Eins: Hier.
Wenn ich zurückblicke auf die merkwürdige Kette von Menschen, die in den verschiedenen Leben, die ich bisher leben durfte, durch meine Tage gerauscht sind, ohne nennenswerte Eindrücke oder größere Dellen an meiner Persönlichkeit zu hinterlassen, dann verstehe ich eigentlich noch weniger, was eigentlich an dieser Frau anders war. Ja, sie war wunderschön, kompliziert und nicht ganz richtig im Kopf, aber das waren viele, die ich in mein Leben und nach einiger Zeit wieder verschwinden habe lassen. Ich habe sie alle immer relativ schnell ersetzt durch neue Gesichter, die ganze Nummer war eher ein Spiel für mich, denn Menschen waren aus meiner Perspektive grundsätzlich sehr einfach gestrickte Geschöpfe, niemals etwas, das es zu bewahren galt. Sie machen langweilige Dinge, leben ihre langweiligen Leben, sammeln virtuelle Dinge wie Reputation, „Spaß“ und Erlebnisse, materielle Dinge wie Wohnungseinrichtungen und Wertgegenstände, und irgendwo dazwischen sammeln sie, genau wie ich selbst es tat, auch andere Menschen, idealerweise solche, die in beide Kategorien fallen, also sowohl bei der Vorführung vor Verwandten und Freunden Neid hervorrufen, wie ein paar neue, teuere Schuhe, als auch möglichst viele Erlebnisse versprechen und eigenes Wohlbefinden durch entsprechendes Begehren oder gefühlte Übereinstimmung von Ansichten stimulieren. So weit, so belanglos.
Ich kann heute nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, was damals passiert ist, als ich sie traf, was sich im Laufe der dann folgenden Zeit geändert hat, natürlich habe ich meine Theorien dazu, was ich aber mit Bestimmtheit weiß, ist, dass sie irgendetwas sehr Altes mir kaputtgeschlagen hat mit ihren Worten und Taten, dass wir es dann zusammen gänzlich kleinhackten mit der Art und Weise, wie wir interagierten, etwas, das danach nicht mehr aufzukehren und zusammenzusetzen war, auch wenn ich das sehr oft versucht und mir an den Scherben immer wieder blutige Hände geholt habe. Vermutlich nennt man das, was mir mit diesem Menschen widerfahren ist, Liebe – und obwohl ich das Wort vorher schon oft benutzt und das Gefühl zu kennen geglaubt habe, merke ich erst jetzt, was es eigentlich bedeutet, einen Menschen mit jeder Faser meines Körpers zu lieben. Und das bedeutet bei Weitem nicht nur etwas Gutes. Es bedeutet auch, dass man akzeptieren muss, dass dieses Gefühl nie wieder verschwinden wird, so grotesk widerwärtig der andere einen in einer möglichen Zukunft auch behandeln mag. Menschen sind, obwohl wir am Ende alle das Schicksal teilen, irgendwo unter der Erde rumzuliegen und uns unter tatkräftiger Mithilfe von diversem Getier selbiger anzugleichen, Zeit ihres Lebens von sich selbst besessene Monstren, machen wir uns nichts vor, aber Liebe ist der Moment, in dem man es einem Einzelnen von ihnen verzeihen kann. Sie ist vielleicht eines der wenigen Dinge, die einem nie mehr weggenommen werden können, weil sie ganz tief im Selbst heranwächst, absolut unausrottbar und vermutlich so lange vorhanden, bis man irgendwo in einem Altersheim, sich selbst in die Windeln scheißend, das Gesicht der Person, für die man so fühlt, langsam vergisst. Vielleicht aber vergisst man diese Emotion nicht mal dann. Man muss dankbar dafür sein, sie erleben zu dürfen. Sie ist vermutlich selten.