Restedenken (II)
Schlafen, nur damit der Tag vorbei geht. Ich brüte etwas aus und ausbrüten kann man nur Leben. Ich habe kein Bedürfnis mehr nach dem leeren Äther, der Bühne, nach Kommunikation ohne Feedback, nach Digitalität, ich suche genau das Gegenteil, aber es ist hier nicht zu finden und weiß nicht, ob ich mit ‘hier’ das Netz oder Hamburg meine oder beides. Über einen längeren Zeitraum nichts zu schreiben war nie eine Option, aber vielleicht könnte es eine werden. Wer nicht schreibt, der ist tot.
Der Schweiß tropft fast von den Wänden, das Gedränge wird immer dichter. Das hässliche Insekt zieht sich in eine Nische im Fensterrahmen zurück. Das Insekt stirbt, wenn ich es hier nicht raushole. Meine Station kommt gleich. Ich ziehe eine Visitenkarte aus der Tasche, scheuche das Insekt damit aus seinem Spalt, es wehrt sich, es will sterben, aber Sterben gibt es heute nicht im Programm. Ich fange es auf, als es sich fallen lässt, um der Belästigung durch mich zu entkommen und schließe schnell, aber vorsichtig die Hand. Ich verpasse meine Station. Die Menschen, die mich bei der Aktion beobachten, blicken mich angewidert an, als wäre ich ein Aussätziger. Ich trage das Tier raus an die Luft und als ich die Hand öffne, kriecht es meinen Ringfinger bis zur Spitze hinauf und fliegt dann davon. Auf dem langen Weg, den ich wegen der falschen Station laufen muss, fühle mich bei jedem Schritt wie ein Held.
Kommt der Sommer, bin ich allein. Wird wieder Winter, bin ich wieder allein. Ab und zu bekomme ich Besuch, oft von weit her, manchmal schlafe ich mit meinem Besuch, manchmal unternehmen wir einfach nur Dinge. Ich stelle es dann so dar, als wäre ich nicht dauernd allein, karre meine mir im Grunde fremden Bekanntschaften auf goldenen Wägen an und jeder Besuch ist beeindruckt von dem Leben, das ich hier führe. Dann fährt der Besuch wieder weg und ich bin wieder allein. Ab und zu finde ich Menschen, manchmal habe ich Affären mit einzelnen Menschen, manchmal Affären mit Menschen als Gruppen, machmal eine Art von Freundschaft, aber das geht wieder weg, weil ich zu viel arbeite und zu schnell zu viel will. Vielleicht ist das der Kern des Lebens, das ich führe, seitdem ich weggegangen bin, weil ich mehr wollte als nur ein Leben in einem winzigen Dorf im tiefsten Bayern: Aushalten, dass ich allein bin. Mit Dir war es nicht so. Mir fehlt die Metaphysik des Alltags, deren Anwesenheit ich permanent an den Orten spürte, an denen wir zusammen waren und seither nicht wieder.
„Du denkst in so bizarren Kategorien wie Extra- und Intraversion (und wunderst Dich dann, warum Du nicht herausfindest, welches von beiden Du bist), aber lässt nie Deine Persönlichkeit einfach fliessen. Zweifle alles an, aber fang nie bei Dir selbst damit an. Kannst Du kurz mal mein Gesicht halten? Ich möchte anonym wirken.“
Auf der Vernissage kommt B. zu mir und umarmt mich, dann steht sie völlig deplatziert neben mir. Ihre Fotos sind mit einem iPhone gemacht, aber besser als der meiste Hochglanzscheiß, der hier sonst noch so rumhängt. Der Koch und die Töpfe.
„Wieder nur Stücke, als würde ich kotzen.“
Das Konsumlevel ist höher als das Produktionslevel. Vermutlich bin ich immer unglücklich, wenn das geschieht. Wenn ich mich nicht fokussieren kann, wenn ich Unmengen an Texten, Bildern, bewegten Bildern in mich hineinschlinge, ohne selbst im notwendigen Maße einen Output zu schaffen. Dinge geraten dann in Schieflage, die innere Balance ist nicht mehr hergestellt. Wer nicht schreibt, der ist tot.