Litanei.
Wenn Du Dich versteckst, bei Tag. Wenn Du niemanden hast, zu dem Du gehen kannst, in der Nacht. Wenn Du immer auf der Flucht zu Dir selbst bist, es Dich aber trotzdem von innen her zu den Menschen zieht, weil es in Deiner Natur liegt. Wenn Du Dich schämst für Dich, wenn Dich nie jemand gelehrt hat, stolz auf Dich zu sein, sondern nur, dass Du nicht gut genug bist. Wenn Du jeden Tag akribisch daran arbeitest, gut genug zu sein. Wenn Du Dir Listen machst, Listen mit Dingen, die Du tun musst, um gut genug zu sein. Wenn Du jeden Tag zu einer bestimmten Uhrzeit aufstehst und damit anfängst, die Listen abzuarbeiten, bis die Listen zu einem Versprechen von einer anderen Zukunft werden. Wenn Du das Versprechen schon lange nicht mehr glaubst. Wenn Du kein Fleisch isst, wenn Du jeden Tag Sport machst, wenn Du Dich zu sozialer Interaktion zwingst, obwohl Du weißt, wie es oft endet, wenn Du zwanghaft versuchst, Nikotin und Alkohol zu vermeiden, obwohl Du sie am Abend so dringend bräuchtest, um in den Schlaf zu sinken, der nicht von selbst zu Dir kommen mag, nicht mal er legt sich noch gerne zu Dir ins Bett. Wenn Du schreibst, aber nicht über Dich, sondern von Dir fort, weil Du Dir selbst gar nicht wichtig genug bist. Wenn Du weitergehst, obwohl Du im Weitergehen Dinge verpasst. Wenn Du merkst, dass Du Deinen eigenen Ansprüchen nie genügen kannst, weil sie mit den Anstrengungen wachsen. Wenn Dir die Menschen egal geworden sind, weil Du sie so selten als Freunde agieren sehen hast. Wenn Du Dich darüber in ekelhaftem Selbstmitleid suhlst. Wenn Dein Kopf nicht weiß, wohin er die Gedanken packen soll und nie auch nur eine Minute die Fresse halten kann. Wenn Du schreiben musst, um diese Dinge irgendwo einzusperren, an einem Ort, an dem Du sie in Ruhe betrachten kannst, als hätten sie mit Dir überhaupt nichts zu tun. Wenn Du nie stehenbleibst, weil Du noch nicht angekommen bist, aber nie ankommst, weil Du nicht stehenbleibst.