Flohmarktbriefe (XII)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 29. Juni 1921

Liebe Maria!

Recht schönen Dank für die Karte und den lieben heutigen Brief!

Du erlaubst mir zwar in liebenswürdiger Weise, ruhig mit der Antwort etwas zu warten, doch liegen keine zwingenden Gründe dazu vor, und meine Dir gewidmeten Gedanken verdichten sich sozusagen von selbst zu geschriebenen Worten.

Eigentlich wiedersteht es mir einigermassen, immer nur meine unbedeutende Persönlichkeit zum Gegenstand der Briefe zu machen, Dir ein ewiges: „Ich… Ich… Ich…“ vorzusetzen, doch fühle ich mich zu allgemeinen tiefgründigen Abhandlungen zu abgespannt, und Du wirst wohl oder übel wiederum mit Berichten über die kleinen Begebenheiten meines Daseins vorlieb nehmen müssen. „Begebenheiten“ ist überhaupt schon zuviel gesagt, insofern als sich ein Tag kaum in etwas vom anderen unterscheidet. Ich arbeite etwa 8 Stunden täglich, vormittags 4, nachmittags 3, Abends 1 Stunde, ungefähr so wenigstens. Gegen 7 Uhr abends gehe ich meist etwas „an die Luft“. In der Abenddämmerung, die ja jetzt ziemlich spät hereinbricht, treibe ich meist auf dem Balkon – er ist von Wein umrankt, bietet also Schutz vor neugierigen Blicken – Gymnastik, „schlenkere die Gliedmaßen nach allen Himmelsrichtungen“, was mir körperlich ja ganz gut bekommt. Ich wünschte nur mein Kopf wäre in gleichguter Verfassung wie das Muskel-System.

Neulich sprach ich nach einem Ablauf von 10 Monaten wieder einmal Fräulein Wünsch. Bisher hatte ich sie stehts geflissentlich gemieden, diesmal gab es aber kein Entrinnen, ich lief ihr unversehens über den Weg, und sie redete mich an. Bei den paar gewechselten Bemerkungen konnte ich nich umhin, erneut ihre vollendete Grazie in Wort und Erscheinung zu „konstatieren“. Als weitere „wichtige Begebenheit“ wäre noch zu vermelden, daß ich jüngst einmal die Hosen anzog, deren famose Bügelfalten ich Gertrud wortkarger Dienstbereitschaft verdanke. Leider standen die Falten aber in genau entgegengesetzte Richtung, wie sie stehen sollten, und es tat mir ordentlich in der Seele weh, als ich die Hosen einer Umpressung unterwerfen musste. Trotz dieser Unkenntnis in der Behandlung männlicher Hosenbeine bleibt Dein Fräulein Schwester aber doch prächtiger Mensch.

Allein alle prächtigen Menschen zusammengenommen vermögen nicht, gleichsam von außen, das Glück in das Leben eines Menschen zu bringen; am Ende erwächst dies nur aus dessen Brust. Zu dieser Ansicht gelange ich mehr und mehr. Möglichst wenig erwarten – von anderen! Bringe Dir selbst das Licht oder es bleibt doch mehr oder weniger dunkel. Arbeit und Erfolg dabei erwecken einzig das starke, alles durchdringende Glücksempfinden, das die durstende Seele sonst vergeblich suchen wird. Das da übrigens ein prächtiges Wort von Jean Paul, das das Ausspähen nach zukünftigen „Glück“ verwirft, bei dem die Werte der gegenwärtigen Stunde unbeachtet bleiben, und das den tätigen kräftig aufruft: „Jede Minute sei Dir ein volles Leben! Verachte die Angst und den Wunsch, die Zukunft und die Vergangenheit. Wenn der Sekundenweiser Dir kein Wegweiser in den Eden Deiner Seele wird, so wird’s der Monatweiser noch minder; denn lebst nicht von Monat zu Monat, sondern von Sekunde zu Sekunde.“ Ist dieser Auspruch nicht Wert zur Lebensdevise gemacht zu werden? Ich will mich bemühen im „Augenblick“ und in mir das Glück zu suchen. Übrigens glaube ich, daß es mir gut tun wird, mich wieder etwas mehr in der „Öffentlichkeit zu zeigen“. Diese immerwährende Einsamkeit führt auf die Dauer zu verdüsternden Grübeleien. Die freibleibenden „Kapitalien“ mögen also diesem Zweck wieder zugerannt sein!

Hoffentlich erscheinen Dir, liebe Leserin, die vielen „Ichs“ nicht zu öde. Mit dem raschen Antworten, wie ich es die letzten Male hielt, soll auf Dich, liebes Mädchen, von mir kein „Druck“ in der Richtung häufigen Schreibens ausgeübt werden. Tue dies wirklich nur, wenn Du es tun musst, wie ich es auch halte!

Verzeih mir auch noch, ich will nicht wieder neugierig sein.

Mit herzlichem Gruß,
Dein Friedrich.

[Am Rand:] Wann kam der Brief an? Frage nur, um festzustellen, wie lange er geht, wenn er frühmorgens in den Kasten gesteckt wird.

[Beigefügter Zettel:] Richtig ist: Es (das Herz z.b.) hieß ihn etwas tun. Falsch ist: Es hieß ihn, etwas zu tun. [Rückseite:] Nach dem Studium zu zerreißen!

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (X)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 21.Januar 1921

Mieze, liebe Mieze,

Weshalb bist Du mir so aufgeregt? Gab Dir, mein Lieb, denn mein letzter Brief noch keine Beruhigung? Die richtige Erklärung für das „entsetzliche Schweigen“ hast Du bereits selbst gefunden. Meine Karte bestätigte die von Dir flüchtig geäußerte Vermutung, ich könne meinerseits was tun. Das tat ich denn ausgiebig zwölf ganze Tage lang und mir war wirklich nicht wohl dabei. Dafür sorgten jene Andeutungen, die Du in Verbindung mit den Äußerungen des Schmerzes über den bösen Brief laut werden ließest. Du suchtest mich wohl zu beschwichtigen mit dem an sich ja erfreulichen Wort so leicht ließest Du Dich nicht „herumkriegen“, und ich möchte mir „nicht schlimmes“ denken. Aber Du gibst selbst in Deinem letzten Schreiben ein Beispiel dafür, wie schnell man sich etwas schlimmes denkt. Auch wenn nicht der geringste Grund vorhanden ist. Wenn jedoch ein solche Anlaß vorliegt, wenn schon einmal von einem Unwohlsein des Liebsten die Rede gewesen ist, von dessen endgültiger Überwindung noch keine Kunde kam, wenn man befürchten muss dieses Unwohlsein – zwar ungewollt – selbst noch verstärkt zu haben, dann, nur dann lässt sich eine Erregung rechtfertigen, wie Du sie, mein süßes, holdes Mächen, zeigts, ohne trifftige Ursache und ich sie empfand mit guten Grund, wie Du billig gestehen musst. An eine Art Revanche Deinerseits habe ich selbstredend – um es hier gleich zu sagen – nicht gedacht. Das Wort fuhr mir nur so heraus in dem Bestreben den inneren Aufruhr irgendwie Luft zu machen. Sinn hatte es nicht. Wie entspräche eine solche Absicht auch Deiner Herzengüte und Lauterkeit.

Und nun kam endlich Dein lieber, lieber Brief. Mit welcher Freude empfing ich ihn, legte ihn erst eine ganze Stunde lang vor mich hin, um mich daran zu entzücken wie an einem süßem Geheimnis, dessen Entschleierung nahe bevorsteht. Und dann erschloß ich ihn. Alle Besorgnisse, es könnte Dir inzwischen nicht gut ergangen sein, schwiegen mit eins. Ich begann zu lesen in der wonnigen Überlegung, nur herrliche Eindrücke zu empfangen. Und sie waren es. Welch Meer von Liebe gießt Du doch über mir aus, mein Glück, mein Leben, meine Mieze! Liebe, Liebe, klingt mir beseeligend auch aus all Deinen Klagen entgegen. Mieze, liebe Mieze, ich bin Dir doch so gut, so unendlich wie Du mir. Ich wünschte, ich könnte mich durch die Lüfte zu Dir schwingen, wenn Du von den Bergen meinen Namen ins Weite rufst. Still! Hörte ich eben nicht Deine Stimme? Nein, mein Blut nur singt Mieze, Mieze und wird es singen in Ewigkeit fort.___________

Wenn ich den Brief nicht sofort forttrage erhältst Du ihn vor Montag nicht mehr. Daher breche ich so kurz ab, um bald fortzufahren. Bin so müde, da es sehr viel zu tun gab. Erzähle davon. Bette nun mein Haupt in Deinem Schoß u. schlafe, träume. Von wem wohl? Du, Liebe?

Dein Fritz.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (IX)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 07.Januar 1921

Meine herzinnig geliebte Mieze!

Deinen Brief lesen und voll Schrecken aufs Telegrafenamt eilen, war eins. Wieder zu Haus angelangt, sitze ich in der einsamen Wohnung am Schreibtisch und überdenke bestürzt, was ich angerichtet habe. Was magst du jetzt im Augenblick tun? Es ist Schlafenszeit. Vielleicht hast Du Dich schon auf Dein Zimmer begeben, vermagst aber keine Ruhe zu finden und grämst, härmst, unter ganz falschen Vorstellungen Dich ab.

Vielleicht auch – doch nein, es darf nicht geschrieben werden. Fort mit diesen scheußlichen Gedanken! Ich wünschte, nach ihm das Tintenfass schleudern zu können wie nach einem bösen Geist. Hätte ich nur im geringsten vorausgesehen, daß meine Wort eine derartige Wirkung auf Dich ausüben würden, sie wären ganz gewiss unterblieben, wenigstens in dieser Form. Aber ich vermag auch gar nicht zu begreifen, wie selbst die von mir gewählte Form Dich, mein über alles geliebtes Mächen, in solche Seelennot stürzen konnte. Gräßlich harte Worte soll ich an meine einzige teure Miezi gerichtet haben? Kann das möglich sein? Geliebte, sieh mich doch an. Traust Du mir zu, daß ich sie als solche beabsichtigte, daß mir ihre angebliche Härte überhaupt zum Bewusstsein gekommen ist? Beabsichtigt oder nicht – höre ich Dich antworten – die Wirkung ist die Gleiche. Und erschüttert über die Qual, welche ich dem liebsten Menschen bereitet, und außer mir über mich selbst, möchte ich Dir zu Füßen fallen, deine Knie umschlingen können, um Dich herzlich um Verzeihung zu bitten für meine Unbeherschtheit. Unbeherrscht war ich und es schlimm genug, daß ich diesen Mangel an Herzensdisziplin Dir gegenüber komme, o Mieze, an den Tag legen konnte. Die kleine Enttäuschung darüber, daß auf meinen ausführlichen Brief nicht, wie mir erst schien, nichts ebenso ausführlich eingingst, hätte ich unbedingt unterdrücken müssen. Und hätte es auch getan, einige Stunden später, nachdem ich Deinen lieben, lieben Brief mehrere Mal gelesen und erkennen musste, daß liebevoller, zärtlicher überhaupt kein Mensch zu sprechen imstande ist. Doch da war das üble Geschreibsel schon fort! Es war verdammenswert, weil ich es fertigbringen konnte, auch nur eine kleine – ja so ungerechtfertigte – Mißvergnüglichkeit daraus hervorklingen zu lassen. Allein, mein Mädchen, wie ist es mir denkbar, erkennen zu wollen, ich hätte mich irgendwie von Dir entfernt und noch dazu weit entfernt? Dein Herz sollte ich mit Füßen getreten haben? Mir sträubt sich die Feder, dies auch nur zu schreiben. Ich weiß nichts davon, und Du darfst ebenfalls nichts mehr davon wissen. Vergib, vergiß. Dir gehöre ich mit Leib und Leben. Und im Feuer unserer Liebe soll mein schlackenreiches Wesen zur Reinheit sich emporläutern.

Auf den letzten Teil Deines Schreibens vermag ich nicht einzugehen. Ich würde ihn vernichten, wenn ich etwas vernichten könnte, was vor Dir herrüht. Widerrufe das, was da steht. Aber es steht einmal da, und die Buchstaben bohren sich mir brennend ins Auge. Dies zu sagen erschein mir als Frevel, die Anspielung als so ungeheurlich, daß ich mich frage, wie Du bei Deiner Liebe zu mir dazu überhaupt fähig sein konntest. Zeigt es doch, mit welchen Gedanken Du spielst, an welche Möglichkeiten Du denkst. Das stellt geradezu ein Angriff gegen meine Nervenkraft da. Mir ist, als sähe ich ein Schwert über meinem Haupt, das jederzeit auf mich herabstürzen könnte. Darauf – Du weßt! – auch nur von fern hinzudeuten, erfüllt mich mit unsäglichem Grauen. Fast glaube ich, Du hast – gewißermaßen aus Revanche – eine Marter für mich bezweckt.

Weißt Du, daß Du die Pflicht hast, mir gut und gesund zu bleiben, wie es auch die meine ist?

In Liebe und Treue, Dein, Dein, Dein Fritz.

Verzeih, die schlechte Schrift. Der Brief sollte mit der letzten Post noch fort.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.