Review: Guns N’ Roses – “Chinese Democracy”
Man kann keine wirkliche Einleitung für eine Rezension zu diesem Album schreiben. Es wurde alles schon gesagt, alles wurde wieder und wieder geschrieben, jeder Witz tausendmal erzählt über das am längsten und am öftesten angekündigte und wieder verschobene Werk einer eigentlich längt zerfallenen, dann aber doch wieder neu aufgebauten Band um vielleicht den wichtigsten Rocksänger der späten 80er und frühen 90er Jahre neben Kurt Cobain. Wir reden über: Axl Rose. Den letzten echten Rockstar. Guns N’ Fucking Roses. “Chinese Democracy”. Wir starten abrupt:
“Chinese Democracy” ist nicht Axls Soloalbum, es ist kein Album voller kitschiger ‘November Rain’-Variationen oder elektronischer Industrial-Riffs, auch wenn diese Vorlieben des rothaarigen Frontmannes an mehreren Stellen deutlich werden. Es ist vielmehr klassisches Guns N’ Roses-Material, aufgepumpt auf Überlebensgröße, es klingt, als hätte man die damals schon vorzeitig als zu überladen bewerteten Alben “Use Your Illusion I & II” zusammenpresst, auf Steroidkur geschickt und in jeden einzelnen Song dieser Platte in ihrer Gänze hineingepackt. Es gibt, anders ausgedrückt, verdammt viel zu entdecken auf diesem Album, dessen Credit-Liste länger zu sein scheint als die abgedruckten Lyrics aller Songs zusammen, das aber geht nie zu Lasten der Songs selbst, die hier die wirklichen Stars sind: Der perfekte Sunset Boulevard-Pop von ‘Better’, die bluesig-beschwingte Piano-Ballade ‘Street Of Dreams’ (in der Live-Version bekannt als ‘The Blues’) oder das epische ‘Madagascar’ etwa sind eindeutig der Band zuordenbare Songs, die jeden alten Fan glücklich machen werden. Deutlich moderner klingen der komplexe Rockmetal-Gitarrenoverkill des Titeltracks oder der pure Sex von ‘If The World’, einem herausragend gelungenen Stück, das zwischen Beats und spanischen Gitarren extrem futuristisch und dennoch traditionell zugleich wirkt. Sicherlich gibt es ein paar kleinere Ausfälle auf der 14 Songs starken Platte, die man selbst als Fan nicht leugnen kann (etwa das vorab auf dem Soundtrack des Computerspiels “Rock Band 2″ veröffentlichte ‘Shackler’s Revenge’, das zu sehr nach einer Kreuzung aus den Nine Inch Nails und den alten Gunners tönt oder das insgesamt doch überkitschte ‘This I Love’, auf dem Axl sich richtig ausgiebig in Selbstmitleid und Liebeskummer suhlt), aber man muss festhalten, dass selbst diese paar weniger gelungenen Tracks noch deutlich auf Augenhöhe mit dem Meisten sind, was die richtig großen Rockbands uns in den letzten Jahren serviert haben. Dieses Album scheint alles zu sein, was man sich in seinen feuchtesten Fan-Träumen ausgemalt hat.
Natürlich ist “Chinese Democracy” trotzalledem nicht der Messias, der die Rockwelt im Alleingang retten wird oder der uns zurück in eine Welt beamen wird, in der Gitarrenmusik alle Charts dominierte, aber man hört jedes der 15 Jahre Arbeit, die in diesem Album stecken. Man hört die unfassbaren 13 Millionen Dollar, die für die Aufnahmen verbraten wurden, man hört die insgesamt 5 grandiosen Gitarristen, die auf dem Album am Werk sind (allen voran der gleichsam ominöse wie wahnsinnig talentierte Mann, der sich Buckethead nennt und dem Album so deutlich seinen Stempel aufgedrückt hat, wie es nur Slash vermochte, wenngleich dieser mit viel weniger Originalität zu Werke ging). Man hört all das und viel mehr auf “Chinese Democracy” und es ist vielleicht genau die Platte geworden, die es werden musste: Eine mit einer extremen Portion Perfektionismus bis in das kleinste Detail durchkonstruierte, größenwahnsinnige, bombastische, stellenweise wirklich geniale CD, die mit Pop, Rock, Metal, Beats, jeder erdenklichen Art von modernen bis klassischen Gitarrensolos, Piano- und Streichermelodien bis fast zum Zerbersten vollgestopft ist, aber dennoch nie wirklich überladen, sondern nur genau durchdacht wirkt, nie kitschig und nie irgendwie anbiedernd, kommerziell oder gar nur in die Vergangenheit schielend. Ganz im Gegenteil klingt dieses Album stellenweise verdammt modern und es wirkt weit entfernt von allem, was man simple Rockmusik nennen könnte. Wenn man “Chinese Democracy” hört, dann versteht man plötzlich, warum Axl Rose damals nicht mehr das Gefühl hatte, seine musikalische Vision mit den Hardrockertypen umsetzen zu können, die bis heute in den Köpfen der Menschen immer noch mit dem Namen Guns N’ Roses verbunden sind. Und trotzalledem, und das ist vielleicht die größte Überraschung, hat man bei “Chinese Democracy” auch das Gefühl, dass hier eine richtige Band am Werk wäre, auch wenn man sie aufgrund des Sounds des Albums spontan auf mindestens 15 Mitglieder schätzen würde. Den langweiligen, sich wiederholenden Altherren-Stadiorock, den Slash und Co. mit Velvet Revolver inzwischen auf bereits zwei Platten zelebriert haben, weist Axl Rose mit diesem Album jedenfalls mehr als nur in die Schranken. Die Guns N’ Roses des Jahres 2008 spielen locker zwei ganze Ligen weiter oben als eben jene Band, sind aber auch, und das ist vielleicht viel wichtiger als der direkte Vergleich mit den Ex-Mitgliedern, qualitativ auf deutlich höherem Niveau als die anderen beiden Dinosaurier des Genres, die 2008 neue Alben veröffentlichten, namentlich Metallica und AC/DC, deren aktuelle Platten, so hörenswert sie partiell sein mögen, sich im Grunde nur aus der Vergangenheit der Bands speisen. Guns N’ Roses hingegen blicken auf diesem Album maximal mit einem Auge in Richtung des Gestern, und das ist der Band, respektive dem ihr vorsitzenden Kontrollfreak, hoch anzurechnen.
Vielleicht war “Chinese Democracy” der längste Running Gag der Musikgeschichte, aber zuletzt lacht wohl nun doch noch Axl Rose. Eine annähernd perfekte Platte für das Ende des ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends. Sehr hörenswert.
8,5 von 10 Punkten.