Tatort Fernsehen (I)

„Sie wissen, warum ich hier bin?“

„Wer zum Teufel sind Sie?“

„Ich bin investigativer Journalist.“

„Ach was? Ich auch.“

„Machen Sie sich nicht lächerlich. Sie sind eine schmierige Kröte, die sehr ernste Themen wie Kindesmissbrauch für trashige TV-Shows missbraucht.“

Zwei Frauen betreten den Raum und stellen sich hinter S.G. Bangs. Eine hält ein iPhone in der Hand und filmt damit den auf der anderen Seite des Tisches sitzenden Produzenten. „Für YouTube“, sagt sie. Der Produzent nimmt einen Aktenordner, der auf dem Tisch liegt, klappt ihn auf und hält ihn sich vor das Gesicht. Er schweigt lange. Dann sagt er:

„Das ist eine aufklärerische Tätigkeit.“

„Und Sie holen sich auch noch Schützenhilfe von Revolverblättern. Wo genau ist denn die aufklärerische Tätigkeit in einer Sendung, die möglichst gruselige Sex and Crime-Szenarios herbeiführen will und dann nur noch draufhält, um dem Zuschauer letztendlich zu vermitteln, dass das Internet irgendwie böse ist?“

„Na ja, wir zeigen… wir zeigen, was so passieren kann, wenn man im Internet unterwegs ist.“

„Sie stellen Fake-Profile von Kindern und Jugendlichen ins Netz und locken Leute darauf, um daraus maximal dramatisch ausschlachtbare Geschichten mit schnellen Schnitten und hysterischer Thriller-Musik zu basteln. Hinweise zum sicheren Verhalten im Netz kommen in ihrer Sendung überhaupt nicht vor. “

„Die Sendung an sich ist der Warnhinweis.“

„Der Warnhinweis wovor? Dass man sich besser nicht im Netz aufhalten und sich stattdessen lieber passiv von strunzdummen Realityformaten im TV auf der Couch berieseln lassen sollte?“

„Wir von Fernsehen haben wenigsten noch den Anspruch, den Leuten ein paar Werte zu vermitteln.“

„Werte? Der einzige Wert, den sie vermitteln, ist der, dass man mit reißerischer und billigster Aufmachung Leute vor den Bildschirm locken und die Quote erhöhen kann. Sie sind Abschaum.“

„Die Sendung hat prominente Fürsprecher.“

„Die CSU-Ministergattin, die sich von einem Sender wie dem Ihrigen dafür einspannen lässt, zwischen vielen anderen Aufklärungs- und Dokusendungen, die Titel wie ,Grenzenlos Geil‘ oder ,Sex vor der Kamera‘ tragen, das Thema Kindesmissbrauch als Reality-Krimi-Soap zu präsentieren? Das ist nicht Ihr Ernst, dass Sie die arme Frau jetzt als Argument vorschieben. Die ist doch selbst ein Opfer der Fernsehverdummungsgeneration.“

„Werden sie nicht frech! Das ist eine sehr ehrenwerte Frau. Und Werbung machen wir in der Sendung auch nicht.“

„Ach so, Sie sind also auch noch gemeinnützig. Sie widern mich langsam richtig an. Wenn wir das hier nicht aufzeichnen würden, um Sie bloßzustellen, dann würde ich Ihnen an dieser Stelle ins Gesicht spucken. Und ich bin wohl nicht der Einzige, der dieses Verlangen hat.“

„Das ist so typisch deutsch. Wenn einer ein mutiges Format entwickelt, wird er gleich nach der ersten Sendung von allen in den Dreck gezogen.“

„Mutiges Format? Und was ist das hier?“

Bangs tippt in sein Notebook, klickt zwei Mal, dreht den Screen dann in die Richtung des Produzenten. Ein Video läuft.

„…“

„Ist das nicht eine amerikanische Sendung, die Sie einfach nur kopieren? Eine Sendung, von der der britische TV-Kritiker Charlie Brooker sagt: When a TV show makes you feel sorry for potential child rapists, you know it’s doing something wrong?“

„Von kopieren kann keine Rede sein! Das Thema hat nunmal wieder viel Brisanz gewonnen!“

„Und das machen Sie woran fest?“

„Naja, die Ministergattin. Und das Internet.“

„Aha. Weil die Dame kürzlich ein Buch geschrieben hat, um sich selbst ein bisschen in den Mittelpunkt zu stellen, weil man das als Ministergattin so tut, muss man jetzt eine ekelerregende Sendung machen, die niemandem nützt außer Ihrer Geldbörse? Aber geht‘s nicht auch darum, dass Íhnen die Felle wegschwimmen wegen diesen neuen Medien und Sie auch deswegen ein bisschen mit Angst, Sex, Internet und Gewalt Quote und Stimmung gleichzeitig machen wollen? Passt ja auch, wo jetzt gerade der Facebook-Film ziemlich erfolgreich anläuft und die StreetView-Debatte noch präsent ist. Die Netzgemeinde schaltet außerdem bestimmt ein, diese Bloggertypen brauchen doch Themen, über die sich aufregen können, das haben Sie sich doch dabei gedacht, oder?“

„Facebook verkauft seine Userdaten. Da sind auch die Daten von Kindern dabei.“

„Woher haben sie denn diesen Mist?“

„Naja, die Verbraucherschutzministerin…“

„Politik und TV. Das scheint mir die neue Achse der Desinformation und Verblödung zu werden. Was mich eigentlich wirklich interessiert: Stellen Sie sich so dumm oder glauben sie diesen Mist wirklich, den sie da unkontrolliert in die Hirne der Leute streamen? Es wäre spannnend, das zu wissen, denn in letzterem Fall wären sie mit ein bisschen Aufklärung durchaus heilbar. Andersrum sind sie einfach ein perfides Arschloch.“

„…“

„Weiß Ihre Frau eigentlich, was sie da tun?“

„Lassen Sie meine Frau aus dem Spiel!“

„Weiß ihre Frau, was für Sendungen sie produzieren? Würden Sie diesen Dreck eigentlich selbst gucken? Was bringt einen erwachsenen Mann dazu, soetwas beruflich zu machen?“

„…“

„Warum reden Sie denn jetzt nicht mehr mit mir? Würden Sie diesen Dreck selbst gucken, den Sie produzieren? Was bringt einen erwachsenen Mann dazu, solche Sendungen zu machen? Warum beleidigen Sie denn die Intelligenz Ihrer Zuschauer?“

Der Mann steht auf und verlässt den Konferenzraum. Er verbirgt sein Gesicht weiterhin hinter dem Aktenordner.

„Ja, laufen Sie nur weg. Aber vor sich selbst können Sie nicht weglaufen. Und vor den Leuten, die inzwischen zum Glück etwas klüger geworden sind und sich nicht mehr kritiklos jeden Müll reinziehen, den ihnen das Fernsehprogramm vorsetzt, auch nicht.“

„Tatort Fernsehen“ ist ein fiktives, aber leider sehr realitymäßiges Format, das sich mit der fortgesetzten Beleidigung der Intelligenz der eigenen User durch die alten Medien auseinandersetzt. Unser erklärtes Ziel ist es, die konsequent vorangetriebene Verdummung ganzer Bevölkerungsschichten (sogenanntes ,Erteelling‘), die sich mangels Recherchekompetenz und -möglichkeiten kein eigenes Bild machen können, zu stoppen und zu einem Straftatbestand erklären zu lassen.


Review: Ihsahn – “After”

Bereits im zweiten Song ‘A Grave Inversed’ taucht es zum ersten Mal an prominenter Stelle auf, in dem zehnminütigen Prog-Monster ‘Undercurrent’ hat es einen sehr bemerkenswerten Auftritt, und am Ende scheint es dem immer weniger verwunderten Zuhörer, der es nach und nach in fast allen Songs entdeckt, fast so, als ob es im Grunde schon immer dazugehört hätte: Die Rede ist von einem Saxophon, das Freejazz-Melodien intoniert, gespielt von Jørgen Munkeby . Es wirkt gleichermaßen völlig absurd wie konsequent, dass jenes Instrument einen derart breiten Raum einnimmt auf diesem Silberling, denn einerseits ist das das dritte Ihsahn-Soloalbum „After“ (wenigstens noch in Teilen und insofern man es überhaupt in ein Genre stecken kann) eine Black-Metal-Platte, andererseits gibt es seit aber seit Jahren kaum einen anderen Musiker, der dieses Genre mit einem derart offenen und experimentierfreuden Geist fortentwickelt und zu gänzlich neuen Ufern aufbrechen lässt.

Überhaupt handelt es sich hier in vielerlei Hinsicht um das wohl radikalste Werk des Norwegers: Suchte der ehemalige Emperor-Frontmann nach diversen Ausflügen in andere Metal-Avantgarde-Regionen (vor allem mit  seiner Zwischenband Peccatum) auf der ersten Platte, die nur noch seinen Namen (bzw. sein Pseudonym, bürgerlich heißt der Bursche Vegard Sverre Tveitan) trug, danach, wieder an die alten Zeiten anzuknüpfen und löste er sich mit den Geniestreich „angL.“ eben davon, um zu einer Art Black-Metal-Version von Opeth zu werden, sind nun endlich alle Barrieren und Referenzpunkte gefallen, und Ihsahn klingt, wenn überhaupt, nur noch nach sich selbst: Auf einer recht selten auf bekannten Veröffentlichungen gespielten und seine Fähigkeiten als Gitarrist noch stärker betonenden achtseitigen Gitarre schreibt und intoniert Ihsahn hier seine Songs, jeder schillernder als der andere. Die Iron Maiden-Affinität, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat, hört man natürlich wie immer zwischen den Zeilen, in den Intros, aber es ist längst nicht der Fall, dass er Elemente von irgendwem kopieren würde, im Gegenteil: Er überträgt den Ansatz der verspielten Soli und epischen Gitarrenmelodien komplett auf seinen eigenen Stil, imitiert ihn nicht, sondern adaptiert und entwickelt ihn weiter, wie er es auch auf allen vorherigen Releases getan hat. Vielleicht ist es symptomatisch für die Platte, dass sie keinen großen Hit, kein eindeutig auszumachendes Highlight enthält: Diese acht Tracks sind allesamt der Star. Sie sind aber auch schwermütiger, düsterer und langsamer als das, was er früher gemacht hat, brodeln eher bedrohlich und fremdartig-faszinierend vor sich hin, entladen sie sich doch seltener in richtig schnellen, agressiven Eruptionen als auf den Vorgängerwerken. Dabei sind die Elemente dennoch direkt als typisch Ihsahn identifizierbar: Die atonalen und grandiosen Soli sind genau so vorhanden wie die gezupften Parts, die markante Stimme thront hinter den Riff-Wänden, der cleane Gesang kommt spärlich zum Einsatz, produziert wurde wieder im eigenen Studio mit Jens Bogren, der sonst eben Opeths oder Katatonias Werke veredelt. Es ist vor allem die Herangehensweise an die Songs, die neu ist: Ihsahn wird immer mehr zum Komponisten im Wortsinne statt Songschreiber, einem Mann, der keinen Wert mehr auf in traditioneller Hinsicht koheränte Strophe-Refrain-Strophe-Strukturen legt, sondern sich auf die Details, die Passagen seiner hier oft überlangen Tracks konzentriert.

Und am Ende spricht wieder der Jazz: Es ist eine wimmernde, in sich zerfallende Melodie aus dem goldenen Blasinstrument, die diese in jeder Hinsicht außergewöhnliche Platte beschließen darf. Man darf dankbar sein, dass es noch Musiker gibt, die sich immer wieder zu neuen Ausflügen in unbekanntes Land aufraffen, statt auf den Lorbeeren der Vergangenheit ausruhen. Ihsahns Prog-Black-Metal-Jazz-Album „After“ ist ein erstes Highlight des kommenden Musikjahres.

9 von 10 Punkten.


Briefing (XXII)

Arr, Ihr lustigen Freibeuter von der Piratenpartei Deutschland,

da habt Ihr doch glatt mal 0,9% bundesweit bei der Europawahl 2009 geholt. Das muss man sich mal vorstellen: Fast jeder hundertste Wähler hat sein Kreuz bei Euch gemacht. Respektable Sache, aber noch cooler wäre das Ganze natürlich, wenn Ihr nicht so einen bescheuerten Namen tragen, solche populistischen Maximalforderungen verbreiten würdet und nicht so ein unglaublich einseitiges Programm hättet.

Jaja, ich weiß schon, für den Namen könnt Ihr nichts, der ist angelehnt an Euere schwedischen Kollegen, die dort oben in dem kleinen Land sogar unglaubliche 7% der Wähler erreicht haben und nun einen doch hoffentlich mit rostigem Säbel und Augenklappe bewaffneten Burschen ins Parlament schicken dürfen. Aber Euer Wahlprogramm zeichnet die Welt doch schon arg schwarz-weiß, gut-böse und ihr übernehmt dabei natürlich immer die extreme Gegenposition zu den finsteren, konservativen Kräften: Ihr wollt Software- und Genpatente abschaffen, Privatkopien komplett erlauben, das Urheberrecht reformieren und solches Zeug, das besonders bei den jugendlichen Internetnerds, die sich meistens so gut wie Null für Politik interessieren, wenn es nicht darum geht, dass sie in Ruhe ihr Zeug aus den Tauschbörsen ziehen dürfen, auf große Gegenliebe stößt.

Natürlich geht Ihr mit Eueren Ideen in die richtige Richtung, daran gibt es keinen Zweifel, dabei scheint Ihr aber keine fünf Schritte voraus zu denken, denn dass all diese Geschichten auch ihre negativen Seiten haben können, kommt Euch offenbar gar nicht in den Sinn (und leider auch genausowenig der versammelten Netzgemeinde, die euch ganz toll findet, was insbesondere auch die sonst so wahnsinnig kritischen Bloggerkollegen betrifft): Wer hätte denn noch ein Interesse daran, eine (Mais- oder Irgendwas-)Sorte zu erfinden, die vielleicht irgendwann das Hungerproblem löst, weil sie auch in der Wüste wächst, wenn er daraus keinen Profil schlagen könnte? Welcher Musiker kann denn nur von den Konzerteinnahmen leben? Von Autoren, anderen Künstlern und Softwareschreibern fange ich gar nicht erst an, denn die geben in der Regel nicht so viele Liveshows, über die sie ihr Geld kriegen können, wenn jeder ihren Kram kopieren darf. Informationelle Selbstbestimmung und der finstere Überwachungsstaat Orwell’schen Ausmaßes ist auch so ein Thema von Euch, das Euere Wähler wahnsinnig gut finden, während sie auf Myspace und Facebook darüber berichten, was sie gerade zu Abend gegessen haben und neue Bilder von der letzten Lan-Party hochladen. Wenn ich dann aber, wie heute Morgen bei heise.de noch lesen muss, dass Ihr zu den anderen Themen (im Grunde all das, das nichts mit Internet zu tun hat) gar keine Meinung haben wollt, dann frage ich mich schon, was diese ganze Nummer soll und ob man Euch eigentlich in irgendeiner Art und Weise ernst nehmen kann.

Es ist auch angekommen, dass Ihr eine Interessenpartei seid und dass Ihr so laut tösen müsst, damit man euch überhaupt wahrnimmt. Versteht mich bloß nicht falsch: Ich bin der Netzfreak schlechthin, aber Ihr seht halt nicht nur auf den ersten, sondern auch noch auf den dritten Blick wie ein paar populistische Spinner aus, die eigentlich keiner wählen kann, der ein bisschen reflektierter über Dinge nachdenkt als nur bis „ich will, dass der mich in Ruhe meine Mucke runterladen lässt, der böse Schäuble“. Ich erkläre Euch (und Eueren Apologeten) mal ganz kurz, wie Demokratie wirklich funktioniert, und es ist wirklich traurig, dass ich das tun muss: Da geht es darum, die beste Lösung für jung, alt, progressiv, konservativ, kurzum für Alle zu finden, einen Kompromiss, nicht darum, möglichst viele Punkte zu erzielen und dann allen anderen seinen Lebensentwurf, der ausschließlich an der eigenen Lebensrealität orientiert ist, einfach aufzudrücken. Und wenn Ihr jetzt mit dem Argument kommen wollt, dass Ihr ja bloß Opposition sein wollt, die problematische Verhältnisse mit starken Gegenpositionen aufzeigen will: Eine Utopistenpartei gibt es schon. Die träumt auch vor sich hin vom Wunderland, aber wenigstens in Bezug auf Dinge, die wirklich von etwas allgemeinerem Interesse sind.

Mast- und Schotbruch wünscht:
Käptn Raven III.