Hirnstrom (I): Alltagsdialog
„Du denkst zu viel“, sagt Dir dann jemand und Du fragst Dich so für Dich selbst: „Zu viel im Vergleich zu wem?“, während Du freilich weißt, dass derjenige den Durchschnittsmenschen gemeint hat und (und dass nur das Normale das Gesunde ist, das wissen wir doch seit Foucault), wirfst aber direkt innerhalb dieses gerade relativierten Einwurfs weiter ein, dass man aber doch gar nicht wissen, höchstens schätzen könne, wie viel der Durchschnittsmensch so denkt, denn wer kann schon die Gedanken von anderen sehen und dann gleich von allen, die kann man höchstens erahnen, aber die Ahnung, da musst Du dem den Vorwurf formulierenden Menschen schon recht geben, die spricht doch eher dafür, dass die Allgemeinheit recht wenig denkt, sonst würden da drüben auch nicht gerade zwei Jugendliche eine Telefonzelle kaputt hauen (auch wenn sie freilich statistisch gesehen nicht gegen die 300 restlichen Leute standhalten können, die gerade friedlich in der U-Bahn sitzen), und deswegen war Deine ganze erste Reaktion am Ende dann doch eher eine Spitzfindigkeit, mit der Du Dich aus der Affäre ziehen wolltest, um nicht zugeben zu müssen, dass doch ein Körnchen Wahrheit in der Aussage liegt, eher ein Strand Wahrheit, falls mit dem Körnchen ein Sandkorn gemeint sein sollte, das musst Du Dir in diesem Moment mindestens eingestehen.
Und deswegen sagst Du: „Die anderen denken vielleicht eher zu wenig“, und willst jetzt selbst alle normalisieren, nur auf Deine eigene Norm, das ist Dir bewusst und deswegen war die Antwort höchst egostisch von Dir und darauf bist Du ein bisschen stolz, denn bevor man Dir gesagt hatte, dass Du zu viel denkst, meinte man glatt, Du wärest zu altruistisch und dem stimmtest Du eigentlich nicht zu. Und deswegen lächelst Du jetzt, während am Fenster der Hafen an Dir vorbeirauscht (freilich bewegt sich eigentlich die Bahn).