Lorem Ipsum.
Diese Atmosphäre kurz vor einem Gewitter, wenn alles in stärkere und unwirkliche Farben getaucht ist. So fühlte es sich an. Ich saß an meinem Schreibtisch und öffnete das Programm – Open Office, meine Freunde rieten mir immer zu Word, aber ich hatte es nicht hinbekommen, mir das Ding illegal zu besorgen und ich hegte zu wenig Sympathie für Microsoft, um der Firma Geld in den Rachen zu werden – aber es kam wieder nichts aus mir heraus. Schreibblockade. Es ist ein absolut grauenhaftes Gefühl, keine Worte zu finden, wenn man sonst ständig und überall erzählt, dass das Schreiben das Einzige wäre, das einen wirklich glücklich macht. Eine plötzlich auftretende Blockade (bei mir kommen die Dinger niemals schleichend) macht einen Schreiber von einer Sekunde auf die andere zu einem überflüssigen Fleischhaufen, der irgendwo in einer Wohnung vor sich hingammelt.
Irgendjemand hat mir einmal erzählt, dass der längste Schluckauf 70 Jahre gedauert habe. Ich habe das nie nachgeprüft, aber immer wenn ich eine Blockade habe, dann muss ich daran denken, dass sie auch so lange dauern könnte wie der längste Schluckauf der Menschheitsgeschichte. Möglicherweise sogar länger, falls ich in den nächsten 70 Jahrens das Zeitliche segne, wovon bei meinem Lebenswandel im Grunde fest auszugehen ist. Der Gedanke an den Schluckauf ist inzwischen zu einem von mir mit mir selbst veranstalteten Ritual geworden, in den Phasen, ich über Tage keinen vernünftigen Satz formulieren kann. Das leere Blatt, standardmäßig eingestellt auf Times New Roman (serifenlose Schriftarten liegen mir bei der ersten Formulierung von Gedanken nicht, ich muss mich an den Haken und Ösen noch unfertiger Sätze entlanghangeln können), starrt mich dann auf eine Art und Weise an, die dafür sorgt, dass mir körperlich schlecht wird. Nicht selten so sehr, dass ich nach einigen Minuten einen Würgereiz bekomme und das Programm schließen muss. Es fühlt sich an, als würde die weiße Fläche direkt in meinen Kopf hineinglotzen. Nietzsche hatte keinen Computer, aber ich glaube, dass dieses von Schwachköpfen aller Arten, die eigentlich keine Zeile Nietzsche gelesen haben, gern benutzte Zitat von ihm mit dem Abgrund genau jenes Gefühl beschreibt, das ich empfinde, wenn ich an solchen Tagen vor dem Computer sitze und versuche, einen Text zu produzieren.
Man kann es nicht erzwingen, wenn man Nichts schreiben kann, auch wenn ich selbst oft gerne das Gegenteil behaupte. Freunden, die irgendwann in ihrer Jugend mal Gedichte und Tagebücher geschrieben haben und gerne wieder etwas zu Papier bringen würden, aber nicht wissen, wo und wie sie damit anfangen sollen, erzähle ich oft, dass es mit Inspiration nichts zu tun hätte. Man müsse nur Buchstabe an Buchstabe setzen, die Nummer wäre eher wie Fahrradfahren. Ich sage das, weil es gut klingt und wenn es nur einen einzigen Menschen dazu bringt, regelmäßig Gedanken zu verschriftlichen, dann hatte die Lüge schon ihren Sinn. Sie stimmt auf eine gewisse Art auch tatsächlich, aber andererseits sollte man, wenn man auf ein Fahrrad steigt, auch wissen, wo man verdammt noch mal hin will, sonst fährt man schurgerade gegen die nächste Wand, die im Weg rumsteht. Und ich habe in diesen Fällen, um die es hier geht, meistens das ungute Gefühl, meine Umgebung wäre mit ziemlich harten Wänden geradezu gepflastert.
Seltsamerweise fallen die Schreibblockaden immer auf die Phasen in meinem Leben, in denen ich sehr viele Sachen erlebe, fast so, als könnte sich meine Phantasie nur dann wirklich ungehemmt austoben, wenn ich gelangweilt und alleine in einer dunklen Kammer sitze und wochenlang mit niemandem rede. Als meine letzte Blockade mich voll erwischte, hatte ich gerade einen Sack neuer Menschen am Wegesrand gefunden, mit denen ich mich auf verschiedene Arten zu beschäftigen wusste (was insbesondere die junge Dame betraf, die bei einer der Parties meines besten Freundes aus Studienzeiten sturzbetrunken über meine Beine und anschließend direkt in mein Leben gestolpert war), mein Leben streunte also quietschbunt und chaotisch dahin, scheinbar ohne zu wissen, was es genau wollte, und ich hatte mich einfach hineinfallen lassen in diesen Strom aus Dingen, die ohne mein größeres Zutun einfach passierten und trieb dahin. Ich wusste, dass es ein Problem für mich werden könnte, aber ich tat dennoch wochenlang nichts dagegen.
Glücklicherweise vergrabe ich Nüsse. Wenn man ein kreatives Hobby hat und das Ganze mit einer gewissen Ernsthaftigkeit verfolgen will, dann ist es nie ratsam, alles zu veröffentlichen, selbst wenn die Produktivität auf einem der seltenen Hochs ist, an dem das Hirn jeden Tag mehrere Photos, Texte und Bilder auswirft, und man sich fühlt, als wäre der zugehörige Körper nur eine überflüssige und leider notwendige Maschine, die nie richtig gut funktioniert, weil sie alle 24 Stunden gefüttert und für mehrere Stunden abgeschaltet werden muss. Es ist immer ratsam, den eigenen Rhythmus einigermaßen beizubehalten, egal, wie gut es läuft, und alles, was überschüssig ist, zu sammeln. Ich sammle phasenweise massiv viel für schlechte Zeiten und das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt, die groteske Datenberge in unzähligen Ordnern auf meiner alten Festplatte anhäuft mit Dingen, die vielleicht nie jemand zu Gesicht bekommen wird, aber immer in den Zeiten, in denen ich an den Schluckauf denken muss und in denen mir beim Anblick eines leeren Office-Dokumentes schlecht wird, bin ich sehr froh darüber, dass es diese Verzeichnisse gibt. Einig der Sachen verderben im Laufe der Zeit, fühlen sich irgendwie ranzig an, wenn man sie viel später noch einmal betrachtet, und man muss sie entsorgen, aber das meiste davon bleibt erstaunlich frisch. Mal sehen, wie es diesen Zeilen ergeht.