Briefing (V)
Lieber Guillermo Del Toro,
Mit extrem viel Vorfreude habe ich mir heute zum ersten Mal Ihren Film ‘Pans Labyrinth’ angesehen. Ich habe mir Chips und Bier bereitgestellt, das Zimmer abgedunkelt, alles so vorbereitet, als würde ich den Film nicht ganz alleine sehen, sondern auf einer großen Leinwand. Ich verrichtete keine ablenkenden Tätigkeiten nebenbei, wie bei mir üblich, wenn ich den gewöhnlichen Hollywoodschrott zur puren Unterhaltung sehe. Kurz: Ich war voll konzentriert auf Ihr Werk. Lassen Sie mich das Fazit dieses Briefs vorwegnehmen: Es half nicht.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich mag es, wie Sie eine realistische Geschichte über den spanischen Faschismus und eine Fantasystory parallel erzählen, ich finde diese Grundidee sehr innovativ, ich liebe die Bilder, die sehr beeindruckende Kameraarbeit fasziniert mich und die nicht übermässig eingesetzten Spezialeffekte sind definitiv herausragend, aber irgendwie fehlt dem Film das entscheidende Element, die Art von Zauber, die ein guter Film haben muss oder wenigstens eine einzige überraschende Wendung. Wenn ich darüber nachdenke, was mich am meisten enttäuscht, dann muss ich an erster Stelle den Plot an sich nennen. Ein paar Soldaten kämpfen im entlegenen Hinterland gegen Guerilla-Krieger, es gibt eine handvoll Verräter im Lager, ein Mädchen muss drei Prüfungen bestehen, jede davon in ihrem Ablauf vorhersehbarer als die nächste. Sie erzählen in knapp zwei Stunden eine Geschichte, bei der jeder einzelne Schritt einem halbwegs intelligenten Zuschauer schon lange vorher klar ist und bei der die oft in den Rezensionen so sehr in den Vordergrund gestellten Fantasy-Elemente leider jederzeit nur Nebenschauplatz bleiben. Kennt man den gehörnten Pan und das Wesen mit den Augen in den Händen bereits aus dem Trailer oder von Promofotos, hat man irgendwie schon alles gesehen, was an dem Film sehenswert ist, in dem Punkt ist ‘Pans Labyrinth’ nicht unählich dem russischen, viel Action- und Sci-Fi-lastigerem Debakel ‘Wächter Der Nacht’.
Ich bin, Herr Del Toro, derweilen in jedem Fall verblüfft, wie wenig heute ausreicht, um einen in allen Kritiken hochgelobten ‘Kultfilm’ zu fabrizieren und sogar drei Oscars (!) zu gewinnen: Man mische einfach zwei an sich nichtssagende, straight ablaufende Geschichten ineinander und benutze als Bindeglied ein kleines Mädchen, um das ganze als ‘Erwachsenenmärchen’ deklarieren zu können. Ich hatte nach dem ganzen Hype und den auch durchweg positiven Reaktion von diversen Freunden einen Film erwartet, der sich locker in meine Alltime Top50 oder gar Top25 zaubert. Aber diesen Film sah ich heute nicht, sondern nur ein eher unbedeutendes Kitschfilmchen, das glatt an meinem Erinnerungswürdigkeitsorgan vorbeirauschte. Statt einer surrealeren und gleichzeitig realistischeren Version von Terry Gilliams ‘Brother’s Grimm’ oder einer ‘Herr Der Ringe’-Version von Alice In Wonderland, was in etwa das war, was die Presse mich erwarten ließ, bekam ich nur einen beliebigen Kriegsfilm mit Schneewittchen-Elementen. Auf einer Skala von eins bis zehn für mich leider nur eine sechs.
Mit freundlichem Gruße,
eine Stimme mit einer sich der Mehrheit nicht anschliessenden Meinung, die sicher nicht zur abschliessenden Bewertung ihres Werkes beitragen wird.