Im Gestern.

„Findest Du es verwerflich, wenn man Ereignisse in seinem eigenen Tagebuch so wiedergibt, wie man sie sich zu passieren gewünscht hätte?“

„Wieso sollte ich das verwerflich finden?“

„Ich weiß nicht. Es kommt mir wie eine Fälschung vor.“

„Ach, komm schon. Unterschiedlich arbeitende Gehirne, verblassende Erinnerungen, Beobachtungen mit Brennpunkten auf unterschiedlichen Dingen: Das sind die eigentlichen Verzerrer. Dinge so aufzuschreiben, wie man sie gerne erlebt hätte, das ist einfach nur konsequent. Man interpretiert die Sachen, die einem zustoßen, doch sowieso so lange, bis sie  irgendwie in das eigene Leben reinpassen.“

„Wenn man Optimist ist.“

Ich lächelte. „Ja, wenn man Optimist ist. Du bist doch einer, oder?“

„Hm. Ich glaube, ich habe mich noch nicht entschieden. Also glaubst Du, es ist sogar gut, alles aufzuschreiben, wie immer man will?“

„Es ist perfekt. Zuerst machst Du die Erinnerungen in Worten konkret, gibst ihnen Körper, und dann schreibst Du sie in Dich hinein und lässt nicht mehr zu, dass sie in Deinem Kopf wild herumwuchern, wie es ihnen gerade passt.“

„Geschichtsfälschung als persönliche Überlebensstrategie. Das machen ziemlich viele Menschen, wenn man mal darüber nachdenkt. Wahrscheinlich mehr als man glaubt. Besonders diejenigen, die kein Tagebuch führen. Aber die benutzen eher Leerstellen. Vergessen und Verdrängen. Anders könnten die sich doch gar nicht aushalten.“

„Das glaube ich auch. Es ist ja eigentlich ganz einfach: Geschichte ist nur das, was überdauert. Wenn es ohne Dich keine Geschichte gäbe, dann revidierst Du nichts. Du schreibst es.“

„Aber was mache ich, wenn mein Tagebuch irgendwann jemandem in die Hände fällt, der weiß, wie das alles wirklich passiert ist? Man würde mich im Nachhinein für verrückt erklären.“

„Tausch doch zusätzlich die Namen der Leute gegen Phantasienamen aus und schreib groß Literatur darüber. Das klappt.“