Flohmarktbriefe (VIII)

Wilfried Hensel an Marianne Grimm, 13.November 1956

Meine liebe Kleene

Da ich jetzt gerade Zeit habe Dir einige Zeilen zu schreibe, habe ich die Gelegenheit wahrgenommen. Du musst aber noch wissen, dass ich jetzt auf Posten vor unserer Villa stehe. Es ist kurz nach 20 Uhr, den 13.11.56. Leider ist die Gelegenheit ungünstig, denn im Stehen schreibt es sich schlecht und ohne Unterlage noch schlechter. Bis 22.00 Uhr muss ich hier stehen, Fatzkerei! 2 Std. Ich hatte schon 2x vor außer der Besuchszeit zu Dir zu kommen, morgen versuche ich es aber endgültig zum 3x. Einen Brief schreiben möchte ich nicht, da ich nichts zu schreiben weiß. Vor einigen Tagen war Herbert bei mir mit Vergrößerungen seiner Bilder. Inzwischen habe ich von Bärbel, ich glaube das wußtest Du, und Bernhard Nachricht. Ebenfalls hat Wolfgang geschrieben. Schon vor einigen Tagen haben B+G. die Bilder an Wolfgang gesch. Geld von B+G. habe ich bereits 10,- DM. Ca. 40 Bild. von meinen und 16 von Herberts haben sie ausgewählt, leider kann ich an den Nummern noch nicht feststellen, welche Bilder sie ausgewählt haben. Mich interessiert es allerdings weniger, dennoch ist es spannend was sie ausgewählt haben. Ob sie nun von meinen mehr oder weniger nehmen ist ja egal, denn verdienen will ich nicht. Sicherlich reizen die großen Aufnahmen mehr. Im Durchschnitt nehmen sich nämlich unsere Bilder nicht viel, einige sind von Herbert sogar sehr schön, so daß ich gar nicht konkurrieren kann. Hoffentlich sind die Aufnahmen ende der Woche wieder hier, ich kann es gar nicht erwarten die schönen Bildchen wieder in Berlin zu haben. Gute Besserung von Bärbel und Wolfgang. Meiner Mutter habe ich es am gleichen Abend natürlich gesagt, sie hat es hingenommen.

Ich habe seit einigen Tagen viel Dienst, wenn ich nach Hause komme mache ich mir Mittag oder gehe essen (erst 1x). Das Essen machen dauert ganz schön lange, dann hänge ich ewig am Radio, um Nachrichten zu hören, sehr wichtig, und dann gehe ich um 11.00 schlafen. Zwischendurch versuche ich etwas Neues auf Tonband aufzunehmen, habe allerhand schöne Sachen auch oben. Mir fällt gerade ein, daß B+G kaum kommen werden, sie wollen es versuchen, den Grund haben sie heimlich angedeutet. Ich habe ihnen geantwortet, daß ich es bereits weiß, sie brauchen mir nicht mehr zu verraten, um was es sich handelt. Laut Brief von B., wollte er später noch schreiben worum es sich handelt. Im Kino war ich auch nicht, obwohl ich die Gelegenheit hatte, war zu faul. Vor einigen Tagen hätte ich im Bio „Carmen J.“ sehen können, ging nicht, ich konnte nicht aus dem Sessel aufstehen. Zu dem fehlt auch das Geld. Lotto hatte ich nichts, leider.

Gestern war ich in der neuen Lebensm. Abt. vom KDW in der 6. Straße. Das ist einfach genial mit dem Selbstbedienungsbuffet. Man nimmt ein Tablett muß durch einen Gang, sagt was man möchte und bezahlt hinten. Die ganze obere Etage (6.) Lebensmittel, alle schönen Sachen, die man sich denken kann gibt es dort.

II.Teil.

Auch die Bierwürstchen für -,.50 gibt es dort oben. Die Lebensmittelabteilung unten ist noch zu, dort wird sicherlich etwas anderes reinkommen.

Diese kleinen Briefe hier schreibe ich, falls ich morgen nicht reinkomme ins Krks [gemeint ist „Krankenhaus“, Anmerkung des Transkribienten]. Jetzt ist gerade die Zeit der Chipper, laufend kommen sie an aus München, Kölle, Hannover + Frankfurt. Schon von weitem hört man das Brummen und dann sieht man die Positionslichter. Kalt ist es jetzt, meine Finger sind ganz klamm, ich stelle hier gerade fest 2 Minus an unserem Thermometer. Ganz schön.

In der Lebensm. Abt. KDW war gestern auch gerade Eröffnung. Sehr viel Menschen, und auch viel gekauft also nicht nur Sehleute. Ich habe von meinen letzten paar Piepen eine kleine Flasche Enzian gekauft. Es ist der Zehlendorfer. Die Flasche sieht so aus: [kleines Piktogramm, Anm. des Transkribienten] und ist aus Stein. Schmeckt nicht so gut wie in Waging u.a. Orte. Aber brennt dafür wie Feuer, ich habe mir gerade gleich den Magen verbrannt. Für diese Jahreszeit ganz brauchbar.

Jetzt kommt innerhalb 1h das 6. Flugzeug, da müssen Militärmaschinen bei sein, denn soviel Passagierflugzeuge können unmöglich kommen.

Die Temperatur fällt immer noch ab, es wird immer kälter jetzt zur Nacht. Ich habe schon einige Male ganz aussetzen müssen mit Schreiben. Heute Nacht habe ich noch 2h Posten, dann ich werde ich weiterschreiben, jetzt erst mal gute Nacht mein kleiner Liebling, Kuss.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Flohmarktbriefe (VII)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 04.Januar 1921

Unsere Briefe kreuzten sich schon zum zweiten Mal. Um dies künftig zu vermeiden und weil ich auch sonst das Bedürfnis dazu verspüre, greife ich heut schon wieder zur Feder, obwohl erst gestern ein ausführliches Schreiben an Dich abging.

In Deinem lieben Brief von 02.01. wunderst Du Dich über die Länge des meinen. Diese ist doch nichts erstaunliches, sondern etwas sehr natürliches. Ich sehe mich nicht wieder in der Absicht, einen Zeilenrekord aufzustellen. Ich beschäftige mich in Gedanken mit Dir, es ist mir als spräche ich mit Dir von Angesicht zu Angesicht, und da ich Freude an einer Zwiesprache mit Dir empfinde, eile ich auch nicht, sie zu beenden. Zwanglos, ganz selbstverständlich wächst ein Satz aus dem anderen hervor und von einem besonderen „Etwas-Fertig-Bringen“ kann nicht die Rede sein. Vielleicht ist es aber doch besser, wenn ich mir bei der äußeren Ausdehnung meiner Briefe vorher bestimmte Ziele setze, jener „Zügellosigkeit“ Einhalt gebiete. Denn es ergibt sich aus dem, was Du mir sagst, der Eindruck, daß je größer die Zahl die Worte ist, umso mehr sich ihr Eindruck auf Dich abschwächt – was ja auch ein ganz natürlicher Vorgang ist. Freilich, wenn es sich eben nur um Worte handelt. Allein ich schrieb sie Dir mit liebvollem Eifer, erzählte von so mancherlei und dachte nicht, dass meine Geliebte mit höflichem „enorm“ und sonst allerlei allgemeinen Bemerkungen darüber hinweggleiten würde. Vielleicht empfandest Du es als eine Zumutung, Dich durch solch Gewirr unförmlich gemalter Buchstaben durchwinden zu sollen. Wie, mein Lieb?

Mehr freute mich die Kunde von dem endlichen Eintreffen des „Weihnachtspaketes“. Ich war schon um sein Schicksal besorgt. Die Überraschung für den heiligen Abend ist jedenfalls glänzend gelungen. Doch wenn die Bücher nur nach Deinem und Fräulein Getruds Geschmack sind, bin ich befriedigt. Über die Klingerschen Bilder werden wir, denke ich, uns noch ein wenig unterhalten. Das darüber Gesagte waren nur mehr einleitende Worte. Die Reproduktionen sind übrigens so gut, daß sie den Originalen nicht viel nachgeben werden. Dein Musiklehrer vermag ja wohl die besondere Kunst D’Alberts zu würdigen wissen. Ich selbst als Laie kann zwischen ihm und anderen keinen Unterschied erkennen. Vor einigen Monaten hörte ich einen Anderen weniger bekannten Pianisten, der nach meinem beschränkten Musikverstande seine Sache ebensogut machte. Die gleiche Meinung hege ich von Deinem Spiel. Du sagst, Du glaubtest auch bestimmt, G/Hauß-Berkons müsse von den „Anthroposophischen Fingern“ beeinflusst sein. Worauf stützt sich dieser bestimmte Glaube? Hörtest Du näheres darüber? Es ist mir einigermaßen peinlich, für einen „Ironiker“ gehalten zu werden. Ironie ist höchstens bei einem überlegenen Geist verständlich und verzeihlich. Bei allen anderen muss sie als läppische, alberne Unart wirken. Ich nehme durchaus keinen Anstoss daran, daß Du, Liebe, auf diesen Punkt zu sprechen kamst. Bei meiner Unvollkommenheit brauche ich Kritik nur zu nötig und erbitte sie mir, wo es Not tut, auch von Dir.

Weshalb befürchtet Du denn, Du könntest nicht die rechte Frau für mich sein? Hältst Du mich für Deiner unwert?

Mit herzlichem Gruß,
Dein Fritz.

[Beigelegter Zettel:] Um eins bitte ich Dich noch: Lass Dich nicht etwa durch das oben gesagte verleiten, Dir irgendwie Zwang anzutun und anders zu schreiben, als es Deinem Wesen gemäß ist.

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.