Flohmarktbriefe (V)
Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 14.Juli 1921
Liebes Mährichen!
Sei bedankt für die nahrhafte Seelenspeise, die Du in Form der vielen guten Briefe mir bisher so Darbenden dargereicht hast. Mit Deinem lieben Zeilen zum Sonntagmorgen gabst Du dem Feiertag fürwahr den rechten stimmungsvollen Auftakt. Welch schöne Dinge sprichst Du da aus, und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, sagt man. – Auch die Ansichtskarte erfreute mich nicht wenig. Unsere in Aussicht genommene Wohnung liegt ja allerliebst, so hübsch frei. Sie hätte auch nach hinten hinaus gehen können, mit dem Blick über düstere von Grundmauern umschlossene Höfe, in denen sich Ferkel lebensfroh die Misthaufen herniederkugeln und Kettenhunde vor ihrer Hütte melancholisch wimmernd sich das Fell bearbeiten. Mit diesem Hinweis drücke ich nicht etwa einen Wunsch aus, dessen wahrscheinliche Nichterfüllung ich beklage. Ich meine nur, unter Umständen, gegebenenfalls, eventuell, wenn sich nichts besseres hätte finden lassen, wären wir doch gezwungen gewesen… Kannst Du mich denn nicht verstehen, liebe Mähri?
Jedenfalls danken wir Deine Frau Mama nocheinmal recht herzlich für ihren Freundschaftsdienst. Bei dieser Gelegenheit frage ich Dich gleich noch einmal, ob Du dazu „kamst“, nachzuforschen, ob wir gegebenefalls schon Anfang nächsten Monats das Quartier beziehen könnten. Um es aber zu wiederholen, es handelt sich vorläufig nur um eine unverbindliche Anfrage, da die Stellungnahme meines Vaters zu der Reiseverlegung noch nicht hiesigen Ortes bekannt ist. Würden wir denn übrigens jederzeit nicht zu teuere Wohnungen finden können, falls wir auf die Gelegenheit verzichteten?
In den letzten Tagen nahm die „Geselligkeit“ bei uns einen für unsere Verhältnisse sehr breiten Raum ein. Erstens kam da ein Bekannter meiner Angehörigen aus Düsseldorf, der hier geschäftlich zu tun hatte und uns bei dieser Gelegenheit Grüße überbrachte. Auf Geheiß meines Vater sollte ich besagtem Herrn in Breslau als Führer dienen. Ich tat also und wurde von ihm dafür zu einem „Weinabend“ in einem Lokal geladen, dessen Pforten sich nur denen öffnen, die mit goldenen Fingern anzuklopfen in der Lage sind. Man braucht noch keine Veranlagung zum Wüstling zu haben, wenn man bei dem Besuch einer solchen in ihrer äußeren Aufmachung ansprechenden Stätte Wohlbehagen empfindet. Wir saßen im Garten, der nach den Anlagen am Stadtgraben zugelegen, in viele reizende voneinander getrennte Plätzchen zerlegt ist. Auf den weißgedeckten Tischen dufteten Blumen, die in schlanken Vasen standen und aus dem Pokale duftete die Blume des Weines mir lockend entgegen. Südwein, für dessen Süßigkeit ich einen kleine Schwärmerei besitze! Freilich war es bislang meistens eine Schwärmerei aus der Ferne. Es ist nur Eines was die Süße eines von der Mittelmeersonne geglühten Weines übertrifft: Die Lippen meiner – Urgroßmutter [Anmerkung des Abtippers: Fritz will Humor zeigen - Es gelingt nur bedingt]. Zu unserem Haupten wölbte sich da üppige Blätterdach stattlicher Ahornbäume, das von dem Licht der darin verborgenen Glühkörper in goldgrünen Schimmer sanft erglänzte. Es war recht stimmungsvoll. Nur etwas entbehrte ich – wiederum meine Urgroßmutter [Anmerkung des Aptippers: Jaja, ist ja gut jetzt]. Ich vermisste sie umso mehr, als das „girrende“ Lachen und Augengefunkel, das aus den lauschigen Winkeln in unserer Nachbarschaft hervordrang, unzweideutig bewies, das gar viele solcher Matronen hier ihre „Lieblingsenkel“ versammelt hatten, um edlen Familiensinn zu pflegen. An derartigen Orten kann man in der Tat, seine „Studien machen“, wie man zu sagen pflegt. So saß neben uns in trautem „tet-a-tet“ ein Paar, das unversehens von einem hinzutretenden aufgestört wurde. Man schien sich kennen, machte ziemlich berührte Gesichter. Deutlich erkennbar, war es eine für alle Teile unliebsame unverhoffte Begegnung. Es erfolgte eine Vorstellung, aus der für den Lauscher hervorging, daß beide Damen verheiratet und ihre Kavaliere nicht ihre „angetrauten Männer“ waren.
- Ich wurde im Augenblick unterbrochen, kann heut nicht fortfahren, wie ich wollte u. schicke daher das Geschriebene schon ab.
Deinen innigen Kuß erwidert Dir mit einem Dutzend Dein Fritz.
*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.