Shortreviews (X)

Deathspell Omega – „Drought“ (Musik:EP; 2012)

Seit vierzehn Jahren ist recht wenig bekannt über eine der herausfordernsten Bands im aktuellen Musikzirkus: Interviews gibt es wenige, Liveshows sowieso nicht, eine offizielle Webpräsenz bertreiben die drei Franzosen von Deathspell Omega auch nicht. Stattdessen: Immer und immer wieder grandiose Alben aus dem Großbereich Progressive Black Metal, die sich teilweise recht stark voneinander unterscheiden, jedes Mal aber auf einem Qualitätslevel sind, das andere Bands aus dem Genre auf die nachfolgenden Ränge verweist. Die EP „Drought“ mit sechs Songs und 21 Minuten Spielzeit bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, fräst sich mit chaotisch-verschachtelten und atonalen Kompositionen in die Gehörgänge und tönt dennoch streckenweise gänzlich anders als der bisherige Output. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass diese EP das neben dem letzten Langspieler „Paracletus“ bisher vielseitigste, aufgrund der verminderten Geschwindigkeit der Darbietung und der Kürze der Stücke (anders als sonst schreibt die Band hier überwiegend Tracks im Bereich drei oder vier statt zwanzig Minuten) aber gleichzeitig zugänglichste Werk der Avantgarde-Metaller ist. Auf derart hohem Niveau agieren derzeit nur ganz wenige Bands. 9/10

Benjamin Maack – „Monster“ (Buch; 2012)

Eine tote Eule im Kofferraum, ein altes Modellschiff, Masturbation und Schuldgefühle in der Badewanne, in die Luft geworfene Steine, die auf die Protagonisten herunterregnen: Die Geschichten in Benjamin Maacks zweiten Erzählband „Monster“ haben nur nicht skurrilen Humor, sondern immer auch Tiefgang und stellen die ganz großen Fragen nach Liebe und Tod auf eine subtile und sehr liebenswerte Weise durch kleine Begebenheiten, die der Erzähler, der in jeder Episode ebenfalls Benjamin heißt, auf seine intelligent-lakonische Art zu verstehen sucht und durch seine Unbeholfen- und Schüchternheit nicht selten verschlimmbessert. Man stelle sich vor, Judith Herrmann wäre ein Mann, würde etwas weniger explizite Melancholie und stattdessen ein bisschen mehr Selbstironie und Sarkasmus über ihre Geschichten gießen und kommt damit Benjamin Maacks dennoch einzigartigem Erzählstil sehr nahe: schwermütige und komplizierte Konstellationen zwischen Menschen lässt Benjamin Maack mit seinem sehr originellem Humor nicht leicht wirken, aber er bringt den Leser immer wieder zum Lachen. Ein verflucht guter Geschichtenband. 8/10

Ridley Scott – „Prometheus“ (Film; 2012)

Es passt wie der Flammenwerfer auf das durch eine unbekannte Seuche zum Zombie mutierten Crewmitglied, dass der Co-Writer von Ridley Scotts Rückkehr zum Sci-Fi-Genre „Prometheus“ zuvor auch das Debakel der Serie Lost mitzuverantworten hatte, denn Prometheus ist am Ende genau das: Alien für die Generation Lost. Ein visuell äußerst beeindruckender Film, der aber leider mit Plotholes von den Dimensionen schwärzer Löcher, mit absurd verschiedenen Infizierungen, Kreaturen, Alienschwangerschaften plus passenden Actionszenen aufwartet und mit Charakteren bestückt ist, die durchgängig den Charme von Androiden aufweisen (der Androide David ist tatsächlich die menschlichste und tiefgängigste Figur) und in Sachen Intelligenz direkt aus einer Horrorsatire entsprungen sein könnten. „Prometheus“ ist wahrscheinlich der enttäuschenste Film des Jahres, nicht unbedingt nur deswegen, weil er ist, was er ist, sondern weil er permanent daran erinnert, was er sein könnte: Er sieht aus wie ein ernsthaftes Alien-Prequel, er erzeugt immer wieder die Atmosphäre eines ernsthaften Alien-Prequels, bleibt am Ende aber eher eine lächerliche Parodie. 4/10


Shortreviews (IX)

Wolves In The Throne Room – „Celestial Lineage“ (Musik:Album; 2011)

Inzwischen auch bei Visions-Lesern und Indie-Fans ganz hoch im Kurs, wählen die Hippie-Black Metaller von Wolves In The Throne Room auf ihrer vierten Platte den unglücklichen Weg, gleichzeitig den eingeschlagenen Pfad weiter und zurück zu den Wurzeln gehen zu wollen. Die Musik ist dabei längst nicht so kompromisslos und inyourface wie sie es auf „Black Cascade“ war, sondern viel geerdeter, kann aber trotz des analogeren Sounds und den vielen sphärischen Elementen auch an den Waldschrat-Charme von „Two Hunters“ nicht anknüpfen, sondern wirkt mit ihren überbordenden Interludes, (zu) oft eingesetzten klaren Vocals und Experimenten stellenweise genau wie das, was sie nach zwei sehr unterschiedlichen und gleichermaßen sehr gelungenen Platten fast sein muss: Der Aufbruch in eine neue, tendenziell interessante Richtung, die aber noch nicht wirklich gefunden ist. „Celestial Lineage“ ist alles andere als ein schlechtes Album, aber die von der Band vorher selbst aufgehängten Messlatten erreicht es an keiner Stelle. 7/10

Opeth – „Heritage“ (Musik:Album; 2011)

Opeth sind mit ihrem inzwischen zehnten Langspieler „Heritage“ an einem Punkt angekommen, an dem sie mit „Damnation“ vor acht Jahren schon einmal waren: Prog-Rock in Reinform. Nur wirkt es dieses Mal viel konsequenter. Die Death Metal-Anteile, die zuletzt mindestens noch ein Drittel des Sounds der Band ausmachten, wurden komplett eliminiert, Growls gibt es gar keine mehr, dafür viel Anleihen von King Crimson und Jethro Tull, Keyboards im Dutzend und instrumentale Interludes. Weiterhin: Lange, herausfordernde Kompositionen, viele Details, große Gesten, eine wahnsinnig gute Produktion, die nicht nur authentisch nach 70er Analogsound klingt, sondern tatsächlich so aufgenommen wurde und über eine richtig gute Anlage gehört werden will. Und dennoch fehlt „Heritage“ die ganze Zeit über etwas – und das sind eben nicht die Metal-Gitarren oder die Growls, sondern die herausragenden Songs. Trotz all seiner Musikalität, seiner Originalität trotz Retro-Feelings und seinen Ambitionen reißt die Scheibe den Zuhörer nirgendwo wirklich über das Songwriting mit. „Heritage“ ist ein verdammt mutiges und ziemlich schwieriges Album, vielleicht das schwierigste, das Opeth jemals aufgenommen haben, und es wächst im Laufe der Zeit – allerdings nur in dem Sinne, dass man es besser zu verstehen beginnt, nicht in dem, dass man es wirklich ins Herz schließt. 6/10

Lars von Trier – „Melancholia“ (Film; 2011)

Zu Beginn ähnelt „Melancholia“ noch Lars von Triers letztem Meisterstück Antichrist, nach dem langsamen, mit klassischer Musik untermalten Intro aber geht es geradezu in die entgegengesetzte Richtung: Zwei Stunden lang darf der Zuschauer am abgesehen von der Thematisierung einer ausgewachsenen psychischen Krankheit banalen Leben zweier Schwestern und einem noch banaleren Weltuntergang teilnehmen und neben leeren Dialogen photoshopartige Hochglanzbilder und Figuren bestaunen, die ihm zu jeder Zeit eher gleichgültig bleiben. Die durchgängig tolle, düster-barocke Optik des Films ist am Ende leider alles, was „Melancholia“ zu bieten hat. Unter der aufgesetzten Opulenz und der pathosschwangeren Art bleibt der der Film eine konsequent zahnlose Holzhammermetapher über Depression, die so auch von einem pubertären Teenager formuliert werden könnte. Lars von Trier, der mit „Dancer in the Dark“, „Dogville“ und „Antichrist“ drei der erschütterndsten und intelligentesten Filme des letzten Jahrzehnts gedreht hat, hat dieses Mal nicht besonders viel zu sagen. 4/10


Tatort Fernsehen (I)

„Sie wissen, warum ich hier bin?“

„Wer zum Teufel sind Sie?“

„Ich bin investigativer Journalist.“

„Ach was? Ich auch.“

„Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie sind eine schmierige Kröte, die sehr ernste Themen wie Kindesmissbrauch für trashige TV-Shows missbraucht.“

Zwei Frauen betreten den Raum und stellen sich hinter S.G. Bangs. Eine hält ein iPhone in der Hand und filmt damit den auf der anderen Seite des Tisches sitzenden Produzenten. „Für YouTube“, sagt sie. Der Produzent nimmt einen Aktenordner, der auf dem Tisch liegt, klappt ihn auf und hält ihn sich vor das Gesicht. Er schweigt lange. Dann sagt er:

„Das ist eine aufklärerische Tätigkeit.“

„Und Sie holen sich auch noch Schützenhilfe von Revolverblättern. Wo genau ist denn die aufklärerische Tätigkeit in einer Sendung, die möglichst gruselige Sex and Crime-Szenarios herbeiführen will und dann nur noch draufhält, um dem Zuschauer letztendlich zu vermitteln, dass das Internet irgendwie böse ist?“

„Na ja, wir zeigen… wir zeigen, was so passieren kann, wenn man im Internet unterwegs ist.“

„Sie stellen Fake-Profile von Kindern und Jugendlichen ins Netz und locken Leute darauf, um daraus maximal dramatisch ausschlachtbare Geschichten mit schnellen Schnitten und hysterischer Thriller-Musik zu basteln. Hinweise zum sicheren Verhalten im Netz kommen in ihrer Sendung überhaupt nicht vor. “

„Die Sendung an sich ist der Warnhinweis.“

„Der Warnhinweis wovor? Dass man sich besser nicht im Netz aufhalten und sich stattdessen lieber passiv von strunzdummen Realityformaten im TV auf der Couch berieseln lassen sollte?“

„Wir von Fernsehen haben wenigsten noch den Anspruch, den Leuten ein paar Werte zu vermitteln.“

„Werte? Der einzige Wert, den sie vermitteln, ist der, dass man mit reißerischer und billigster Aufmachung Leute vor den Bildschirm locken und die Quote erhöhen kann. Sie sind Abschaum.“

„Die Sendung hat prominente Fürsprecher.“

„Die CSU-Ministergattin, die sich von einem Sender wie dem Ihrigen dafür einspannen lässt, zwischen vielen anderen Aufklärungs- und Dokusendungen, die Titel wie ,Grenzenlos Geil‘ oder ,Sex vor der Kamera‘ tragen, das Thema Kindesmissbrauch als Reality-Krimi-Soap zu präsentieren? Das ist nicht Ihr Ernst, dass Sie die arme Frau jetzt als Argument vorschieben. Die ist doch selbst ein Opfer der Fernsehverdummungsgeneration.“

„Werden sie nicht frech! Das ist eine sehr ehrenwerte Frau. Und Werbung machen wir in der Sendung auch nicht.“

„Ach so, Sie sind also auch noch gemeinnützig. Sie widern mich langsam richtig an. Wenn wir das hier nicht aufzeichnen würden, um Sie bloßzustellen, dann würde ich Ihnen an dieser Stelle ins Gesicht spucken. Und ich bin wohl nicht der Einzige, der dieses Verlangen hat.“

„Das ist so typisch deutsch. Wenn einer ein mutiges Format entwickelt, wird er gleich nach der ersten Sendung von allen in den Dreck gezogen.“

„Mutiges Format? Und was ist das hier?“

Bangs tippt in sein Notebook, klickt zwei Mal, dreht den Screen dann in die Richtung des Produzenten. Ein Video läuft.

„…“

„Ist das nicht eine amerikanische Sendung, die Sie einfach nur kopieren? Eine Sendung, von der der britische TV-Kritiker Charlie Brooker sagt: When a TV show makes you feel sorry for potential child rapists, you know it’s doing something wrong?“

„Von kopieren kann keine Rede sein! Das Thema hat nunmal wieder viel Brisanz gewonnen!“

„Und das machen Sie woran fest?“

„Naja, die Ministergattin. Und das Internet.“

„Aha. Weil die Dame kürzlich ein Buch geschrieben hat, um sich selbst ein bisschen in den Mittelpunkt zu stellen, weil man das als Ministergattin so tut, muss man jetzt eine ekelerregende Sendung machen, die niemandem nützt außer Ihrer Geldbörse? Aber geht‘s nicht auch darum, dass Íhnen die Felle wegschwimmen wegen diesen neuen Medien und Sie auch deswegen ein bisschen mit Angst, Sex, Internet und Gewalt Quote und Stimmung gleichzeitig machen wollen? Passt ja auch, wo jetzt gerade der Facebook-Film ziemlich erfolgreich anläuft und die StreetView-Debatte noch präsent ist. Die Netzgemeinde schaltet außerdem bestimmt ein, diese Bloggertypen brauchen doch Themen, über die sich aufregen können, das haben Sie sich doch dabei gedacht, oder?“

„Facebook verkauft seine Userdaten. Da sind auch die Daten von Kindern dabei.“

„Woher haben sie denn diesen Mist?“

„Naja, die Verbraucherschutzministerin…“

„Politik und TV. Das scheint mir die neue Achse der Desinformation und Verblödung zu werden. Was mich eigentlich wirklich interessiert: Stellen Sie sich so dumm oder glauben sie diesen Mist wirklich, den sie da unkontrolliert in die Hirne der Leute streamen? Es wäre spannnend, das zu wissen, denn in letzterem Fall wären sie mit ein bisschen Aufklärung durchaus heilbar. Andersrum sind sie einfach ein perfides Arschloch.“

„…“

„Weiß Ihre Frau eigentlich, was sie da tun?“

„Lassen Sie meine Frau aus dem Spiel!“

„Weiß ihre Frau, was für Sendungen sie produzieren? Würden Sie diesen Dreck eigentlich selbst gucken? Was bringt einen erwachsenen Mann dazu, soetwas beruflich zu machen?“

„…“

„Warum reden Sie denn jetzt nicht mehr mit mir? Würden Sie diesen Dreck selbst gucken, den Sie produzieren? Was bringt einen erwachsenen Mann dazu, solche Sendungen zu machen? Warum beleidigen Sie denn die Intelligenz Ihrer Zuschauer?“

Der Mann steht auf und verlässt den Konferenzraum. Er verbirgt sein Gesicht weiterhin hinter dem Aktenordner.

„Ja, laufen Sie nur weg. Aber vor sich selbst können Sie nicht weglaufen. Und vor den Leuten, die inzwischen zum Glück etwas klüger geworden sind und sich nicht mehr kritiklos jeden Müll reinziehen, den ihnen das Fernsehprogramm vorsetzt, auch nicht.“

„Tatort Fernsehen“ ist ein fiktives, aber leider sehr realitymäßiges Format, das sich mit der fortgesetzten Beleidigung der Intelligenz der eigenen User durch die alten Medien auseinandersetzt. Unser erklärtes Ziel ist es, die konsequent vorangetriebene Verdummung ganzer Bevölkerungsschichten (sogenanntes ,Erteelling‘), die sich mangels Recherchekompetenz und -möglichkeiten kein eigenes Bild machen können, zu stoppen und zu einem Straftatbestand erklären zu lassen.


Review: Ihsahn – “After”

Bereits im zweiten Song ‘A Grave Inversed’ taucht es zum ersten Mal an prominenter Stelle auf, in dem zehnminütigen Prog-Monster ‘Undercurrent’ hat es einen sehr bemerkenswerten Auftritt, und am Ende scheint es dem immer weniger verwunderten Zuhörer, der es nach und nach in fast allen Songs entdeckt, fast so, als ob es im Grunde schon immer dazugehört hätte: Die Rede ist von einem Saxophon, das Freejazz-Melodien intoniert, gespielt von Jørgen Munkeby . Es wirkt gleichermaßen völlig absurd wie konsequent, dass jenes Instrument einen derart breiten Raum einnimmt auf diesem Silberling, denn einerseits ist das das dritte Ihsahn-Soloalbum „After“ (wenigstens noch in Teilen und insofern man es überhaupt in ein Genre stecken kann) eine Black-Metal-Platte, andererseits gibt es seit aber seit Jahren kaum einen anderen Musiker, der dieses Genre mit einem derart offenen und experimentierfreuden Geist fortentwickelt und zu gänzlich neuen Ufern aufbrechen lässt.

Überhaupt handelt es sich hier in vielerlei Hinsicht um das wohl radikalste Werk des Norwegers: Suchte der ehemalige Emperor-Frontmann nach diversen Ausflügen in andere Metal-Avantgarde-Regionen (vor allem mit  seiner Zwischenband Peccatum) auf der ersten Platte, die nur noch seinen Namen (bzw. sein Pseudonym, bürgerlich heißt der Bursche Vegard Sverre Tveitan) trug, danach, wieder an die alten Zeiten anzuknüpfen und löste er sich mit den Geniestreich „angL.“ eben davon, um zu einer Art Black-Metal-Version von Opeth zu werden, sind nun endlich alle Barrieren und Referenzpunkte gefallen, und Ihsahn klingt, wenn überhaupt, nur noch nach sich selbst: Auf einer recht selten auf bekannten Veröffentlichungen gespielten und seine Fähigkeiten als Gitarrist noch stärker betonenden achtseitigen Gitarre schreibt und intoniert Ihsahn hier seine Songs, jeder schillernder als der andere. Die Iron Maiden-Affinität, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat, hört man natürlich wie immer zwischen den Zeilen, in den Intros, aber es ist längst nicht der Fall, dass er Elemente von irgendwem kopieren würde, im Gegenteil: Er überträgt den Ansatz der verspielten Soli und epischen Gitarrenmelodien komplett auf seinen eigenen Stil, imitiert ihn nicht, sondern adaptiert und entwickelt ihn weiter, wie er es auch auf allen vorherigen Releases getan hat. Vielleicht ist es symptomatisch für die Platte, dass sie keinen großen Hit, kein eindeutig auszumachendes Highlight enthält: Diese acht Tracks sind allesamt der Star. Sie sind aber auch schwermütiger, düsterer und langsamer als das, was er früher gemacht hat, brodeln eher bedrohlich und fremdartig-faszinierend vor sich hin, entladen sie sich doch seltener in richtig schnellen, agressiven Eruptionen als auf den Vorgängerwerken. Dabei sind die Elemente dennoch direkt als typisch Ihsahn identifizierbar: Die atonalen und grandiosen Soli sind genau so vorhanden wie die gezupften Parts, die markante Stimme thront hinter den Riff-Wänden, der cleane Gesang kommt spärlich zum Einsatz, produziert wurde wieder im eigenen Studio mit Jens Bogren, der sonst eben Opeths oder Katatonias Werke veredelt. Es ist vor allem die Herangehensweise an die Songs, die neu ist: Ihsahn wird immer mehr zum Komponisten im Wortsinne statt Songschreiber, einem Mann, der keinen Wert mehr auf in traditioneller Hinsicht koheränte Strophe-Refrain-Strophe-Strukturen legt, sondern sich auf die Details, die Passagen seiner hier oft überlangen Tracks konzentriert.

Und am Ende spricht wieder der Jazz: Es ist eine wimmernde, in sich zerfallende Melodie aus dem goldenen Blasinstrument, die diese in jeder Hinsicht außergewöhnliche Platte beschließen darf. Man darf dankbar sein, dass es noch Musiker gibt, die sich immer wieder zu neuen Ausflügen in unbekanntes Land aufraffen, statt auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Ihsahns Prog-Black-Metal-Jazz-Album „After“ ist ein erstes Highlight des kommenden Musikjahres.

9 von 10 Punkten.


Review: Marilyn Manson – ‘We’re From America’ (Song)

Es ist viel spekuliert worden über die Arbeiten an dem kommenden Album namens „The High End Of Low“ der amerikanischen Band Marilyn Manson (Release-Date ist der 26. Mai 2009), die fast synonym mit ihrem Frontmann geworden ist, nachdem vor ein paar Jahren auch die letzten guten Musiker das sinkende Schiff verlassen hatten. Ein paar prominente Gaststars sollen darauf zu hören sein: Kerry King von Slayer und James Iha (Ex-Smashing Pumpkins) zum Beispiel. Viel wichtiger aber ist, dass Jeordie White (unter seinem alten Pseudonym Twiggy Ramirez), Bassist, A Perfect Circle- und früheres Nine Inch Nails-Mitglied und vor allem langjähriger Manson-Songwriter (der Frontmann schreibt, das ist den wenigsten bekannt, zumeist nur seine Texte) und unter anderem verantwortlich für die großartigen Alben „AntiChrist Superstar“ und „Mechanical Animals“, wieder an Bord ist.

Dem nagelneuen Teaser-Song ‘We’re From America’ (seit heute herunterladbar auf der offiziellen Webseite), der in den ersten Minuten recht simpel und eingängig tönt, hört man das nicht nur in Sachen Sound an: Knarzige Gitarrenriffs, Feedbacksounds, Manson klingen wieder nach Industrial der alten Schule und nicht nach einer billigen Rammstein-Imitation. Im zweiten Teil des Tracks, dessen etwas dümmliche Lyrics (nein, Sarkasmus bedeutet nicht, dass ein Text automatisch tiefgründig ist) den absurden Gedanken wecken, dass Marilyn Manson eine bessere Band ohne, äh, Marilyn Manson wären, kommen dann ein paar homogen eingearbeitete Soundcollagen und irre psychedelische Gitarrenlicks hinzu, die richtig viel Spass machen und nicht nur vordergründig nach Aufmerksamkeit heischen. Es wäre zu früh, zu sagen, dass Marilyn Manson nach zwei katastrophal schlechten Platten zu alter Qualität zurückgefunden haben, aber ‘We’re From America’ macht trotz seiner auch insgesamt sehr einfachen Struktur Hoffnung genau darauf.

7/10 Punkten.