Briefing (XVIII)
Sag mal, Chris Cornell,
was ist eigentlich los mit Dir, Mann? Du warst mal ein richtiger Rocker, vor allem aber ein genialer Songwriter, der mit Soundgarden und Temple Of The Dog zeitlose Klassiker wie ‘Black Hole Sun’ oder ‘Hunger Strike’ geschrieben hat, die heute noch immer wieder gerne von hunderten Menschen ausgegraben, gehört und gecovert werden. Als Soundgarden und die 90er dann zu Ende gingen, hast Du alleine weitergemacht und mit “Euphoria Morning” ein grandioses Soloalbum veröffentlicht, auf dem Du mit Gitarre zum Teil tieftaurige und intime, aber niemals schnulzige oder peinliche Songs gesungen hast. Das war der große Teil Deiner Karriere. Danach ging es mit dem Stadion-Rockern von Audioslave, die leider viel schlechter als die Summe ihrer Teile waren und einem weiteren, leider viel weniger brauchbaren Soloalbum etwas bergab, auch wenn zwischendurch immer wieder Dein zweifellos noch vorhandenes Talent aufblitzte.
Als dann aber das Angebot zu dem James-Bond-Song kam, den Du ziemlich vergeigt hast, scheinen bei Dir ein paar Sicherungen durchgebrannt, respektive so etwas wie eine Midlife-Crisis ausgebrochen zu sein. Oder vielleicht hast Du auch nur plötzlich wieder junge Mädchen und viel Geld bekommen und Gefallen daran gefunden. Eine andere Erklärung kann ich jedenfalls nicht dafür finden, dass Du Dir für Dein neues, drittes Album (“Scream” soll das Teil heissen) ausgerechnet den eigentlich ja sehr talentierten, nur in Bezug auf Dich doch völlig inkompatiblen, stylishen Produzenten Timbaland ins Boot geholt hast. Natürlich, es scheint ein bisschen wie ein Klischee, wenn ein eigentlich eher gitarrenfixierter Typ wie ich es schlecht findet, wenn ein Rocker zum hippen PopHipHop-Star mutiert. Aber, hey, ganz ehrlich: Ich war verdammt gespannt auf das Ergebnis der Zusammenarbeit. Ich hatte gedacht: Das könnte eigentlich richtig originell werden. Aber als ich dann aber den ersten, eher durchschnittlichen Pop-Song ‘Ground Zero’ zu Ohren bekam, wurde mir ganz leicht übel, denn der Track, der ein paar mit Beats imitierte Gitarren im Hintergrund hat, besteht im Grunde nur aus ein paar immer wieder wiederholten Zeilen, aus denen Du früher höchstens einen Refrain, nie aber einen ganzen Song gemacht hättest. Zum zweiten veröffentlichten Track, namentlich ein Stück namens ‘Part Of Me’ hast Du dann ein schmuckes Video gedreht, bei dem mir gänzlich schlecht wurde, denn darin sieht man Dich in einer richtig coolen Bar mit ganz vielen tanzenden Frauen. Du sitzt da im Anzug der Ecke und singst doch tatsächlich Zeug wie “That bitch ain’t a part of me”, während die vermeintliche Bitch mit dem Arsch wackelt. Sag mal, Chris, ist Dir eigentlich klar, dass Du ein alternder Rockstar bist und nicht der nächste 50 Cent? Das Zeug, dass Du gerade machst, wird sich vielleicht ja sogar verkaufen, ist hitverdächtig, klar. Aber ob Du von diesen Songs auch in zehn Jahren noch regelmässig Schecks bekommst, wie es bei den alten Soundgarden-Alben sicher der Fall ist? Ob die schnelle Kohle und die Coolness es wert sind, all die Leute endgültig vor den Kopf zu stossen, die Dich als ernsthaften Musiker schätzen und schon lange darauf hoffen, dass Du endlich mal wieder ein paar gute Songs schreibst? Denk mal drüber nach.
In Deinem eigenen Interesse kann ich eigentlich nur hoffen, dass Du damit übelst auf die Schnauze fällst, dass die jungen Leute Dich doch nicht so cool finden, wie Du Dich selbst. So, bitch, bist Du jedenfalls kein part of me mehr, da kann der olle Timbaland im Hintergrund so viele rhythmische „Uh-Ahs“ vor sich hinstöhnen wie er will, sondern wirkst eher ein bisschen wie David Hasselhoff in seinem letzten Video. Nur ohne die Selbstironie.
Dein
Sebastian