Briefing (XIII)

Ach ja, bei Ihnen, Herr W.,

wollte ich mich noch einmal explizit bedanken. Dafür, dass sie uns über 600 Kilometer weit fahren haben lassen in dem Glauben, dass wir die Wohnung schon so gut wie sicher hätten, die sie zu vermieten hatten und die uns ganz gut gefiel. Wir hatten uns sehr gefreut, als sich herausstellte, dass wir die allerersten Bewerber waren und waren bester Dinge, als wir auch gleich einen Besichtigungstermin bekamen. Es kam uns zwar etwas spanisch vor, dass Sie wollten, dass wir ihnen eine e-Mail schicken, in der wir ausführlich etwas über uns erzählen, aber was tut man nicht alles für einen schrulligen alten Mann, der das Glück hat, in einem guten Viertel in Hamburg eine Wohnung zu besitzen. Ein bisschen schockiert waren wir dann allerdings, als wir zu unserer Besichtigung ankamen und feststellen musste, dass Sie plötzlich, ohne ein Wort davon zu sagen, eine öffentliche Besichtigung daraus gemacht hatten. Mehr als zwanzig Parteien waren dort auf einmal anwesend. Nein, Herr W., das war nicht wirklich schön, vor allem nicht, weil Sie am Telefon großspurige Versprechungen wie „wer zuerst kommt, malt zuerst und sie waren ja die Ersten“ gemacht hatten.

Da saßen sie dann mit ihrer Brille wie ein Stasi-Offizier in der Küche ihrer etwas abgeranzten Wohnung im fünften Stock, die trotz ihrer Mängel immer noch zu dem Besten gehörte, dass wir an diesem Wochenende besichtigt hatten und baten selbstherrlich in der Reihenfolge des Erscheinens zur Besichtigung alle Parteien zum jeweils viertelstündigen Verhör am Küchentisch, während der Rest draußen im Flur warten musste. Schon äußerlich erschienen Sie mir wie der Prototyp des kafka’schen Bürokraten und ihre ganze Art zu reden und die Leute von oben herab zu behandeln war mir derart zuwider, dass ich am liebsten schon in dieser Situation, obwohl wir ja noch gar nicht „an der Reihe waren“, reingekommen wäre, Ihnen eine runtergehauen und Ihnen gesagt hätte, wo sie Ihre Wohnung hinstecken können. Aber wir waren ja verzweifelt. Es ist so verdammt schwierig, eine gute Wohnung in Hamburg zu finden. Am Besten gefiel mir das Vorzeigepaar, dass vor uns zu Ihnen musste. Die beiden, (Sie: Vollblutblondine, Er: Schwiegermutter’s Liebling), machten riesiges Grinsen zum bösen Spiel. Was ich vom Flur aus mitbekommen hatte, war, wie Sie erklärte: „Wir werden heiraten“ und er kurz darauf eine Kopie seines Arbeitsvertrages hervorzog, um sein regelmäßiges Einkommen zu beweisen. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und sie hätte mit „Ich bin schwanger!“ ein weiteres Ass aus dem Ärmel gezogen und er wäre auf die Knie gefallen und hätte angefangen, Sie oral zu befriedigen, Herr W. Aber vermutlich stehen sie genau auf den Typ Mensch. Klar, dass wir beiden Studenten, erste Kandidaten für die Wohnung und Bürgschaft beider Elternteile hin oder her, dagegen keine Chance mehr hatten. Die Mail, die ich Ihnen über uns beide geschrieben hatte, hatten sie ausgedruckt dabei, mit selbsteingefügten Anmerkungen in roter Farbe. Viele Fragen hatten sie dann an uns im Gegensatz zu allen anderen keine mehr, vermutlich hatten sie uns schon im Kopf fett durchgestrichen.

Irgendwie, Herr W., bin ich ja doch, wie am Anfang der Mail schon angedeutet, ganz dankbar, dass sie nicht angerufen haben. Denn Sie sind mit Abstand einer der unsympathischsten Menschen, denen ich seit langer, langer Zeit begegnet bin, und das liegt wirklich nicht daran, dass sie uns eine Wohnung nicht gegeben haben (wir haben an dem Wochenende so viele nette Leute kennengelernt und nette Absagen kassiert). Jemanden wie Sie als Vermieter zu haben, wäre auch nicht wirklich witzig. Aber die Wohnung hätte uns echt gefallen und wenn ich an die riesige Enttäuschung zurückdenke, die ich und meine Freundin direkt nach der Besichtigung empfanden, dann glaube ich, dass ich doch noch in irgendeiner persönlicheren Form meinen Dank zum Ausdruck bringen muss. Ich werde gleich mal nachsehen, ob ich Ihre Adresse noch gespeichert habe…

Auf diesem Weg beste Wünsche aus Bayreuth,
Ihr Sebastian B.