Flohmarktbriefe (VII)
Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 04.Januar 1921
Unsere Briefe kreuzten sich schon zum zweiten Mal. Um dies künftig zu vermeiden und weil ich auch sonst das Bedürfnis dazu verspüre, greife ich heut schon wieder zur Feder, obwohl erst gestern ein ausführliches Schreiben an Dich abging.
In Deinem lieben Brief von 02.01. wunderst Du Dich über die Länge des meinen. Diese ist doch nichts erstaunliches, sondern etwas sehr natürliches. Ich sehe mich nicht wieder in der Absicht, einen Zeilenrekord aufzustellen. Ich beschäftige mich in Gedanken mit Dir, es ist mir als spräche ich mit Dir von Angesicht zu Angesicht, und da ich Freude an einer Zwiesprache mit Dir empfinde, eile ich auch nicht, sie zu beenden. Zwanglos, ganz selbstverständlich wächst ein Satz aus dem anderen hervor und von einem besonderen „Etwas-Fertig-Bringen“ kann nicht die Rede sein. Vielleicht ist es aber doch besser, wenn ich mir bei der äußeren Ausdehnung meiner Briefe vorher bestimmte Ziele setze, jener „Zügellosigkeit“ Einhalt gebiete. Denn es ergibt sich aus dem, was Du mir sagst, der Eindruck, daß je größer die Zahl die Worte ist, umso mehr sich ihr Eindruck auf Dich abschwächt – was ja auch ein ganz natürlicher Vorgang ist. Freilich, wenn es sich eben nur um Worte handelt. Allein ich schrieb sie Dir mit liebvollem Eifer, erzählte von so mancherlei und dachte nicht, dass meine Geliebte mit höflichem „enorm“ und sonst allerlei allgemeinen Bemerkungen darüber hinweggleiten würde. Vielleicht empfandest Du es als eine Zumutung, Dich durch solch Gewirr unförmlich gemalter Buchstaben durchwinden zu sollen. Wie, mein Lieb?
Mehr freute mich die Kunde von dem endlichen Eintreffen des „Weihnachtspaketes“. Ich war schon um sein Schicksal besorgt. Die Überraschung für den heiligen Abend ist jedenfalls glänzend gelungen. Doch wenn die Bücher nur nach Deinem und Fräulein Getruds Geschmack sind, bin ich befriedigt. Über die Klingerschen Bilder werden wir, denke ich, uns noch ein wenig unterhalten. Das darüber Gesagte waren nur mehr einleitende Worte. Die Reproduktionen sind übrigens so gut, daß sie den Originalen nicht viel nachgeben werden. Dein Musiklehrer vermag ja wohl die besondere Kunst D’Alberts zu würdigen wissen. Ich selbst als Laie kann zwischen ihm und anderen keinen Unterschied erkennen. Vor einigen Monaten hörte ich einen Anderen weniger bekannten Pianisten, der nach meinem beschränkten Musikverstande seine Sache ebensogut machte. Die gleiche Meinung hege ich von Deinem Spiel. Du sagst, Du glaubtest auch bestimmt, G/Hauß-Berkons müsse von den „Anthroposophischen Fingern“ beeinflusst sein. Worauf stützt sich dieser bestimmte Glaube? Hörtest Du näheres darüber? Es ist mir einigermaßen peinlich, für einen „Ironiker“ gehalten zu werden. Ironie ist höchstens bei einem überlegenen Geist verständlich und verzeihlich. Bei allen anderen muss sie als läppische, alberne Unart wirken. Ich nehme durchaus keinen Anstoss daran, daß Du, Liebe, auf diesen Punkt zu sprechen kamst. Bei meiner Unvollkommenheit brauche ich Kritik nur zu nötig und erbitte sie mir, wo es Not tut, auch von Dir.
Weshalb befürchtet Du denn, Du könntest nicht die rechte Frau für mich sein? Hältst Du mich für Deiner unwert?
Mit herzlichem Gruß,
Dein Fritz.
[Beigelegter Zettel:] Um eins bitte ich Dich noch: Lass Dich nicht etwa durch das oben gesagte verleiten, Dir irgendwie Zwang anzutun und anders zu schreiben, als es Deinem Wesen gemäß ist.
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