NeuRosen (LVII)

Vor knapp zehn Jahren habe ich das erste und einzige Mal in meinem Leben jemanden verlassen. Ich bin einfach gegangen, ich zog die Tür Ihrer Wohnung hinter mir zu, in dem Wissen, dass ich Sie vermutlich nie wiedersehen würde. Im dem Moment, in dem ich es tat, schien es wie etwas teuflisch Grausames aber unfassbar Verlockendes zugleich: Einfach ausbrechen, weglaufen, mich nicht mehr melden, frei sein. Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke. Jenes schlechte Gewissen wurde vor ein paar Jahren so groß, dass ich anfing, random Menschen mit demselben seltenen Nachnamen aus dem Telefonbuch in ganz Deutschland anzurufen, um die Frau, um die es ging, wiederzufinden. Ich habe sie nicht gefunden, aber ich google bis heute manchmal ihren Namen, um hoffentlich irgendwann herauszufinden, was mit ihr passiert ist, obwohl wir kaum drei Monate zusammen hatten. Ich weiß nicht, warum ich zu so etwas banalem wie Menschen einfach zurücklassen nicht in der Lage bin. Zu etwas, das andere Menschen jeden Tag hundertausendfach tun. Ich kann niemanden allein lassen, der mir einmal wichtig war. Ich bin der festen Überzeugung, dass ich immer nur dann eine Beziehung (und damit meine ich nicht nur Liebesbeziehungen) mit jemandem eingehe, wenn ich mir sicher bin, dass es für die Ewigkeit sein könnte. Und dass in einer Beziehung, die ich so einschätze, jedes wieauchimmer geartete Problem ein lösbares Problem ist, wenn man einfach nur darüber redet und keinerlei Scheu davor hat, dem anderen zu erklären, was eigentlich eben dieses verdammte Problem ist.

Leider bin ich oft mit dieser eigentlich grundeinfachen Einsicht, dass man Menschen, die man einmal nah an sich gelassen hat, nicht einfach wieder wegstößt, bis heute ziemlich allein. Daraus erwuchsen im Laufe der Jahre Stilblüten meiner Existenz, auf die ich gerne verzichten würde, wie eben das Googlen dieses einen Namens oder die Existenz jener teuflischen Dame, der ich ab und zu, aber dennoch auf regelmäßiger Basis mitteile, wie es mir geht, ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Allerdings kann ich dennoch nicht nicht wirklich behaupten, dass mich diese Merkwürdigkeiten in irgendeiner Form in meinem Dasein einschränken würden. Im Gegenteil: Eigentlich mag ich meine Leichen im Keller, ich füttere sie oft und bilde mir, während ich das tue, ein, mit dieser Art von Verhalten besser zu sein als viele andere Menschen.