Lose rote Fäden.
An diesem Dienstag war alles anders.
„Ich hätte Dich viel früher kennen lernen sollen“, schrieb Herr K. Dann schrieb er lange Zeit nichts. Irgendwann stand er auf, ging nach unten, vor das Backsteinhaus, wo noch immer der Herbst Einzug hielt, und drehte sich eine Zigarette. Ein Einzug mit Kampf, dachte Herr K. Der alte Mieter, der Sommer, dieser räudige, lebenslustige alte Mann mit der sonnengegerbten, ledrigen Haut, der wollte einfach nicht gehen. Herr K. dachte immer noch in Metaphern und seltenen Adjektiven, er konnte gar nicht anders. Aber er schrieb keine Metaphern und seltenen Adjektive mehr, vorbei war vorerst die Zeit der „schwarzlodernden, opiumgeschwängerten Abende am Kaminfeuer“, die in Wahrheit nur ihn, eine Flasche billigen Whiskey und Open Office beinhalten. „Der Autor hat doch sowieso einen Dreck damit zu tun“, dachte Herr K. wie zum Trotz gegen diese Feststellung, weil er ein Fan von Roland Barthes war und sich selbst gerne aus seinen Texten ausradiert hätte.
„Aber dann kamen so viele andere Erzählstränge dazwischen“, schrieb Herr K., als er wieder oben war, an seiner Schreibmaschine, früher nannten sie die Leute Laptop, heute Notebook. Er nannte sie immer nur Schreibmaschine und die Ereignisse nannte er Erzählstränge. Und da war er wieder an dem Punkt, an dem er immer gelangte, weil sein Leben eher Kreisen als Linien verlief: Der Punkt, an dem er sich nicht mehr sicher war, ob er nicht alles, was geschah, einfach herbeischrieb. Es gab kein Schicksal in dieser Überlegung. Es gab nur Herrn K. und seine alte Schreibmaschine.
An diesem Dienstag war alles anders. Herr K. hatte sich nach langem Zögern, Verheddern und Verzweifeln und einer langen Blockade in etwas hineingeschrieben, das ihn wirklich betraf. Er hatte das unbewusst getan, écriture automatique. Er war sich nur noch nicht sicher, wie er diese Geschichte weiterführen sollte. Aber er dachte permanent über die Geschichte und über die Protagonistin nach. Nach langer Zeit hatte er endlich wieder eine Figur erfunden, die er nicht im Verlauf des Roman das Zeitliche segnen lassen wollte und die ihn nicht in den Irrsinn trieb. In den Ohren des Lesers mag sein Verhältnis zu dem, was er dort schrieb, gänzlich unleidenschaftlich klingen, aber in Herrn K.s Welt, der grundsätzlich allen Dingen mit größter Skepsis gegenüberstand (seine Mutter hatte einmal über ihn gesagt, dass das höchste Lob, dass man von ihm bekommen könnte, die Aussage „naja, das kann man sich gerade noch antun“ wäre, und das, so fand Herr K., war das treffendste, was seine Mutter jemals über ihn gesagt hatte), war das ziemlich gut für den Anfang.
Und dann schrieb Herr K. einfach immer weiter. Ohne nachzudenken.