Flohmarktbriefe (XII)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 29. Juni 1921

Liebe Maria!

Recht schönen Dank für die Karte und den lieben heutigen Brief!

Du erlaubst mir zwar in liebenswürdiger Weise, ruhig mit der Antwort etwas zu warten, doch liegen keine zwingenden Gründe dazu vor, und meine Dir gewidmeten Gedanken verdichten sich sozusagen von selbst zu geschriebenen Worten.

Eigentlich wiedersteht es mir einigermassen, immer nur meine unbedeutende Persönlichkeit zum Gegenstand der Briefe zu machen, Dir ein ewiges: „Ich… Ich… Ich…“ vorzusetzen, doch fühle ich mich zu allgemeinen tiefgründigen Abhandlungen zu abgespannt, und Du wirst wohl oder übel wiederum mit Berichten über die kleinen Begebenheiten meines Daseins vorlieb nehmen müssen. „Begebenheiten“ ist überhaupt schon zuviel gesagt, insofern als sich ein Tag kaum in etwas vom anderen unterscheidet. Ich arbeite etwa 8 Stunden täglich, vormittags 4, nachmittags 3, Abends 1 Stunde, ungefähr so wenigstens. Gegen 7 Uhr abends gehe ich meist etwas „an die Luft“. In der Abenddämmerung, die ja jetzt ziemlich spät hereinbricht, treibe ich meist auf dem Balkon – er ist von Wein umrankt, bietet also Schutz vor neugierigen Blicken – Gymnastik, „schlenkere die Gliedmaßen nach allen Himmelsrichtungen“, was mir körperlich ja ganz gut bekommt. Ich wünschte nur mein Kopf wäre in gleichguter Verfassung wie das Muskel-System.

Neulich sprach ich nach einem Ablauf von 10 Monaten wieder einmal Fräulein Wünsch. Bisher hatte ich sie stehts geflissentlich gemieden, diesmal gab es aber kein Entrinnen, ich lief ihr unversehens über den Weg, und sie redete mich an. Bei den paar gewechselten Bemerkungen konnte ich nich umhin, erneut ihre vollendete Grazie in Wort und Erscheinung zu „konstatieren“. Als weitere „wichtige Begebenheit“ wäre noch zu vermelden, daß ich jüngst einmal die Hosen anzog, deren famose Bügelfalten ich Gertrud wortkarger Dienstbereitschaft verdanke. Leider standen die Falten aber in genau entgegengesetzte Richtung, wie sie stehen sollten, und es tat mir ordentlich in der Seele weh, als ich die Hosen einer Umpressung unterwerfen musste. Trotz dieser Unkenntnis in der Behandlung männlicher Hosenbeine bleibt Dein Fräulein Schwester aber doch prächtiger Mensch.

Allein alle prächtigen Menschen zusammengenommen vermögen nicht, gleichsam von außen, das Glück in das Leben eines Menschen zu bringen; am Ende erwächst dies nur aus dessen Brust. Zu dieser Ansicht gelange ich mehr und mehr. Möglichst wenig erwarten – von anderen! Bringe Dir selbst das Licht oder es bleibt doch mehr oder weniger dunkel. Arbeit und Erfolg dabei erwecken einzig das starke, alles durchdringende Glücksempfinden, das die durstende Seele sonst vergeblich suchen wird. Das da übrigens ein prächtiges Wort von Jean Paul, das das Ausspähen nach zukünftigen „Glück“ verwirft, bei dem die Werte der gegenwärtigen Stunde unbeachtet bleiben, und das den tätigen kräftig aufruft: „Jede Minute sei Dir ein volles Leben! Verachte die Angst und den Wunsch, die Zukunft und die Vergangenheit. Wenn der Sekundenweiser Dir kein Wegweiser in den Eden Deiner Seele wird, so wird’s der Monatweiser noch minder; denn lebst nicht von Monat zu Monat, sondern von Sekunde zu Sekunde.“ Ist dieser Auspruch nicht Wert zur Lebensdevise gemacht zu werden? Ich will mich bemühen im „Augenblick“ und in mir das Glück zu suchen. Übrigens glaube ich, daß es mir gut tun wird, mich wieder etwas mehr in der „Öffentlichkeit zu zeigen“. Diese immerwährende Einsamkeit führt auf die Dauer zu verdüsternden Grübeleien. Die freibleibenden „Kapitalien“ mögen also diesem Zweck wieder zugerannt sein!

Hoffentlich erscheinen Dir, liebe Leserin, die vielen „Ichs“ nicht zu öde. Mit dem raschen Antworten, wie ich es die letzten Male hielt, soll auf Dich, liebes Mädchen, von mir kein „Druck“ in der Richtung häufigen Schreibens ausgeübt werden. Tue dies wirklich nur, wenn Du es tun musst, wie ich es auch halte!

Verzeih mir auch noch, ich will nicht wieder neugierig sein.

Mit herzlichem Gruß,
Dein Friedrich.

[Am Rand:] Wann kam der Brief an? Frage nur, um festzustellen, wie lange er geht, wenn er frühmorgens in den Kasten gesteckt wird.

[Beigefügter Zettel:] Richtig ist: Es (das Herz z.b.) hieß ihn etwas tun. Falsch ist: Es hieß ihn, etwas zu tun. [Rückseite:] Nach dem Studium zu zerreißen!

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (XI)

Gertrud Priester an Maria ‘Mietze’ Priester, 21. Oktober 1913

Geliebtes Miezekind,

heute morgen habe ich den Brief erhalten, tausend Dank, dass Du sie so schnell schicktest; bis jetzt habe ich sie ja noch nicht nötig gehabt. Augenblicklich sitze ich im Konferenzzimmer und fühle mich körperlich wie seelisch sehr elend. Ich zähle schon wieder bis zu den nächsten Ferien – also wie ich die patriotische Feier gehalten habe! Denke Dir, ich war in Leipzig. Ich hatte sogar das große Vergnügen den Kaiser zu sehen und noch viele andere Fürstlichkeiten. Das Denkmal habe ich allerdings nur von weitem besichtigen können, da es abgesperrt war. Freitag abend fuhren wir nach Leipzig, nämlich: Fräulein Lesser und ich. Alle zusammen hatten keine Ahnung von der Stadt. Und doch fanden wir ein einigermaßen billiges Zimmer im Wirthehause. Sonst war es überall überfüllt. Im Hotel konnte man ein Zimmer kaum für 20 M haben. Wir haben 2,80 M für ein nettes Zimmer mit Morgenkaffee bezahlt. Am Freitag Abend sahen wir uns noch gleich die Ausstellung, wenigstens die Anlagen, da sonst alles verschlossen war, an. Die Vergnügungslokale waren natürlich geöffnet, wir aßen im Tanzpalast Abendbrot und vergnügten uns köstlich. Nachher fanden wir auch noch recht lustige Herren (Referendare) und haben mit diesen bis ½ fünf Uhr morgens gefeiert. Dass das recht fidel war, kannst Du vielleicht ausmalen. Nachher hatte ich ordentlich Gewissenbisse, ob sich dergleichen auch wohl für eine Lehrerin ziemte. Aber man ist schließlich auch nur ein gewöhnlicher Sterblicher. Wie schnell sind die Jugendjährchen verflossen. Ich marschiere doch auch schon auf die 25.

Auf der Reise nach Dessau von Braunschweig aus lernte ich einen reizenden Menschen kennen. Er hatte Ähnlichkeit mit Herrn Büscher nur älter, aber auch noch ein Stud. Er hat mir seine Visitenkarte gegeben mit der Bitte ihm zu schreiben. Er weiß meinen Namen nicht. Würdest Du schreiben? Eigentlich müsste ich mir den Spass ja machen, es ist sonst zuwenig Abwechslung im scheußlichen Dessau. Ich hasse es ordentlich.

Doch jede Woche habe ich einen Lichtblick, denn ich treffe mich jeden Mittwoch nachmittag mit ihr. Doch Du weißt ja noch nicht, mit wem! Lini, natürlich. Ausnahmsweise trafen wir uns gestern schon. Da gab es denn ein Austratschen. Da ist eben noch das einzig Schöne, daß ich jetzt Lini hier habe. Lini ist sehr gerne in Dessau. Sie hat ein urgemütliches Zimmerchen. Gestern waren wir im Tiergarten. Urbrav müssen wir beide hier sein. Viele Augen richten sich schon allein auf Linis Tracht. Und nun noch dazu das hübsche Mädl. Durch diesen Brief hat sich mein Seelenzustand gebessert. Hoffentlich hält es an. Nächste Woche gehe ich auch mal ins Theater. Meine Reise nach Leipzig hat fünf Theatervorstellung in die Tasche gesteckt. Doch das schadet nichts, dafür war es einzig schön. Herzlichen Gruß an Tante, Agnes, Hilde, und übrige Pensionärinnen.

Dir danke ich nochmals herzlichlich. Schnell noch einen Kuss auf beide Backen, ich verbleibe in Liebe

Dein altes, treues Schwesterlein.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (X)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 21.Januar 1921

Mieze, liebe Mieze,

Weshalb bist Du mir so aufgeregt? Gab Dir, mein Lieb, denn mein letzter Brief noch keine Beruhigung? Die richtige Erklärung für das „entsetzliche Schweigen“ hast Du bereits selbst gefunden. Meine Karte bestätigte die von Dir flüchtig geäußerte Vermutung, ich könne meinerseits was tun. Das tat ich denn ausgiebig zwölf ganze Tage lang und mir war wirklich nicht wohl dabei. Dafür sorgten jene Andeutungen, die Du in Verbindung mit den Äußerungen des Schmerzes über den bösen Brief laut werden ließest. Du suchtest mich wohl zu beschwichtigen mit dem an sich ja erfreulichen Wort so leicht ließest Du Dich nicht „herumkriegen“, und ich möchte mir „nicht schlimmes“ denken. Aber Du gibst selbst in Deinem letzten Schreiben ein Beispiel dafür, wie schnell man sich etwas schlimmes denkt. Auch wenn nicht der geringste Grund vorhanden ist. Wenn jedoch ein solche Anlaß vorliegt, wenn schon einmal von einem Unwohlsein des Liebsten die Rede gewesen ist, von dessen endgültiger Überwindung noch keine Kunde kam, wenn man befürchten muss dieses Unwohlsein – zwar ungewollt – selbst noch verstärkt zu haben, dann, nur dann lässt sich eine Erregung rechtfertigen, wie Du sie, mein süßes, holdes Mächen, zeigts, ohne trifftige Ursache und ich sie empfand mit guten Grund, wie Du billig gestehen musst. An eine Art Revanche Deinerseits habe ich selbstredend – um es hier gleich zu sagen – nicht gedacht. Das Wort fuhr mir nur so heraus in dem Bestreben den inneren Aufruhr irgendwie Luft zu machen. Sinn hatte es nicht. Wie entspräche eine solche Absicht auch Deiner Herzengüte und Lauterkeit.

Und nun kam endlich Dein lieber, lieber Brief. Mit welcher Freude empfing ich ihn, legte ihn erst eine ganze Stunde lang vor mich hin, um mich daran zu entzücken wie an einem süßem Geheimnis, dessen Entschleierung nahe bevorsteht. Und dann erschloß ich ihn. Alle Besorgnisse, es könnte Dir inzwischen nicht gut ergangen sein, schwiegen mit eins. Ich begann zu lesen in der wonnigen Überlegung, nur herrliche Eindrücke zu empfangen. Und sie waren es. Welch Meer von Liebe gießt Du doch über mir aus, mein Glück, mein Leben, meine Mieze! Liebe, Liebe, klingt mir beseeligend auch aus all Deinen Klagen entgegen. Mieze, liebe Mieze, ich bin Dir doch so gut, so unendlich wie Du mir. Ich wünschte, ich könnte mich durch die Lüfte zu Dir schwingen, wenn Du von den Bergen meinen Namen ins Weite rufst. Still! Hörte ich eben nicht Deine Stimme? Nein, mein Blut nur singt Mieze, Mieze und wird es singen in Ewigkeit fort.___________

Wenn ich den Brief nicht sofort forttrage erhältst Du ihn vor Montag nicht mehr. Daher breche ich so kurz ab, um bald fortzufahren. Bin so müde, da es sehr viel zu tun gab. Erzähle davon. Bette nun mein Haupt in Deinem Schoß u. schlafe, träume. Von wem wohl? Du, Liebe?

Dein Fritz.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (IX)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 07.Januar 1921

Meine herzinnig geliebte Mieze!

Deinen Brief lesen und voll Schrecken aufs Telegrafenamt eilen, war eins. Wieder zu Haus angelangt, sitze ich in der einsamen Wohnung am Schreibtisch und überdenke bestürzt, was ich angerichtet habe. Was magst du jetzt im Augenblick tun? Es ist Schlafenszeit. Vielleicht hast Du Dich schon auf Dein Zimmer begeben, vermagst aber keine Ruhe zu finden und grämst, härmst, unter ganz falschen Vorstellungen Dich ab.

Vielleicht auch – doch nein, es darf nicht geschrieben werden. Fort mit diesen scheußlichen Gedanken! Ich wünschte, nach ihm das Tintenfass schleudern zu können wie nach einem bösen Geist. Hätte ich nur im geringsten vorausgesehen, daß meine Wort eine derartige Wirkung auf Dich ausüben würden, sie wären ganz gewiss unterblieben, wenigstens in dieser Form. Aber ich vermag auch gar nicht zu begreifen, wie selbst die von mir gewählte Form Dich, mein über alles geliebtes Mächen, in solche Seelennot stürzen konnte. Gräßlich harte Worte soll ich an meine einzige teure Miezi gerichtet haben? Kann das möglich sein? Geliebte, sieh mich doch an. Traust Du mir zu, daß ich sie als solche beabsichtigte, daß mir ihre angebliche Härte überhaupt zum Bewusstsein gekommen ist? Beabsichtigt oder nicht – höre ich Dich antworten – die Wirkung ist die Gleiche. Und erschüttert über die Qual, welche ich dem liebsten Menschen bereitet, und außer mir über mich selbst, möchte ich Dir zu Füßen fallen, deine Knie umschlingen können, um Dich herzlich um Verzeihung zu bitten für meine Unbeherschtheit. Unbeherrscht war ich und es schlimm genug, daß ich diesen Mangel an Herzensdisziplin Dir gegenüber komme, o Mieze, an den Tag legen konnte. Die kleine Enttäuschung darüber, daß auf meinen ausführlichen Brief nicht, wie mir erst schien, nichts ebenso ausführlich eingingst, hätte ich unbedingt unterdrücken müssen. Und hätte es auch getan, einige Stunden später, nachdem ich Deinen lieben, lieben Brief mehrere Mal gelesen und erkennen musste, daß liebevoller, zärtlicher überhaupt kein Mensch zu sprechen imstande ist. Doch da war das üble Geschreibsel schon fort! Es war verdammenswert, weil ich es fertigbringen konnte, auch nur eine kleine – ja so ungerechtfertigte – Mißvergnüglichkeit daraus hervorklingen zu lassen. Allein, mein Mädchen, wie ist es mir denkbar, erkennen zu wollen, ich hätte mich irgendwie von Dir entfernt und noch dazu weit entfernt? Dein Herz sollte ich mit Füßen getreten haben? Mir sträubt sich die Feder, dies auch nur zu schreiben. Ich weiß nichts davon, und Du darfst ebenfalls nichts mehr davon wissen. Vergib, vergiß. Dir gehöre ich mit Leib und Leben. Und im Feuer unserer Liebe soll mein schlackenreiches Wesen zur Reinheit sich emporläutern.

Auf den letzten Teil Deines Schreibens vermag ich nicht einzugehen. Ich würde ihn vernichten, wenn ich etwas vernichten könnte, was vor Dir herrüht. Widerrufe das, was da steht. Aber es steht einmal da, und die Buchstaben bohren sich mir brennend ins Auge. Dies zu sagen erschein mir als Frevel, die Anspielung als so ungeheurlich, daß ich mich frage, wie Du bei Deiner Liebe zu mir dazu überhaupt fähig sein konntest. Zeigt es doch, mit welchen Gedanken Du spielst, an welche Möglichkeiten Du denkst. Das stellt geradezu ein Angriff gegen meine Nervenkraft da. Mir ist, als sähe ich ein Schwert über meinem Haupt, das jederzeit auf mich herabstürzen könnte. Darauf – Du weßt! – auch nur von fern hinzudeuten, erfüllt mich mit unsäglichem Grauen. Fast glaube ich, Du hast – gewißermaßen aus Revanche – eine Marter für mich bezweckt.

Weißt Du, daß Du die Pflicht hast, mir gut und gesund zu bleiben, wie es auch die meine ist?

In Liebe und Treue, Dein, Dein, Dein Fritz.

Verzeih, die schlechte Schrift. Der Brief sollte mit der letzten Post noch fort.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (VIII)

Wilfried Hensel an Marianne Grimm, 13.November 1956

Meine liebe Kleene

Da ich jetzt gerade Zeit habe Dir einige Zeilen zu schreibe, habe ich die Gelegenheit wahrgenommen. Du musst aber noch wissen, dass ich jetzt auf Posten vor unserer Villa stehe. Es ist kurz nach 20 Uhr, den 13.11.56. Leider ist die Gelegenheit ungünstig, denn im Stehen schreibt es sich schlecht und ohne Unterlage noch schlechter. Bis 22.00 Uhr muss ich hier stehen, Fatzkerei! 2 Std. Ich hatte schon 2x vor außer der Besuchszeit zu Dir zu kommen, morgen versuche ich es aber endgültig zum 3x. Einen Brief schreiben möchte ich nicht, da ich nichts zu schreiben weiß. Vor einigen Tagen war Herbert bei mir mit Vergrößerungen seiner Bilder. Inzwischen habe ich von Bärbel, ich glaube das wußtest Du, und Bernhard Nachricht. Ebenfalls hat Wolfgang geschrieben. Schon vor einigen Tagen haben B+G. die Bilder an Wolfgang gesch. Geld von B+G. habe ich bereits 10,- DM. Ca. 40 Bild. von meinen und 16 von Herberts haben sie ausgewählt, leider kann ich an den Nummern noch nicht feststellen, welche Bilder sie ausgewählt haben. Mich interessiert es allerdings weniger, dennoch ist es spannend was sie ausgewählt haben. Ob sie nun von meinen mehr oder weniger nehmen ist ja egal, denn verdienen will ich nicht. Sicherlich reizen die großen Aufnahmen mehr. Im Durchschnitt nehmen sich nämlich unsere Bilder nicht viel, einige sind von Herbert sogar sehr schön, so daß ich gar nicht konkurrieren kann. Hoffentlich sind die Aufnahmen ende der Woche wieder hier, ich kann es gar nicht erwarten die schönen Bildchen wieder in Berlin zu haben. Gute Besserung von Bärbel und Wolfgang. Meiner Mutter habe ich es am gleichen Abend natürlich gesagt, sie hat es hingenommen.

Ich habe seit einigen Tagen viel Dienst, wenn ich nach Hause komme mache ich mir Mittag oder gehe essen (erst 1x). Das Essen machen dauert ganz schön lange, dann hänge ich ewig am Radio, um Nachrichten zu hören, sehr wichtig, und dann gehe ich um 11.00 schlafen. Zwischendurch versuche ich etwas Neues auf Tonband aufzunehmen, habe allerhand schöne Sachen auch oben. Mir fällt gerade ein, daß B+G kaum kommen werden, sie wollen es versuchen, den Grund haben sie heimlich angedeutet. Ich habe ihnen geantwortet, daß ich es bereits weiß, sie brauchen mir nicht mehr zu verraten, um was es sich handelt. Laut Brief von B., wollte er später noch schreiben worum es sich handelt. Im Kino war ich auch nicht, obwohl ich die Gelegenheit hatte, war zu faul. Vor einigen Tagen hätte ich im Bio „Carmen J.“ sehen können, ging nicht, ich konnte nicht aus dem Sessel aufstehen. Zu dem fehlt auch das Geld. Lotto hatte ich nichts, leider.

Gestern war ich in der neuen Lebensm. Abt. vom KDW in der 6. Straße. Das ist einfach genial mit dem Selbstbedienungsbuffet. Man nimmt ein Tablett muß durch einen Gang, sagt was man möchte und bezahlt hinten. Die ganze obere Etage (6.) Lebensmittel, alle schönen Sachen, die man sich denken kann gibt es dort.

II.Teil.

Auch die Bierwürstchen für -,.50 gibt es dort oben. Die Lebensmittelabteilung unten ist noch zu, dort wird sicherlich etwas anderes reinkommen.

Diese kleinen Briefe hier schreibe ich, falls ich morgen nicht reinkomme ins Krks [gemeint ist „Krankenhaus“, Anmerkung des Transkribienten]. Jetzt ist gerade die Zeit der Chipper, laufend kommen sie an aus München, Kölle, Hannover + Frankfurt. Schon von weitem hört man das Brummen und dann sieht man die Positionslichter. Kalt ist es jetzt, meine Finger sind ganz klamm, ich stelle hier gerade fest 2 Minus an unserem Thermometer. Ganz schön.

In der Lebensm. Abt. KDW war gestern auch gerade Eröffnung. Sehr viel Menschen, und auch viel gekauft also nicht nur Sehleute. Ich habe von meinen letzten paar Piepen eine kleine Flasche Enzian gekauft. Es ist der Zehlendorfer. Die Flasche sieht so aus: [kleines Piktogramm, Anm. des Transkribienten] und ist aus Stein. Schmeckt nicht so gut wie in Waging u.a. Orte. Aber brennt dafür wie Feuer, ich habe mir gerade gleich den Magen verbrannt. Für diese Jahreszeit ganz brauchbar.

Jetzt kommt innerhalb 1h das 6. Flugzeug, da müssen Militärmaschinen bei sein, denn soviel Passagierflugzeuge können unmöglich kommen.

Die Temperatur fällt immer noch ab, es wird immer kälter jetzt zur Nacht. Ich habe schon einige Male ganz aussetzen müssen mit Schreiben. Heute Nacht habe ich noch 2h Posten, dann ich werde ich weiterschreiben, jetzt erst mal gute Nacht mein kleiner Liebling, Kuss.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (VII)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 04.Januar 1921

Unsere Briefe kreuzten sich schon zum zweiten Mal. Um dies künftig zu vermeiden und weil ich auch sonst das Bedürfnis dazu verspüre, greife ich heut schon wieder zur Feder, obwohl erst gestern ein ausführliches Schreiben an Dich abging.

In Deinem lieben Brief von 02.01. wunderst Du Dich über die Länge des meinen. Diese ist doch nichts erstaunliches, sondern etwas sehr natürliches. Ich sehe mich nicht wieder in der Absicht, einen Zeilenrekord aufzustellen. Ich beschäftige mich in Gedanken mit Dir, es ist mir als spräche ich mit Dir von Angesicht zu Angesicht, und da ich Freude an einer Zwiesprache mit Dir empfinde, eile ich auch nicht, sie zu beenden. Zwanglos, ganz selbstverständlich wächst ein Satz aus dem anderen hervor und von einem besonderen „Etwas-Fertig-Bringen“ kann nicht die Rede sein. Vielleicht ist es aber doch besser, wenn ich mir bei der äußeren Ausdehnung meiner Briefe vorher bestimmte Ziele setze, jener „Zügellosigkeit“ Einhalt gebiete. Denn es ergibt sich aus dem, was Du mir sagst, der Eindruck, daß je größer die Zahl die Worte ist, umso mehr sich ihr Eindruck auf Dich abschwächt – was ja auch ein ganz natürlicher Vorgang ist. Freilich, wenn es sich eben nur um Worte handelt. Allein ich schrieb sie Dir mit liebvollem Eifer, erzählte von so mancherlei und dachte nicht, dass meine Geliebte mit höflichem „enorm“ und sonst allerlei allgemeinen Bemerkungen darüber hinweggleiten würde. Vielleicht empfandest Du es als eine Zumutung, Dich durch solch Gewirr unförmlich gemalter Buchstaben durchwinden zu sollen. Wie, mein Lieb?

Mehr freute mich die Kunde von dem endlichen Eintreffen des „Weihnachtspaketes“. Ich war schon um sein Schicksal besorgt. Die Überraschung für den heiligen Abend ist jedenfalls glänzend gelungen. Doch wenn die Bücher nur nach Deinem und Fräulein Getruds Geschmack sind, bin ich befriedigt. Über die Klingerschen Bilder werden wir, denke ich, uns noch ein wenig unterhalten. Das darüber Gesagte waren nur mehr einleitende Worte. Die Reproduktionen sind übrigens so gut, daß sie den Originalen nicht viel nachgeben werden. Dein Musiklehrer vermag ja wohl die besondere Kunst D’Alberts zu würdigen wissen. Ich selbst als Laie kann zwischen ihm und anderen keinen Unterschied erkennen. Vor einigen Monaten hörte ich einen Anderen weniger bekannten Pianisten, der nach meinem beschränkten Musikverstande seine Sache ebensogut machte. Die gleiche Meinung hege ich von Deinem Spiel. Du sagst, Du glaubtest auch bestimmt, G/Hauß-Berkons müsse von den „Anthroposophischen Fingern“ beeinflusst sein. Worauf stützt sich dieser bestimmte Glaube? Hörtest Du näheres darüber? Es ist mir einigermaßen peinlich, für einen „Ironiker“ gehalten zu werden. Ironie ist höchstens bei einem überlegenen Geist verständlich und verzeihlich. Bei allen anderen muss sie als läppische, alberne Unart wirken. Ich nehme durchaus keinen Anstoss daran, daß Du, Liebe, auf diesen Punkt zu sprechen kamst. Bei meiner Unvollkommenheit brauche ich Kritik nur zu nötig und erbitte sie mir, wo es Not tut, auch von Dir.

Weshalb befürchtet Du denn, Du könntest nicht die rechte Frau für mich sein? Hältst Du mich für Deiner unwert?

Mit herzlichem Gruß,
Dein Fritz.

[Beigelegter Zettel:] Um eins bitte ich Dich noch: Lass Dich nicht etwa durch das oben gesagte verleiten, Dir irgendwie Zwang anzutun und anders zu schreiben, als es Deinem Wesen gemäß ist.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (V)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 14.Juli 1921

Liebes Mährichen!

Sei bedankt für die nahrhafte Seelenspeise, die Du in Form der vielen guten Briefe mir bisher so Darbenden dargereicht hast. Mit Deinem lieben Zeilen zum Sonntagmorgen gabst Du dem Feiertag fürwahr den rechten stimmungsvollen Auftakt. Welch schöne Dinge sprichst Du da aus, und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, sagt man. – Auch die Ansichtskarte erfreute mich nicht wenig. Unsere in Aussicht genommene Wohnung liegt ja allerliebst, so hübsch frei. Sie hätte auch nach hinten hinaus gehen können, mit dem Blick über düstere von Grundmauern umschlossene Höfe, in denen sich Ferkel lebensfroh die Misthaufen herniederkugeln und Kettenhunde vor ihrer Hütte melancholisch wimmernd sich das Fell bearbeiten. Mit diesem Hinweis drücke ich nicht etwa einen Wunsch aus, dessen wahrscheinliche Nichterfüllung ich beklage. Ich meine nur, unter Umständen, gegebenenfalls, eventuell, wenn sich nichts besseres hätte finden lassen, wären wir doch gezwungen gewesen… Kannst Du mich denn nicht verstehen, liebe Mähri?

Jedenfalls danken wir Deine Frau Mama nocheinmal recht herzlich für ihren Freundschaftsdienst. Bei dieser Gelegenheit frage ich Dich gleich noch einmal, ob Du dazu „kamst“, nachzuforschen, ob wir gegebenefalls schon Anfang nächsten Monats das Quartier beziehen könnten. Um es aber zu wiederholen, es handelt sich vorläufig nur um eine unverbindliche Anfrage, da die Stellungnahme meines Vaters zu der Reiseverlegung noch nicht hiesigen Ortes bekannt ist. Würden wir denn übrigens jederzeit nicht zu teuere Wohnungen finden können, falls wir auf die Gelegenheit verzichteten?

In den letzten Tagen nahm die „Geselligkeit“ bei uns einen für unsere Verhältnisse sehr breiten Raum ein. Erstens kam da ein Bekannter meiner Angehörigen aus Düsseldorf, der hier geschäftlich zu tun hatte und uns bei dieser Gelegenheit Grüße überbrachte. Auf Geheiß meines Vater sollte ich besagtem Herrn in Breslau als Führer dienen. Ich tat also und wurde von ihm dafür zu einem „Weinabend“ in einem Lokal geladen, dessen Pforten sich nur denen öffnen, die mit goldenen Fingern anzuklopfen in der Lage sind. Man braucht noch keine Veranlagung zum Wüstling zu haben, wenn man bei dem Besuch einer solchen in ihrer äußeren Aufmachung ansprechenden Stätte Wohlbehagen empfindet. Wir saßen im Garten, der nach den Anlagen am Stadtgraben zugelegen, in viele reizende voneinander getrennte Plätzchen zerlegt ist. Auf den weißgedeckten Tischen dufteten Blumen, die in schlanken Vasen standen und aus dem Pokale duftete die Blume des Weines mir lockend entgegen. Südwein, für dessen Süßigkeit ich einen kleine Schwärmerei besitze! Freilich war es bislang meistens eine Schwärmerei aus der Ferne. Es ist nur Eines was die Süße eines von der Mittelmeersonne geglühten Weines übertrifft: Die Lippen meiner – Urgroßmutter [Anmerkung des Abtippers: Fritz will Humor zeigen - Es gelingt nur bedingt]. Zu unserem Haupten wölbte sich da üppige Blätterdach stattlicher Ahornbäume, das von dem Licht der darin verborgenen Glühkörper in goldgrünen Schimmer sanft erglänzte. Es war recht stimmungsvoll. Nur etwas entbehrte ich – wiederum meine Urgroßmutter [Anmerkung des Aptippers: Jaja, ist ja gut jetzt]. Ich vermisste sie umso mehr, als das „girrende“ Lachen und Augengefunkel, das aus den lauschigen Winkeln in unserer Nachbarschaft hervordrang, unzweideutig bewies, das gar viele solcher Matronen hier ihre „Lieblingsenkel“ versammelt hatten, um edlen Familiensinn zu pflegen. An derartigen Orten kann man in der Tat, seine „Studien machen“, wie man zu sagen pflegt. So saß neben uns in trautem „tet-a-tet“ ein Paar, das unversehens von einem hinzutretenden aufgestört wurde. Man schien sich kennen, machte ziemlich berührte Gesichter. Deutlich erkennbar, war es eine für alle Teile unliebsame unverhoffte Begegnung. Es erfolgte eine Vorstellung, aus der für den Lauscher hervorging, daß beide Damen verheiratet und ihre Kavaliere nicht ihre „angetrauten Männer“ waren.

- Ich wurde im Augenblick unterbrochen, kann heut nicht fortfahren, wie ich wollte u. schicke daher das Geschriebene schon ab.

Deinen innigen Kuß erwidert Dir mit einem Dutzend Dein Fritz.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (III)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mieze’ Priester, 27. Februar 1929

Meine liebe Mieze,

Auf meiner gestrigen schönen Karte habe ich Dir bereits für Deinen „l.“ Brief gedankt und tue es jetzt noch einmal. Diese Ausführlichkeit ist ja staunenswert – oder nein, sie ist in Anbetracht der kommenden Dinge eine Selbstverständlichkeit. Du sprichst – um es gleich vorweg zu nehmen – von einem beigelegten Zettel, ich fand aber keinen…. Gern hätte ich Dir mitgeteilt, daß ich schon im Besitz des Mietrechtscheines sei. Bis heut habe ich vom Wohnungsamt auf meinen Antrag noch keinen Bescheid erhalten. Ich werde mich morgen telephonisch erkundigen, wie die Suche steht. Deine Wünsche sind mir nicht nur Befehl, sie decken sich auch mit den meinen.

Natürlich will auch ich mich in meinem „Heim“ behaglich fühlen. Mit der Zwecksetzung der Wohnräume, wie Du es wünschest, und der dadurch bedingten größeren Zahl bin ich gleichfalls einverstanden. Da Du Dein Bett von dem meinen getrennt halten willst, genügt für mich als Schlafraum eine kleine Kammer, falls vier brauchbare Zimmer zu einem für uns erschwingbarem Preise nicht aufzutreiben sein sollten. Du brauchst übrigens nicht zu schreiben: „…so beuge ich mich Deinem Willen“. Wie Du es für richtig hältst, so wird es gemacht. Bitte sage Du jetzt „basta“ dazu.

Wie lange meines Bleibens in M. sein wird, vermag ich noch nicht zu sagen. Ein Jahr wird es aber mindestens dauern. Zu rascher Wechsel macht keinen guten Eindruck, und das, was ich suche, wird mir wohl niemand in den Schoß werfen, so daß eine unerwartet von aussen an mich herangetragene Lockung, mich zu einer schnellen Liquidation hier veranlassen könnte. Also ist es wohl am besten, wir meublieren z.T. wenigstens selbst. …An Pfingsten als Hochzeitstag hatte ich früher auch schon gedacht. Fassen wir es also ins Auge, oder vielmehr sagen wir es fest, vorausgesetzt, daß eine Wohnung da ist. …Ich sehe nicht ein, weshalb auf die Dörfler in Bezug auf die Ausgestaltung der Hochzeit Rücksicht genommen werden soll. In Salzdetfurth wäre das etwas anders gewesen. Die Anschaffung eines Fracks ist weniger von der Hand zu weisen als eine Brauttoilette, die nachher keine Verwendung mehr findet. So lassen wir uns doch bei geschlossener Kirche oder in Torgau trauen? …Mir geht der Gedanke im Kopf herum, ob ich mir nicht durch Schriftstellerische Arbeiten einen Nebenverdienst schaffen könnte. Ich habe ja schon manches gekonnt, was ich früher nicht für möglich gehalten hätte. Dazu müßte freilich der verdammte Außendiest ganz oder zum größten Teil wegfallen, und außerdem müßte ich auch Abnehmer finden. Darauf brachte mich ver… eine Bemerkung Frau Schäfers, sie habe das Gefühl, daß ich im Stillen an einer größeren Sache arbeite, mit der ich eines Tages hervortreten werde.

…Hier wurde ich gestört und musste abbrechen. Heute, am Montag abend gegen 12 Uhr, fahre ich fort. Eine langwierige Sitzung des „Mittelstandkartells“ liegt hinter mir. Vor wenigen Augenblicken noch unterhielt ich mich mit einem jugendlichen Stadtrat, der u.a. fragte, wie ich mich hierher, d.h. nach M. verirrt habe. M. wirke auf die Dauer ermüdend und das beste, was man tun könne, sei, möglichst bald sich davon zu machen. Alt hier werden will ich ja auch nicht. M. hat mich jedoch schon vorwärtsgebracht, genauer: in M. habe ich mich vorwärts gebracht, insofern, als ich mich an Dinge heranwagte, vor denen ich bis dato in scheuer Entfernung stand. Ein anderer sagte, er freue sich, mich kennengelernt zu haben, als den Schreiber der Artikel, die „Hand und Fuß“ hätten und deren jeder Satz „etwas enthielte“. Na also! Stups! …Draußen schneit es. Auf dem Brocken liegt 190 cm. Schnee bei wechselnd starken Winden. Nie sandtest Du mir Berichte. Ich will den Brief noch auf den Bahnhof tragen.

…Heute empfing ich Walters ersten Brief aus China nach Mühlhausen. Ich kam noch nicht zum Lesen.

Es küßt Dich herzlich Dein Fritz.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (II)

Unbekannter Schreiber an Elfriede Beringer, 19. Okt 1944

Meine liebe Elfimaus!

Mein ersten Brief von hier aus wirst inzwischen erhalten haben? Nun möchte ich Dir heute wieder einige Zeilen senden.

Vor allem hab vielen Dank für Dein liebes Brieferl von 09.10., welches ich vor einigen Tagen erhielt, habe mich sehr darüber gefreut auch einige Zeilen von Dir zu erhalten.– Habe mir von Tante die Klapperschlange [Anm.: Ich vermute schwer, er meint die Schreibmaschine, der Brief ist im Gegensatz zum vorherigen getippt] geholt und nun möchte ich wieder mal ein bisschen üben, damit ich nicht aus der Übung komme.

[...]

Wir haben es hier offenbar mit einem recht talentierten Tautologen zu tun.

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Flohmarktbriefe (I)

Fritz Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 23.Januar 1919:

Herzlieb!

Eben ließ mich Tante, die eine Freundin besuchen will, mit dem Abschiedswort: „Sei nicht bös über mein Fortgehn“ allein in der Wohnung zurück. Ich hätte ihr mit den Worten des Liedes antworten können: „Einsam bin ich, nicht allein“, vor wenigen Minuten hätte auch das weitere, was der Text dieser berühmten Arie besagt, auf meine Lage gepasst; Denn – um mich her im Mondenschein schwebte Dein geliebtes Bild. Ich stand draußen über das Geländer unseres Balkons geneigt, der einen für städtische Begriffe wunderschönen Blick auf die gepflegten Anlagen einer Loge – eine grüne Oase in der Ruinwüste der Großstadt – gewährt. Es herrschte sonntägliche Stille, aus der Ferne nur drang ein fortdauerndes dumpfes Geräusch herüber, die verstummende Stimme des großen Gemeindesees; der Mond arbeitete sich langsam durch eine schwere Wolkenschicht und spaltete sie wie ein Riese, der mit silbernen Hammer ein Bergmassiv zerschlägt. Die Bäume tauchten ihre Kronen in sein weißliches Licht und zogen ein Gewirr dunkler Schattenlinien auf die welken Rasenflächen. Ich blickte dem Nachtgestirn in sein helles Angesicht und bat um ein Wunder. Wie wenn Du Dich plötzlich aus der Luft aus dem Strahlengeflimmer verdichtet hättest, aus dem Lichtgewand deine Gestalt hervorgestiegen wäre wie Venus aus dem Schaum des Meeres! Wenn Du mit einem Mal in holdester Wirklichkeit, leibhaftig mit lieben Lächeln vor mich hingetreten wärst – wie wohl hätte ich Dich empfangen und im Triumph hineingeführt! Lieber noch heimgeführt!

Es geschah aber nichts dergleichen – wie unsäglich nüchtern und prosaisch geht es doch hinieden zu! – Und so musste ich voller Trübsal allein in meine Klause zurückkehren. Da sitze ich denn nun, vergegenwärtige mir die Stunden unseres Zusammenseins, betrachte das einzige Bild, das ich von Dir besitze, und höre dann Rauschen in meinen Ohren zu. Was da rauscht, ist Leben; So eilig rauscht es aber auch dahin. Es kommt mir vor, als läge das gemeinschaftlich durchlebte schon weit zurück. Tiefe Stille liegt über dem ganzen Haus ausgebreitet und eine Empfindung erwacht in mir, ich befinde mich als Einsiedler irgendwo in öder Abgeschiedenheit, wo ich, als Einziges, was mir noch geblieben, von dem Gedächtnis vergangenen Glückes lebte. Doch was für vertracktes Blech bin ich wieder zu faseln im Begriff! Wenn Du mich einen sinnlos-sentimentalen Waschlappen nennst, ist dir nur beizupflichten.

[...]

Danke für die Entschlüsselungshilfe (der Brief ist handschriftlich in Sütterlin) an mein Herzlieb Swan aka Z. =)… zweiter Teil folgt irgendwann.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.