Traumsequenzen (IX)
Ich erwache auf einer Fähre. Ich will in den Urlaub fahren, in ein neu entdecktes skandinavisches Land, in den Winter. In meiner Kabine liegen alle meine Sachen wüst verstreut herum, dazwischen endlos viel Müll, ganz viele schmutzige Messer und Gabeln, seltsame Werkzeuge. Was ist hier passiert? Ich habe viel zu lange geschlafen, bemerke ich, und stelle beim Blick aus dem Fenster fest, dass die Fähre bereits wieder in die entgegengesetzte Richtung fährt, dass ich es verpasst habe, auszuchecken.
Ich sammle wahllos Sachen ein, die ich dringend brauche, werfe sie in meinen Rucksack und versuche, einen Weg zu finden, das fahrende Schiff zu verlassen, was sich als schwierig entpuppt, denn es ist komplett verwinkelt, trotzdem ich mit einem roten Moped durch seinen Unterbau fahre (darüber, dass wir mitten auf dem Ozean sind, denke ich aus irgendeinem Grund gar nicht erst nach, als ich beschließe, hier sofort runter zu wollen). Irgendwann hält mich ein glatzköpfiger Mann auf. Polizeikontrolle. Er findet ein mit Senf und Blut beschmiertes Messer auf dem Boden, ich kann ihn überzeugen, dass es nicht von mir ist, obwohl ich gehört hatte, wie es aus meinem Rucksack fiel, als ich bremste. Er kann mir nur eine Strafe dafür geben, dass ich auf meinem Zweirad nicht angegurtet war (das sei auf diesem Schiffstyp so üblich). Ich fahre und fahre weiter durch das finstere Schiff und finde irgendwann eine rote Luke an der Außenwand, die man mit Eingabe eine Passworts an einem Touchscreen öffnen kann. Ich weiß das Passwort und öffne sie. Es lautet „Halt die Klappe“, hah, ein infantiler Witz, den sich der Programmierer ausgedacht hat.
Draußen plumpse ich nach dem Kriechen durch eine gummiartigen Röhre irgendwann auf ein Förderband mit grünen Teppichen, dass mich immer wieder in Windeseile ein paar hundert Meter weiter transportiert, zu einem Checkpoint. An jedem dieser Orte, an denen das Förderband für unterschiedlich lange Zeitspannen stoppt, machen Soldaten irgendwelche Übungen, es wirkt, als sei ich in irgendein innovatives Videospiel geraten und hätte keine Anleitung bekommen. Am dritten dieser Checkpoints, die wohl allesamt Teil einer Grenzkontrolle sind, besteht die Übung darin, dass ein ein erfahrener Soldat einem Neuling, einem Rekruten, aus einiger Entfernung in die Schulter schießt und dass eben der Getroffene den Schmerz erträgt und das Gefühl kennen lernt, von einem Schuss getroffen zu werden. Ich stehe plötzlich neben direkt dem heute zu prüfenden Neuling und noch während ich überlege, woher ich den etwa zweihundert Meter entfernt auf einer Plattform zielenden Schützen kenne, reißt mich die Wucht der Kugel zu Boden. Er hat auf meine Schulter geschossen. Absicht. Es war der Polizist vom Schiff, wütend darüber, dass er mir nichts anhängen könnte. Verflucht.
Schnitt. Ich renne durch den Schnee, die Sonne scheint, ich greife immer wieder in die weiße Masse und werfe Schnee über mich, wühle ihn mit den Füßen auf, lache, freue mich. Ein Gefühl von unendlicher Freiheit, ich schreie in kindlicher Spielfreude laut, als ich im Schneeanzug absichtlich einen Abhang hinter kugele. Ich bin in dem Land, in das ich wollte. Schnitt. In einer Hütte mitten im Schnee, in alle Richtungen bis zum Horizont nur ein weißer Ozean. Ich werfe Holzscheite in den Ofen, es wird nach und nach wärmer. Mit mir sind zwei Frauen dort, eine ist permanent nackt und über und über mit Wörtern in Runenlettern tätowiert. Sie ist es, die mir erzählt, wie dankbar sie mir dafür wäre, dass ich sie mit hierher gebracht hätte. Dass sie nun endlich verstehe, wie es ist, losgelöst zu sein. Sie lächelt und auf ihr oberes Zahnfleisch, das sehe ich erst, als sie lacht, ist das Wort „liar“ tätowiert. Ich frage mich, ob sie davon etwas weiß. Schnitt. Mit der anderen Dame, einer eher unscheinbaren Person im grauen Mantel vom Typ Lehrerin, bin ich Einkaufen in einer kleinen Stadt irgendwo in der Nähe unseres Ferienortes. An der Bushaltestelle kommt es zum Streit, als ich sie über über die Tätowierte ausfragen will. Das gehe mich nichts an, sagt sie, ich werde wütend und laufe weg. Ein paar Häuser später komme ich zum Stehen, rauche eine Zigarette, denke nach, überlege mir die Sache anders und gehe wieder zurück. Der Busfahrer hat auf mich gewartet. Meine Einkaufsbegleitung hatte ihn darum gebeten, denn sie glaubte an das Gute in mir, so erzählt sie mir lächelnd, als wird zur Hütte fahren, vor der absurderweise genau eine Bushaltestelle liegt. Wieder in Freiheit, mitten im Schnee.