Verwässerung, Allzumenschliches (I)
Ich kenne mein Los
von SG Bangs
Mein Name ist Simon Gabriel Bangs und ich bin Journalist. Nein, nicht die Art von Journalist. Ich bin keine schleimige, arschkriechende Kröte, die im Sendung mit der Maus-Duktus für die Dummen über Politik oder Medien schreibt, und sich dabei nicht traut, etwas zu sagen, dass über bloßes Nacherzählen von Handlungsabläufen mit ein paar sarkastischen Untertönen hinausgeht, die sowieso nur die bemerken, denen man den Scheiß eigentlich gar nicht erklären muss. Ich bin auch keiner von denen, die sich wie Parasiten an ein bestimmtes Thema oder bestimmte Personen klammern und in einer Art von symbiotischer Hassliebe auf genau dem hängen bleiben, das sie, wenn es, wie sie so oft in ihren „kritischen“ Artikeln fordern, abgeschafft würde, arbeitslos und mit innerer Leere zurücklassen würde. Nein. Ich schreibe über das Leben und das, was da draußen so passiert. Ich schreibe Essays über das, was mit mir geschieht, wenn ich die Stadt unter meinen Füßen und den Geruch von ihrer Natur entfremdeten Menschen in meiner Nase habe. Mindestens 7000 Zeichen, das ist die einzige Vorgabe für einen meiner monatlichen Artikel in der Zeitung, für die ich mich dort draußen herumtreibe. Wäre es nicht um des Schreibens willen, dann hätte ich schon lange aufgehört, meine Wohnung zu verlassen. Ich bin die Menschen eigentlich leid. Ich bin ihre Dummheit und Ignoranz leid, es ist so sinnlos, gegen diese kollektive Apathie anzukämpfen. Kaum hat man zwei Idioten nach wochenlanger Überzeugungsarbeit von irgendetwas begeistert, schon wachsen vier andere Trottel nach, die dieselben alten Dummheiten wiederholen und weiter zementieren. Es frustriert mich, aber andererseits hält mich genau das im Geschäft. Ich habe immer gesagt: „Je dümmer die Menschen, desto höher mein Marktwert“, und ich glaube, dass das der Kern ist, aber es ist auch das zentrale Dilemma, dem ich nicht entkomme. Wissen Sie: Früher dachte ich, dass es ein Problem des Ortes wäre. Ich träumte immer davon, dem kleinen Dörfchen, in dem ich wohnte, in dem die Namen Franz Kafka, Emily The Strange und Hunter S. Thompson nicht mehr waren als etwas, das man im Glücksfall irgendwo schon mal aufgeschnappt hatte, zu entkommen und in die große Stadt auszuwandern, wo ich, so zumindest glaubte ich, meinesgleichen finden würde. Irgendwann schaffte ich es dort raus. Die Städte wurden über die Jahre größer und größer, aber ich fand dennoch nie diese Menschen, die ich suchte. Ich blieb allein. Also begann ich zu schreiben. Ich schrieb mir jede Nacht mein Gehirn aus dem Leib und je mehr ich schrieb, desto mehr hatte ich das Gefühl, endlich zu einem Ich zu finden, dass diesen Antrieb, andere Menschen kennen zu lernen, nicht mehr als Grundlage für sein eigenes Dasein brauchte. Ich war einfach nur noch. Und ich war verdammt glücklich damit.
Am liebsten schreibe ich über das Schreiben. Sie würden das Selbstreflexivität nennen, weil Sie ein schmieriger, pseudointellektueller Wichser sind, der das Prinzip aus seinem eigenen Handeln kennt und es gerne vor sich und vor anderen rechtfertigen will, ohne zugeben zu müssen, worum es sich dabei eigentlich handelt. Ich sage Ihnen, was es wirklich ist, wenn man über das schreibt, was man sowieso die ganze Zeit tut: Sich gehörig einen runterzuholen auf sich selbst, das ist es. Mehr nicht. Kaboom. Und jetzt erzählen Sie mir nicht, dass ich die Unwahrheit sage, ich kann Ihr zustimmendes Altherrengrinsen durch die Zeilen hindurch sehen. Ich schreibe über das Schreiben. Ich kann Ihnen zwanzigtausend Worte voller blumiger Metaphern und Chiffren für den Schreibprozess um die Ohren hauen, die Sie absolut davon überzeugen werden, dass ich die Sache verstehe, dass ich das Ganze durchschaut habe, die am Ende aber allesamt riesengroßer Bullshit sind, den ich beim Tippen einfach erfinde. Lassen Sie es mich so formulieren: Schreiben besteht eigentlich aus zwei Teilen: Aus dem Leben und aus dem Lesen. Sie können nicht schreiben, wenn Sie nichts erleben, denn sonst kopieren sie nur sinnlos Gefühle aus Novellen und Romanen, die Sie selbst gar nicht nachvollziehen können. Andererseits aber können Sie nichts von dem, was Sie da draußen erleben, festhalten, wenn ihnen das Vokabular fehlt, das Sie wiederum nur über den Konsum von Literatur erwerben können. Verstanden? Sie fallen an dieser Stelle auf das rein, was ich drei Sätze vorher erklärt habe: Das ist natürlich kompletter Nonsense. Schreiben Sie einfach drauf los, egal, wer oder wo Sie sind und lassen Sie dabei alle Hemmungen und Blockaden in Ihrem Kopf fallen. Wenn Sie schreiben, dann passiert das ganz automatisch. Sehen Sie? Sie glauben mir schon wieder, obwohl ich sie gerade eben erst aufs Kreuz gelegt habe.
Vor ein paar Jahren habe ich einen Roman geschrieben. Eine Polemik, unter einem der zig Pseudonyme, die ich mir im Laufe der Zeit zugelegt habe, um ein paar unterschiedliche Perspektiven auszuleben, die ich nicht mit mir als Person in Verbindung gebracht haben wollte, weil die Leute trotz dreihundert Jahren Literaturwissenschaft nicht in der Lage sind, einen Text von seinem Autor zu trennen und als ein Stück eigenständige Kunst zu betrachten. „Also sprach Zarathustra“ auf Crack in der Postmoderne, wenn sie es zu einer billigen Schlagzeile verdichtet hören wollen. Es wurde glatt in der Luft zerrissen. Ich liebte es, wie es missverstanden und zerfetzt wurde und in den Kommentarspalten der großen Zeitungen und Blogs wetterte ich selbst am leidenschaftlichsten gegen das Buch. Es landete in der ersten Woche auf Platz Eins der Bestsellerlisten und blieb dort lange genug, um mir für den Rest meines Lebens meine zur damaligen Zeit gleichermaßen auf den Gipfel wachsende Zuneigung zum Alkohol und anderen Mittelchen nebst Autos, Wohnungen, Frauen und sonstigen Dekadenzien zu finanzieren. Um ehrlich zu sein interessierte mich dieser ganze Kram aber nie wirklich (ja, ich brauchte einige Zeit, um das zu verstehen). Das wirklich Gute daran war nicht das Geld, sondern die Freiheit und der Ruhm. Und die Ehrfurcht in gewissen Kreisen geradliniger Typen, in denen ich mit meiner verwinkelten Persönlichkeit vorher nur aneckte. Ich konnte also locker mit verfilzten, ungewaschenen Haaren, einem ausgebleichten Godspeed You Black Emperor-Shirt und einer selbstgedrehten Zigarette im Mundwinkel mitten in die angesehene Redaktion der Zeitung, für die ich diese Zeilen hier tippe, reinspazieren und alle wichen ehrfürchtig vor mir zurück, als wäre plötzlich ein Gespenst in ihrer Mitte aufgetaucht. Ein wandelndes Klischee, das war ich, und ich wandelte schnurstracks in das überdimensionierte Büro des Chefredakteurs und holte mir diesen Job. Und nun sitze ich hier und tippe. Mindestens siebentausend Zeichen. Zwei lange Spalten und ich habe keine Angst davor, dass ich es nicht schaffe, den Platz zu füllen, keine Angst vor den Reaktionen irgendwelcher Menschen, die in meinem Leben sowieso nie eine Rolle gespielt haben und nie eine Rolle spielen werden, weil sie die Art von Menschen sind, die ihren Kindern später erklären müssen, dass sie ihr Leben damit verbracht haben, unzeitlose Sachen über diese kompletten Versager in der Politik in ihre Tastaturen gehämmert zu haben und doch nichts ändern konnten. Ich habe Angst vor mir selbst und vor dem, was diese Kolumne mit mir macht. Seit dem Buch habe ich nicht mehr ernsthaft geschrieben. Ich habe ein bisschen diese neuen Medien ausprobiert, mit den Clowns auf Twitter auf Wortspielchen rumgekaut, ein bisschen gebloggt und mich über die Dummheit in Blogs aufgeregt, hier und da Gedichte geschrieben, für die ich mich immer nur rechtfertigen musste (was weniger an den Gedichten selbst, als vielmehr daran lag, dass heute niemand mehr Gedichte schreibt und man unweigerlich so erscheint, als wäre man komplett aus der Zeit gefallen, wenn man sich an Lyrik versucht, die über das Niveau 16jähriger Emo-Mädchen auf Myspace hinausgeht) und mich immer wieder an diversen Experimenten versucht, die eigentlich ein Weglaufen waren. Das hier ist mein großes Comeback. Und ich freue mich irgendwie darauf, ein paar blutige Nasen zu verteilen, wenn ich ganz ehrlich sein soll.