Briefing (XXIII)

Hey StudiVZ!

Meine absolute Hochachtung: Du schaffst doch tatsächlich das, was sonst niemand bei mir hinbekommt und bringst mich dazu, mal wieder in Die Irrlichterkette über ein Social Media-Thema zu bloggen. Versteh mich bloß nicht falsch: Ich beschäftige mich beruflich und privat jeden Tag mit Dir und Deinen schöneren Geschwistern, aber eigentlich wollte ich euch hier ja raus lassen, denn einerseits gibt es schon genug armselige Netzkreaturen ohne andere Talente, die über diesen ganzen Kram bloggen, andererseits hat das immer gleich so was unzeitloses, wenn man über flüchtigen Müll schreibt, der morgen schon wieder ganz anders ist. Chatroulette, Gowalla, Foursquare, Buzz, Pip.io, Google Wave und Co., so spannend und unterhaltsam sie zum Teil sind, waren deswegen hier nie wirklich ein Thema.

Dein neuester Coup, StudiVZ, lässt mir allerdings einfach keine Wahl: Deine Entwickler, die hinter den Kulissen wieder monatelang gebrainstormt und konzeptet haben, sind nämlich auf eine Superidee gekommen, die Du heute der Öffentlichkeit präsentiert hast: Man kann jetzt seinen Beziehungsstatus auf dem eigenen Userprofil mit der zweiten in der Beziehung befindlichen Person verlinken. Manche mögen dabei vielleicht auf den Gedanken kommen, dass Facebook selbige Option schon seit Jahrhunderten offeriert, aber diese Unkenrufer haben nicht mit der Originalität Deiner Ideenfinder gerechnet: Als ganz eigenes und innovatives Feature bietest Du nämlich tatsächlich an, dass man seinen Status auf „offene Beziehung“ stellen und sich dann mit mehreren Partnern  gleichzeitig in eine Beziehung hineinlinken kann. Die Anleitung dazu schreibst Du dick in die „Klartext“-Mitteilung zur neuen Funktion: „Du willst Dich nicht auf eine einzelne Person festlegen? Auch gut: Wähle den Status ‘offene Beziehung’ aus und verlinke Dich mit bis zu fünf Partnern“, steht da doch tatsächlich (Hervorhebung auf dem Screenshot von mir).

Eine absolut grandiose Funktion, dieses neue Promiskuitäts-Feature: So kann Ronny in Zukunft öffentlich kundtun, dass er mit Mandy, Jenny und mit Sandy schläft, und sich so gleichzeitig zum Affen wie zum großen Macker machen, Mareike, die gerade in einer schlimmen Beziehungkrise ist, linkt sich direkt zwischen die beiden von ihrer Verwirrung betroffenen Herzbuben, die sie ja irgendwie beide toll findet und Petra, das olle Emogirl, phantasiert sich, um ihre Zuneigung zu ihren Freundinnen zu präsentieren, gleich in offene Beziehungen mit ihrer kompletten Clique, denn irgendwie ist ja nur zwischen Mädchen echte Liebe, nicht?

Interessant ist übrigens auch, dass Du bei Deiner Schwesterseite SchuelerVZ die Beziehungsfunktion auch eingebaut hast, dort aber die Mehrfachverlinkung weglässt. Was sagt das eigentlich über Dich aus, StudiVZ? Was für ein Bild hast Du von Deinen Kernnutzern, den Studenten? Oder willst Du nur knallhart die Realität abbilden, die Schüler aber noch davor bewahren, bis sie alt genug sind, um auch mit mehreren Leuten gleichzeitig was am Laufen zu haben? Selbiges wäre natürlich ein höchst lobenswertes Anliegen, das ich hiermit voll und ganz unterstütze.

Aber jetzt mal im Ernst, StudiVZ: Ist Dir das eigentlich nicht selbst ein bisschen peinlich, wie Du Dich immer benimmst?

Ein bisschen um Deinen sonst so tadellosen Ruf besorgt:
Dein Sebastian.


Briefing (XXII)

Arr, Ihr lustigen Freibeuter von der Piratenpartei Deutschland,

da habt Ihr doch glatt mal 0,9% bundesweit bei der Europawahl 2009 geholt. Das muss man sich mal vorstellen: Fast jeder hundertste Wähler hat sein Kreuz bei Euch gemacht. Respektable Sache, aber noch cooler wäre das Ganze natürlich, wenn Ihr nicht so einen bescheuerten Namen tragen, solche populistischen Maximalforderungen verbreiten würdet und nicht so ein unglaublich einseitiges Programm hättet.

Jaja, ich weiß schon, für den Namen könnt Ihr nichts, der ist angelehnt an Euere schwedischen Kollegen, die dort oben in dem kleinen Land sogar unglaubliche 7% der Wähler erreicht haben und nun einen doch hoffentlich mit rostigem Säbel und Augenklappe bewaffneten Burschen ins Parlament schicken dürfen. Aber Euer Wahlprogramm zeichnet die Welt doch schon arg schwarz-weiß, gut-böse und ihr übernehmt dabei natürlich immer die extreme Gegenposition zu den finsteren, konservativen Kräften: Ihr wollt Software- und Genpatente abschaffen, Privatkopien komplett erlauben, das Urheberrecht reformieren und solches Zeug, das besonders bei den jugendlichen Internetnerds, die sich meistens so gut wie Null für Politik interessieren, wenn es nicht darum geht, dass sie in Ruhe ihr Zeug aus den Tauschbörsen ziehen dürfen, auf große Gegenliebe stößt.

Natürlich geht Ihr mit Eueren Ideen in die richtige Richtung, daran gibt es keinen Zweifel, dabei scheint Ihr aber keine fünf Schritte voraus zu denken, denn dass all diese Geschichten auch ihre negativen Seiten haben können, kommt Euch offenbar gar nicht in den Sinn (und leider auch genausowenig der versammelten Netzgemeinde, die euch ganz toll findet, was insbesondere auch die sonst so wahnsinnig kritischen Bloggerkollegen betrifft): Wer hätte denn noch ein Interesse daran, eine (Mais- oder Irgendwas-)Sorte zu erfinden, die vielleicht irgendwann das Hungerproblem löst, weil sie auch in der Wüste wächst, wenn er daraus keinen Profil schlagen könnte? Welcher Musiker kann denn nur von den Konzerteinnahmen leben? Von Autoren, anderen Künstlern und Softwareschreibern fange ich gar nicht erst an, denn die geben in der Regel nicht so viele Liveshows, über die sie ihr Geld kriegen können, wenn jeder ihren Kram kopieren darf. Informationelle Selbstbestimmung und der finstere Überwachungsstaat Orwell’schen Ausmaßes ist auch so ein Thema von Euch, das Euere Wähler wahnsinnig gut finden, während sie auf Myspace und Facebook darüber berichten, was sie gerade zu Abend gegessen haben und neue Bilder von der letzten Lan-Party hochladen. Wenn ich dann aber, wie heute Morgen bei heise.de noch lesen muss, dass Ihr zu den anderen Themen (im Grunde all das, das nichts mit Internet zu tun hat) gar keine Meinung haben wollt, dann frage ich mich schon, was diese ganze Nummer soll und ob man Euch eigentlich in irgendeiner Art und Weise ernst nehmen kann.

Es ist auch angekommen, dass Ihr eine Interessenpartei seid und dass Ihr so laut tösen müsst, damit man euch überhaupt wahrnimmt. Versteht mich bloß nicht falsch: Ich bin der Netzfreak schlechthin, aber Ihr seht halt nicht nur auf den ersten, sondern auch noch auf den dritten Blick wie ein paar populistische Spinner aus, die eigentlich keiner wählen kann, der ein bisschen reflektierter über Dinge nachdenkt als nur bis „ich will, dass der mich in Ruhe meine Mucke runterladen lässt, der böse Schäuble“. Ich erkläre Euch (und Eueren Apologeten) mal ganz kurz, wie Demokratie wirklich funktioniert, und es ist wirklich traurig, dass ich das tun muss: Da geht es darum, die beste Lösung für jung, alt, progressiv, konservativ, kurzum für Alle zu finden, einen Kompromiss, nicht darum, möglichst viele Punkte zu erzielen und dann allen anderen seinen Lebensentwurf, der ausschließlich an der eigenen Lebensrealität orientiert ist, einfach aufzudrücken. Und wenn Ihr jetzt mit dem Argument kommen wollt, dass Ihr ja bloß Opposition sein wollt, die problematische Verhältnisse mit starken Gegenpositionen aufzeigen will: Eine Utopistenpartei gibt es schon. Die träumt auch vor sich hin vom Wunderland, aber wenigstens in Bezug auf Dinge, die wirklich von etwas allgemeinerem Interesse sind.

Mast- und Schotbruch wünscht:
Käptn Raven III.


Briefing (XXI)

Lieber Billy Corgan,

mir reicht es. Ich habe die Schnauze endgültig voll von Dir. In der Vergangenheit habe ich Dir immer und immer wieder verziehen, egal welchen verdammten Bockmist Du angestellt hattest. Und das war nicht wenig: Du hast nicht nur Deine eigenen Fans immer und immer wieder auf Konzerten angeblafft, wenn sie  alte Klassiker hören wollten, Du hast nicht nur die Band Zwan gegründet und ein paar tolle Songs geschrieben, auf das zugehörige und höchst mittelmäßige Album „Mary Star Of The Sea“ aber nur seichte Sunshine-Pop-Tracks gepackt und danach die Band kurzerhand wieder aufgelöst, sondern auch noch im Anschluss nach gerade einmal fünf Jahren die Smashing Pumpkins „wiedervereinigt“, die angeblich für immer ruhen sollten. Allerdings waren nur Du und der Drummer Jimmy Chamberlin dabei, der auch schon das Zwan-Projekt mit Dir veranstaltete, die Anderen hatten verständlicherweise keine Lust darauf, das Erbe einer so tollen Band zu beschmutzen oder auch nur noch einmal mit Dir zu arbeiten. Deswegen hast Du Dir einfach zwei namenlose Statisten für die Band geholt, die bei Interviews gar nicht erst mit auftauchen durften. In der Hinsicht warst Du schlimmer als Axl Rose, Billy Corgan. Der hat zwar Guns N’ Roses inzwischen auch unter seiner Alleinherrschaft, aber sagt wenigstens offen, dass die Band heute ein loses Kollektiv aus guten Musikern ist.

Du hingegen gabst den gnadenlosen Diktator einer angeblich immer noch in Geist der Vergangenheit verwurzelten Band und veröffentlichtest ein höchst durchschnittliches, überzogen gitarrenlastiges und pseudo-cooles Rockalbum namens „Zeitgeist“, auf dem Du so gut wie alles selbst eingespielt und gemacht hattest, sogar die Hintergrundvocals. In manchen Songs hört man Dich mehrstimmig mit Dir selbst im Chor singen. Das Ganze warfst Du in sechs unterschiedlichen Versionen auf den Markt, mit jeweils anderen Bonustracks, so dass sich richtige Fans die Platte sechs mal kaufen mussten. Und wer das wirklich getan hat, bekam am Ende noch eins übergebraten, denn ein Jahr später gab es selbstverständlich eine Deluxe-Edition, auf der alle Bonustracks enthalten waren.

Aber ich habe trotz all diesem Mist weiter an Dich geglaubt, Billy. Daran, dass Du irgendwann wieder tolle und einzigartige Musik schreiben wirst, wie Du es in den 90ern am laufenden Band getan hast. Ich habe es sogar zu dem Zeitpunkt noch getan, als auch Jimmy Chamberlin, der einzige Dir verbliebene Freund aus der Original-Band, der bis dahin immer treu an Deiner Seite geblieben war, die Nase voll von Dir hatte und die Band verließ. Das war kurz nachdem Du einen Deiner besten Songs, den zynisch-sarkastischen Hit ‘Today’ für eine Werbekampagne verscherbelt hast, in der seine Bedeutung um 180 Grad gedreht wurde. In der Werbung für eine Kreditkartenfirma klingt es so, als wäre die Textzeile „today is the greatest day I’ve ever known“ wirklich so gemeint. Das war einfach nur ekelerregend, Billy. Jeder andere hätte Dich an diesem Punkt alleine sitzen lassen. Nicht ich. Ich blieb da.

Dass Du dann in den letzten Monaten immer wieder auf irgendwelchen Parties in Begleitung von jungen Pornodarstellerinnen und billigen Myspace-Bitches aufgetaucht bist, dass Dein neuer Manager der CEO von Ticketmaster ist, dass Du Dir ein scheißteueres Anwesen mit eigenem Strandabschnitt gekauft hast: Das alles habe ich Dir noch locker als exzentrisch-dekadenten Rock’n'Roll-Lifestyle durchgehen lassen. Aber dass Du jetzt, kurz nachdem sogar Jimmy die Nase von Dir voll hatte, auf die Idee kommst, nicht nur die Band ganz alleine weiterzuführen, sondern den Fans auch noch ein paar Videostreams vom Songwriting einer vielleicht irgendwann kommenden Platte als Subscription-Modell für 40$, die immer wieder bezahlt werden müssen, verkaufen willst, das setzt deinem unfassbar dummen und geldgierigen Verhalten die Krone auf. Jede andere Band veröffentlicht solche Sachen kostenlos. Guck Dir mal bitte Trent Reznor an. Der stellt regelmäßig ganze neue Alben und EPs der Nine Inch Nails unter CC-Lizenz ins Internet und verdient dennoch sein Geld, weil die Fans ihm aufgrund dieser Aktionen gerne haben und ihm daher auch gerne seine Musik abkaufen, selbst wenn sie es nicht müssen. Du aber willst 40$ für einen zwölfwochigen Zugang zu einer Internetseite, auf der ich jeden Tag einen Videoschnipsel davon sehen kann, wie Du mit Deinen neuen Statisten ein paar neue Songs schreibst, die höchstwahrscheinlich auch noch ziemlich mittelmäßig sind? Lächerlicher geht es wirklich nicht mehr.

Ich kann das nicht mehr mittragen und will mich nicht dafür schämen müssen, ein Fan von einer „Band“ zu sein, die permanent nur absolut hirnrissen Bullshit fabriziert. Ich bin dann mal weg, Billy.

Dein
Sebastian

PS: Falls Du entgegen aller Erwartungen doch irgendwann wieder mit richtig guter Musik um die Ecke kommst, dann sag Bescheid. Dann reden wir in Ruhe noch einmal über die Sache.


Briefing (XX)

Hey Christian von der Firma B.,

ich sollte ja heute wieder zu euch kommen zum Game-Testing. Ich habe es mir spotan anders überlegt, als ich schon auf dem Weg in den Stadtteil war, in dem Euere Firma residiert.

Lass mich das erklären: Als ich das erste Mal bei Euch war, war ich “nur” Student, nicht besonders selbstbewusst, neu in der Stadt, meine eigene Arbeit lief nicht zu meiner Zufriedenheit. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert: Ich bin zwar immer noch Student, bin aber in künstlerischer Hinsicht für meine Verhältnisse recht  erfolgreich, blogge regelmäßig, schreibe für zwei Magazine und arbeite nebenbei für eine Werbeagentur. Es klingt sogar in meinen eigenen Ohren zu großkotzig, aber ich habe dennoch das Gefühl, dass meine Meinung mehr wert ist als den Apple und das Ei, dass ich heute von Euch dafür bekommen hätte, um ein oder zwei Stunden meine (und soviel Selbstbewusstsein habe ich, das zu sagen) zweifellos guten Ideen abzugeben für ein Game, mit dem Ihr Tausende von Euros verdienen werdet. Du kennst mich nicht und kannst das daher wohl nicht verstehen, aber als ich zu dieser Erkenntnis kam, habe ich mich unweigerlich gefreut und bin mit einem Grinsen im Gesicht wieder nach Hause gefahren, denn ich habe in dem Moment  festgestellt, dass ich mich nicht unter Wert verkaufe und das ist doch etwas gutes, oder? Ich tue Dinge entweder kostenlos und aus Leidenschaft oder gegen richtige Bezahlung. Dazwischen ist nur in Ausnahmefällen und bei Menschen, die ich persönlich kenne  oder schätze Platz. Und das herauszufinden war es doch schon irgendwie wert, die halbe Strecke zu Euch zu fahren, oder?

Wenn ihr mal längerfristig einen Spieletester sucht oder das Ganze besser vergütet wird, dann können wir  gerne wieder darüber reden.

Bis dahin: Danke für die obige Einsicht.

Dein
Sebastian


Briefing (XIX)

Hey Canon,

das ist ja dieses mal schlechter als nur suboptimal gelaufen mit uns. Ich hatte mir in den letzten Wochen gedacht: Wenn ich schon so viel arbeite wie in letzter Zeit, dann gönne ich mir doch mal was richtig Teueres von meiner Lieblingsmarke und habe mir die neue EOS 50d bestellt, die auch promt per Expresslieferung eintraf (normalen Postsendungen vertraue ich aus gewissen Gründen ja nicht mehr wirklich). Die Kamera schien auf dem Papier perfekt für meine hohen Ansprüche: 15 Megapixel, optional ISO bis 12.800, 6 Bilder pro Sekunde und das bis zu 90 Aufnahmen in Folge. Ein echtes High-End-Monster von einer digitalen Spiegelreflex.

Als das Teil dann am Samstag ankam und ich erst am Abend ausführlicher Zeit hatte, mich damit zu beschäftigen, war ich auch noch total zufrieden: Knackscharfe Bilder mit dem eingebauten Blitz, Fokus extrem schnell, passte eigentlich alles. Aber am nächsten Tag, beim Outdoor-Test mit ISO400 und höher folgte dann schnell die Ernüchterung: Nicht, dass die Bilder schlecht ausgesehen hätten. Aber in der 100%-Ansicht zeigten sie doch alle Mini-Verwacklungen und/oder sahen recht weich aus, das Rauschen, das mich deutlich an Filmkorn erinnerte war zum Teil auch deutlicher als bei meiner inzwischen schon fast drei Jahre alten EOS 350d und zwar nicht erst bei hoher Lichtempfindlichkeit. Ich habe dann diverse Testbilder gemacht und festgestellt: Ja, das ist nicht nur eine subjektive Sache und nein, ich bin nicht plötzlich zu dumm zum Photographieren. Die Bilder von meiner alten Kamera, einfach hochskaliert auf 15 Megapixel sahen schlicht besser aus. Wozu dann aber so viel Geld ausgeben?

Drüben, im DSLR-Forum reichten die Aussagen in dem inzwischen auf mehr als 200 Beiträge angewachsenen, von mir zu dem Thema eröffneten Thread dann von „Was denn? Ist doch superscharf“ über „15 Megapixel verwackelt man halt leichter“ bis hin zu „die 50d braucht halt teuere Linsen“. Wie es halt so läuft mit technikbegeisterten Amateuren in Internetforen, die sich für Experten halten. Ob meine Objektive (die sich alle im preislichen Bereich von 500 Euro bewegen) nicht hochwertig genug für die Kamera waren, kann ich nicht sagen, es mag sogar wirklich stimmen, aber wenn ich ein Bild von meiner alten Kamera einfach auf die gleiche Größe bringen kann (noch dazu ohne irgendwelche Spezialsoftware, sondern einfach nur vergrößern) und das deutlich besser aussieht als das Bild von der neuen Kamera, dann investiere ich mein Geld doch erstmal lieber anderweitig und sehe ein, dass der Megapixelwahn auch seine Schattenseiten hat. Wenn ich wirklich die schweineteueren L-Ojektive brauche, um den Sensor der 50d gut zu versorgen, dann ist sie für meine Zwecke jedenfalls völlig unbrauchbar. Aber vielleicht war speziell das Exemplar das ich erwischte auch nur ein sogenanntes “Montagsmodell”. Ich werde es irgendwann rausfinden. Derweilen ist das gute Stück jedenfalls wieder bei dem Online-Anbieter von dem ich es gekauft hatte und das Geld wieder auf meinem Konto. Dort wird letzteres eigentlich auch dringend gebraucht und derjenige, der die Kamera statt meiner kauft, wird sicher viele Jahre seine Freude damit haben, denn nicht jeder guckt so extrem kritisch auf seine Bilder wie ich.

Ich bleib Dir natürlich trotzdem treu, kommt ja doch keine Andere an Dich ran. Wird schon irgendwann wieder was mit uns, so kameramäßig. Aber die 50d war es wohl nicht,

Dein Sebastian


Briefing (XVIII)

Sag mal, Chris Cornell,

was ist eigentlich los mit Dir, Mann? Du warst mal ein richtiger Rocker, vor allem aber ein genialer Songwriter, der mit Soundgarden und Temple Of The Dog zeitlose Klassiker wie ‘Black Hole Sun’ oder ‘Hunger Strike’ geschrieben hat, die heute noch immer wieder gerne von hunderten Menschen ausgegraben, gehört und gecovert werden. Als Soundgarden und die 90er dann zu Ende gingen, hast Du alleine weitergemacht und mit “Euphoria Morning” ein grandioses Soloalbum veröffentlicht, auf dem Du mit Gitarre zum Teil tieftaurige und intime, aber niemals schnulzige oder peinliche Songs gesungen hast. Das war der große Teil Deiner Karriere. Danach ging es mit dem Stadion-Rockern von Audioslave, die leider viel schlechter als die Summe ihrer Teile waren und einem weiteren, leider viel weniger brauchbaren Soloalbum etwas bergab, auch wenn zwischendurch immer wieder Dein zweifellos noch vorhandenes Talent aufblitzte.

Als dann aber das Angebot zu dem James-Bond-Song kam, den Du ziemlich vergeigt hast, scheinen bei Dir ein paar Sicherungen durchgebrannt, respektive so etwas wie eine Midlife-Crisis ausgebrochen zu sein. Oder vielleicht hast Du auch nur plötzlich wieder junge Mädchen und viel Geld bekommen und Gefallen daran gefunden. Eine andere Erklärung kann ich jedenfalls nicht dafür finden, dass Du Dir für Dein neues, drittes Album (“Scream” soll das Teil heissen) ausgerechnet den eigentlich ja sehr talentierten, nur in Bezug auf Dich doch völlig inkompatiblen, stylishen Produzenten Timbaland ins Boot geholt hast. Natürlich, es scheint ein bisschen wie ein Klischee, wenn ein eigentlich eher gitarrenfixierter Typ wie ich es schlecht findet, wenn ein Rocker zum hippen PopHipHop-Star mutiert. Aber, hey, ganz ehrlich: Ich war verdammt gespannt auf das Ergebnis der Zusammenarbeit. Ich hatte gedacht: Das könnte eigentlich richtig originell werden. Aber als ich dann aber den ersten, eher durchschnittlichen Pop-Song ‘Ground Zero’ zu Ohren bekam, wurde mir ganz leicht übel, denn der Track, der ein paar mit Beats imitierte Gitarren im Hintergrund hat, besteht im Grunde nur aus ein paar immer wieder wiederholten Zeilen, aus denen Du früher höchstens einen Refrain, nie aber einen ganzen Song gemacht hättest. Zum zweiten veröffentlichten Track, namentlich ein Stück namens ‘Part Of Me’ hast Du dann ein schmuckes Video gedreht, bei dem mir gänzlich schlecht wurde, denn darin sieht man Dich in einer richtig coolen Bar mit ganz vielen tanzenden Frauen. Du sitzt da im Anzug der Ecke und singst doch tatsächlich Zeug wie “That bitch ain’t a part of me”, während die vermeintliche Bitch mit dem Arsch wackelt. Sag mal, Chris, ist Dir eigentlich klar, dass Du ein alternder Rockstar bist und nicht der nächste 50 Cent? Das Zeug, dass Du gerade machst, wird sich vielleicht ja sogar verkaufen, ist hitverdächtig, klar. Aber ob Du von diesen Songs auch in zehn Jahren noch regelmässig Schecks bekommst, wie es bei den alten Soundgarden-Alben sicher der Fall ist? Ob die schnelle Kohle und die Coolness es wert sind, all die Leute endgültig vor den Kopf zu stossen, die Dich als ernsthaften Musiker schätzen und schon lange darauf hoffen, dass Du endlich mal wieder ein paar gute Songs schreibst? Denk mal drüber nach.

In Deinem eigenen Interesse kann ich eigentlich nur hoffen, dass Du damit übelst auf die Schnauze fällst, dass die jungen Leute Dich doch nicht so cool finden, wie Du Dich selbst. So, bitch, bist Du jedenfalls kein part of me mehr, da kann der olle Timbaland im Hintergrund so viele rhythmische „Uh-Ahs“ vor sich hinstöhnen wie er will, sondern wirkst eher ein bisschen wie David Hasselhoff in seinem letzten Video. Nur ohne die Selbstironie.

Dein
Sebastian


Briefing (XVII)

Liebe GEZ,

warum seid ihr eigentlich immer so kompliziert? Die Sache ist doch an sich ganz einfach: Ich bin kein Rundfunkteilnehmer, ihr kriegt von mir kein Geld und ich bin als Nicht-Rundfunkteilnehmer auch nicht verpflichtet, euch irgendwelche Auskünfte zu erteilen, weder schriftlich noch an Wohnungstür.

Wenn ihr mir dann einen euerer Gebührenfahnder nach Hause schickt, weil ich die Bettelbriefe grundsätzlich in die Rundablage (ironisch: Papierkorb) packe, und ich dem Herrn genau das mitteile, dieser den Sachverhalt aber von mir unterschrieben haben will, dann schicke ich ihn selbstverständlich ohne Unterschrift wieder seines Weges (denn, ich widerhole mich: Ich bin nicht auskunftspflichtig, so sagt es der Rundfunkstaatsvertrag) und ihr kriegt natürlich zusätzlich wieder einmal eine Beschwerdemail von mir. Wenn ihr dann aber behauptet, ich wäre im Falle eines Besuches doch auskunftspflichtig, falls „berechtigte Anhaltspunkte“ vorliegen, dass ich Rundfunkgeräte besitze und dass diese Anhaltspunkte eigentlich schon damit erfüllkt wären, dass „heute bereits jedes Kind im Alter von 6 Jahren im Haushalt der Eltern Radio und Fernsehen konsumiert“, dann komme ich mir etwas veräppelt vor, denn in diesem Falle wäre die ganze Anhaltspunkteklausel des RStV doch sowieso überflüssig, oder besucht ihr etwa auch Kinder unter 5 Jahren zu Hause und habt bei denen dann ausnahmsweise keinen Verdacht? Na ja, wie dem auch sei: Das nächste Mal gibt’s halt doch wieder direkt ein Hausverbot.

Und falls irgendwann, in einer weit entfernten, theoretischen Zukunft zufällig meine Kinder, egal ob unter oder über 6 Jahren die Tür öffnen sollten: Bei mir im Haushalt konsumieren die gar nix.

Euer
Sebastian


Briefing (XVI)

Dear Laura,

ich habe noch nie eine Arbeit gekündigt. Nein, wirklich: Alle meine Jobs habe ich bisher entweder so lange gemacht, bis die jeweilige Arbeit erledigt war, die Firma pleite ging oder ich aus sonstigen Gründen nicht mehr gebraucht wurde.

Warum erzähle ich Dir das? Nun, ich hatte mich vor ein paar Wochen auf eine Anzeige von Dir gemeldet, in der Du explizit eine “Schreibkraft” suchtest. Ich traf mich ein paar Tage später mit Dir am Bahnhof, traf eine etwas schrullige, aber doch zunächst sympathische alte Dame, die mir von ihrem Leben erzählte und von einem Sonderauftrag, der noch vor der Schreibsache zu erledigen wäre. Ich sollte Dich zu einem Gerichtstermin begleiten. Du wurdest angeblich um viele Tausend Euro betrogen und hattest den Verdacht, dass Dein Anwalt von der Gegenseite geschmiert würde, deswegen sollte ich als Zeuge mitkommen. Ich war zwar ein klein wenig irritiert, kam dann aber doch zu dem Termin. Noch mehr irritierte mich, dass Du dort eine zweite Person, ebenfalls Studentin, hinbestellt hattest, damit die Sache “noch genauer dokumentiert würde” und dass der Prozess eigentlich gar nicht öffentlich war, weshalb nicht nur die Richterin genervt davon war, dass Du uns dorthin hingeschleppt hattest. Darüber, wie Du vor Gericht ausgeflippt bist und Sachen gesagt hast, die gar nichts mit dem Prozess zu tun haben, will ich gar nicht anfangen, es begreift einfach nicht jeder eine juristisch komplizierte Verhandlung, die auch noch mit Insolvenzrecht zu tun hat. Dass Du mich aber anschließend mit zu Dir nahmst, um weitere Tätigkeiten zu erledigen, die im Grunde nur aus Einkaufen und Staubsaugen bestanden, machte mich ein bisschen ärgerlich, denn als Haushälterin hatte ich mich ja nun nicht beworben. In Deiner großzügigen Art gabst Du mir dann am Ende 30 Euro für die 5 Stunden, die ich ohne An- und Abfahrt für Dich unterwegs gewesen war, obwohl wir einen Stundenlohn von 10 Euro vereinbart hatten.

Nun, eigentlich kam ich schon an diesem Tage zu dem Schluss, dass die ganze Sache ein Fehler wäre, aber wie der Mensch so ist, vergaß ich in der Folge die negativen Dinge und ging daher, nach einer Woche, wieder ans Telefon als Du anriefst. Dieses Mal warst Du Dir ganz sicher, dass inzwischen auch die Richterin in die Verschwörung gegen Dich involviert wäre, Du lachtest ziemlich irre, als ich meinte, dass ich mir das nicht vorstellen könne und wolltest mich nicht nur erneut zu dem Prozess schicken, diesesmal gar alleine, sondern hattest außerdem die Idee, dass ich ja Deinen Prozessgegner beobachten oder per Internet ausspionieren könnte, “wie ein Privatdetektiv”. Anschließend könne ich ja noch Deine Wohnung putzen. Du musst verstehen, dass ich weder in die kleine Welt Deiner Wahnvorstellungen hineingezogen werden will noch irgendetwas putzen, und dass es mich außerdem wirklich rasend macht, wenn ich bemerken muss, dass Du bereits eine neue Anzeige aufgegeben hast, in der Du, wer hätte es gedacht, wieder eine “Schreibkraft” suchst, diesesmal aber für 8 Euro pro Stunde (natürlich bezahlst Du in Wahrheit noch weniger), weil Du offenbar schon gemerkt hattest, dass mir manche (alle) der Aufgaben unangenehm sind. Ich frage mich, der wievielte Mensch ich bereits bin, der sich auf diese Anzeige gemeldet hat.

Wie dem auch sei: Ich muss leider zu dem Schluss kommen, dass mich der Job bei Dir psychisch belastet (man weiß leider nie, auf welche verrückten Ideen Du als nächstes kommst), dass er mir in Zuge meiner beruflichen Weiterentwicklung gar nichts bringt (“Einkaufen für eine paranoide alte Frau” passt nicht wirklich in meinen Lebenslauf) und noch nicht einmal finanziell lohnenswert ist. Nimm daher bitte hiermit meine Kündigung zur Kenntnis.

Sebastian

PS: Ich bin mir eigentlich fast sicher, dass Du jetzt zu dem Schluss kommen wirst, auch ich würde auch von der Gegenseite Deines Prozess bezahlt, denn dass ich nicht für Dich für Dich arbeiten will wegen Dir als Person: Das kann ja gar nicht sein. Oder?


Briefing (XV)

Lieber Will Smith,

versteh mich bitte nicht falsch: Ich mag die Filme in denen Du mitspielst eigentlich ganz gerne. Sie sind unterhaltsam, actionreich, oft mit sehenswerten Bildern unterfüttert, sie sind simples aber auf seine Art liebenswertes Popcorn-Kino und ich sehe sie mir gerne des Nachts an, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin und einfach nur abschalten will. Aber aus irgend einem Grunde hatte ich von dem Anti-Superhelden-Film “Hancock” mehr erwartet. Ich hatte gedacht, dass das Deine Paraderolle wäre, dass Du in dem Film nicht nur, wie man so oft liest, Dich im Grunde nur selbst spielst, sondern der Figur Leben einhauchst, gerade deswegen weil Dir die Rolle so steht. Genau das aber ist nicht der Fall. Allein die Eröffnungsszene, in der Du mit einem Hangover auf einer Parkbank erwachst, eine Verfolgungsjagd im Fernsehen beobachtest, einer Frau an den Po grabschen willst, könnte wirklich grandios sein, wenn Du sie nicht so hölzern mit Leben, oder besser mit bloßen Stereotypien und reinem Nichts, füllen würdest. Leider wird das auch im restlichen Film nicht besser, sondern es ist eher das Gegenteil der Fall: Du spielst nicht, Du bist einfach nur da. Typisch für Dein Engagement in dem ganzen Film ist wohl die Szene in der Bar, in der Deine Rolle in der Ecke sitzt, während im Fernsehen über sie berichtet wird und die alte Frau Dich ansieht, Du aber einfach stur weiter so lässig und cool rumhängst wie zuvor. Du bist in dem Film eine tragende Hauptrolle, die wie eine kleine Nebenfigur agiert und spielt. Und jetzt erzähl mir nicht, dass die Figur eben so angelegt war. Ein Typ wie Du hat sicherlich maximale kreative Freiheiten in der Ausgestaltung seiner Rollen, besonders dann, wenn Du, wie in diesem Fall, der einzige Star in einem Film bist und das Projekt im Grunde alleine trägst. Statt wie erwartet in der Rolle Deines Lebens warst Du in der traurigsten Verfassung, in der ich Dich je gesehen habe.

Ich will ja nicht ungerecht sein: Es ist sicher nicht Deine alleinige Schuld, dass “Hancock” trotz der ursprünglich guten Idee ein katastrophal schlechter Film geworden ist: Das Drehbuch ist mies, der Plot absolut vorhersehbar, die Dialoge langweilig, der Humor, den der Film dringend gebraucht hätte, ist schlicht und einfach nicht vorhanden, selbst sehenswerte Actionszenen fehlen völlig und leider werden auch die wenigen Ansatzpunkte für Tiefgang nur mit zwei bis drei pathetischen Worten und ein paar plätschernden Geigensamples abgehandelt, aber Du trägst sicher einen Großteil dazu bei, dass man als halbwegs intelligenter Zuschauer schon nach ein paar Minuten das Interesse an “Hancock” verliert und das nächste Mal lieber in einen Superheldenfilm geht, bei dem man vorher weiß, was man bekommt, weil die Hauptfigur bereits bekannt ist. So wird der auch Flop von “Hancock”, der nach diesem kollektiven Versagen absehbar hätte sein müssen, sicher alles andere als dazu beitragen, dass neue, innovative Konzepte in Zukunft realisiert werden, was Dich indirekt auch dafür veranwortlich macht, dass X eigentlich gute Filmideen niemals das schummerige Kinodunkel erblicken werden.

Ach, Will, Du wirst sicher weiterhin einer der höchstbezahlten Schauspieler Hollywoods bleiben und wir werden uns wohl noch oft begegnen, schließlich drehst Du derzeit jedes Jahr mindestens einen dieser Filme, die ich mir weiterhin ansehen werde, aber wirklich davon überzeugen, dass Du Deinen Beruf beherrschst, konntest Du mich heute wieder einmal nicht. Vielleicht hättest Du Dir nochmal ansehen sollen, wie Bruce Willis (ja, ausgerechnet der) in “Unbreakable” absolut überzeugend all das rüberbringt, was Dir in “Hancock” an allen Ecken und Enden fehlt.

Dein Sebastian.


Briefing (XIV)

Ich schreibe keine Abschiedsbriefe mehr, weil das Wort “Abschied” keinen Sinn hat, solange die betreffende Person nicht stirbt öder völlig von der Welt verschwindet. Ich meine, wir leben im Zeitalter von permanenter, digitaler Erreichbarkeit, oder? Ich kann Leute, die ich seit Jahren nichtmehr gesehen habe, jederzeit kontaktieren, wenn ich ihre Mailadresse habe. Wenn ich sie nicht habe, hilft in der Regel Google. Und wenn auch das nicht hilft, sind mindestens zehn andere Leute online, die wissen, wie man den Menschen erreicht, den man erreichen will. Ein Abschiedsbrief würde also nur Sinn machen, wenn ich sicher wüsste, dass ich den Menschen, dem ich diesen Brief schreibe, sicherlich nie wieder von mir aus kontaktieren würde und gleichzeitig sicher wäre, dass er mich nicht wieder kontaktiert und beides zugleich kann ich bei niemandem, dem ich kenne oder einmal kannte, ausschließen, wenn man von der einen Person absieht, die unter die im ersten Satz genannte Option fällt.

Was also schreibe ich dann? Einen „bis-dann“-Brief, wahrscheinlich. In drei Wochen ziehen wir hier weg. Unsere Wohnung ist wirklich schön. Liegt relativ zentral, ruhige, unspektakuläre Gegend. Wenn man von dort die paar Schritte zur U-Bahn-Station läuft, muss man eine Brücke über die Elbe überqueren, an der es ständig nach Kaffee riecht, weil in der Nähe eine Tschibo-Rösterei ist. Hamburg Hamm, einer der gefürchteten Ost-Stadtteile, wenn auch der bei weitem harmloseste. Ich habe Angst, wegzuziehen. Mein ganzer Freundeskreis, der bei weitem nicht so klein ist, wie man glauben würde, befindet sich in Bayern, in einem Radius von wahrscheinlich 200 Kilometern. Ich bin 26 Jahre alt und habe keine Berufserfahrung, dafür aber einen Haufen Schulden, die sich im Laufe meines Studiums angesammelt haben. Ich habe ein paar rudimentäre Talente, nicht wirklich in der Hinsicht ausgeprägt, dass man sie kommerziell nutzen könnte. Ich kann ganz gut photographieren, ein paar Grafikprogramme gut bedienen, ich habe im Laufe der Zeit einen eigenen Schreibstil entwickelt, ich bin in der Lage, zu beurteilen und schlüssig zu begründen, ob ein Film, ein Musikstück oder ein Buch brauchbar ist und wo es auf einer Skala von eins bis zehn Punkten anzusiedeln ist, aber ich habe keines dieser Talente so weiterentwickelt, dass man ich es auch beruflich nutzen könnte, wenn man von diversen kleineren Jobs absieht. Es gibt vermutlich Tonnen von Menschen, die das, was ich mache, ebenfalls können und zusätzlich in der Lage sind, Deadlines einzuhalten, die äußere Form zu wahren, ihren Stil konsequent und ohne Experimente weiterzuverfolgen und sich zu verkaufen. Das alles kann ich nicht. Es ist nicht so, dass ich es nicht versucht hätte, ganz im Gegenteil. Nur leider bin ich weder einer von diesen offensiven, grinsenden Gebrauchtwagenverkäufertypen noch einer von diesen überkorrekten, archkriechenden Strebern im Anzug. Ich bin introvertiert. Künstler. Ob das reicht, um einen Job zu finden?

Ich schweife ab. Thema dieses Briefes, der von einem Brief an eine spezielle Person zu einer Art offenem Brief geworden ist, ist die Tatsache, dass ich zum ersten Mal in diesem Leben für mehr als nur eine handvoll Monate die Orte verlasse, an denen ich die Menschen, die für mich von Bedeutung sind und meine Erinnerungen befinden. Ich bin im Grunde von diesen Dingen abhängig, auch wenn ich zur Einsiedlei neige. Ich mag es, so paradox das klingen mag, am liebsten, wenn ich zu drei Parties eingeladen werden, die direkt in der Nachbarschaft stattfinden und ich dann absagen kann, um zu Hause vor dem Computer zu sitzen. Es ist eher die Möglichkeit von Geselligkeit, die mich anspricht als die reale Ausübung derselben. Das wird in meiner neuen Heimatstadt, die von Millionen von Menschen bevölkert wird, sicherlich nicht so einfach sein. Menschen neu kennen zu lernen bedeutet immer auch, dass man viel Zeit mit ihnen verbringen muss. Wer drei mal absagt, gehört schon zur Vergangenheit. Aber was auch immer dort auf mich wartet, wo ich hingehe: Ich muss weg von hier. Ich muss es aus zwei Gründen tun: Der erste Grund ist der, dass es meine letzte Chance ist, den drohenden Bürgertum zu entkommen. Ich weiß, wie melodramatisch sich das anhört, aber es ist die blanke Wahrheit. Ich würde es später nicht mehr schaffen. Wenn ich erst mit dem Studium fertig bin, würde ich mitten in der bayerischen Provinz einen Job anfangen, den ich hassen würde und in dem ich von inkompetenten Menschen umgeben wäre, die mich ankotzen und würde trotzdem weiter und weiter manchen, bis ich irgendwann alt und verbittert wäre. Ich würde vielleicht irgendeine Frau kennenlernen und heiraten, ein paar Kinder zeugen und irgendwann feststellen, dass mein Leben genau zu dem geworden ist, was ich immer als schlimmsten Alptraum (ja, mit P, verdammt) im Kopf hatte. Provinziell und spießbürgerlich. Und zu weit weg von Meer. Der zweite Grund, der mich dazu zwingt, von hier wegzuziehen, ist ein wunderschönes Mädchen, das einen Vornamen trägt, der aus dem friesischen stammt und „kleiner Schwan“ bedeutet. Ich liebe dieses Mädchen schon fast seit dem Abend, an dem ich es kennenlernte, auch wenn ich nie zugeben würde.

Und weil das hier kein Abschiedsbrief ist, werde ich auch keine Abschiedsformeln finden. Und ich werde auch niemanden, nicht einmal in unpersönlicher Form, direkt adressieren. Die Menschen, die mich kennen, die Menschen die ich kannte und die Menschen, die ich leider nie so kennengelernt habe, wie ich es wollte (das dauert bei mir immer Jahre) werden wissen, dass dieser offene Brief an sie gerichtet ist. Dieser Brief ist an jeden gerichtet, der sich von ihm angesprochen fühlt. Und falls jemand von diesen Menschen irgendwann vorhatte, sowieso mal Hamburg anzugucken oder Urlaub in der Nähe zu machen, ist er hiermit herzlich eingeladen, mir zu schreiben und unsere Couch als Schlafplatz zu nutzen. Man könnte zusammen auf der Reeperbahn ein paar Bierchen trinken, im Hafen rumhängen oder irgendein Konzert besuchen und über Bayreuth plaudern. Oder diese hinterwäldlerische, dunkelfunzlige Gegend namens Oberpfalz. Ich nehm den ganzen Kram jedenfalls mit. Innenseitig.


Briefing (XIII)

Ach ja, bei Ihnen, Herr W.,

wollte ich mich noch einmal explizit bedanken. Dafür, dass sie uns über 600 Kilometer weit fahren haben lassen in dem Glauben, dass wir die Wohnung schon so gut wie sicher hätten, die sie zu vermieten hatten und die uns ganz gut gefiel. Wir hatten uns sehr gefreut, als sich herausstellte, dass wir die allerersten Bewerber waren und waren bester Dinge, als wir auch gleich einen Besichtigungstermin bekamen. Es kam uns zwar etwas spanisch vor, dass Sie wollten, dass wir ihnen eine e-Mail schicken, in der wir ausführlich etwas über uns erzählen, aber was tut man nicht alles für einen schrulligen alten Mann, der das Glück hat, in einem guten Viertel in Hamburg eine Wohnung zu besitzen. Ein bisschen schockiert waren wir dann allerdings, als wir zu unserer Besichtigung ankamen und feststellen musste, dass Sie plötzlich, ohne ein Wort davon zu sagen, eine öffentliche Besichtigung daraus gemacht hatten. Mehr als zwanzig Parteien waren dort auf einmal anwesend. Nein, Herr W., das war nicht wirklich schön, vor allem nicht, weil Sie am Telefon großspurige Versprechungen wie „wer zuerst kommt, malt zuerst und sie waren ja die Ersten“ gemacht hatten.

Da saßen sie dann mit ihrer Brille wie ein Stasi-Offizier in der Küche ihrer etwas abgeranzten Wohnung im fünften Stock, die trotz ihrer Mängel immer noch zu dem Besten gehörte, dass wir an diesem Wochenende besichtigt hatten und baten selbstherrlich in der Reihenfolge des Erscheinens zur Besichtigung alle Parteien zum jeweils viertelstündigen Verhör am Küchentisch, während der Rest draußen im Flur warten musste. Schon äußerlich erschienen Sie mir wie der Prototyp des kafka’schen Bürokraten und ihre ganze Art zu reden und die Leute von oben herab zu behandeln war mir derart zuwider, dass ich am liebsten schon in dieser Situation, obwohl wir ja noch gar nicht „an der Reihe waren“, reingekommen wäre, Ihnen eine runtergehauen und Ihnen gesagt hätte, wo sie Ihre Wohnung hinstecken können. Aber wir waren ja verzweifelt. Es ist so verdammt schwierig, eine gute Wohnung in Hamburg zu finden. Am Besten gefiel mir das Vorzeigepaar, dass vor uns zu Ihnen musste. Die beiden, (Sie: Vollblutblondine, Er: Schwiegermutter’s Liebling), machten riesiges Grinsen zum bösen Spiel. Was ich vom Flur aus mitbekommen hatte, war, wie Sie erklärte: „Wir werden heiraten“ und er kurz darauf eine Kopie seines Arbeitsvertrages hervorzog, um sein regelmäßiges Einkommen zu beweisen. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und sie hätte mit „Ich bin schwanger!“ ein weiteres Ass aus dem Ärmel gezogen und er wäre auf die Knie gefallen und hätte angefangen, Sie oral zu befriedigen, Herr W. Aber vermutlich stehen sie genau auf den Typ Mensch. Klar, dass wir beiden Studenten, erste Kandidaten für die Wohnung und Bürgschaft beider Elternteile hin oder her, dagegen keine Chance mehr hatten. Die Mail, die ich Ihnen über uns beide geschrieben hatte, hatten sie ausgedruckt dabei, mit selbsteingefügten Anmerkungen in roter Farbe. Viele Fragen hatten sie dann an uns im Gegensatz zu allen anderen keine mehr, vermutlich hatten sie uns schon im Kopf fett durchgestrichen.

Irgendwie, Herr W., bin ich ja doch, wie am Anfang der Mail schon angedeutet, ganz dankbar, dass sie nicht angerufen haben. Denn Sie sind mit Abstand einer der unsympathischsten Menschen, denen ich seit langer, langer Zeit begegnet bin, und das liegt wirklich nicht daran, dass sie uns eine Wohnung nicht gegeben haben (wir haben an dem Wochenende so viele nette Leute kennengelernt und nette Absagen kassiert). Jemanden wie Sie als Vermieter zu haben, wäre auch nicht wirklich witzig. Aber die Wohnung hätte uns echt gefallen und wenn ich an die riesige Enttäuschung zurückdenke, die ich und meine Freundin direkt nach der Besichtigung empfanden, dann glaube ich, dass ich doch noch in irgendeiner persönlicheren Form meinen Dank zum Ausdruck bringen muss. Ich werde gleich mal nachsehen, ob ich Ihre Adresse noch gespeichert habe…

Auf diesem Weg beste Wünsche aus Bayreuth,
Ihr Sebastian B.


Briefing (XII)

Lieber ETA Hoffmann,

Es mag ja stimmen, dass Du einer der ganz Großen der Literaturgeschichte warst, viel besser als Dein amerikanisches Pendant Poe in jedem Fall, aber jetzt mal ehrlich: Die Räuber und Pistolen-Geschichte „Ignaz Denner“ aus den „Nachtstücken“ ist doch eher ein schnell hingekritzeltes Stück triviales Füllmaterial, nicht? Ja, natürlich, die Geschichte besteht aus zwei Teilen, ein hinterhergeschobenes Dokument zeigt dem Leser noch mal den Unterschied zwischen einer aus subjektiver Figurenperspektive erzählten Geschichte und einer nur aus Akten überlieferten, die Geschichte hat hier und dort recht plötzliche und überraschende Wendungen („Du rettest den Vater Deines Weibes!” [„Ich bin Dein Schwiegervater, Luke!“]) und mancher mag sie sogar für spannend halten, aber im Vergleich mit dem, was Du sonst so geschrieben hast, im Vergleich mit dem genial in sich verschachtelten „Sandmann“, der sich gänzlich in der Unentscheidbarkeit von Fiktion und Realität verliert, im Vergleich mit der grandiosen Detektiv- und Künstlergeschichte „Das Fräulein von Scuderi“ oder dem Glanzstück romantischer Selbstreferentialität, dem „Goldnen Topf“, ist „Ignaz Denner“ wohl doch nur ein kleines, linear verlaufendes Geschichtchen mit ein paar billigen Schock- und Mystery-Elementen, die nie mehr als schlichte Effekthascherei sind. Und wenn manche behaupten, dass die Tatsache, dass der zentrale Mord in „Ignaz Denner“ am Ende nicht aufgeklärt wird, der eigentlich geniale Twist der Geschichte ist, den man leicht überliest, so möchte ich hingegen vermuten, dass Du, Ernst Theodor, ihn wie die meisten Leser für den Ausgang der Geschichte vermutlich einfach nicht für bedeutend hieltst. Es sei Dir verziehen. „Ignaz Denner“ bekommt von mir 5 von 10 Punkten.

Dein Sebastian.

P.S.: Und damit Du mir nicht am Ende Unvollständigkeit hinsichtlich der Interpretation vorwirfst: Natürlich zeigt Deine Geschichte um Andreas, Giorgina und Ignaz Denner selbst den Wandel des Justiz- und Strafsystems um 1800 in Bezug auf Folter, Verhör und Hinrichtung. Aber sie bildet eben jenen Wandel schlicht literarisch eins zu eins ab, ohne irgendwelche sonst von Dir durchaus benutzten Brüche oder geschicktere Formen der Adaption anzuwenden. Ein eigener Ansatz ist also leider auch in diskursanalytischer Hinsicht nicht zu erkennen.


Briefing (XI)

Liebes Mädchen aus dem Internet, das meine neue Stalkerin werden zu wollen scheint,

bitte hör’ endlich damit auf, mir eMails und Nachrichten zu schreiben, die Titel tragen wie „geteilter Schmerz“. Ich bin kein beschissener Emo, sondern das genaue Gegenteil davon, das hast Du aber anscheinend grundlegend missverstanden. Ich weiß ehrlich gesagt nichteinmal, wie Du auf meine Seite in der billigen Web 2.0-Absteige kamst, in der ich Dir auffiel und woher Du meine eMail-Adresse bekommen hast, und, um völlig offen zu sein, interessiert es mich auch nicht. Und dass Du traurig darüber bist, versehentlich die zwei für Dich so „bedeutsamen“ Zeilen gelöscht zu haben, die ich Dir als Antwort auf Deine erste Nachricht geschickt hatte, zeigt doch nur wie fern wir uns sind, denn Ich selbst habe alle Deine ellenlangen Nachrichten ohne zu zögern entsorgt, nachdem ich sie nur flüchtig überflogen und als bedeutungslos eingeordnet habe. Es braucht ein bisschen mehr, um mich zu beeindrucken. Aber versteh’ das jetzt bitte nicht als Aufforderung miß, mir weiter zu schreiben, denn Du hast nichts von dem, was ich in den Menschen suche, mit denen ich kommuniziere* und ich werde auch in Zukunft alles ignorieren, was Du mir zukommen lässt, sei es noch so pathetisch.

Ein schönes Leben noch,
Sebastian

*zb. Kreativität, Intelligenz, Geschmack, Stil.