Hirnstrom (II): Selbstgespräch

Social Media mit spießbürgerlicher Hingabe: Einkaufen, Staubsaugen, Twittern steht auf dem To-Do-Zettel in meiner Hosentasche. Randgänger: Ich kam jeden Tag wieder und holte mir blaue Augen und blutige Lippen beim Faustkampf mit Dir, Leben.

Aber jetzt nicht mehr. Ich habe das Kämpfen mit dem Leben aufgegeben.

Mein Lieblingszitat aus den letzten Monaten (und ich deklariere meine Zitate im Gegensatz zu manchen, die daraus Bücher puzzlen, als solche) lautet sinngemäß wie folgt: „Sie liebte nur zwei Dinge: Das erste war ihr langes, schwarzes Haar. Das zweite war, wie einfach sie es abschneiden konnte, ohne dabei auch nur das Geringste zu empfinden.“ Ich hab den Film, aus dem dieses Zitat stammt, leider nie gesehen, habe diese Worte nur flüchtig aufgeschnappt im Zeitstrom der Zwitschermaschine, aber sie blieben in meinem Kopf kleben wie Kaugummi in den Haaren, denn es ist eine sehr poetische Formulierung dessen, was man Freiheit nennt, die hier gemeint ist. Auch wenn es manchen Menschen, die mich nur zu kennen glauben, nicht so scheint: Ich lebe inzwischen diese Form der Freiheit, aber es war ein steiniger Weg hierher. Man gelangt, wenn man diesen Weg geht, sehr schnell an den Punkt, an dem es Probleme gibt, zuallererst mit den einen umgebenden Menschen: Freunde werden agressiv, weil man sie scheinbar nicht genug beachtet, wenn man sich den Regeln des wochenendlichen Ausgehens nicht mehr unterwirft oder sich mehr als sieben Tage nicht meldet. Sie verstehen nicht, dass Zuneigung rein gar nichts mit Quantität zu tun hat, deswegen muss man sie ziehen lassen und darauf hoffen, dass sie irgendwann begreifen, dass man sie eben doch verdammt gerne hatte. Andere Menschen sind irritiert, wenn man ihnen tatsächliche, ehrliche Beachtung und Aufmerksamkeit schenkt (ich glaube, das liegt daran, dass es da draußen, im richtigen Leben, nur wenige Menschen gibt, die wirklich das Gefühl kennen, Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen, die nicht-egoistischer Natur oder auf dem Wunsch nach einer Beziehung [prosaischer sollte man: „auf einem Fickwunsch“ schreiben] basiert ist).

Wie ich an den Punkt gelangt bin, an dem ich die Entscheidung fällte, diesen Weg gehen zu wollen? Es war eine sehr einschneidende Lektion durch eine Person, die nie so etwas wie eine Lehrerin in Bezug auf mich sein wollte, die mich endgültig zu dieser Haltung, mit der ich schon seit Jahren geliebäugelt hatte, führte: Die Art und Weise, wie der Mensch, von dem ich spreche, im Verlauf einiger Monate des letzten Jahres mein Leben im Sturm erobert und dann abrupt wieder verlassen hat (ohne dass es eine Liebesbeziehung in irgendeiner Form gewesen wäre, auch wenn ich mich stellenweise verliebt wähnte), ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, würden die meisten Menschen als brutale, gefühlskalte Tat einer Wahnsinnigen beschreiben (was ich zunächst ebenfalls tat), aber schlussendlich steckte in diesem nur scheinbar paradoxen Verhalten in meiner Lesart genau jener Rat, der auch in dem erwähnten Zitat enthalten ist.

Nicht abhängig von Suchtmitteln irgendwelcher Art, von Menschen, von Meinungen, von Verhaltensweisen oder auch nur von Samstagabenden zu sein: Es fühlt sich auf eine Art richtig an, die zu beschreiben Worte nicht in der Lage sein dürfen, zumindest nicht unter Berücksichtigung des gebotenen kompakten Umfangs eines Blogeintrags. Das Paradoxe an der ganzen Sache ist nur, dass ich in all dieser scheinbaren Unabhängigkeit und in der durch sie eröffneten Möglichkeit, mehr und mehr Kunst zu schaffen, nicht erkennen will, dass es genau die Kunst ist, die ich ganz am Ende ebenfalls absäbeln müsste, wenn ich die inhärente Handlungsanweisung wirklich befolgen wollte. Und so säge ich fröhlich weiter an meinem Ast, mit der Präzision eines über Jahre geschulten, manischen Workaholics und hoffe insgeheim vielleicht doch auf das Erscheinen einer Person, die mich wieder abhängig von anderen Dingen macht oder zumindest vom Sägen abhält.