Notizblock (I): Lars Von Trier – “Antichrist”
Erste Notizen und Ideen nach Kinobesuch: In der Abgeschiedenheit einer Holzhütte, auf die ein Baum permanent zu ejakulieren scheint (es fallen des Nachts Eicheln in massiger Zahl auf die Hütte, die von der Protagonistin als seine „toten Kinder“ gelesen werden) passiert das, was die Grundlage für den neuen Lars von Trier-Film „Antichrist“ bildet, eine Entwicklung findet statt, die bezeichnenderweise weit vor dem eigentlichen Auslöser des Plots, nämlich dem Tod des Kindes eines Liebespaares, liegt: Sie, offenbar Geistes- oder Kulturwissenschaftlerin, schreibt sich im Zuge ihrer Dissertation selbst immer tiefer hinein in die Rolle der Hexe und der Hure aus dem 16. Jhd., die sie eigentlich kritisch untersuchen soll, er versucht im Folgenden und nach dem Auftaktereignis den ganzen Film über sie mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu lesen – denen der Psychotherapie, die eben hier nicht mehr greifen, denn sie spielt längst eine Rolle, auch wenn die Trauer oben drauf kommt: Die eben jener sexuell begierigen und männerbedrohenden Frau, der Anti-Mutter, die auch ihr Kind quält und die in der von ihr untersuchten Literatur vernichtet werden muss, was konsequenterweise am Ende dann auch auf der Plotebene des Films geschieht. Als er nämlich erkennt, was sie geworden ist, nach ihrer scheinbaren Heilung, nach seiner brutalen Kastration, die mit einer überaus blutigen Fremdmasturbationsszene besiegelt wird, nimmt er auch seine Rolle an (vorher muss er freilich noch den Mühlstein um seinen Fuß loswerden, den sie ihm angelegt hat): Der zerstörende Mann, der die Anti-Mutter und Femme Fatale brutal tötet.
Es ist am Ende eben nicht ein Psychodrama (sie selbst merkt ironischerweise an, dass Freud tot ist, der Film arbeitet dennoch in überbordener Weise mit Symbolen und traumartigen Sequenzen), sondern eine literarische Geschichte eines von Männern erfundenen und zu bannenden Frauentypus (und damit ein in höchstem Maße gendertheoretisches Problem), das hier erzählt wird, auch wenn der Film uns in seiner ersten Hälfte auf die falsche Fährte lockt, hier gehe es um eine Reise in Unterbewusstsein, in den Wald, in den Mutterschoß der Erde, den Fuchsbau. Vielmehr geht es hier um Besessenheit, um das Besessen sein von einer bestimmten Rolle/Figur, die sich einer Person bemächtigt (und das ist klassisches Horrorfilm-Material; Anm.: Sie will es ja auch loswerden und sich selbst töten/kastrieren, schwankt ständig), um den Verlust der Distanz zum eigenen Forschungsobjekt. Als sie ihm erzählt, dass ihr ihre eigene Doktorarbeit im Wald „oberflächlich“ vorgekommen wäre, sagt sie vielmehr, dass sie ihren Untersuchungsgegenstand verinnerlicht hat, statt ihn zu hinterfragen. Oberflächlich hat sie jedenfalls nicht daran gearbeitet, das verdeutlicht eben das, was er bei seiner Suche auf dem Dachboden entdeckt: Ihre Dissertation gleicht eher einem kultischen Tagebuch mit vielen Bildern und irren Aufzeichnungen, einem Zeugnis ihres eigenen Verschmelzens mit dem, worüber sie liest. Es hat nichts von einer wissenschaftlichen Arbeit. Darum herum: Eine Art Altar mit Bildern der Zerstörung eben jener Frauen im 16. Jahrhundert, eben der Hexen, die am Ende des Films noch einmal aus dem Wald gekrochen kommen, vielzählig, vielgestaltig, ihn still anklagend: Schließlich ist doch am Ende unklar, ob nun sie in der Rolle der bösen Frau oder doch ihr Inquistor der Antichrist des Titels ist.
Weitere Motive, die noch näher zu bedenken sind: Fabelmotive (Tiere, die drei Bettler); Traumsequenzen (Freud nochmal deutlicher); Horrorfilmästhetik vs Psychodrama; Intro/Outro; Ihre Selbstvernichtungstendenzen; Tod des Kindes (Fall oder Sprung?); Selbst-Therapie des Regisseurs.
Grundsätzlich: Schwankend zwischen Fabel-Motiven, moderner Psychologie, alter Psychoanalyse & einer Vielgestalt von Symbolen, Horrorfilmästhetik (Besessenheit); viel Gendertheorie mit drin.