Tiefenstrukturanalyse (XXVI)

Die Sache mit dem Affenhirn…

Seit vielen, vielen Jahren höre ich immer wieder die groteske Geschichte, dass in China (oder wahlweise Taiwan, Vietnam, Indonesien, Japan, Thailand, Indien oder Afrika) Affenhirn von lebenden Affen (‘live monkey brains’) gegessen wird. Die Legende besagt, dass ein Affe dabei unter einem runden Tisch im Restaurant festgeschnallt wird, der in der Mitte ein Loch hat, aus dem sein Schädel rausguckt. Dann wird der Kopf aufgesägt und die Gäste essen fröhlich das Gehirn aus dem Kopf wie aus einer Schüssel, während der Affe unter dem Tisch schreit, um sich schlägt und sich mit Leibeskräften wehrt.

Ich bin nach langer Recherche zu dem Thema mittlerweile stark davon überzeugt, dass es sich um eine urbane Legende (ähnlich den Alligatoren in den New Yorker Abwasserkanälen, aber viel diffuser und variantenreicher) handelt, die Geschichte hält sich dennoch hartnäckig. Zuletzt entdeckte ich bei Spiegel TV einen Bericht über den illegalen Tierhandel in Burma (Achtung: das Video ist zweiteilig), in dem der dort oft tätige Photograph und Naturschützer Karl Amman über einen Affen auf dem dortigen Markt sagt, dass das diese Art von Affe sei, die man in der oben genannten Form verspeisen würde. Ich habe Herrn Amman natürlich sofort eine Mail geschrieben und ihn gefragt, woher er die Geschichte kenne und ob er eine first-hand experience zu dem Thema beitragen könnte. Seine Antwort überrascht mich nicht sonderlich:

“Dear Mr. Baumer,

we did not do much research on this since the local guide of special region four which does not see many western tourists confirmed that it was a practice going on. He also stated that until a few years ago he knew of a restaurant which had the table with the hole on the top and that he did not know what happened to the table when it closed down. I myself must have checked a dozen of the primate skeletons in the traditional Chinese market and they all had their skulls smashed in. Clearly this might have been done to preserve the skeleton but I doubt that having gone through this effort the brain tissue would then be wasted.

So I am totally convinced this is more then a myth.”

Ein lokaler Führer hat ihm also davon erzählt, aber auch dieser hat nur mal von einem Restaurant gehört (“he knew of”), das einen solchen Tisch gehabt haben soll. Dieses hat natürlich schon seit einigen Jahren geschlossen und der Tisch ist verschwunden.

Die Art und Weise, wie die Geschichte weitererzählt wird, ist bemerkenswert und die Tatsache, dass Amman mit diesem grauenhaften Bild im Hinterkopf auf dem Markt viele Affenskelette gesehen hat, bei denen der Schädel eingeschlagen wurde, lässt ihn natürlich nicht mehr an der Sache zweifeln, er übersieht dabei aber, dass Affenhirn tatsächlich in Asien gegessen wird. Nur halt nicht von lebenden Affen. Die Aussage des respektieren Naturschützers bei Spiegel TV hingegen wird sicherlich hunderte von Menschen generieren, die die Story in irgendeiner Form weitertradieren, schließlich gilt er als verlässliche Quelle. Und genau auf diese Art wird die Geschichte noch viele Jahre weiterleben.