Killing Lisa (II)
„Das ist völlig unmöglich“, sagte er, während er das Manuskript mit den Fingerspitzen aus seiner Tasche fischte und verächtlich auf den Tisch warf, als wäre es etwas, das man schnellstmöglich entsorgen sollte.
„Glauben sie mir, Fink, ich bin diese Art von Reaktion bereits gewohnt“, sagte ich. „Ihre ist nichteinmal sonderlich originell.“
„Ich weiß nicht, wo sie dieses Stück Dreck ausgegraben haben. Und es ist mir auch egal“, sagte er, „von Brian stammt es jedenfalls nicht.“
„Doch, genau das tut es“, sagte ich. „Seine Frau hat es gefunden. Zwischen den alten Frauenzeitschriften, die er auf dem Dachboden sammelte. Er schien selbst vergessen zu haben, wo es war.“
„Wie ich schon sagte: Das ist absolut unmöglich. Brian hat nie mit solchen Worten hantiert. Und wer immer das hier verfasst hat, wirft damit nur so um sich. Es wimmelt darin von Arschfickern, Schwanzlutschern, Fotzen, Wichsern und Schlimmerem. Und vor allem hat Brian nie solche Figuren erfunden. Es ist völlig irrational.“
„Sie haben es nicht einmal komplett gelesen“, sagte ich. Ich spürte, wie die Wut auf diesen Mann wieder einmal meinen Rücken hinaufkroch. Sachlich blieben, nur sachlich bleiben.
„Nein, das musste ich auch nicht“, sagte Fink mit leerem Blick. „John, wie lange arbeiten wir jetzt zusammen?“
„Vierzehn Jahre.“
„Und nach so langer Zeit kommen Sie mit so einer Scheiße an.“ Er fegte das Manuskript zur Seite, so dass es fast vom Schreibtisch fiel. Im meinem Kopf litzte kurz die erregende Vorstellung auf, einfach aufzustehen, als ob ich ihm die Hand schütteln und gehen wollte und ihm dann mit der Faust mehrmals mitten in seine hässliche, ignorante Visage zu schlagen.
„Ich komme an mit dem letzten Buch eines der besten Autoren, den wir je unter unseren Fittichen hatten.“
„Wer hat das hier geschrieben? Seine Frau? Glaubt sie, sie könne damit noch mehr Kohle aus uns rausholen als sie sowieso schon bekommt?“
„Er hat es geschrieben. Zur selben Zeit wie ‚More Dreams’. Erinnern sie sich daran, dass er damals in einer seiner vielen Nachrichten während der ersten Phase sagte, dass er plane, zwei Romane einzureichen? Ja, ich weiß, er hat viel wirres Zeug geredet über die Jahre, aber ich bin der festen Überzeugung, dass das hier dieser zweite Roman ist. Und er hatte wohl guten Grund dafür, dass er nie wieder davon sprach, nicht? Als noch junger Autor hätte er das hier nie durchbekommen. Fink, verdammt nochmal, das hier ist eine verdammte Sensation…“
„Es ist purer Rotz“, warf er mitten in den Satz.
„…und sie haben es nichtmal ganz gelesen. Vergessen wir mal den Inhalt für eine Sekunde. Ist ihnen die Struktur aufgefallen?“
„Struktur? John, sie machen sich zunehmend lächerlicher. Bin ich ein verdammter Literaturwissenschaftler oder was? Ich werde diesen Dreck nicht veröffentlichen. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens deswegen, weil es nichts als das ist: Dreck. Es hat keinen künstlerischen Wert. Und zweitens, weil ich Brian sehr geschätzt habe und er mein Freund war. Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand ein falsches Bild von ihm bekommt“, sagt er.
„Fink, es ist mir scheißegal, ob sie persönlich es mögen. Das hier gehört auf den Markt und zwar dringend. Es zeigt Brian, wie wir ihn noch nie gesehen haben. Wie ihn niemand gesehen hat. Das ist sozusagen seine dunkle Seite, die nie aus ihm raus durfte. Sobald die Gutachter damit durch sind und sich einigermaßen sicher, dass es von ihm stammt oder stammen könnte, gehe ich damit zu den Anderen. Und glaube sie mir: Die werden es mit Handkuss nehmen. Und irgendwann, in ein paar Jahren, werden sie zurückblicken und das hier als den größten Fehler ihres Lebens in Erinnerung behalten haben.“ Es war ein Bluff. Aber als ich ‚die Anderen’ sagte, hatte er kurz gezuckt. Ein deutliches Zeichen, dass ich einen Treffer gelandet hatte. Ich musste nachlegen. „Wie wäre es, wenn sie es Lisa lesen lassen würden?“
Lisa war die wichtigste Kritikerin der Stadt. Und seine Tochter. Eine lange Pause folgte. Wir saßen dort im dreizehnten Stock, blickten uns an und irgendwann fing er an zu glauben, dass ich meine Drohung ernst meinte und dass es mir scheißegal wäre, wenn Finkbooks mich dafür in Grund und Boden klagen würde. Weil er dachte, dass ich auf einer Mission wäre. Und er nur ein Geschäftsmann. Zu einem großen Teil war das auch die Wahrheit, auch wenn ich längst nicht so radikal handelte, wie er glaubte.
„Einverstanden“, sagte er resignierend. „Ich schicke es Lisa. Wenn sie es gut findet und wenn die Experten mir mit mehr als 95%tiger Sicherheit versprechen können, dass es von Brian ist, dann bringen wir das Ding raus. Aber zunächst nicht unter seinem Namen. Wir vermarkten es groß, erfinden einen jungen Schriftsteller dazu, der keine Interviews gibt. Wir erfinden eine Bourroughs-Version von Pynchon, sozusagen. Und sehen, wie es ankommt. Wenn es klappt, dann lassen wir die Bombe platzen. Wir tun dann so, als hätte es jemand aus unserem Haus ausgeplaudert, damit man uns nicht vorwerfen kann, dass die Sache von Anfang so geplant war.“
Eins musste man Fink lassen: Wenn es ums Geschäft ging, dann wusste er, was zu tun war. Der Plan gefiel mir gut. Und wenn es floppen würde, dann würde ich es selbst irgendwann rauskommen lassen und ebenfalls so aussehen lassen, als wäre es ein Versehen gewesen, dachte ich. Das war ich Brian und Mary schuldig.
„Ich schätze, wir haben einen Deal“, sagte ich.