewegender Jahrmarktschrift zeigt, einen bedrohlich langen Namen. Das Ganze ist der Vorspann einer Fehrnsehsendung, in der es darum geht, dass das Wetter manipuliert wird. Eine Wetterhexe, eine dicke, schluchzend schreiende Frau, soll gutes Wetter machen, es war ihr Name im Vorspann. Mir wird sofort klar, wie das mit meiner aktuellen Situation zusammenhängt: Der Tropensturm, in dem wir uns befinden, ist die negative Auswirkung davon, dass die Wetterhexe irgendwo in Europa Sonnenschein erzeugt hat, denn nichts funktioniert ohne einen Ausgleich.

Vielleicht bin ich deswegen hier bei der Gruppe, vielleicht ist diese Art von Hellsicht die Fähigkeit, die mich auszeichnet, die Gabe, die mich berechtigt, mit ihnen auf den Delphinrücken zu reiten, denn ich habe längst bemerkt, dass ich der schlechteste der vier Delphinreiter bin. “Das wird nicht einfach, gar nicht einfach” rufe ich den Anderen zu und sitze plötzlich wach in meinem Bett, weil der Hausmeister anfangen musste, den Rasen zu mähen. Verdammt, ich hätte zu gerne gewusst, wer die zwei Namenlosen waren und nach was wir dort, an diesem skurrilen Ort, eigentlich suchten.