Shortreviews (X)

Deathspell Omega – „Drought“ (Musik:EP; 2012)

Seit vierzehn Jahren ist recht wenig bekannt über eine der herausfordernsten Bands im aktuellen Musikzirkus: Interviews gibt es wenige, Liveshows sowieso nicht, eine offizielle Webpräsenz bertreiben die drei Franzosen von Deathspell Omega auch nicht. Stattdessen: Immer und immer wieder grandiose Alben aus dem Großbereich Progressive Black Metal, die sich teilweise recht stark voneinander unterscheiden, jedes Mal aber auf einem Qualitätslevel sind, das andere Bands aus dem Genre auf die nachfolgenden Ränge verweist. Die EP „Drought“ mit sechs Songs und 21 Minuten Spielzeit bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme, fräst sich mit chaotisch-verschachtelten und atonalen Kompositionen in die Gehörgänge und tönt dennoch streckenweise gänzlich anders als der bisherige Output. Man darf mit Fug und Recht behaupten, dass diese EP das neben dem letzten Langspieler „Paracletus“ bisher vielseitigste, aufgrund der verminderten Geschwindigkeit der Darbietung und der Kürze der Stücke (anders als sonst schreibt die Band hier überwiegend Tracks im Bereich drei oder vier statt zwanzig Minuten) aber gleichzeitig zugänglichste Werk der Avantgarde-Metaller ist. Auf derart hohem Niveau agieren derzeit nur ganz wenige Bands. 9/10

Benjamin Maack – „Monster“ (Buch; 2012)

Eine tote Eule im Kofferraum, ein altes Modellschiff, Masturbation und Schuldgefühle in der Badewanne, in die Luft geworfene Steine, die auf die Protagonisten herunterregnen: Die Geschichten in Benjamin Maacks zweiten Erzählband „Monster“ haben nur nicht skurrilen Humor, sondern immer auch Tiefgang und stellen die ganz großen Fragen nach Liebe und Tod auf eine subtile und sehr liebenswerte Weise durch kleine Begebenheiten, die der Erzähler, der in jeder Episode ebenfalls Benjamin heißt, auf seine intelligent-lakonische Art zu verstehen sucht und durch seine Unbeholfen- und Schüchternheit nicht selten verschlimmbessert. Man stelle sich vor, Judith Herrmann wäre ein Mann, würde etwas weniger explizite Melancholie und stattdessen ein bisschen mehr Selbstironie und Sarkasmus über ihre Geschichten gießen und kommt damit Benjamin Maacks dennoch einzigartigem Erzählstil sehr nahe: schwermütige und komplizierte Konstellationen zwischen Menschen lässt Benjamin Maack mit seinem sehr originellem Humor nicht leicht wirken, aber er bringt den Leser immer wieder zum Lachen. Ein verflucht guter Geschichtenband. 8/10

Ridley Scott – „Prometheus“ (Film; 2012)

Es passt wie der Flammenwerfer auf das durch eine unbekannte Seuche zum Zombie mutierten Crewmitglied, dass der Co-Writer von Ridley Scotts Rückkehr zum Sci-Fi-Genre „Prometheus“ zuvor auch das Debakel der Serie Lost mitzuverantworten hatte, denn Prometheus ist am Ende genau das: Alien für die Generation Lost. Ein visuell äußerst beeindruckender Film, der aber leider mit Plotholes von den Dimensionen schwärzer Löcher, mit absurd verschiedenen Infizierungen, Kreaturen, Alienschwangerschaften plus passenden Actionszenen aufwartet und mit Charakteren bestückt ist, die durchgängig den Charme von Androiden aufweisen (der Androide David ist tatsächlich die menschlichste und tiefgängigste Figur) und in Sachen Intelligenz direkt aus einer Horrorsatire entsprungen sein könnten. „Prometheus“ ist wahrscheinlich der enttäuschenste Film des Jahres, nicht unbedingt nur deswegen, weil er ist, was er ist, sondern weil er permanent daran erinnert, was er sein könnte: Er sieht aus wie ein ernsthaftes Alien-Prequel, er erzeugt immer wieder die Atmosphäre eines ernsthaften Alien-Prequels, bleibt am Ende aber eher eine lächerliche Parodie. 4/10


Shortreviews (IX)

Wolves In The Throne Room – „Celestial Lineage“ (Musik:Album; 2011)

Inzwischen auch bei Visions-Lesern und Indie-Fans ganz hoch im Kurs, wählen die Hippie-Black Metaller von Wolves In The Throne Room auf ihrer vierten Platte den unglücklichen Weg, gleichzeitig den eingeschlagenen Pfad weiter und zurück zu den Wurzeln gehen zu wollen. Die Musik ist dabei längst nicht so kompromisslos und inyourface wie sie es auf „Black Cascade“ war, sondern viel geerdeter, kann aber trotz des analogeren Sounds und den vielen sphärischen Elementen auch an den Waldschrat-Charme von „Two Hunters“ nicht anknüpfen, sondern wirkt mit ihren überbordenden Interludes, (zu) oft eingesetzten klaren Vocals und Experimenten stellenweise genau wie das, was sie nach zwei sehr unterschiedlichen und gleichermaßen sehr gelungenen Platten fast sein muss: Der Aufbruch in eine neue, tendenziell interessante Richtung, die aber noch nicht wirklich gefunden ist. „Celestial Lineage“ ist alles andere als ein schlechtes Album, aber die von der Band vorher selbst aufgehängten Messlatten erreicht es an keiner Stelle. 7/10

Opeth – „Heritage“ (Musik:Album; 2011)

Opeth sind mit ihrem inzwischen zehnten Langspieler „Heritage“ an einem Punkt angekommen, an dem sie mit „Damnation“ vor acht Jahren schon einmal waren: Prog-Rock in Reinform. Nur wirkt es dieses Mal viel konsequenter. Die Death Metal-Anteile, die zuletzt mindestens noch ein Drittel des Sounds der Band ausmachten, wurden komplett eliminiert, Growls gibt es gar keine mehr, dafür viel Anleihen von King Crimson und Jethro Tull, Keyboards im Dutzend und instrumentale Interludes. Weiterhin: Lange, herausfordernde Kompositionen, viele Details, große Gesten, eine wahnsinnig gute Produktion, die nicht nur authentisch nach 70er Analogsound klingt, sondern tatsächlich so aufgenommen wurde und über eine richtig gute Anlage gehört werden will. Und dennoch fehlt „Heritage“ die ganze Zeit über etwas – und das sind eben nicht die Metal-Gitarren oder die Growls, sondern die herausragenden Songs. Trotz all seiner Musikalität, seiner Originalität trotz Retro-Feelings und seinen Ambitionen reißt die Scheibe den Zuhörer nirgendwo wirklich über das Songwriting mit. „Heritage“ ist ein verdammt mutiges und ziemlich schwieriges Album, vielleicht das schwierigste, das Opeth jemals aufgenommen haben, und es wächst im Laufe der Zeit – allerdings nur in dem Sinne, dass man es besser zu verstehen beginnt, nicht in dem, dass man es wirklich ins Herz schließt. 6/10

Lars von Trier – „Melancholia“ (Film; 2011)

Zu Beginn ähnelt „Melancholia“ noch Lars von Triers letztem Meisterstück Antichrist, nach dem langsamen, mit klassischer Musik untermalten Intro aber geht es geradezu in die entgegengesetzte Richtung: Zwei Stunden lang darf der Zuschauer am abgesehen von der Thematisierung einer ausgewachsenen psychischen Krankheit banalen Leben zweier Schwestern und einem noch banaleren Weltuntergang teilnehmen und neben leeren Dialogen photoshopartige Hochglanzbilder und Figuren bestaunen, die ihm zu jeder Zeit eher gleichgültig bleiben. Die durchgängig tolle, düster-barocke Optik des Films ist am Ende leider alles, was „Melancholia“ zu bieten hat. Unter der aufgesetzten Opulenz und der pathosschwangeren Art bleibt der der Film eine konsequent zahnlose Holzhammermetapher über Depression, die so auch von einem pubertären Teenager formuliert werden könnte. Lars von Trier, der mit „Dancer in the Dark“, „Dogville“ und „Antichrist“ drei der erschütterndsten und intelligentesten Filme des letzten Jahrzehnts gedreht hat, hat dieses Mal nicht besonders viel zu sagen. 4/10


Notizblock (I): Lars Von Trier – “Antichrist”

Erste Notizen und Ideen nach Kinobesuch: In der Abgeschiedenheit einer Holzhütte, auf die ein Baum permanent zu ejakulieren scheint (es fallen des Nachts Eicheln in massiger Zahl auf die Hütte, die von der Protagonistin als seine „toten Kinder“ gelesen werden) passiert das, was die Grundlage für den neuen Lars von Trier-Film „Antichrist“ bildet, eine Entwicklung findet statt, die bezeichnenderweise weit vor dem eigentlichen Auslöser des Plots, nämlich dem Tod des Kindes eines Liebespaares, liegt: Sie, offenbar Geistes- oder Kulturwissenschaftlerin, schreibt sich im Zuge ihrer Dissertation selbst immer tiefer hinein in die Rolle der Hexe und der Hure aus dem 16. Jhd., die sie eigentlich kritisch untersuchen soll, er versucht im Folgenden und nach dem Auftaktereignis den ganzen Film über sie mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu lesen – denen der Psychotherapie, die eben hier nicht mehr greifen, denn sie spielt längst eine Rolle, auch wenn die Trauer oben drauf kommt: Die eben jener sexuell begierigen und männerbedrohenden Frau, der Anti-Mutter, die auch ihr Kind quält und die in der von ihr untersuchten Literatur vernichtet werden muss, was konsequenterweise am Ende dann auch auf der Plotebene des Films geschieht. Als er nämlich erkennt, was sie geworden ist, nach ihrer scheinbaren Heilung, nach seiner brutalen Kastration, die mit einer überaus blutigen Fremdmasturbationsszene besiegelt wird, nimmt er auch seine Rolle an (vorher muss er freilich noch den Mühlstein um seinen Fuß loswerden, den sie ihm angelegt hat): Der zerstörende Mann, der die Anti-Mutter und Femme Fatale brutal tötet.

Es ist am Ende eben nicht ein Psychodrama (sie selbst merkt ironischerweise an, dass Freud tot ist, der Film arbeitet dennoch in überbordener Weise mit Symbolen und traumartigen Sequenzen), sondern eine literarische Geschichte eines von Männern erfundenen und zu bannenden Frauentypus (und damit ein in höchstem Maße gendertheoretisches Problem), das hier erzählt wird, auch wenn der Film uns in seiner ersten Hälfte auf die falsche Fährte lockt, hier gehe es um eine Reise in Unterbewusstsein, in den Wald, in den Mutterschoß der Erde, den Fuchsbau. Vielmehr geht es hier um Besessenheit, um das Besessen sein von einer bestimmten Rolle/Figur, die sich einer Person bemächtigt (und das ist klassisches Horrorfilm-Material; Anm.: Sie will es ja auch loswerden und sich selbst töten/kastrieren, schwankt ständig), um den Verlust der Distanz zum eigenen Forschungsobjekt. Als sie ihm erzählt, dass ihr ihre eigene Doktorarbeit im Wald „oberflächlich“ vorgekommen wäre, sagt sie vielmehr, dass sie ihren Untersuchungsgegenstand verinnerlicht hat, statt ihn zu hinterfragen. Oberflächlich hat sie jedenfalls nicht daran gearbeitet, das verdeutlicht eben das, was er bei seiner Suche auf dem Dachboden entdeckt: Ihre Dissertation gleicht eher einem kultischen Tagebuch mit vielen Bildern und irren Aufzeichnungen, einem Zeugnis ihres eigenen Verschmelzens mit dem, worüber sie liest. Es hat nichts von einer wissenschaftlichen Arbeit. Darum herum: Eine Art Altar mit Bildern der Zerstörung eben jener Frauen im 16. Jahrhundert, eben der Hexen, die am Ende des Films noch einmal aus dem Wald gekrochen kommen, vielzählig, vielgestaltig, ihn still anklagend: Schließlich ist doch am Ende unklar, ob nun sie in der Rolle der bösen Frau oder doch ihr Inquistor der Antichrist des Titels ist.

Weitere Motive, die noch näher zu bedenken sind: Fabelmotive (Tiere, die drei Bettler); Traumsequenzen (Freud nochmal deutlicher); Horrorfilmästhetik vs Psychodrama; Intro/Outro; Ihre Selbstvernichtungstendenzen; Tod des Kindes (Fall oder Sprung?); Selbst-Therapie des Regisseurs.

Grundsätzlich: Schwankend zwischen Fabel-Motiven, moderner Psychologie, alter Psychoanalyse & einer Vielgestalt von Symbolen, Horrorfilmästhetik (Besessenheit); viel Gendertheorie mit drin.


Shortreviews (VII)

Jeffrey Jacob Abrams – „Star Trek“ (Film; 2009)

Ganze sieben Jahre Wartezeit für die vielen Trekkies bis zu diesem Film, der einen Neuanfang versprach und im Vorfeld euphorische Kritiken einheimste. Zum Teil sogar zu Recht: Die Darsteller sind großartig besetzt und zeigen deutlich mehr als nur Talent, die Spezialeffekte sind oberste Liga. Allerdings mag der Funke dann am Ende doch nicht ganz überspringen, was vor allem am Plot des 127-Minüters liegt, denn dieser ist so vorhersehbar wie die Farbe des nächsten Tempotaschentuchs in einer Standardpackung: Ein finsterer Oberbösewichtendgegner bedroht die Erde, Zeitreisen spielen eine Rolle, dazu ein bisschen Konflikt zwischen den Crew-Mitgliedern. Noch mehr Klischees hätte Abrams gar nicht verarbeiten können und noch langweiliger hätte die Handlung nicht geraten könnten. Dennoch: Ein solider Neuanfang ist er auf jeden Fall, dieser elfte Star Trek-Film. 6/10

Placebo – „Battle For The Sun“ (Musik:Album; 2009)

Auf ewig in den 90ern hängengeblieben: Der für immer androgyn-jugendliche Brian Molko imitiert sich auf „Battle For The Sun“ so gut selbst, dass man fast ein Best-Of vermutet: Man packe einmal die Wortkombinationen „you“ „me“ „feel“ und „bittersweet“ in einen Mixer, streue die typischen Placebo-Gitarren drüber, hebe ein paar simple Keyboard-Melodien unter und fertig ist ein neues Album nach Schema F, das die Band schon seit „Black Market Music“ praktiziert. Ob Placebo sich irgendwann mal wieder auch nur einen kleinen Schritt weiterentwickeln werden ist fraglich, auf dieser Platte jedenfalls dominiert gepflegte Langeweile auf mittlerem Niveau. Den Fahrstuhlrockern wird’s gefallen. 4/10

Sunn O))) – „Monoliths & Dimensions“ (Musik:Album; 2009)

Kurze Denksportaufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie versuchen einem durchschnittlichen Musikkonsumenten zu erklären 1.) was für eine Art von Musik Sunn O))) machen und 2.) warum sich das viele Leute freiwillig anhören und sogar verdammt viel Spaß dabei haben. Die Faszination an dieser in jeder Hinsicht kompromisslosen wie grandiosen Musik ist eigentlich kaum zu vermitteln. Mit dem sechsten Album „Monoliths & Dimensions“ schaffen Stephen O’Malley, der erneut an Bord befindliche Mayhem-Vokalist Attlia Cishnar und mehr als 10 weitere Musiker dennoch den irrsinnigen Spagat, gleichzeitig die (freilich relativ gesehen) zugänglichste Platte von Sunn O))) wie auch das vielfältigste Werk der Band zu inszenieren. In jeder Hinsicht: Chapeu! 9/10


Shortreviews (VI)

Sonic Youth – „The Eternal“ (Musik:Album; 2009)

Sonic Youth haben in diesem Jahrzehnt ganze fünf Platten veröffentlicht, das  Highlight „Murray Street“ von 2002 allerdings blieb konkurrenzlos, auch wenn die zwei Nachfolger alles daran setzen, diesen Volltreffer zu reproduzieren. Das ändert sich in doppelter Hinsicht mit „The Eternal“, einer Scheibe, die fast schon (freilich relativ gesehen) konservativ-langweilig weg vom Pop, aber dennoch nicht zurück zum Noise geht, sondern einfach Alternative-Rock mit viel Sonic Youth-Sound bietet (ja, man darf über diese Platte sagen, dass sie Alternative-Rock ist, ohne blasphemisch zu sein), was allerdings noch nichts über die Qualität der hier enthaltenen Songs aussagt, denn die ist wirklich außergewöhnlich: „The Eternal“ ist vielleicht das beste Konsens-Album für gleichermaßen steinalte wie ganz neue Fans einer der am längsten geistig jung gebliebenen Gitarrenbands der Welt. 9/10

Jeffrey Jacob Abrams – „Lost“ Season V (TV-Serie; 2009)

Es bewegte sich endlich wieder etwas in die richtige Richtung bei „Lost“: Verlor sich die vierte Staffel noch in ziellosen, merkwürdigen Episoden, die kein richtiges Gefühl von einem roten Faden mehr evozieren konnten, wirkte die neueste Reihe von 17 Folgen der amerikanischen Fernsehserie wieder erstaunlich kohärent: Der Kniff mit der Verfrachtung der Hälfte der Figuren in die Vergangenheit funktionierte als Grundlage für eine zusammenhängende Story ziemlich gut, man hatte zudem endlich wieder das Gefühl, dass die Macher vielleicht doch einen Masterplan für das Ganze haben könnten, auch wenn zwischendurch immer mal wieder zu viel auf die Pauke gehauen wurde, was WTF-Momente anging. Es wird sich wohl nicht mehr alles auflösen, aber die fünfte Staffel war trotz des enttäuschenden Finales eine der sehenswerteren. 7/10

Marilyn Manson – „The High End Of Low“ (Musik:Album; 2009)

Das war es dann wohl mit dem Schockrocker: Nach zwei wirklich enttäuschenden Alben war die Hoffnung darauf groß, dass „The High End Of Low“, auf dem wieder Jeordie White aka Twiggy Ramirez die Songwriting-Zügel in die Hand nimmt, eine Rückkehr zu richtig guter Musik statt platten Provokationen ohne Inhalt werden würde – nur leider ist nichts dergleichen zu beobachten: Zwar ist der Sound wieder etwas roher, die Grundstimmung mehr Nine Inch Nails als My Chemical Romance (man erinnere sich an die lächerlichen Videos und Photos im Rahmen von „Eat Me, Drink Me“), aber leider kann das Album trotz einiger guter Ansätze nicht viel mehr als die beiden Vorgänger, und so wird die Band Marilyn Manson dann wohl eher für das extravagante Auftreten ihres Frontmannes als für die in den 90ern noch genau so außergewöhnliche Musik in die Geschichte eingehen. Wirklich schade. 5/10


Shortreviews (V)

Jeffrey Jacob Abrams – „Lost“ Season IV (TV-Serie; 2008)

Deutliche Schwächen zeigte die vorher annähernd perfekt komponierte Mystery-Serie „Lost“ von J. J. Abrams in ihrer vierten Staffel: Die Handlung treibt irgendwo zwischen zuviel Action, dem noch nicht richtig ausgespielten Zeitreise-Element und neu eingeführten Figuren im Nirgendwo, auch wenn einige einzelne Episoden zu den Highlights der gesamten Serie zählen. Sicherlich hatte der zu der Zeit der Produktion stattgefundene Streik der Hollywood-Drehbuchschreiber seinen Anteil daran, aber er allein kann nicht die Schuld dafür tragen, dass man zum ersten Mal das Gefühl hatte, Lost würde das Schicksal von X-Files (dt. „Akte X“) ereilen, das sich in seinen eigenen Rätsel auf Rätsel türmenden Geschichte irgendwann unauflösbar verstrickte. 4/10

Karel Smyczek„Lotrando a Zubejda“ (Film; 1997)

Denjenigen, auf die der inzwischen schwer aufzutreibende „Lotrando a Zubejda“ (dt. Titel „Lotrando und die schöne Zubejda“) von Karel Smyczek wie ein Kinderfilm wirkt, sei angeraten, genauer hinzusehen: Der tschechische Märchenfilm mit dem ganz unverholen klischeehaften wie gleichermaßen klassisch-literarischen Plot vom Sohn eines Räubers, der sich in die Tochter eines Sultans verliebt, überzeugt als kitschiges, quietschbuntes, fast psychdelisches Werk mit sehr naivem, und gerade deswegen liebenswerten Humor. Die tollen Musical-Passagen mit beinahe dadaistisch-minimalistischen Texten gehören genauso dazu wie die Slapstick-Einlagen, die irrwitzigen Dialoge und die tollen Bilder im Märchen-Look. Ein Film, den jung und alt lieben können, wenn sie sich darauf einlassen. 8/10

Wolves In The Throne Room – „Black Cascade“ (Musik:Album; 2009)

Die amerkanischen Shooting Stars des Black Metal (Spiegel-Lobpreisungen inklusive) zeigen auf ihrer dritten Platte, dass sie doch mehr in der Tradition des Genres verwurzelt sind, als man angesichts der Post-Rock-Experimente und mit Frauengesang ausgestatteten Songs der letzten Releases hätte vermuten können: „Black Cascade“ ist erdig, dreckig, rau, mit einer Lo-Fi-Produktion versehen, die alten Emperor-Platten gleicht. Die Songs sind dennoch von gewohnt epischer Länge, und das ist leider auch das Problem, denn hier und da stellt sich trotz der gewohnt hohen Qualität fast ein bisschen Monotonie ein. So bleibt am Ende fast das Gefühl einer kleinen Enttäuschung beim Hörer, denn leider ist „Black Cascade“ zwar ein außergewöhnlich gutes Album, nicht aber das durchaus erwartbare Meisterwerk geworden. 8/10


Shortreviews (IV)

Zack Snyder – „Watchmen“ (Film; 2009)

Trotz grandioser Bilder, spektakulärer Kameraarbeit und einem sehr authentischen Comic-Look and Feel gelingt der sehr nah am Originalstoff agierenden Zack Snyder-Verfilmung des gleichnamigen Kultcomics von Alan Moore eins nicht wirklich: Ein unterhaltsamer Film zu sein. „Watchmen“ wälzt über fast drei Stunden seine epische Hintergrundgeschichte aus, versucht zwanghaft, alles genau zu erklären und vergisst dabei, dass ein Film eigentlich den Fokus auf einer guten Haupthandlung bräuchte. 6/10

Placebo – „Battle For The Sun“ (Musik:Song; 2009)

Drei Jahre waren sie weg, irgendwie wirken Placebo aber dennoch längst wie ein seltsames Überbleibsel aus den Neunzigern, auch wenn ihre letzte Platte „Meds“ wieder etwas frischer klang. Der Titeltrack des kommenden Albums „Battle For The Sun“ will unbedingt anders als der typische Placebo-Song sein, das ist eigentlich auch dringend notwendig. Dass es dennoch kein wirklich guter Song ist, liegt an den banalen Lyrics genauso wie an ihrer gelangweilten Intonation und dem Fehlen einer guten Melodie. Vielleicht funktioniert er ja im Albumkontext. 5/10

Clint Eastwood – „Gran Torino“ (Film; 2009)

Wenn Clint Eastwood am Ende von „Gran Torino“ plötzlich mit seiner Reibeisenstimme anfängt, höchstpersönlich den Titelsong des Films zu singen, dann wirkt alles auf einmal doch over the top: Zuvor gesehen hat man ein oft pathetisches, sehr emotionsgeladenes, höchst präzise inszeniertes, zum Teil auch politisches und mit einem wirklich überraschenden Twist versehenes Drama, das Eastwood als alten Mann porträtiert, der noch einmal zur Menschlichkeit findet. Sehenswert. 7/10


Shortreviews (III)

David Lynch – „Inland Empire“ (Film; 2006)

Ein dreistündiger Höllenritt durch psychische Befindlichkeiten in Sachen Kunst und Erzählweisen, ganz nebenbei die komplette Infragestellung der eigenen Erwartungshaltung in Bezug auf das Medium Film. Und die grobkörnigen, komplett digital gedrehten Bilder machen es eher noch schlimmer. Man kann „Inland Empire“ eigentlich nicht konsumieren, ohne eine fast körperliche Abneigung gegen diesen Film zu entwickeln, der selbst für Lynch-Fans harte Kost ist, es ist ein Kampf, ihn sich wirklich bewusst bis zum Ende anzusehen. Und vielleicht ist diese irre Collage aus surrealen Bildern gerade deswegen so bemerkenswert. 8/10

A Camp – „Colonia“ (Musik:Album; 2009)

Zwölf neue Songs, keine große Promotion: Eine der schönsten Frauenstimmen des Pop kehrt mit dem zweiten Album ihres Soloprojekts A Camp wieder das nach außen, was sie bei den Cardigans nur begrenzt verwirklichen kann: Herzzerreißende Balladen, mit Klavier und Akustikgitarren inszeniert, ein paar hochkarätige Gaststars dürfen mitmischen, der Star auf dieser Platte ist aber ganz klar Nina Persson. Leider erreicht „Colonia“ nie ganz die Klasse des vor acht Jahren erschienen, selbstbetitelten Vorgängers, das letzte Cardigans-Album schlägt es aber um Längen. 7/10

Mark Pellington -„Henry Poole Is Here“ (Film; 2008)

Mark Pellington ist als Regisseur normalerweise eher für die düsteren Dinge zuständig: Nach „The Mothman Propecies“ und „Arlington Road“ folgt mit „Henry Poole Is Here“ dennoch eine lebensbejahende Komödie mit ein paar tragischen Elementen. „Henry Poole Is Here“ ist in vielerlei Hinsicht die oberflächlichere Mainstream-Version von „Adams Äpfel“, natürlich ohne jemals auch nur im Ansatz dessen Brillianz zu erreichen. Trotz der vielen Mängel, der aufdringlichen religiösen Komponente und des leider sehr vorhersehbaren Plots: Kann man sich antun, das. 6/10


Shortreviews (II)

Coen Brothers – „Burn After Reading“ (Film; 2008)

Was kann eigentlich schiefgehen, wenn die Coen Brothers mit einer Riege hochklassiger Schauspieler und einem Drehbuch arbeiten, dass in jeder Szene drei Haken schlägt? Richtig: Nichts. „Burn After Reading“ ist deutlich besser als der überhypte, pathetische und von aneinander gereihten Zufällen getriebene „No Country For Old Men“. Intelligentes Unterhaltungskino am Ende der 00er sollte genau so aussehen. 8/10

James Manos, Jr. – „Dexter“ Season I (TV-Serie; 2006)

Originell konzipiert, gut geschriebener Handlungsbogen, modern produziert. Man merkt zu jeder Zeit die starke Literaturvorlage und das Talent der Macher hinter der ersten Staffel der Serie „Dexter“. Dennoch: Die Westentaschenpsychologie, der ständige moralische Zeigefinger und der Star Wars-Twist am Ende schwächen die Qualität  dieser 12 Episoden deutlich. Und Langweile ist bei einer einzigen Hauptfigur für die kommenden Staffeln natürlich vorprogrammiert. 7/10

Philip Boa & The Voodooclub – „Diamonds Fall“ (Musik:Album; 2009)

Es hat eine richtig gute Produktion, es hat diese klassischen, zerfallenden Indie-Melodien, dieses neue Album der niemals gänzlich abschreibbaren Legende Philip Boa. Trotzdem ist es leider eines seiner schlechteren Alben, was vor allem daran liegt, dass ihm die richtig guten Songs, die  Volltreffer, dieses mal fehlen. Boa singt und schrammelt sich durch elf Tracks, scheinbar von sich selbst gelangweilt und zeigt keinerlei richtig tiefe Leidenschaft. 6/10


Shortreviews (I)

Anders Thomas Jensen – „Adams Äpfel“ (Film; 2005)

„Adams Äpfel“ ist in seinem Kern ein Film über das Gute, das immer über das Böse siegt, ein flammendes Plädoyer für den Optimismus in jeder noch so auswegslosen Situation. Tolle Bilder, große Symbolik, schräger Humor, ständiges Hinterfragen der Perspektive ohne viel äußere Handlung. Selbst die nur als Vehikel für die Botschaft benutzte Religion passt perfekt in diesen Film von beinahe literarischer Qualität. 9/10

Kevin Smith – „Chasing Amy“ (Film; 1997)

Regisseur Kevin Smith aka Silent Bob ist Experte für diese Art von Filmen: Die vielleicht nerdigste Tragikomödie aller Zeiten glänzt mit skurrilen Situationen, liebenswerten Figuren und verdammt vielen sexuellen Anspielungen. Anders als sonst: Hier wird dennoch eine große Liebesgeschichte nahtlos eingebaut und mit viel Gespür für richtiges Timing inszeniert. Trotzdem: Ben Affleck hätte wirklich nicht sein müssen. 8/10

Scott Weiland – „Happy In Galoshes“ (Musik:Album; 2008)

Nach dem Ausstieg bei der Supergroup Velvet Revolver versucht es Scott Weiland zum zweiten Mal alleine. Und macht gleich mal ein Doppelalbum. Das Problem dabei: Das Album ist höchst durchwachsen, stilistisch uneindeutig, es wirkt zerfahren, das Ganze, qualitativ pendelt das Niveau zwischen hochwertig und lauwarm. Ein roter Faden ist nirgendwo in Sicht, dafür ein paar gute Songs. Das reicht aber nicht. 5/10


Briefing (XV)

Lieber Will Smith,

versteh mich bitte nicht falsch: Ich mag die Filme in denen Du mitspielst eigentlich ganz gerne. Sie sind unterhaltsam, actionreich, oft mit sehenswerten Bildern unterfüttert, sie sind simples aber auf seine Art liebenswertes Popcorn-Kino und ich sehe sie mir gerne des Nachts an, wenn ich mit meiner Arbeit fertig bin und einfach nur abschalten will. Aber aus irgend einem Grunde hatte ich von dem Anti-Superhelden-Film “Hancock” mehr erwartet. Ich hatte gedacht, dass das Deine Paraderolle wäre, dass Du in dem Film nicht nur, wie man so oft liest, Dich im Grunde nur selbst spielst, sondern der Figur Leben einhauchst, gerade deswegen weil Dir die Rolle so steht. Genau das aber ist nicht der Fall. Allein die Eröffnungsszene, in der Du mit einem Hangover auf einer Parkbank erwachst, eine Verfolgungsjagd im Fernsehen beobachtest, einer Frau an den Po grabschen willst, könnte wirklich grandios sein, wenn Du sie nicht so hölzern mit Leben, oder besser mit bloßen Stereotypien und reinem Nichts, füllen würdest. Leider wird das auch im restlichen Film nicht besser, sondern es ist eher das Gegenteil der Fall: Du spielst nicht, Du bist einfach nur da. Typisch für Dein Engagement in dem ganzen Film ist wohl die Szene in der Bar, in der Deine Rolle in der Ecke sitzt, während im Fernsehen über sie berichtet wird und die alte Frau Dich ansieht, Du aber einfach stur weiter so lässig und cool rumhängst wie zuvor. Du bist in dem Film eine tragende Hauptrolle, die wie eine kleine Nebenfigur agiert und spielt. Und jetzt erzähl mir nicht, dass die Figur eben so angelegt war. Ein Typ wie Du hat sicherlich maximale kreative Freiheiten in der Ausgestaltung seiner Rollen, besonders dann, wenn Du, wie in diesem Fall, der einzige Star in einem Film bist und das Projekt im Grunde alleine trägst. Statt wie erwartet in der Rolle Deines Lebens warst Du in der traurigsten Verfassung, in der ich Dich je gesehen habe.

Ich will ja nicht ungerecht sein: Es ist sicher nicht Deine alleinige Schuld, dass “Hancock” trotz der ursprünglich guten Idee ein katastrophal schlechter Film geworden ist: Das Drehbuch ist mies, der Plot absolut vorhersehbar, die Dialoge langweilig, der Humor, den der Film dringend gebraucht hätte, ist schlicht und einfach nicht vorhanden, selbst sehenswerte Actionszenen fehlen völlig und leider werden auch die wenigen Ansatzpunkte für Tiefgang nur mit zwei bis drei pathetischen Worten und ein paar plätschernden Geigensamples abgehandelt, aber Du trägst sicher einen Großteil dazu bei, dass man als halbwegs intelligenter Zuschauer schon nach ein paar Minuten das Interesse an “Hancock” verliert und das nächste Mal lieber in einen Superheldenfilm geht, bei dem man vorher weiß, was man bekommt, weil die Hauptfigur bereits bekannt ist. So wird der auch Flop von “Hancock”, der nach diesem kollektiven Versagen absehbar hätte sein müssen, sicher alles andere als dazu beitragen, dass neue, innovative Konzepte in Zukunft realisiert werden, was Dich indirekt auch dafür veranwortlich macht, dass X eigentlich gute Filmideen niemals das schummerige Kinodunkel erblicken werden.

Ach, Will, Du wirst sicher weiterhin einer der höchstbezahlten Schauspieler Hollywoods bleiben und wir werden uns wohl noch oft begegnen, schließlich drehst Du derzeit jedes Jahr mindestens einen dieser Filme, die ich mir weiterhin ansehen werde, aber wirklich davon überzeugen, dass Du Deinen Beruf beherrschst, konntest Du mich heute wieder einmal nicht. Vielleicht hättest Du Dir nochmal ansehen sollen, wie Bruce Willis (ja, ausgerechnet der) in “Unbreakable” absolut überzeugend all das rüberbringt, was Dir in “Hancock” an allen Ecken und Enden fehlt.

Dein Sebastian.


Briefing (V)

Lieber Guillermo Del Toro,

Mit extrem viel Vorfreude habe ich mir heute zum ersten Mal Ihren Film ‘Pans Labyrinth’ angesehen. Ich habe mir Chips und Bier bereitgestellt, das Zimmer abgedunkelt, alles so vorbereitet, als würde ich den Film nicht ganz alleine sehen, sondern auf einer großen Leinwand. Ich verrichtete keine ablenkenden Tätigkeiten nebenbei, wie bei mir üblich, wenn ich den gewöhnlichen Hollywoodschrott zur puren Unterhaltung sehe. Kurz: Ich war voll konzentriert auf Ihr Werk. Lassen Sie mich das Fazit dieses Briefs vorwegnehmen: Es half nicht.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich mag es, wie Sie eine realistische Geschichte über den spanischen Faschismus und eine Fantasystory parallel erzählen, ich finde diese Grundidee sehr innovativ, ich liebe die Bilder, die sehr beeindruckende Kameraarbeit fasziniert mich und die nicht übermässig eingesetzten Spezialeffekte sind definitiv herausragend, aber irgendwie fehlt dem Film das entscheidende Element, die Art von Zauber, die ein guter Film haben muss oder wenigstens eine einzige überraschende Wendung. Wenn ich darüber nachdenke, was mich am meisten enttäuscht, dann muss ich an erster Stelle den Plot an sich nennen. Ein paar Soldaten kämpfen im entlegenen Hinterland gegen Guerilla-Krieger, es gibt eine handvoll Verräter im Lager, ein Mädchen muss drei Prüfungen bestehen, jede davon in ihrem Ablauf vorhersehbarer als die nächste. Sie erzählen in knapp zwei Stunden eine Geschichte, bei der jeder einzelne Schritt einem halbwegs intelligenten Zuschauer schon lange vorher klar ist und bei der die oft in den Rezensionen so sehr in den Vordergrund gestellten Fantasy-Elemente leider jederzeit nur Nebenschauplatz bleiben. Kennt man den gehörnten Pan und das Wesen mit den Augen in den Händen bereits aus dem Trailer oder von Promofotos, hat man irgendwie schon alles gesehen, was an dem Film sehenswert ist, in dem Punkt ist ‘Pans Labyrinth’ nicht unählich dem russischen, viel Action- und Sci-Fi-lastigerem Debakel ‘Wächter Der Nacht’.

Ich bin, Herr Del Toro, derweilen in jedem Fall verblüfft, wie wenig heute ausreicht, um einen in allen Kritiken hochgelobten ‘Kultfilm’ zu fabrizieren und sogar drei Oscars (!) zu gewinnen: Man mische einfach zwei an sich nichtssagende, straight ablaufende Geschichten ineinander und benutze als Bindeglied ein kleines Mädchen, um das ganze als ‘Erwachsenenmärchen’ deklarieren zu können. Ich hatte nach dem ganzen Hype und den auch durchweg positiven Reaktion von diversen Freunden einen Film erwartet, der sich locker in meine Alltime Top50 oder gar Top25 zaubert. Aber diesen Film sah ich heute nicht, sondern nur ein eher unbedeutendes Kitschfilmchen, das glatt an meinem Erinnerungswürdigkeitsorgan vorbeirauschte. Statt einer surrealeren und gleichzeitig realistischeren Version von Terry Gilliams ‘Brother’s Grimm’ oder einer ‘Herr Der Ringe’-Version von Alice In Wonderland, was in etwa das war, was die Presse mich erwarten ließ, bekam ich nur einen beliebigen Kriegsfilm mit Schneewittchen-Elementen. Auf einer Skala von eins bis zehn für mich leider nur eine sechs.

Mit freundlichem Gruße,

eine Stimme mit einer sich der Mehrheit nicht anschliessenden Meinung, die sicher nicht zur abschliessenden Bewertung ihres Werkes beitragen wird.


Briefing (IV)

Lieber Wayne Wang,

Sie haben es doch tatsächlich geschafft, mich zu verblüffen. Nachdem ich im Laufe meines Lebens eine gefühlte Anzahl von zehntausend schlechten Hollywood-Filmen gesehen habe, war ich davon überzeugt, dass mich nichts mehr schockieren könnte, aber ihr Machwerk von 2002 namens “Maid in Manhatten”, das ich vor kurzem konsumieren durfte, unterbietet locker alles, einschließlich meinem bisherigen Lowlight, der abrundtief schrecklichen, alle Horror-, Fantasy- und SciFi-Genreschwächen vermischenden Comicverfilmung “Van Helsing”.

Es sind nicht nur die miesen Schauspieler und die extrem klischeehaften Rollen, allen voran eine völlig hölzern-stereotype Jennifer Lopez, die Ihren Film, der wohl soetwas wie eine romantische Komödie, im übrigen ein Genre für das ich tatsächlich eine peinliche Schwäche habe, darstellen soll, zum für mich schlechtesten Film aller Zeiten machen, sondern auch die pathetischen Nonsense-Dialoge, die unfassbar dilettantische Kameraarbeit, die gruselige Musik und die nicht vorhandene Handlung. Und letzteres ist nicht im postmodernen Sinne zu verstehen, im Gegenteil: Ihr Film wirkt, als hätte man alle romantischen Komödien zwischen 1985 und 1995 auf den schlechtesten gemeinsamen Nenner gebracht und dabei den Humor komplett herausgeschnitten. Dass man dazu in der zweiten Hauptrolle einen als Pseudo-Gutmenschen agierenden, republikanischen Lokalpolitiker bewundern darf und Richard Nixon im Film als missverstandener Held (!) dargestellt wird, ist eigentlich nur noch Nebensache, vor allem angesichts solchen Stellen wie der, an der das Happy End längst greifbar ist, sie aber nochmal minutenlang die leere Strasse vor dem Hotel filmen, dazu eine akustische Gitarre erklingen und ein paar Herbstblätter ins Bild regnen lassen, was man auch “schwermütige Stimmung erzeugen für Vorschulfilmer” nennen könnte.

Mich wundert es jedenfalls nicht, dass wir die Videokassette geschenkt bekamen und es dürfte sie nicht wundern, dass wir sie wohl dennoch zurückgeben oder in den Müll werfen werden. Ich fühlte mich beim Ansehen ihres Films wie der eigentlich intelligente kleine Junge, der in einer Szene zwei Science-Fiction-Plastikspielzeuge mehrmals hirn- und wortlos aneinanderstösst, was wohl seinen Frust verdeutlichen soll. Ich hoffe sehr inständig, dass ich nie wieder einen Film von Ihnen werde sehen müssen. Schon die Vorstellung davon bereitet mir schlimme Alpträume.

Ihr für diese Erfahrung dennoch dankbarer
Sebastian B.

PS: Ernsthaft, jetzt: Bitte, bitte, lassen sie das mit dem Regieführen doch in Zukunft sein. Es gibt so viele andere tolle Dinge, die man mit seinem Leben anstellen kann. Zum Beispiel von Hochhäusern runterspringen.
PPS: Falls das Ganze doch eine perfekt getarnte, sarkastische Parodie war, lassen Sie es mich wissen. In diesem Falle sind sie ein perfides Genie, Sir.