Verlauf.
Du hattest gesagt, dass Du warten würdest.
Es war gelogen.
Ich wusste den Weg nicht und ich hatte mich verlaufen, deswegen rief ich Dich auf Deinem Mobiltelephon an, aber Du warst nicht da oder Du ignoriertest einfach meinen Anruf, ich weiß es nicht mehr genau, denn ich habe es verdrängt.
Etwas in mir wollte Dir Vorwürfe machen, aber ich ließ das nicht zu, ich stand weiter zu Dir, auch wenn mein Verstand Dich direkt verteufelte.
Wir hatten die Welt in der Hand und wählten den imaginären Spatz auf dem Dach eines Schlosses, das nur in unseren fiebrig-egoistischen Phantasien der Zukunft Bestand haben konnte.
Du machtest die Regeln und ich spielte das Spiel.
Ich bin das Aluminium. Ich bin das Dach.
Und Du bist das Schloss. Aber das zählt längst nicht mehr, denn es ist eine Binsenweisheit aus einer Zeit, die nicht mehr ist.
Ein Reh mit einem Tuch im noch schwach ausgeprägten Geweih kam den Weg entlang und ich fragte es nach Dir und es winkte nur hilflos mit seinem Tuch und verschwand dann im Wald.
Also rief ich nach Dir und irrte ziellos durch das Gestrüpp, aber Du antwortetest wieder nicht und irgendwann stand ich allein an einem Knotenpunkt und blieb einfach stehen und dann schlug ich Wurzeln.
Meine Wurzeln gruben sich mit jedem Tag, den ich dort stand, tiefer in die Erde.
Meine Haare wurden nach einiger Zeit grün und meine Haut wurde irgendwann ganz braun und ganz hart.
Mir wuchsen zuerst neue Arme, dann wuchsen mir neue Finger.
Immer mehr davon.
Irgendwann kamen Männer mit Helmen und mit mechanischen Sägen.
Sie sägten mir zuerst die Arme ab und dann mitten durch meinen Körper.
Ich habe an Dich gedacht, als sie begannen, mich zu zersägen, und ich stelle mir gerne vor, dass Du in genau diesem Moment auch an mich gedacht hast. In meiner Vorstellung treffen sich unsere Gedanken irgendwo in der Mitte der Entfernung, die zwischen uns war und spielen unsere Geschichte in einem metaphysischen Theater immer wieder in neuen Variationen nach, bis sie endlich einen Weg finden, das Schauspiel auf eine Ebene zu verfrachten, auf der die Darsteller aufgrund der schieren Quantität der sich tendenziell endlos wiederholenden Auftritte und der daraus resultierenden, prägenden Erfahrung mit dem Material mit ihren Rollen komplett verschmelzen. Und schließlich miteinander.