Flohmarktbriefe (IX)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 07.Januar 1921

Meine herzinnig geliebte Mieze!

Deinen Brief lesen und voll Schrecken aufs Telegrafenamt eilen, war eins. Wieder zu Haus angelangt, sitze ich in der einsamen Wohnung am Schreibtisch und überdenke bestürzt, was ich angerichtet habe. Was magst du jetzt im Augenblick tun? Es ist Schlafenszeit. Vielleicht hast Du Dich schon auf Dein Zimmer begeben, vermagst aber keine Ruhe zu finden und grämst, härmst, unter ganz falschen Vorstellungen Dich ab.

Vielleicht auch – doch nein, es darf nicht geschrieben werden. Fort mit diesen scheußlichen Gedanken! Ich wünschte, nach ihm das Tintenfass schleudern zu können wie nach einem bösen Geist. Hätte ich nur im geringsten vorausgesehen, daß meine Wort eine derartige Wirkung auf Dich ausüben würden, sie wären ganz gewiss unterblieben, wenigstens in dieser Form. Aber ich vermag auch gar nicht zu begreifen, wie selbst die von mir gewählte Form Dich, mein über alles geliebtes Mächen, in solche Seelennot stürzen konnte. Gräßlich harte Worte soll ich an meine einzige teure Miezi gerichtet haben? Kann das möglich sein? Geliebte, sieh mich doch an. Traust Du mir zu, daß ich sie als solche beabsichtigte, daß mir ihre angebliche Härte überhaupt zum Bewusstsein gekommen ist? Beabsichtigt oder nicht – höre ich Dich antworten – die Wirkung ist die Gleiche. Und erschüttert über die Qual, welche ich dem liebsten Menschen bereitet, und außer mir über mich selbst, möchte ich Dir zu Füßen fallen, deine Knie umschlingen können, um Dich herzlich um Verzeihung zu bitten für meine Unbeherschtheit. Unbeherrscht war ich und es schlimm genug, daß ich diesen Mangel an Herzensdisziplin Dir gegenüber komme, o Mieze, an den Tag legen konnte. Die kleine Enttäuschung darüber, daß auf meinen ausführlichen Brief nicht, wie mir erst schien, nichts ebenso ausführlich eingingst, hätte ich unbedingt unterdrücken müssen. Und hätte es auch getan, einige Stunden später, nachdem ich Deinen lieben, lieben Brief mehrere Mal gelesen und erkennen musste, daß liebevoller, zärtlicher überhaupt kein Mensch zu sprechen imstande ist. Doch da war das üble Geschreibsel schon fort! Es war verdammenswert, weil ich es fertigbringen konnte, auch nur eine kleine – ja so ungerechtfertigte – Mißvergnüglichkeit daraus hervorklingen zu lassen. Allein, mein Mädchen, wie ist es mir denkbar, erkennen zu wollen, ich hätte mich irgendwie von Dir entfernt und noch dazu weit entfernt? Dein Herz sollte ich mit Füßen getreten haben? Mir sträubt sich die Feder, dies auch nur zu schreiben. Ich weiß nichts davon, und Du darfst ebenfalls nichts mehr davon wissen. Vergib, vergiß. Dir gehöre ich mit Leib und Leben. Und im Feuer unserer Liebe soll mein schlackenreiches Wesen zur Reinheit sich emporläutern.

Auf den letzten Teil Deines Schreibens vermag ich nicht einzugehen. Ich würde ihn vernichten, wenn ich etwas vernichten könnte, was vor Dir herrüht. Widerrufe das, was da steht. Aber es steht einmal da, und die Buchstaben bohren sich mir brennend ins Auge. Dies zu sagen erschein mir als Frevel, die Anspielung als so ungeheurlich, daß ich mich frage, wie Du bei Deiner Liebe zu mir dazu überhaupt fähig sein konntest. Zeigt es doch, mit welchen Gedanken Du spielst, an welche Möglichkeiten Du denkst. Das stellt geradezu ein Angriff gegen meine Nervenkraft da. Mir ist, als sähe ich ein Schwert über meinem Haupt, das jederzeit auf mich herabstürzen könnte. Darauf – Du weßt! – auch nur von fern hinzudeuten, erfüllt mich mit unsäglichem Grauen. Fast glaube ich, Du hast – gewißermaßen aus Revanche – eine Marter für mich bezweckt.

Weißt Du, daß Du die Pflicht hast, mir gut und gesund zu bleiben, wie es auch die meine ist?

In Liebe und Treue, Dein, Dein, Dein Fritz.

Verzeih, die schlechte Schrift. Der Brief sollte mit der letzten Post noch fort.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.