Shortreviews (IX)

Wolves In The Throne Room – „Celestial Lineage“ (Musik:Album; 2011)

Inzwischen auch bei Visions-Lesern und Indie-Fans ganz hoch im Kurs, wählen die Hippie-Black Metaller von Wolves In The Throne Room auf ihrer vierten Platte den unglücklichen Weg, gleichzeitig den eingeschlagenen Pfad weiter und zurück zu den Wurzeln gehen zu wollen. Die Musik ist dabei längst nicht so kompromisslos und inyourface wie sie es auf „Black Cascade“ war, sondern viel geerdeter, kann aber trotz des analogeren Sounds und den vielen sphärischen Elementen auch an den Waldschrat-Charme von „Two Hunters“ nicht anknüpfen, sondern wirkt mit ihren überbordenden Interludes, (zu) oft eingesetzten klaren Vocals und Experimenten stellenweise genau wie das, was sie nach zwei sehr unterschiedlichen und gleichermaßen sehr gelungenen Platten fast sein muss: Der Aufbruch in eine neue, tendenziell interessante Richtung, die aber noch nicht wirklich gefunden ist. „Celestial Lineage“ ist alles andere als ein schlechtes Album, aber die von der Band vorher selbst aufgehängten Messlatten erreicht es an keiner Stelle. 7/10

Opeth – „Heritage“ (Musik:Album; 2011)

Opeth sind mit ihrem inzwischen zehnten Langspieler „Heritage“ an einem Punkt angekommen, an dem sie mit „Damnation“ vor acht Jahren schon einmal waren: Prog-Rock in Reinform. Nur wirkt es dieses Mal viel konsequenter. Die Death Metal-Anteile, die zuletzt mindestens noch ein Drittel des Sounds der Band ausmachten, wurden komplett eliminiert, Growls gibt es gar keine mehr, dafür viel Anleihen von King Crimson und Jethro Tull, Keyboards im Dutzend und instrumentale Interludes. Weiterhin: Lange, herausfordernde Kompositionen, viele Details, große Gesten, eine wahnsinnig gute Produktion, die nicht nur authentisch nach 70er Analogsound klingt, sondern tatsächlich so aufgenommen wurde und über eine richtig gute Anlage gehört werden will. Und dennoch fehlt „Heritage“ die ganze Zeit über etwas – und das sind eben nicht die Metal-Gitarren oder die Growls, sondern die herausragenden Songs. Trotz all seiner Musikalität, seiner Originalität trotz Retro-Feelings und seinen Ambitionen reißt die Scheibe den Zuhörer nirgendwo wirklich über das Songwriting mit. „Heritage“ ist ein verdammt mutiges und ziemlich schwieriges Album, vielleicht das schwierigste, das Opeth jemals aufgenommen haben, und es wächst im Laufe der Zeit – allerdings nur in dem Sinne, dass man es besser zu verstehen beginnt, nicht in dem, dass man es wirklich ins Herz schließt. 6/10

Lars von Trier – „Melancholia“ (Film; 2011)

Zu Beginn ähnelt „Melancholia“ noch Lars von Triers letztem Meisterstück Antichrist, nach dem langsamen, mit klassischer Musik untermalten Intro aber geht es geradezu in die entgegengesetzte Richtung: Zwei Stunden lang darf der Zuschauer am abgesehen von der Thematisierung einer ausgewachsenen psychischen Krankheit banalen Leben zweier Schwestern und einem noch banaleren Weltuntergang teilnehmen und neben leeren Dialogen photoshopartige Hochglanzbilder und Figuren bestaunen, die ihm zu jeder Zeit eher gleichgültig bleiben. Die durchgängig tolle, düster-barocke Optik des Films ist am Ende leider alles, was „Melancholia“ zu bieten hat. Unter der aufgesetzten Opulenz und der pathosschwangeren Art bleibt der der Film eine konsequent zahnlose Holzhammermetapher über Depression, die so auch von einem pubertären Teenager formuliert werden könnte. Lars von Trier, der mit „Dancer in the Dark“, „Dogville“ und „Antichrist“ drei der erschütterndsten und intelligentesten Filme des letzten Jahrzehnts gedreht hat, hat dieses Mal nicht besonders viel zu sagen. 4/10


Notizblock (I): Lars Von Trier – “Antichrist”

Erste Notizen und Ideen nach Kinobesuch: In der Abgeschiedenheit einer Holzhütte, auf die ein Baum permanent zu ejakulieren scheint (es fallen des Nachts Eicheln in massiger Zahl auf die Hütte, die von der Protagonistin als seine „toten Kinder“ gelesen werden) passiert das, was die Grundlage für den neuen Lars von Trier-Film „Antichrist“ bildet, eine Entwicklung findet statt, die bezeichnenderweise weit vor dem eigentlichen Auslöser des Plots, nämlich dem Tod des Kindes eines Liebespaares, liegt: Sie, offenbar Geistes- oder Kulturwissenschaftlerin, schreibt sich im Zuge ihrer Dissertation selbst immer tiefer hinein in die Rolle der Hexe und der Hure aus dem 16. Jhd., die sie eigentlich kritisch untersuchen soll, er versucht im Folgenden und nach dem Auftaktereignis den ganzen Film über sie mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu lesen – denen der Psychotherapie, die eben hier nicht mehr greifen, denn sie spielt längst eine Rolle, auch wenn die Trauer oben drauf kommt: Die eben jener sexuell begierigen und männerbedrohenden Frau, der Anti-Mutter, die auch ihr Kind quält und die in der von ihr untersuchten Literatur vernichtet werden muss, was konsequenterweise am Ende dann auch auf der Plotebene des Films geschieht. Als er nämlich erkennt, was sie geworden ist, nach ihrer scheinbaren Heilung, nach seiner brutalen Kastration, die mit einer überaus blutigen Fremdmasturbationsszene besiegelt wird, nimmt er auch seine Rolle an (vorher muss er freilich noch den Mühlstein um seinen Fuß loswerden, den sie ihm angelegt hat): Der zerstörende Mann, der die Anti-Mutter und Femme Fatale brutal tötet.

Es ist am Ende eben nicht ein Psychodrama (sie selbst merkt ironischerweise an, dass Freud tot ist, der Film arbeitet dennoch in überbordener Weise mit Symbolen und traumartigen Sequenzen), sondern eine literarische Geschichte eines von Männern erfundenen und zu bannenden Frauentypus (und damit ein in höchstem Maße gendertheoretisches Problem), das hier erzählt wird, auch wenn der Film uns in seiner ersten Hälfte auf die falsche Fährte lockt, hier gehe es um eine Reise in Unterbewusstsein, in den Wald, in den Mutterschoß der Erde, den Fuchsbau. Vielmehr geht es hier um Besessenheit, um das Besessen sein von einer bestimmten Rolle/Figur, die sich einer Person bemächtigt (und das ist klassisches Horrorfilm-Material; Anm.: Sie will es ja auch loswerden und sich selbst töten/kastrieren, schwankt ständig), um den Verlust der Distanz zum eigenen Forschungsobjekt. Als sie ihm erzählt, dass ihr ihre eigene Doktorarbeit im Wald „oberflächlich“ vorgekommen wäre, sagt sie vielmehr, dass sie ihren Untersuchungsgegenstand verinnerlicht hat, statt ihn zu hinterfragen. Oberflächlich hat sie jedenfalls nicht daran gearbeitet, das verdeutlicht eben das, was er bei seiner Suche auf dem Dachboden entdeckt: Ihre Dissertation gleicht eher einem kultischen Tagebuch mit vielen Bildern und irren Aufzeichnungen, einem Zeugnis ihres eigenen Verschmelzens mit dem, worüber sie liest. Es hat nichts von einer wissenschaftlichen Arbeit. Darum herum: Eine Art Altar mit Bildern der Zerstörung eben jener Frauen im 16. Jahrhundert, eben der Hexen, die am Ende des Films noch einmal aus dem Wald gekrochen kommen, vielzählig, vielgestaltig, ihn still anklagend: Schließlich ist doch am Ende unklar, ob nun sie in der Rolle der bösen Frau oder doch ihr Inquistor der Antichrist des Titels ist.

Weitere Motive, die noch näher zu bedenken sind: Fabelmotive (Tiere, die drei Bettler); Traumsequenzen (Freud nochmal deutlicher); Horrorfilmästhetik vs Psychodrama; Intro/Outro; Ihre Selbstvernichtungstendenzen; Tod des Kindes (Fall oder Sprung?); Selbst-Therapie des Regisseurs.

Grundsätzlich: Schwankend zwischen Fabel-Motiven, moderner Psychologie, alter Psychoanalyse & einer Vielgestalt von Symbolen, Horrorfilmästhetik (Besessenheit); viel Gendertheorie mit drin.