Revision.
Ich hatte eigentlich vor, Ihnen an dieser Stelle zu erzählen, dass ich vergessen habe, wann die Geschichte spielt, die niederzuschreiben ich gerade im Begriff bin. Ich hatte vor, den Inhalt damit etwas märchenhafter zu gestalten, das Ungeheuerliche, das zweifelsohne in ihr wohnt, ein Stück weit zu bannen und ihren inhaltlichen Kern über dieses für jedermann ausgesprochen leicht als literarisch zu erkennende Genre in die Fiktion abzuschieben. Es gelang mir nicht. Es ist nämlich leider so, dass ich noch nie sonderlich gut lügen konnte (alle meine Versuche in dieser Hinsicht wurden von den Belogenen immer schnell enttarnt), und so klang auch die Einleitung der Geschichte nach dem Verfassen derart konstruiert, dass Sie (Ihren messerscharfen Verstand setze ich voraus, ich kenne doch die Menschen, die mir hier zulesen) schon nach wenigen Sätzen gesagt hätten: “Moment mal! Irgendetwas stimmt doch hier nicht!”
Dann hätten Sie vielleicht mit der Faust auf den Tisch geschlagen, ihrem imaginierten Mir eine Drohgeste über den Rand der Seiten hinweg gezeigt oder noch schlimmer: das Manuskript direkt zusammengeknüllt und in den Papierkorb geworfen. Derartige Reaktionen wollte ich auf das Dringlichste vermeiden, denn in diesem Fall hätten Sie nie erfahren, was ich Ihnen zu berichten habe. Ich schreibe diese Einleitung stattdessen also gänzlich wahrheitsgemäß und ich bin froh, dass ich Ihnen im Zuge der Neufassung auch das Geständnis von meiner geplanten Lüge machen kann, denn es sagt doch einiges aus über das Verhältnis von einem Menschen, der schreibt zu dem, der den Text anschließend liest, wenn man ehrlich zueinander sein kann. Natürlich ist mir klar, dass das auch Gefahren birgt: Gerade die Ehrlichkeit, mit der ich davon berichtet habe, wie ich Sie täuschen wollte, was den Zeitpunkt der Handlung der Geschichte angeht, die zu erzählen ich vorhabe, könnte in der Konsequenz natürlich zu dem gegenteiligen Effekt führen, dass Sie mir gänzlich misstrauen. Dieses Risiko gehe ich ganz bewusst ein.
Wenn Sie genau zugelesen haben, dann werden Sie bemerkt haben, dass ich davon sprach, dass die erste Einleitung bereits geschrieben wurde. Selbiges trifft zu, allerdings habe ich besagtes Dokument direkt nach der zweiten Korrekturlesung vernichtet, so dass es nicht mehr zugänglich ist. Ich will nichts vertuschen, ganz im Gegenteil bin ich, wie Sie aus diesen offenen Zeilen sicherlich entnehmen, um radikale Aufklärung der Situation bemüht, von daher vertrete ich auch die klare Position, dass Sie diese Informationen benötigen, um mich und das Folgende gänzlich verstehen zu können. Bestimmt werden Sie jetzt laut auflachen und sagen: “Jaja, vernichtet, ha, aber in seinem Kopf hat er die falschen Angaben noch!” und Sie haben jedes Recht dazu, das zu denken, denn es ist ja die Wahrheit: Ich erinnere mich genau an jene Sätze. Allerdings kann ich Ihnen versichern, dass sie meinen Geist nicht wieder verlassen werden, denn ich will die Sache ja nicht noch zusätzlich verkomplizieren, indem plötzlich zwei Versionen kursieren, die sich gegenseitig negieren, schließlich berief sich auch die erste Fassung darauf, dass gegenteilige Behauptungen falsch wären, was alles nicht unbedingt leichter macht, vor allem, wenn man bedenkt, dass dort sogar ganz ausdrücklich geschrieben stand, dass nur diese Zeilen und keinerlei folgende Niederschriften desselben Sachverhalts als einzige der Wahrheit entsprächen, völlig egal, was der Autor in Zukunft behaupte.