Traumsequenzen (VII)
Wir kommen von einer Abschlussparty, die auf einem Schloss stattfand und wollen auf den Weihnachtsmarkt. Wir, das sind meine Begleitung, eine junge Dame, die mir seltsam bekannt vorkommt und die ich vor dem Schloss minutenlang küsse, ein paar Freunde von ihr und so ein nerdiger, dicker Typ mit einer riesigen Brille, der mein eigener Doppelgänger aus einem parallelen Universum zu sein scheint. Er stand auf der Party plötzlich vor mir und grinste mich an, ohne zu reden. Er redet nie, erklärte man mir.
Der Weihnachtsmarkt ist etwa so grauenhaft wie die Halloween-Version eines Weihnachtsmarktes in einem Film von Tim Burton. Nur ohne den Humor. Es tummeln sich dicht an dicht als Monstren verkleidete Verrückte aller Art, dazwischen entstellte Menschen, die bizarre Dinge tun. Man quetscht sich durch die Menge und plötzlich sieht man eine offene Wunde mit Maden auf der Wange des Typen, der zwei Zentimeter neben einem steht und auch noch bedrohlich schwankt. Irgendwo sitzt ein einäugiger, bärtiger Mann und zwitschert permanent vor sich hin wie ein verendender Vogel, das ist sein Trick. Auf dem übergroßen Holzschild, das er mit einer Schnur um den Hals trägt, steht, dass man ihm folgen sollte. Zwei Menschen tragen das Kostüm einer siamesischen Giraffe, andere haben sich derart mit diversem Metall bekleidet, dass sie nur noch wie wandelnde Schrotthaufen aussehen, die absichtlich Passanten anrempeln. Das sei hier eben so, ich solle mich doch mal freuen, sagt jemand, den ich darauf anspreche, was hier eigentlich los sei. Wir gehen weiter durch den Markt und sehen unfassbar viele unvorstellbare Dinge. Auf einer kleinen Bühne wird ein Kunststück vorgeführt, das nur darin besteht, dass ein kleines Mädchen vortäuscht, bei einem anderen Kunststück in einer dieser alten Metallwannen zu ertrinken. Das Publikum johlt.
Ein Bekannter meiner Begleitung hat sich in einem verfallenen Haus unter einer Treppe sein eigenes kleines Domizil eingerichtet: Es werden psychedelische Kinderlieder auf einem alten Grammophon gespielt, dazu tanzen in den Regalen unzählige Gartenzwerge (er besteht darauf, dass es sieben wären, dabei sind es mindestens siebzig), die er mit einem Mechanismus ausgerüstet hat, der sie dazu bringt, sich hüpfend im Kreis zu drehen. Manchmal fällt einer runter und zerbricht. In der Ecke gibt es Besen und Schaufel für diesen Fall, daneben ein riesiger Müllsack voller Scherben, in den man besser nicht hineinsieht, denn es sieht dort aus wie in einem Zwergenmassengrab, erklärt man mir. Ich blicke dennoch hinein und muss mich direkt in die Tüte übergeben. Ich will nach Hause, aber die Fähre, die die Leute an diesen Ort bringt, kommt erst in einigen Stunden wieder. Wir müssen zurück auf den Markt.
Eine der Attraktionen auf dem wohl finstersten Weihnachtsmarkt der Welt, die ich noch unbedingt ausprobieren soll: Man kann sich blutsaugende Marienkäfer auf den Arm setzen lassen. Das bringe Glück, erklärt meine Bekannte, die inzwischen eine Brille trägt und zu einer alten Frau geworden ist. Dann lacht sie verrückt, nimmt meinen Arm und steckt ihn bis zum Ellenbogen in dieses riesige Einmachglas voller bunter Marienkäfer. Ich bin ganz ruhig. Vielleicht bringt das ja wirklich Glück, denke ich, als ich spüre, wie sich die Insekten in mir verbeißen. Ich wache auf. Mein Arm ist eingeschlafen. Das Kribbeln kommt bestimmt von diesen verdammten Viechern, denke ich, noch ganz in der Traumwelt.