Schriftstück.

Ich lebe, um mich zu finden und schreibe, um mich zu verlieren. Schreiben ist: Das, was man an Eindrücken, Gefühlen und Details wie ein Schwamm aufgesogen hat, bis auf den letzten Tropfen auf ein Stück Papier auszuwringen, es genau von allen Seiten zu betrachten, wie ein Journalist, der Recherche über sein eigenes Leben betreibt, es mit dem Aufschreiben erst greifbar und real zu machen, es dann in kleinste Einheiten zu zerhäckseln und völlig sinnentstellend zu rekombinieren, damit es kein Teil mehr von einem selbst als realer Person ist. Der Prozess hilft dabei, Erinnerungen genau zu erfassen, zu analysieren, zu verinnerlichen und dann ganz weit wegzuschieben, damit sie gar nicht erst die Chance bekommen, sich in Monster zu verwandeln.


Ich bin ja nur ein Atheist, aber…

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde eine Webseite bauen lassen, auf der man die ganze Bibel lesen kann, schön übersichtlich gestaltet, mit einzelnen Kapiteln, Zusammenfassungen, Illustrationen und teuflisch schicker Typographie. Man könnte einzelne Textstellen markieren und twittern oder bei Facebook und sonstigen Social Networks posten.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde dem Papst bei seinem nächsten öffentlichen Auftritt (dezent, aber sichtbar) eine Flasche Fanta auf den Schreibtisch stellen lassen, kommentarlos. Das Internet würde den Rest erledigen.

Wäre ich die katholische Kirche, dann würde ich einmal im Jahr einen Wettbewerb ausrufen, bei dem zeitgenössische Schriftsteller meine besten Stories (Mose und das Meer, Die Apokalyse, Adam und Eva etc.pp.) neu schreiben und vortragen, ohne irgendwelche Vorgaben. Die Texte gäbe es im Bundle mit den zugehörigen Originalen für jedermann kostenlos als Print- und eBook-Version.

Wäre ich die katholische Kirche, dann wäre die einzige inhaltliche Änderung, die ich direkt vornehmen würde, die Aufhebung des Zölibats, was dafür sorgen würde, dass sich bei mir nicht nur Psychopathen und Kinderficker um Stellen bewerben. Ein paar Jahre später würde ich auch Frauen zulassen, die können den Job mutmaßlich sowieso deutlich besser, weil bei mir soziale Kompetenz gefragt ist.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde alle meine abgefahren beeindruckenden Kirchen, Klöster und sonstigen Bauwerke weltweit in 3D photographieren und eine iOS-App bauen lassen, mit der man sie alle virtuell besichtigen kann. Andere mobile Betriebssysteme würde ich erstmal weglassen, mit der Begründung, dass Gott das noch nicht „approved“ hat und dahinter einen Link zum passenden Kickstarter-Projekt für die Android- und Windows-Portierung packen, das innerhalb von zwei Minuten zwanzigfach finanziert wäre, wozu ich natürlich schon eine entsprechende Pressemitteilung vorformuliert in der Schublade liegen hätte.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde sofort mehrere Kampagnen starten, in denen ich den Leuten klar machen würde, dass in der Vergangenheit zwar einiges schief gelaufen ist, aber dass meine Kernbotschaft von Nächstenliebe und sich nicht wie ein Scheißasi benehmen eigentlich ziemlich zeitlos gut ist, egal, ob man an den alten Mann in Himmel glaubt oder nicht.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde den Gottesdienst interaktiver und mit viel mehr Humor gestalten und würde jeden neu eingestellten Prediger dazu verpflichten, neben dem üblichen Beichtkram für die älteren Gläubigen einfach permanent für die Leute übers Netz erreichbar zu sein und bei Problemen aller Art zu helfen oder einfach nur zuzuhören.

Wäre ich die katholische Kirche, es könnte alles ziemlich cool werden, auch ohne den Inhalt groß zu verändern.


Gespräch über Photographie.

„Hey, ich habe eine Frage: Ich will gerne kochen wie ein paar Bekannte von mir. Die werfen einfach irgendetwas in den Topf und es wird oft ganz lecker. Welche Töpfe brauche ich denn dafür?“

„Es liegt nicht am Topf.“

„Meine Bekannten behaupten aber, dass es an den Töpfen liegt. Früher hatten sie nämlich andere Töpfe und sie sagen, dass das Essen viel besser wird, seitdem sie neue Töpfe haben. Einer von denen hat sogar schon mal für einen Cateringservice gekocht und Geld dafür bekommen.“

„Diese Leute haben einen an der Waffel.“

„Also, jedenfalls: Ich will jetzt auch so kochen wie meine Bekannten, was muss ich tun?“

„Lern Kochen. Ich kann Dir ein paar gute Rezepte geben, auch für Einsteiger.“

„Nein, Du verstehst mich nicht. Ich will keine Rezepte oder irgendwas durchlesen. Ich will einfach nur geil kochen, wie meine Bekannten. Welche Töpfe benutzt Du denn?“


Kleines Shitstormlexikon für Einsteiger.

Professioneller Shitstormstarter.

Mensch vom Typ empörter Blogger aus dem Großthemenbereich Internet und Gesellschaft. Ist drei bis viermal pro Tag “völlig sprachlos und entsetzt” über kleinere Nichtigkeiten und verlinkt diese tatkräftig, immer in der Hoffnung, dass die Retweets seiner Anhänger sich zu einem echten Shitstorm ausweiten und ihm noch mehr ergebene Fans bringen, die ihn irgendwann in der Zukunft als einflussreichen Internetaktivisten oder investigativen Journalisten feiern, so dass er in den alten Medien, die er eigentlich massiv ablehnt und zum Sterben verurteilt sieht, neben Politikern sitzen und das Netz erklären darf. Der professionelle Shitstormstarter lebt von der Aufmerksamkeit seiner Zuleser. Damit ihm diese gewogen bleibt, ist er dazu verdammt, permanent nach der nächsten Sau zu suchen, die durchs Dorf getrieben werden kann, was ihn dazu zwingt, jede kleinste Meldung und Nichtmeldung, die er irgendwo verlinkt sieht, auf eventuell vorhandenes rassistisches, antifemininistisches, fortschrittsfeindliches, und politisch unkorrektes Empörpotential abzuklopfen.

Mitläufer.

Hat meist nur ein paar hundert Follower auf Twitter und selbst nicht viel zu sagen, tritt mit Anzug-Profilbild und Echtnamen auf, weil ihm teuere Social Media-Experten im Fortbildungs-Seminar erklärt haben, dass man den meisten Erfolg in Sachen Personal Brand Building hat, wenn man authentisch rüberkommt. Eine Meinung abseits des Mainstreams ist ihm fremd, er hinterfragt grundsätzlich nur selten Dinge und ist damit der perfekte Motor jedes guten Shitstorms. Der Mitläufer retweetet die Empörung des professionellen Shitstormstarters mit Freude, weil er glaubt, dadurch ein kleines Stückchen dessen vermeintlichen Glanzes und Ruhms abhaben zu können. Darüber hinaus zählt für ihn vor allem der interaktive und mit nur einem einzigen Klick zu bewerkstelligende Event- und Protestcharackter eines Shitstorms, schließlich war er selbst ganz vorne mit dabei, damals, als (irgendwas mit einem Sack Reis).

Trittbrettblogger.

Erscheint erst dann auf der Bühne, wenn das Unwetter schon in vollem Gange ist. Wartet geschickt ab, bis sich der Shitstorm zu durchschlagender Wucht formiert hat, aber schon knapp vor den Peak ist, um dann seinen bereits vorformulierten und keywordoptimierten Artikel zum Thema zu publizieren, vor dem geistigen Auge die in die Höhe schnellenden Trafficstatistiken, die er sich davon für sein kleines Blog erhofft, in dem er selten eigene Akzente setzt, das aber SEO-technisch perfekt aufgestellt ist und ihm daher jeden Monat ein paar Kröten über Google Ads einbringt. Hat er seinen Artikel veröffentlicht, schießt er ihn mit den nötigen Hashtags versehen mitten in den Shitstorm, dem er damit im Idealfall für ein paar Stunden noch einmal neues Leben einhaucht. Am nächsten Tag formuliert der Trittbrettblogger oft ganz stolz einen Nachfolgeartikel darüber, wie sein Server aufgrund der vielen Zugriffe fast durchglühte, den aber dann meist nur noch ein paar verirrte Spambots lesen und kommentieren.

Medienbegleitung.

Meist etwas später am Start als der Trittbrettblogger, ebenfalls motiviert von der Erkenntnis, dass sich mit Shitstorms massiv viele Leser auf die eigenen Präsenzen locken lassen, die in ihrem Wutrausch scharf darauf sind, sich noch weiter hochzujazzen. Typische Vertreter der Medienshitstormbegleitung wie Spiegel- oder Welt Online beschäftigen ausgewiesene Digital Natives, die im Auftrag des seriösen Journalismus noch einmal ausführlich ausrollen dürfen, worüber sich das Internet echauffierte und dafür von den in der Regel etwas weniger empörungsfreudigen Lesern der dazu gehörenden Printausgabe für die Belanglosigkeit ihrer Artikel in den Kommentaren nicht selten eins bis drei auf die Mütze bekommen. Das macht der Medienbegleitung aber nichts aus, denn Erfolg misst sich in ihren Metier grundsätzlich in Klicks und Reaktionen, egal welcher Art. Im Idealfall kann ein typischer Shitstorm durch die Medienbegleitung sogar in einer Klickstrecke (“die lustigsten Tweets zum Thema”) untergebracht werden, das erhöht zusätzlich die Anzahl der Impressions.

Schnelllebigkeit.

Erkennungsmerkmal jedes guten Shitstorms. Wer nicht direkt im Moment der Welle auf Twitter abhängt oder Admin der getrollten Präsenz ist, wird in der Regel von einem Shitstorm so gut wie nichts mitbekommen (es sei denn in Powerpoint-Slides von PR-Menschen mit Titeln wie “Die schlimmsten Internetpannen von Unternehmen”), denn nach 24 Stunden ist er in der Regel sogar von den Shitstormern selbst längst wieder vergessen. Versuche, ein paar Tage nach dem Shitstorm den oft natürlich nicht behobenen Missstand im Kern noch einmal detailliert zu betrachten oder sich nachhaltig mit dem zu Grunde liegenden Problem auseinandersetzen, ernten in fast allen Fällen nur ein müdes Gähnen oder verwirrte Blicke.

Paradoxe Beweismittelstreuung.

Essentielles und paradoxes Ritual jedes Shitstorm. Das möglichst breite Streuen des “schockierenden Beweismaterials” dient dabei gleichzeitig zur Legitimation der Empörung wie auch zu deren Erzeugung. Sollte das Video, gegen das man lautstark angeht, weil es zum Beispiel unter Gewaltverherrlichungsverdacht steht und vor dem Shitstorm drei Klicks hatte, vom Ersteller aufgrund der vielen erbosten Kommentare gelöscht werden, findet sich in einem guten Shitstorm immer jemand, der es auf sieben anderen Accounts wieder hochlädt, damit sich die Gemeinde in Ruhe weiter darüber aufregen kann, wie schlimm das Ganze ist und dass soetwas wirklich nicht in die Öffentlichkeit gehört. In ähnlicher Manier werden Artikel aus Lokal- oder Special-Interest-Publikationen auf Papier, die eigentlich keiner liest, eingescannt und auf alle Kanäle verteilt. Damit erzeugt jeder Shitstorm sein überdreht keifendes Publikum während des Akts der Empörung selbst, oder klagt, anders ausgedrückt, über den umfallenden Sack Reis, der niemanden interessiert hätte, hätte er ihn nicht selbst unter sich wiederholenden, lautstarken “Skandal”-Rufen umgeworfen.

Doppelmoral.

Dringend notwendiges geistiges Utensil zur begeisterten Teilnahme an Shitstorms, das bewerkstelligt, dass man die Mohammed-Karikaturen mit der Bombe als Turban mutig und provokativ finden kann, aber bei einem Werbespot, der mit Mann-Frau-Klischees spielt, einen Hals bekommt. Analog kann man mittels des für Shitstorms aller Art sehr hilfreichen Werkzeugs Doppelmoral gegen Copyright sein, und trotzdem komplett ausflippen, wenn einem ein Tweet geklaut wird oder total für Meinungsfreiheit im Netz und gegen Zensur sein, aber die Leute aufhetzen, wenn jemand einen Artikel schreibt, der nicht mit der Mainstreammeinung einhergeht und dann begeistert darüber twittern, wenn dessen Webseite vom wildgewordenen Mob gehackt wird.


Bedeutung.

Es hat sich zu einem unlösbaren Knoten versponnen. Du bist keiner von denen mehr, auf die man sich verlassen kann. Die Aussicht auf Macht und Erfolg verdirbt Menschen. Es gibt nichts, was ich mehr hasse, als Egoismus. Wir sind uns fremd geworden, weil Du nach Dingen gierst, die Dich betreffen, ich bewundere nicht mich, sondern ich bewundere das, was ich schaffen kann, wenn ich hart an mir arbeite. Ich bewundere die Botschaft, Du das Medium. Medien sind für mich nur seelenlose Werkzeuge, sie sind Dinge. Wer Dinge anbetet, der verliebt sich auch in Photos von Menschen und ich empfinde das als eine Art von Oberflächlichkeit, für die ich nicht nur aus Prinzip nichts übrig haben kann, sondern die ich verachten muss, um zu überleben. Um langfristig zu überleben, auch dann, wenn ich nicht mehr hier bin. Ich verliebe mich auch in Photos, aber nicht in die Menschen, die auf ihnen abgebildet sind, denn ich kenne diese Menschen nicht, und das ist ein Unterschied zwischen Dir und mir, den man nicht wegdiskutieren kann. Um nicht ein Leben zu leben, das nur nach Zielen strebt, die in dem Moment, in dem ich sterbe, völlig bedeutungslos werden, muss ich so sein. Ich weigere mich, ein bedeutungsloses Leben führen. Das ist auch eine Art von Egoismus, aber dieser Egoismus zielt in eine völlig andere Richtung, er zielt so weit weg von mir als Person wie nur möglich.


Stellungnahme der Universität Bayreuth aus einem ehrlicheren Paralleluniversum.

Die Prüfungskommission der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät hat gestern und heute getagt und beschlossen, dem Wunsch des Herrn „Dr.“(1) Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg, seinen Titel „dauerhaft ruhen zu lassen“ und damit die Plagiatsaffäre möglichst schnell und geräuschlos vom Tisch zu wischen, nachdem die Beweislast so erdrückend wurde, dass ein weiteres Leugnen nicht mehr möglich war, nicht nachzukommen. In § 16 („Ungültigkeit der Promotionsleistung“) der Promotionsordnung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ist ausdrücklich nur von Täuschung als möglichem Grund für den nachträglichen Entzug eines Doktorgrades die Rede. Die Kommission, darauf weisen die Mitglieder einstimmig hin, wird also in den nächsten Tagen intensiv prüfen, ob eine solche Täuschung in der Arbeit von Herrn „Dr.“ Freiherr zu Guttenberg vorliegt und entsprechend handeln. Aufgrund der bereits bekannt gewordenen Plagiate in erheblichem Umfang ist davon auszugehen, dass die Kommission eine Täuschung feststellen und den Herrn „Dr.“ Freiherr zu Guttenberg damit nicht nur des Plagiats, sondern auch der mehrfachen öffentlichen Lüge zweifelsfrei überführen wird.

Die wörtliche und sinngemäße Übernahme von Textstellen ohne jegliche Kennzeichnung verstößt nach der Rechtsprechung gegen die Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens. Aufgrund des Umfangs der Verstöße gegen diese Grundsätze, die nach bisherigem (von der Kommission noch nicht detailliert geprüftem) Kenntnisstand auf beinahe 73% aller Seiten der Dissertation zu finden sind und die sich auf eine große Zahl von Quellen beziehen, ist für jeden, der eine Universität schon einmal von innen gesehen hat und auch nur zwei Gehirnzellen sein Eigen nennt, davon auszugehen, dass entweder eine vorsätzliche Täuschung oder eine gravierende psychische Abnormität (vulgo: „schwerer Realitätsverlust“) beim Verfasser vorliegt.

Die genaue Untersuchung der Frage der Täuschung kann die Kommission schon deswegen auf keinen Fall einfach dahinstehen lassen, weil der Verteidigungsminister „Dr.“ Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg nicht nur in den letzten Tagen mehrfach öffentlich behauptet hat, dass seine Arbeit „kein Plagiat“ sei, sondern bis heute vorgibt, nicht „bewusst getäuscht“ zu haben und damit all jene unserer Studenten, Absolventen und Promovenden verhöhnt, die ihre Arbeiten in mühevoller Kleinarbeit anfertigen, ohne abzuschreiben, oft neben beruflichen Belastungen zur Finanzierung unserer exorbitant hohen Studiengebühren. Der Ruf der Universität Bayreuth stünde auf dem Spiel, wenn wir uns an dieser Stelle dem Wunsch des „Dr.“ Freiherrn zu Guttenberg anschließen, seinen Titel ohne genauere Prüfung der Täuschung einziehen und einfach einen anderen Paragraphen vorschieben würden, gegen den er alternativ verstoßen haben könnte. In diesem Falle stünden wir wie eine Marionettenuniversität aus dem tiefsten Bayern da, deren wissenschaftliche Entscheidungen von der CSU diktiert werden, vom „summa cum laude“ bis hin zum „will doch kein Doktor mehr sein, um mein politisches Amt zu retten“. Das können wir uns auf keinen Fall leisten.

Das Verfahren der Promotionskommission der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät ist also noch nicht beendet, nur weil Herr „Dr.“ Freiherr zu Guttenberg es gerne so hätte, sondern fängt gerade erst an. Mit ersten Ergebnissen ist im Laufe der nächsten Woche zu rechnen, denn wenn man mal ehrlich ist, dann haben die Freiwilligen im Internet eigentlich das meiste von unserer Arbeit schon erledigt, wir müssen also nur kurz nachschlagen, ob das jeweils so stimmt, was nicht besonders lange dauern sollte.

(1) Demonstration der korrekten Setzung von Anführungszeichen.

Link: Die tatsächliche Stellungnahme der Universität „Buyreuth“.


15 Tipps für Blogger mit normal großem Ego.

1. Schreibe, was immer Du willst.

2. Glaube nicht, dass Du über andere Blogs oder das Internet schreiben musst, nur weil das die Blogs tun, die Du in Deinem Facebookstream verlinkt siehst. Du brauchst Dir auch nicht zwanghaft einen roten Faden ausdenken, Dein Leben hat bestimmt einen, selbst dann, wenn er sich in der permanenten Abwesenheit eines roten Fadens manifestieren sollte.

3. Erschaffe Deinen eigenen Content, klaue nicht einfach nur was aus dem Netz zusammen und Copy&Paste es in ein WordPress-Backend. Das kann jeder Idiot. Falls Du dennoch ernsthaft über Fundstücke bloggen willst, dann suche Dir wenigstens eine noch unbesetzte Nische und finde sehr originelle und hochwertige Inhalte dazu.

4. Lass Dir Zeit bei dem, was Du schreibst. Ein Blog ist nicht schneller als eine Zeitung, das ist ein Mythos. Ein Eintrag wird so lange existieren und von Suchmaschinen und Lesern gefunden werden, wie Dein Blog existiert, also veröffentliche ihn erst, wenn Du wirklich zufrieden damit bist.

5. Dränge Dich als Person nicht zu sehr in den Vordergrund. Eine schlichte About-Seite oder ein paar Buttons zu Deinen anderen Netzaktivitäten reichen locker. Du musst kein Photo Deines grinsenden Gesichts unter jedes Posting hängen und in einer bunten Box in blinkender Schrift dazuschreiben, wie oft Du pro Tag im Durchschnitt retweetet wirst.

6. Du brauchst auch keinen Kram wie Like-Buttons und Flattr-Plugins, die zudem richtig scheiße aussehen, wenn Du das nicht willst. Guter Content reicht meistens, um die Leser zu kriegen, die zu Dir passen. Auf den hysterischen Mob, der Dich heute bis zum Serverglühen durchklickt und morgen wieder woanders hinläuft, kannst Du verzichten.

7. Benutze das Wort „Ich“ nicht permanent in Deinen Postings, es sei denn, Du schreibst literarische Texte in der ersten Person Singular oder erlebst wirklich spannende Sachen, die sich nicht verallgemeinern lassen.

8. Freue Dich über Kommentare, aber nimm sie nicht zu ernst. Nimm es auch nicht zu ernst, wenn Du meistens keine Kommentare bekommst, vielleicht passen zu Deinem Inhalt einfach keine Anmerkungen. Vertraue Dir selbst und sei nicht das Fähnchen im Wind, das bei Vorratsdatenspeicherung nach Peter Schaar ruft, aber bei Google Street View von Datenschutzspießern fabuliert.

9. Suche Dir ein paar Blogs, die Dir gut gefallen. Verlinke sie in Deiner Blogroll und lies sie regelmäßig, auch wenn es Blogs sind, die von Deinen Internetkontakten keiner kennt. Kommentiere ab und zu mal und trag Deine Blogadresse in das dafür vorgesehene Feld ein, aber kommentiere nur dann, wenn Du wirklich etwas zu sagen hast.

10. Gucke Dir Deine Statistiken nicht dauernd an. Sie sagen nichts darüber aus, wie gut Dein Blog ist. Falls Du zu den Leuten gehörst, die in Versuchung kommen könnten, so zu handeln, dann installiere erst gar kein Statistiktool.

11. Spamme mit Deinem Content nicht überall herum. Es ist wirklich nicht notwendig, jedes Posting auf Facebook und Twitter zu verlinken. Wenn Du das nur ab und zu machst, erzielst Du damit außerdem mehr Wirkung als die Leute, die jeden Tag aufgeregte Texte zu brandheißen Themen schnellstmöglich in die Tasten hacken und anschließend überall damit hausieren gehen. Denke an den Jungen, der Wolf schrie.

12. Schalte keine oder nur sehr dezente Werbung. Werbung sieht auf Deinem Blog scheiße aus, das weißt Du doch selbst, und die hundertvierundfünfzig Kröten im Monat brauchst Du doch nicht, um zu überleben, oder? Wenn Du generell nur bloggst, um (irgendwann) Geld damit zu verdienen, dann gestehe Dir ein, dass das Ganze eine ziemlich dumme Idee war. Eine Imbissbude zu eröffnen ist in 99 von 100 Fällen deutlich lukrativer.

13. Achte ein bisschen auf ein ansprechendes Layout. Dein Blog muss angenehm zu konsumieren sein, quietschbunte Links, Avatare Deiner Fans, merkwürdige Buttons und Kommentarboxen an allen Ecken und Enden will eigentlich kein Mensch gerne um Texte herumfliegen sehen.

14. Schreibe keine Postings wie dieses hier. Sie sind genau die Art von Inhalt, der die falschen Besucher anzieht.

15. Wenn Du diese Tipps alle völlig nachvollziehbar findest, dann brauchst Du sie im Grunde nicht zu beachten, denn in dem Fall gehörst Du zu den wenigen Leuten, die das schon alleine ziemlich gut hinkriegen mit dem Bloggen.


Notizblock (I): Lars Von Trier – “Antichrist”

Erste Notizen und Ideen nach Kinobesuch: In der Abgeschiedenheit einer Holzhütte, auf die ein Baum permanent zu ejakulieren scheint (es fallen des Nachts Eicheln in massiger Zahl auf die Hütte, die von der Protagonistin als seine „toten Kinder“ gelesen werden) passiert das, was die Grundlage für den neuen Lars von Trier-Film „Antichrist“ bildet, eine Entwicklung findet statt, die bezeichnenderweise weit vor dem eigentlichen Auslöser des Plots, nämlich dem Tod des Kindes eines Liebespaares, liegt: Sie, offenbar Geistes- oder Kulturwissenschaftlerin, schreibt sich im Zuge ihrer Dissertation selbst immer tiefer hinein in die Rolle der Hexe und der Hure aus dem 16. Jhd., die sie eigentlich kritisch untersuchen soll, er versucht im Folgenden und nach dem Auftaktereignis den ganzen Film über sie mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu lesen – denen der Psychotherapie, die eben hier nicht mehr greifen, denn sie spielt längst eine Rolle, auch wenn die Trauer oben drauf kommt: Die eben jener sexuell begierigen und männerbedrohenden Frau, der Anti-Mutter, die auch ihr Kind quält und die in der von ihr untersuchten Literatur vernichtet werden muss, was konsequenterweise am Ende dann auch auf der Plotebene des Films geschieht. Als er nämlich erkennt, was sie geworden ist, nach ihrer scheinbaren Heilung, nach seiner brutalen Kastration, die mit einer überaus blutigen Fremdmasturbationsszene besiegelt wird, nimmt er auch seine Rolle an (vorher muss er freilich noch den Mühlstein um seinen Fuß loswerden, den sie ihm angelegt hat): Der zerstörende Mann, der die Anti-Mutter und Femme Fatale brutal tötet.

Es ist am Ende eben nicht ein Psychodrama (sie selbst merkt ironischerweise an, dass Freud tot ist, der Film arbeitet dennoch in überbordener Weise mit Symbolen und traumartigen Sequenzen), sondern eine literarische Geschichte eines von Männern erfundenen und zu bannenden Frauentypus (und damit ein in höchstem Maße gendertheoretisches Problem), das hier erzählt wird, auch wenn der Film uns in seiner ersten Hälfte auf die falsche Fährte lockt, hier gehe es um eine Reise in Unterbewusstsein, in den Wald, in den Mutterschoß der Erde, den Fuchsbau. Vielmehr geht es hier um Besessenheit, um das Besessen sein von einer bestimmten Rolle/Figur, die sich einer Person bemächtigt (und das ist klassisches Horrorfilm-Material; Anm.: Sie will es ja auch loswerden und sich selbst töten/kastrieren, schwankt ständig), um den Verlust der Distanz zum eigenen Forschungsobjekt. Als sie ihm erzählt, dass ihr ihre eigene Doktorarbeit im Wald „oberflächlich“ vorgekommen wäre, sagt sie vielmehr, dass sie ihren Untersuchungsgegenstand verinnerlicht hat, statt ihn zu hinterfragen. Oberflächlich hat sie jedenfalls nicht daran gearbeitet, das verdeutlicht eben das, was er bei seiner Suche auf dem Dachboden entdeckt: Ihre Dissertation gleicht eher einem kultischen Tagebuch mit vielen Bildern und irren Aufzeichnungen, einem Zeugnis ihres eigenen Verschmelzens mit dem, worüber sie liest. Es hat nichts von einer wissenschaftlichen Arbeit. Darum herum: Eine Art Altar mit Bildern der Zerstörung eben jener Frauen im 16. Jahrhundert, eben der Hexen, die am Ende des Films noch einmal aus dem Wald gekrochen kommen, vielzählig, vielgestaltig, ihn still anklagend: Schließlich ist doch am Ende unklar, ob nun sie in der Rolle der bösen Frau oder doch ihr Inquistor der Antichrist des Titels ist.

Weitere Motive, die noch näher zu bedenken sind: Fabelmotive (Tiere, die drei Bettler); Traumsequenzen (Freud nochmal deutlicher); Horrorfilmästhetik vs Psychodrama; Intro/Outro; Ihre Selbstvernichtungstendenzen; Tod des Kindes (Fall oder Sprung?); Selbst-Therapie des Regisseurs.

Grundsätzlich: Schwankend zwischen Fabel-Motiven, moderner Psychologie, alter Psychoanalyse & einer Vielgestalt von Symbolen, Horrorfilmästhetik (Besessenheit); viel Gendertheorie mit drin.


Lorem Ipsum.

Ich griff zum Telefon und informierte die Menschen über das, was passieren würde. Niemand von Ihnen hatte auch nur die geringste Ahnung, dass es schon morgen so weit gewesen wäre. Ich kann mir gar nicht oft genug ausmalen, was passiert wäre, wenn ich diese Menschen nicht informiert hätte über das, was passieren könnte und ich muss zugeben: Je öfter ich es mir ausmale, desto öfter passiert es, dass ich eine diebische Freude bei Vorstellung bekomme, ihre Gesichter  sehen  zu können im Angesicht dessen, was sie erwartet hätte, wenn ich sie nicht in Kenntnis gesetzt hätte. Nun, ich habe sie in Kenntnis gesetzt und selbst wenn ich das nicht getan hätte, dann hätte ich natürlich auch nie ihre Gesichter im Moment ihres eigenen Erkennens gesehen. Das wäre gänzlich unmöglich gewesen, man kann ja nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein und diese Menschen wohnen an unterschiedlichen Orten. Selbst um eines der Gesichter zu sehen hätte ich in den entsprechenden Ort reisen müssen, mich vor dem Haus der betreffenden Person verstecken, um dann mit einem technischen Hilfsmittel das Gesicht beim Verlassen desselben zu beobachten, beim Anblick dessen, was passiert wäre, wenn ich nicht eingegriffen hätte. Nun ist das alles aber wie gesagt bereits Schnee von gestern, denn es wird nichts passieren, ich habe sie alle erreicht, es wird keine sehenswerten Gesichter beim Anblick des Ereignisses geben, denn das Ereignis wird nicht stattfinden. Und dennoch: Irgendwie fühlte ich mich danach ein bisschen leer. Schuldig, vielleicht, daran, für diese Leute entschieden zu haben, dass das Nichts dem Erlebnis höhersteht. Ich wählte erneut eine Nummer.


Tiefenstrukturanalyse (XXXI)

Wie sich die Zeiten ändern: Heute “rutscht man ab in Scheinwelten” und das ist wirklich brandgefährlich, vor ein paar Jahren nannte man es noch “blühende Phantasie” und war froh darüber, wenn die eigenen Kinder das hatten.


Rituale & Routinen.

Laut mir exklusiv vorliegenden Informationen hat der Amokläufer von Winnenden mehrere Bücher gelesen, teilweise sogar mitten im Unterricht unter den Augen der Lehrer. Mehrere CSU-Politiker zeigten sich schockiert: “Wann verbietet endlich jemand diesen gewaltverherrlichenden Dreck?”, fragte Parteipräsidialvize Josef Stumpfhuber, sichtlich betroffen von diesen neuen Erkenntnissen. Polizeipsychologe  und Medienexperte Peter Kleinschnurz ist sich derweilen sicher: “Dass der Vater des Jungen mehr als zehn Waffen und mehrere tausend Schuss Munition im Elternhaus lagerte, hängt meines Erachtens kaum mit den Vorkommnissen zusammen.”

Die Medien bleiben inzwischen extrem dicht dran und zwitschern live vom Ort des  Geschehens. Letzte Twitter-Meldung eines besonders investigativen Reporters einer großen deutschen Tageszeitung: “Esse gerade einen Döner extra scharf, danach Pressekonferenz.” Vier weitere Blätter haben die sich inzwischen als Falschmeldung  entpuppte Nachricht (in Wahrheit war der Typ in einer Fast-Food-Kette) derweilen schon abgeschrieben und ein ein bisschen was dazugedichtet. Das bunte Treiben geht weiter.


Tiefenstrukturanalyse (XXX)

Das Konzept einer Photosession ist so einfach wie seltsam: Man trifft sich mit völlig fremden oder befreundeten Menschen an unbekannten oder vertrauten Orten und macht ein paar Stunden lang ganz spontane oder im Detail geplante Kunst. Photographie ist mein großes Abenteuer. Und ich habe auch nach Jahren immer wieder Lampenfieber.


Tiefenstrukturanalyse (XXIX)

Dass heute jeder, der im Zweifel gar kein Interesse und nur ein bisschen Geld zur Verfügung habe, Zugang zu professionellen Werkzeugen habe, mindere den Wert der Arbeit derjenigen, die viel Zeit und Mühe in ihre Kunst  / ihr Handwerk investieren, so las ich in mehreren spannenden Diskussionen diese Woche, die sich nicht nur um Photographie drehten. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn endlich jeder den Zugang zum Werkzeugkasten hat, wird der elitäre Kreis der Eingeweihten durchbrochen und nur noch Qualität kann als Messlatte gelten. Flutet alle Webseiten mit schlechten Photos, es lässt meine eigene Arbeit mehr glänzen.