Shortreviews (X)

Deathspell Omega – „Drought“ (Musik:EP; 2012)

Seit vierzehn Jahren ist recht wenig bekannt über eine der herausfordernsten Bands im aktuellen Musikzirkus: Interviews gibt es wenige, Liveshows sowieso nicht, eine offizielle Webpräsenz bertreiben die drei Franzosen von Deathspell Omega auch nicht. Stattdessen: Immer und immer wieder grandiose Alben aus dem Großbereich Progressive Black Metal, die sich teilweise recht stark voneinander unterscheiden, jedes Mal aber auf einem Qualitätslevel sind, das andere Bands aus dem Genre auf die nachfolgenden Ränge verweist. Die EP „Drought“ mit sechs Songs und 21 Minuten Spielzeit bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, fräst sich mit chaotisch-verschachtelten und atonalen Kompositionen in die Gehörgänge und tönt dennoch streckenweise gänzlich anders als der bisherige Output. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass diese EP das neben dem letzten Langspieler „Paracletus“ bisher vielseitigste, aufgrund der verminderten Geschwindigkeit der Darbietung und der Kürze der Stücke (anders als sonst schreibt die Band hier überwiegend Tracks im Bereich drei oder vier statt zwanzig Minuten) aber gleichzeitig zugänglichste Werk der Avantgarde-Metaller ist. Auf derart hohem Niveau agieren derzeit nur ganz wenige Bands. 9/10

Benjamin Maack – „Monster“ (Buch; 2012)

Eine tote Eule im Kofferraum, ein altes Modellschiff, Masturbation und Schuldgefühle in der Badewanne, in die Luft geworfene Steine, die auf die Protagonisten herunterregnen: Die Geschichten in Benjamin Maacks zweiten Erzählband „Monster“ haben nur nicht skurrilen Humor, sondern immer auch Tiefgang und stellen die ganz großen Fragen nach Liebe und Tod auf eine subtile und sehr liebenswerte Weise durch kleine Begebenheiten, die der Erzähler, der in jeder Episode ebenfalls Benjamin heißt, auf seine intelligent-lakonische Art zu verstehen sucht und durch seine Unbeholfen- und Schüchternheit nicht selten verschlimmbessert. Man stelle sich vor, Judith Herrmann wäre ein Mann, würde etwas weniger explizite Melancholie und stattdessen ein bisschen mehr Selbstironie und Sarkasmus über ihre Geschichten gießen und kommt damit Benjamin Maacks dennoch einzigartigem Erzählstil sehr nahe: schwermütige und komplizierte Konstellationen zwischen Menschen lässt Benjamin Maack mit seinem sehr originellem Humor nicht leicht wirken, aber er bringt den Leser immer wieder zum Lachen. Ein verflucht guter Geschichtenband. 8/10

Ridley Scott – „Prometheus“ (Film; 2012)

Es passt wie der Flammenwerfer auf das durch eine unbekannte Seuche zum Zombie mutierten Crewmitglied, dass der Co-Writer von Ridley Scotts Rückkehr zum Sci-Fi-Genre „Prometheus“ zuvor auch das Debakel der Serie Lost mitzuverantworten hatte, denn Prometheus ist am Ende genau das: Alien für die Generation Lost. Ein visuell äußerst beeindruckender Film, der aber leider mit Plotholes von den Dimensionen schwärzer Löcher, mit absurd verschiedenen Infizierungen, Kreaturen, Alienschwangerschaften plus passenden Actionszenen aufwartet und mit Charakteren bestückt ist, die durchgängig den Charme von Androiden aufweisen (der Androide David ist tatsächlich die menschlichste und tiefgängigste Figur) und in Sachen Intelligenz direkt aus einer Horrorsatire entsprungen sein könnten. „Prometheus“ ist wahrscheinlich der enttäuschenste Film des Jahres, nicht unbedingt nur deswegen, weil er ist, was er ist, sondern weil er permanent daran erinnert, was er sein könnte: Er sieht aus wie ein ernsthaftes Alien-Prequel, er erzeugt immer wieder die Atmosphäre eines ernsthaften Alien-Prequels, bleibt am Ende aber eher eine lächerliche Parodie. 4/10


Shortreviews (IX)

Wolves In The Throne Room – „Celestial Lineage“ (Musik:Album; 2011)

Inzwischen auch bei Visions-Lesern und Indie-Fans ganz hoch im Kurs, wählen die Hippie-Black Metaller von Wolves In The Throne Room auf ihrer vierten Platte den unglücklichen Weg, gleichzeitig den eingeschlagenen Pfad weiter und zurück zu den Wurzeln gehen zu wollen. Die Musik ist dabei längst nicht so kompromisslos und inyourface wie sie es auf „Black Cascade“ war, sondern viel geerdeter, kann aber trotz des analogeren Sounds und den vielen sphärischen Elementen auch an den Waldschrat-Charme von „Two Hunters“ nicht anknüpfen, sondern wirkt mit ihren überbordenden Interludes, (zu) oft eingesetzten klaren Vocals und Experimenten stellenweise genau wie das, was sie nach zwei sehr unterschiedlichen und gleichermaßen sehr gelungenen Platten fast sein muss: Der Aufbruch in eine neue, tendenziell interessante Richtung, die aber noch nicht wirklich gefunden ist. „Celestial Lineage“ ist alles andere als ein schlechtes Album, aber die von der Band vorher selbst aufgehängten Messlatten erreicht es an keiner Stelle. 7/10

Opeth – „Heritage“ (Musik:Album; 2011)

Opeth sind mit ihrem inzwischen zehnten Langspieler „Heritage“ an einem Punkt angekommen, an dem sie mit „Damnation“ vor acht Jahren schon einmal waren: Prog-Rock in Reinform. Nur wirkt es dieses Mal viel konsequenter. Die Death Metal-Anteile, die zuletzt mindestens noch ein Drittel des Sounds der Band ausmachten, wurden komplett eliminiert, Growls gibt es gar keine mehr, dafür viel Anleihen von King Crimson und Jethro Tull, Keyboards im Dutzend und instrumentale Interludes. Weiterhin: Lange, herausfordernde Kompositionen, viele Details, große Gesten, eine wahnsinnig gute Produktion, die nicht nur authentisch nach 70er Analogsound klingt, sondern tatsächlich so aufgenommen wurde und über eine richtig gute Anlage gehört werden will. Und dennoch fehlt „Heritage“ die ganze Zeit über etwas – und das sind eben nicht die Metal-Gitarren oder die Growls, sondern die herausragenden Songs. Trotz all seiner Musikalität, seiner Originalität trotz Retro-Feelings und seinen Ambitionen reißt die Scheibe den Zuhörer nirgendwo wirklich über das Songwriting mit. „Heritage“ ist ein verdammt mutiges und ziemlich schwieriges Album, vielleicht das schwierigste, das Opeth jemals aufgenommen haben, und es wächst im Laufe der Zeit – allerdings nur in dem Sinne, dass man es besser zu verstehen beginnt, nicht in dem, dass man es wirklich ins Herz schließt. 6/10

Lars von Trier – „Melancholia“ (Film; 2011)

Zu Beginn ähnelt „Melancholia“ noch Lars von Triers letztem Meisterstück Antichrist, nach dem langsamen, mit klassischer Musik untermalten Intro aber geht es geradezu in die entgegengesetzte Richtung: Zwei Stunden lang darf der Zuschauer am abgesehen von der Thematisierung einer ausgewachsenen psychischen Krankheit banalen Leben zweier Schwestern und einem noch banaleren Weltuntergang teilnehmen und neben leeren Dialogen photoshopartige Hochglanzbilder und Figuren bestaunen, die ihm zu jeder Zeit eher gleichgültig bleiben. Die durchgängig tolle, düster-barocke Optik des Films ist am Ende leider alles, was „Melancholia“ zu bieten hat. Unter der aufgesetzten Opulenz und der pathosschwangeren Art bleibt der der Film eine konsequent zahnlose Holzhammermetapher über Depression, die so auch von einem pubertären Teenager formuliert werden könnte. Lars von Trier, der mit „Dancer in the Dark“, „Dogville“ und „Antichrist“ drei der erschütterndsten und intelligentesten Filme des letzten Jahrzehnts gedreht hat, hat dieses Mal nicht besonders viel zu sagen. 4/10


Xmascontent (II)

Rage Against The Casting-Machine und Killing In The Name Of Christmas

Die derzeitige Nummer Eins in Great Britain? Ein besinnlicher Schmuse-Pop-Song eines schwiegermuttergesichtigen Castingshowgewinners, der ursprünglich von einem anderen Pop-Sternchen intoniert wurde. So zumindest hätte es kommen sollen. Stattdessen: Pfeif auf Besinnlichkeit und Moderne, pfeif auf Weichspülcontent: Bei dem Song, der in der Weihnachstwoche in England und Co. glatt auf Platz Eins der Singlecharts eingestiegen ist, handelt es sich tatsächlich um die inzwischen über siebzehn Jahre alte, erste Single Killing In The Name’ der weiterhin auf Eis liegenden Rage Against The Machine.

Wie konnte das geschehen? Zwei Medien spielen in diesem kleinen Weihnachtsmärchen eine Rolle: Facebook und das Fernsehen. Im Fernsehen läuft zu dieser Zeit des Jahres in UK traditionell “The X Factor” mit Simon Cowell (in etwa das britische Pendant zu Dieter Bohlen), eine seichte wie populäre Casting-Sendung, deren Sieger (in diesem Jahr ein nichtssagende Schnulzen-Junge namens Joe McElderry, der in seiner Single die unsägliche Miley Cyrus covert, was an sich schon einen zynischen Kommentar wert wäre) normalerweise zu Weihnachten die Charts dominiert.

Das wollte sich ein Mensch wie Du und ich namens Jon Morter nicht mehr länger mit angucken und gründete kurzerhand eine (inzwischen leider wieder gelöschte) Facebook-Gruppe: “Rage Against The Machine For Christmas No.1″. Einziges Ziel: Per massenhafter Musikdownloads eben jenen anderen Song zu Weihnachten 2009 auf Platz Eins schicken. In kürzestester Zeit war klar: Das würde klappen, nicht etwa wegen der lustigen Nebeneffekte, dass Prominente wie Rage Against The Machine selbst und sogar Paul McCartney die Aktion richtig gelungen fanden, nachdem sie die notwendige Mainstreamaufmerksamkeitsschwelle überschritten hatte, sondern weil die Gruppe ein Zeitgefühl traf und es damit locker auch ohne derartige Feedbackeffekte zu eben jener Schwelle brachte: Insgesamt 950.000 Menschen schlossen sich zuletzt der Gruppe an, kauften 500.000 Mal den Song, der sich damit mit einem satten Vorsprung von 50.000 Käufen auf dem ersten Platz festbiss. Die Aktion beweist sehr deutlich die inzwischen weit in die Realität hineinreichende Macht der Social Networks ebenso wie die Intelligenz jener organisierten Massen in kulturellem Sinne. Dass es ausgerechnet Rage Against The Machine sind, hat sicher nicht nur mit der Vorliebe des Gruppenstarters für die Band zu tun: Es ist auch ein sinniges Statement nicht nur für die Langlebigkeit guter Musik, sondern auch für den Widerstand gegen “das System”.

Die kleine Geschichte wird die klassischen Medien natürlich kein Stück weit ändern. Aber sie ist eine eindrucksvolle Demonstration dessen, wie sehr die Macht derjenigen schrumpft, die den Konsumenten irgendwelche Inhalte einfach vorsetzen bzw. wie weit der Widerstand dagegen mit der zunehmenden Vernetzung der Menschen im Social Web inzwischen gewachsen ist. Und er wird größer, so viel ist sicher.


Review: Ihsahn – “After”

Bereits im zweiten Song ‘A Grave Inversed’ taucht es zum ersten Mal an prominenter Stelle auf, in dem zehnminütigen Prog-Monster ‘Undercurrent’ hat es einen sehr bemerkenswerten Auftritt, und am Ende scheint es dem immer weniger verwunderten Zuhörer, der es nach und nach in fast allen Songs entdeckt, fast so, als ob es im Grunde schon immer dazugehört hätte: Die Rede ist von einem Saxophon, das Freejazz-Melodien intoniert, gespielt von Jørgen Munkeby . Es wirkt gleichermaßen völlig absurd wie konsequent, dass jenes Instrument einen derart breiten Raum einnimmt auf diesem Silberling, denn einerseits ist das das dritte Ihsahn-Soloalbum „After“ (wenigstens noch in Teilen und insofern man es überhaupt in ein Genre stecken kann) eine Black-Metal-Platte, andererseits gibt es seit aber seit Jahren kaum einen anderen Musiker, der dieses Genre mit einem derart offenen und experimentierfreuden Geist fortentwickelt und zu gänzlich neuen Ufern aufbrechen lässt.

Überhaupt handelt es sich hier in vielerlei Hinsicht um das wohl radikalste Werk des Norwegers: Suchte der ehemalige Emperor-Frontmann nach diversen Ausflügen in andere Metal-Avantgarde-Regionen (vor allem mit  seiner Zwischenband Peccatum) auf der ersten Platte, die nur noch seinen Namen (bzw. sein Pseudonym, bürgerlich heißt der Bursche Vegard Sverre Tveitan) trug, danach, wieder an die alten Zeiten anzuknüpfen und löste er sich mit den Geniestreich „angL.“ eben davon, um zu einer Art Black-Metal-Version von Opeth zu werden, sind nun endlich alle Barrieren und Referenzpunkte gefallen, und Ihsahn klingt, wenn überhaupt, nur noch nach sich selbst: Auf einer recht selten auf bekannten Veröffentlichungen gespielten und seine Fähigkeiten als Gitarrist noch stärker betonenden achtseitigen Gitarre schreibt und intoniert Ihsahn hier seine Songs, jeder schillernder als der andere. Die Iron Maiden-Affinität, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat, hört man natürlich wie immer zwischen den Zeilen, in den Intros, aber es ist längst nicht der Fall, dass er Elemente von irgendwem kopieren würde, im Gegenteil: Er überträgt den Ansatz der verspielten Soli und epischen Gitarrenmelodien komplett auf seinen eigenen Stil, imitiert ihn nicht, sondern adaptiert und entwickelt ihn weiter, wie er es auch auf allen vorherigen Releases getan hat. Vielleicht ist es symptomatisch für die Platte, dass sie keinen großen Hit, kein eindeutig auszumachendes Highlight enthält: Diese acht Tracks sind allesamt der Star. Sie sind aber auch schwermütiger, düsterer und langsamer als das, was er früher gemacht hat, brodeln eher bedrohlich und fremdartig-faszinierend vor sich hin, entladen sie sich doch seltener in richtig schnellen, agressiven Eruptionen als auf den Vorgängerwerken. Dabei sind die Elemente dennoch direkt als typisch Ihsahn identifizierbar: Die atonalen und grandiosen Soli sind genau so vorhanden wie die gezupften Parts, die markante Stimme thront hinter den Riff-Wänden, der cleane Gesang kommt spärlich zum Einsatz, produziert wurde wieder im eigenen Studio mit Jens Bogren, der sonst eben Opeths oder Katatonias Werke veredelt. Es ist vor allem die Herangehensweise an die Songs, die neu ist: Ihsahn wird immer mehr zum Komponisten im Wortsinne statt Songschreiber, einem Mann, der keinen Wert mehr auf in traditioneller Hinsicht koheränte Strophe-Refrain-Strophe-Strukturen legt, sondern sich auf die Details, die Passagen seiner hier oft überlangen Tracks konzentriert.

Und am Ende spricht wieder der Jazz: Es ist eine wimmernde, in sich zerfallende Melodie aus dem goldenen Blasinstrument, die diese in jeder Hinsicht außergewöhnliche Platte beschließen darf. Man darf dankbar sein, dass es noch Musiker gibt, die sich immer wieder zu neuen Ausflügen in unbekanntes Land aufraffen, statt auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Ihsahns Prog-Black-Metal-Jazz-Album „After“ ist ein erstes Highlight des kommenden Musikjahres.

9 von 10 Punkten.


Wolves In The Throne Room @ Hafenklang Hamburg II

wolves1

Wolves In The Throne Room Live @ Hafenklang Hamburg, 29.06.2009


Wolves In The Throne Room @ Hafenklang Hamburg I

Wolves In The Throne Room

Wolves In The Throne Room Live @ Hafenklang Hamburg, 29.06.2009


Shortreviews (VII)

Jeffrey Jacob Abrams – „Star Trek“ (Film; 2009)

Ganze sieben Jahre Wartezeit für die vielen Trekkies bis zu diesem Film, der einen Neuanfang versprach und im Vorfeld euphorische Kritiken einheimste. Zum Teil sogar zu Recht: Die Darsteller sind großartig besetzt und zeigen deutlich mehr als nur Talent, die Spezialeffekte sind oberste Liga. Allerdings mag der Funke dann am Ende doch nicht ganz überspringen, was vor allem am Plot des 127-Minüters liegt, denn dieser ist so vorhersehbar wie die Farbe des nächsten Tempotaschentuchs in einer Standardpackung: Ein finsterer Oberbösewichtendgegner bedroht die Erde, Zeitreisen spielen eine Rolle, dazu ein bisschen Konflikt zwischen den Crew-Mitgliedern. Noch mehr Klischees hätte Abrams gar nicht verarbeiten können und noch langweiliger hätte die Handlung nicht geraten könnten. Dennoch: Ein solider Neuanfang ist er auf jeden Fall, dieser elfte Star Trek-Film. 6/10

Placebo – „Battle For The Sun“ (Musik:Album; 2009)

Auf ewig in den 90ern hängengeblieben: Der für immer androgyn-jugendliche Brian Molko imitiert sich auf „Battle For The Sun“ so gut selbst, dass man fast ein Best-Of vermutet: Man packe einmal die Wortkombinationen „you“ „me“ „feel“ und „bittersweet“ in einen Mixer, streue die typischen Placebo-Gitarren drüber, hebe ein paar simple Keyboard-Melodien unter und fertig ist ein neues Album nach Schema F, das die Band schon seit „Black Market Music“ praktiziert. Ob Placebo sich irgendwann mal wieder auch nur einen kleinen Schritt weiterentwickeln werden ist fraglich, auf dieser Platte jedenfalls dominiert gepflegte Langeweile auf mittlerem Niveau. Den Fahrstuhlrockern wird’s gefallen. 4/10

Sunn O))) – „Monoliths & Dimensions“ (Musik:Album; 2009)

Kurze Denksportaufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie versuchen einem durchschnittlichen Musikkonsumenten zu erklären 1.) was für eine Art von Musik Sunn O))) machen und 2.) warum sich das viele Leute freiwillig anhören und sogar verdammt viel Spaß dabei haben. Die Faszination an dieser in jeder Hinsicht kompromisslosen wie grandiosen Musik ist eigentlich kaum zu vermitteln. Mit dem sechsten Album „Monoliths & Dimensions“ schaffen Stephen O’Malley, der erneut an Bord befindliche Mayhem-Vokalist Attlia Cishnar und mehr als 10 weitere Musiker dennoch den irrsinnigen Spagat, gleichzeitig die (freilich relativ gesehen) zugänglichste Platte von Sunn O))) wie auch das vielfältigste Werk der Band zu inszenieren. In jeder Hinsicht: Chapeu! 9/10


Shortreviews (VI)

Sonic Youth – „The Eternal“ (Musik:Album; 2009)

Sonic Youth haben in diesem Jahrzehnt ganze fünf Platten veröffentlicht, das  Highlight „Murray Street“ von 2002 allerdings blieb konkurrenzlos, auch wenn die zwei Nachfolger alles daran setzen, diesen Volltreffer zu reproduzieren. Das ändert sich in doppelter Hinsicht mit „The Eternal“, einer Scheibe, die fast schon (freilich relativ gesehen) konservativ-langweilig weg vom Pop, aber dennoch nicht zurück zum Noise geht, sondern einfach Alternative-Rock mit viel Sonic Youth-Sound bietet (ja, man darf über diese Platte sagen, dass sie Alternative-Rock ist, ohne blasphemisch zu sein), was allerdings noch nichts über die Qualität der hier enthaltenen Songs aussagt, denn die ist wirklich außergewöhnlich: „The Eternal“ ist vielleicht das beste Konsens-Album für gleichermaßen steinalte wie ganz neue Fans einer der am längsten geistig jung gebliebenen Gitarrenbands der Welt. 9/10

Jeffrey Jacob Abrams – „Lost“ Season V (TV-Serie; 2009)

Es bewegte sich endlich wieder etwas in die richtige Richtung bei „Lost“: Verlor sich die vierte Staffel noch in ziellosen, merkwürdigen Episoden, die kein richtiges Gefühl von einem roten Faden mehr evozieren konnten, wirkte die neueste Reihe von 17 Folgen der amerikanischen Fernsehserie wieder erstaunlich kohärent: Der Kniff mit der Verfrachtung der Hälfte der Figuren in die Vergangenheit funktionierte als Grundlage für eine zusammenhängende Story ziemlich gut, man hatte zudem endlich wieder das Gefühl, dass die Macher vielleicht doch einen Masterplan für das Ganze haben könnten, auch wenn zwischendurch immer mal wieder zu viel auf die Pauke gehauen wurde, was WTF-Momente anging. Es wird sich wohl nicht mehr alles auflösen, aber die fünfte Staffel war trotz des enttäuschenden Finales eine der sehenswerteren. 7/10

Marilyn Manson – „The High End Of Low“ (Musik:Album; 2009)

Das war es dann wohl mit dem Schockrocker: Nach zwei wirklich enttäuschenden Alben war die Hoffnung darauf groß, dass „The High End Of Low“, auf dem wieder Jeordie White aka Twiggy Ramirez die Songwriting-Zügel in die Hand nimmt, eine Rückkehr zu richtig guter Musik statt platten Provokationen ohne Inhalt werden würde – nur leider ist nichts dergleichen zu beobachten: Zwar ist der Sound wieder etwas roher, die Grundstimmung mehr Nine Inch Nails als My Chemical Romance (man erinnere sich an die lächerlichen Videos und Photos im Rahmen von „Eat Me, Drink Me“), aber leider kann das Album trotz einiger guter Ansätze nicht viel mehr als die beiden Vorgänger, und so wird die Band Marilyn Manson dann wohl eher für das extravagante Auftreten ihres Frontmannes als für die in den 90ern noch genau so außergewöhnliche Musik in die Geschichte eingehen. Wirklich schade. 5/10


Listenwahn (V): Die schlechtesten Alben von R.E.M.

1. „Around The Sun“ (2004)

Fahrstuhlmusik vom Feinsten: Auf Around The Sun“ klingt nicht nur Michael Stipe völlig lustlos und wiederholt die meist nur einzeiligen Refrains der inbegriffenen Schlafwagensongs bis zum Exzess, auch der Rest der Band wirkt völlig ausgebrannt. Trauriger Tiefpunkt: Die völlig random wirkende Rap-Passage auf ‘The Outsider’.

2. „Fables Of The Reconstruction“ (1985)

Der Fokus liegt auf Folk, auf melancholischen Songs und langsamem Tempo: REMs dritte Platte „Fables Of The Reconstruction“ ist sicher nicht das, was man ein einfaches Album nennen kann. Die Produktion ist eine mittlere Katastrophe, vor allem aber fehlt es an genug guten Songs, um langfristig zu überzeugen.

3. „Accelerate“ (2008)

Zwar scheint es zunächst so, als hätten REM auf „Accelerate“ alle Batterien aufgefrischt und ein rockiges, energetisches Album aufgenommen, auf den zweiten Blick ist die zudem extrem kurze Platte aber doch voller Songs, die die Band selbst schon einmal in besser geschrieben hat.

4. „Out Of Time“ (1991)

Für viele eher oberflächliche Zuhörer ein Klassiker („Out Of Time“ enthält nicht zuletzt den größten Hit der Band, ‘Loosing My Religion’), groß, pompös und überambitiert: In Sachen Songwriting bleiben REM auf „Out Of Time“ dennoch weit hinter ihren eigenen Standards.

5. „Green“ (1988)

Das erste Album auf dem Major-Label: 1988 gehen REM mit „Green“ zu schnell in mindestens drei verschiedene Richtungen gleichzeitig und machen ein Album, das zwar immer wieder geniale Moment beihaltet (‘Pop Song 89′, ‘World Leader Pretend’ und ‘Orange Crush’), insgesamt aber zerfahren und inkonsequent wirkt.


Briefing (XXI)

Lieber Billy Corgan,

mir reicht es. Ich habe die Schnauze endgültig voll von Dir. In der Vergangenheit habe ich Dir immer und immer wieder verziehen, egal welchen verdammten Bockmist Du angestellt hattest. Und das war nicht wenig: Du hast nicht nur Deine eigenen Fans immer und immer wieder auf Konzerten angeblafft, wenn sie  alte Klassiker hören wollten, Du hast nicht nur die Band Zwan gegründet und ein paar tolle Songs geschrieben, auf das zugehörige und höchst mittelmäßige Album „Mary Star Of The Sea“ aber nur seichte Sunshine-Pop-Tracks gepackt und danach die Band kurzerhand wieder aufgelöst, sondern auch noch im Anschluss nach gerade einmal fünf Jahren die Smashing Pumpkins „wiedervereinigt“, die angeblich für immer ruhen sollten. Allerdings waren nur Du und der Drummer Jimmy Chamberlin dabei, der auch schon das Zwan-Projekt mit Dir veranstaltete, die Anderen hatten verständlicherweise keine Lust darauf, das Erbe einer so tollen Band zu beschmutzen oder auch nur noch einmal mit Dir zu arbeiten. Deswegen hast Du Dir einfach zwei namenlose Statisten für die Band geholt, die bei Interviews gar nicht erst mit auftauchen durften. In der Hinsicht warst Du schlimmer als Axl Rose, Billy Corgan. Der hat zwar Guns N’ Roses inzwischen auch unter seiner Alleinherrschaft, aber sagt wenigstens offen, dass die Band heute ein loses Kollektiv aus guten Musikern ist.

Du hingegen gabst den gnadenlosen Diktator einer angeblich immer noch in Geist der Vergangenheit verwurzelten Band und veröffentlichtest ein höchst durchschnittliches, überzogen gitarrenlastiges und pseudo-cooles Rockalbum namens „Zeitgeist“, auf dem Du so gut wie alles selbst eingespielt und gemacht hattest, sogar die Hintergrundvocals. In manchen Songs hört man Dich mehrstimmig mit Dir selbst im Chor singen. Das Ganze warfst Du in sechs unterschiedlichen Versionen auf den Markt, mit jeweils anderen Bonustracks, so dass sich richtige Fans die Platte sechs mal kaufen mussten. Und wer das wirklich getan hat, bekam am Ende noch eins übergebraten, denn ein Jahr später gab es selbstverständlich eine Deluxe-Edition, auf der alle Bonustracks enthalten waren.

Aber ich habe trotz all diesem Mist weiter an Dich geglaubt, Billy. Daran, dass Du irgendwann wieder tolle und einzigartige Musik schreiben wirst, wie Du es in den 90ern am laufenden Band getan hast. Ich habe es sogar zu dem Zeitpunkt noch getan, als auch Jimmy Chamberlin, der einzige Dir verbliebene Freund aus der Original-Band, der bis dahin immer treu an Deiner Seite geblieben war, die Nase voll von Dir hatte und die Band verließ. Das war kurz nachdem Du einen Deiner besten Songs, den zynisch-sarkastischen Hit ‘Today’ für eine Werbekampagne verscherbelt hast, in der seine Bedeutung um 180 Grad gedreht wurde. In der Werbung für eine Kreditkartenfirma klingt es so, als wäre die Textzeile „today is the greatest day I’ve ever known“ wirklich so gemeint. Das war einfach nur ekelerregend, Billy. Jeder andere hätte Dich an diesem Punkt alleine sitzen lassen. Nicht ich. Ich blieb da.

Dass Du dann in den letzten Monaten immer wieder auf irgendwelchen Parties in Begleitung von jungen Pornodarstellerinnen und billigen Myspace-Bitches aufgetaucht bist, dass Dein neuer Manager der CEO von Ticketmaster ist, dass Du Dir ein scheißteueres Anwesen mit eigenem Strandabschnitt gekauft hast: Das alles habe ich Dir noch locker als exzentrisch-dekadenten Rock’n'Roll-Lifestyle durchgehen lassen. Aber dass Du jetzt, kurz nachdem sogar Jimmy die Nase von Dir voll hatte, auf die Idee kommst, nicht nur die Band ganz alleine weiterzuführen, sondern den Fans auch noch ein paar Videostreams vom Songwriting einer vielleicht irgendwann kommenden Platte als Subscription-Modell für 40$, die immer wieder bezahlt werden müssen, verkaufen willst, das setzt deinem unfassbar dummen und geldgierigen Verhalten die Krone auf. Jede andere Band veröffentlicht solche Sachen kostenlos. Guck Dir mal bitte Trent Reznor an. Der stellt regelmäßig ganze neue Alben und EPs der Nine Inch Nails unter CC-Lizenz ins Internet und verdient dennoch sein Geld, weil die Fans ihm aufgrund dieser Aktionen gerne haben und ihm daher auch gerne seine Musik abkaufen, selbst wenn sie es nicht müssen. Du aber willst 40$ für einen zwölfwochigen Zugang zu einer Internetseite, auf der ich jeden Tag einen Videoschnipsel davon sehen kann, wie Du mit Deinen neuen Statisten ein paar neue Songs schreibst, die höchstwahrscheinlich auch noch ziemlich mittelmäßig sind? Lächerlicher geht es wirklich nicht mehr.

Ich kann das nicht mehr mittragen und will mich nicht dafür schämen müssen, ein Fan von einer „Band“ zu sein, die permanent nur absolut hirnrissen Bullshit fabriziert. Ich bin dann mal weg, Billy.

Dein
Sebastian

PS: Falls Du entgegen aller Erwartungen doch irgendwann wieder mit richtig guter Musik um die Ecke kommst, dann sag Bescheid. Dann reden wir in Ruhe noch einmal über die Sache.


Shortreviews (V)

Jeffrey Jacob Abrams – „Lost“ Season IV (TV-Serie; 2008)

Deutliche Schwächen zeigte die vorher annähernd perfekt komponierte Mystery-Serie „Lost“ von J. J. Abrams in ihrer vierten Staffel: Die Handlung treibt irgendwo zwischen zuviel Action, dem noch nicht richtig ausgespielten Zeitreise-Element und neu eingeführten Figuren im Nirgendwo, auch wenn einige einzelne Episoden zu den Highlights der gesamten Serie zählen. Sicherlich hatte der zu der Zeit der Produktion stattgefundene Streik der Hollywood-Drehbuchschreiber seinen Anteil daran, aber er allein kann nicht die Schuld dafür tragen, dass man zum ersten Mal das Gefühl hatte, Lost würde das Schicksal von X-Files (dt. „Akte X“) ereilen, das sich in seinen eigenen Rätsel auf Rätsel türmenden Geschichte irgendwann unauflösbar verstrickte. 4/10

Karel Smyczek„Lotrando a Zubejda“ (Film; 1997)

Denjenigen, auf die der inzwischen schwer aufzutreibende „Lotrando a Zubejda“ (dt. Titel „Lotrando und die schöne Zubejda“) von Karel Smyczek wie ein Kinderfilm wirkt, sei angeraten, genauer hinzusehen: Der tschechische Märchenfilm mit dem ganz unverholen klischeehaften wie gleichermaßen klassisch-literarischen Plot vom Sohn eines Räubers, der sich in die Tochter eines Sultans verliebt, überzeugt als kitschiges, quietschbuntes, fast psychdelisches Werk mit sehr naivem, und gerade deswegen liebenswerten Humor. Die tollen Musical-Passagen mit beinahe dadaistisch-minimalistischen Texten gehören genauso dazu wie die Slapstick-Einlagen, die irrwitzigen Dialoge und die tollen Bilder im Märchen-Look. Ein Film, den jung und alt lieben können, wenn sie sich darauf einlassen. 8/10

Wolves In The Throne Room – „Black Cascade“ (Musik:Album; 2009)

Die amerkanischen Shooting Stars des Black Metal (Spiegel-Lobpreisungen inklusive) zeigen auf ihrer dritten Platte, dass sie doch mehr in der Tradition des Genres verwurzelt sind, als man angesichts der Post-Rock-Experimente und mit Frauengesang ausgestatteten Songs der letzten Releases hätte vermuten können: „Black Cascade“ ist erdig, dreckig, rau, mit einer Lo-Fi-Produktion versehen, die alten Emperor-Platten gleicht. Die Songs sind dennoch von gewohnt epischer Länge, und das ist leider auch das Problem, denn hier und da stellt sich trotz der gewohnt hohen Qualität fast ein bisschen Monotonie ein. So bleibt am Ende fast das Gefühl einer kleinen Enttäuschung beim Hörer, denn leider ist „Black Cascade“ zwar ein außergewöhnlich gutes Album, nicht aber das durchaus erwartbare Meisterwerk geworden. 8/10


Review: Marilyn Manson – ‘We’re From America’ (Song)

Es ist viel spekuliert worden über die Arbeiten an dem kommenden Album namens „The High End Of Low“ der amerikanischen Band Marilyn Manson (Release-Date ist der 26. Mai 2009), die fast synonym mit ihrem Frontmann geworden ist, nachdem vor ein paar Jahren auch die letzten guten Musiker das sinkende Schiff verlassen hatten. Ein paar prominente Gaststars sollen darauf zu hören sein: Kerry King von Slayer und James Iha (Ex-Smashing Pumpkins) zum Beispiel. Viel wichtiger aber ist, dass Jeordie White (unter seinem alten Pseudonym Twiggy Ramirez), Bassist, A Perfect Circle- und früheres Nine Inch Nails-Mitglied und vor allem langjähriger Manson-Songwriter (der Frontmann schreibt, das ist den wenigsten bekannt, zumeist nur seine Texte) und unter anderem verantwortlich für die großartigen Alben „AntiChrist Superstar“ und „Mechanical Animals“, wieder an Bord ist.

Dem nagelneuen Teaser-Song ‘We’re From America’ (seit heute herunterladbar auf der offiziellen Webseite), der in den ersten Minuten recht simpel und eingängig tönt, hört man das nicht nur in Sachen Sound an: Knarzige Gitarrenriffs, Feedbacksounds, Manson klingen wieder nach Industrial der alten Schule und nicht nach einer billigen Rammstein-Imitation. Im zweiten Teil des Tracks, dessen etwas dümmliche Lyrics (nein, Sarkasmus bedeutet nicht, dass ein Text automatisch tiefgründig ist) den absurden Gedanken wecken, dass Marilyn Manson eine bessere Band ohne, äh, Marilyn Manson wären, kommen dann ein paar homogen eingearbeitete Soundcollagen und irre psychedelische Gitarrenlicks hinzu, die richtig viel Spass machen und nicht nur vordergründig nach Aufmerksamkeit heischen. Es wäre zu früh, zu sagen, dass Marilyn Manson nach zwei katastrophal schlechten Platten zu alter Qualität zurückgefunden haben, aber ‘We’re From America’ macht trotz seiner auch insgesamt sehr einfachen Struktur Hoffnung genau darauf.

7/10 Punkten.


Der Musikjournalist (VI)

26. März 2009, 18:55: Ich sitze in meinem Büro und bin zum ersten Mal in meinem Leben richtig nervös wegen eines Interviews. Ihsahn ruft um 19:03 an und entschuldigt sich: „Tut mir leid wegen der Verspätung.“ Drei Minuten. Der Mann ist präzise. Fast exakt dreißig Minuten später weist er mich darauf hin, dass sein Zeitplan gerade etwas aus den Fugen gerät, ich stelle meine letzte Frage und wir verabschieden uns. Erst nachdem ich mir die Aufnahme noch einmal anhöre, wird mir klar, dass ich gerade eines der letzten, vielleicht sogar das letzte jemals stattfindende Emperor-Interview geführt habe. Wie wird man einer Band gerecht, deren Alben ausschließlich zeitlose Klassiker sind?

Irgendwie bestimmt. Der Artikel erscheint in der kommenden Ausgabe des Legacy.