Restdenken (III)

„Ich als Dich das erste Mal angefasst habe, wusste ich, dass wir miteinander schlafen würden. Das konnte man irgendwie richtig erfühlen.“

„Express Yourself“, der große Irrtum jedes Mitmachmediums, das hat immer mit Minderwertigkeitskomplexen zu tun. Natürlich expressen sie dann nur die positiven Aspekte, niemand würde ein Foto von sich veröffentlichen, auf dem er scheiße aussieht und ihm mit aufgequollenem Gesicht Rotz und Tränen aus der Fresse laufen. Menschen als Personen haben in den meisten Fällen leider nichts zu sagen, sie sind langweilige Figuren. Menschen interessieren sich eher für Menschen, sie können gar nicht anders. Statt „Express Yourself“ müsste es doch „Erfinde interessantes Zeug“ heißen, noch besser „Erfinde interessantes Zeug, dass mit Dir und Deinem Alltag so wenig wie möglich zu tun“ hat, aber erklären Sie das mal einer Person, die gerne ihr Mittagessen abphotographiert, da stoßen Sie schnell an Vermittlungsgrenzen, die nicht mit Worten überwindbar sind. Gegen solche Vereinfachungen bin ich massiv. Ich will konstruktiv sein: eine Maschine bauen, die alles einreißt und tötet und Pflanzensamen über dem Schutt und den toten Körpern ausstreut.

Du bist der Mittelpunkt Deines Universums. Ich verstehe das, denn ich bin, wie jeder andere auch, auch der Mittelpunkt meines Universums. Die einzige Frage, die sich stellt, ist die, ob Du verstanden hast, dass es auch andere Universen gibt und dass sie dasselbe Recht haben, zu existieren, wie Dein Universum. Es ist der einzige Faktor, nach dem ich Dich beurteilen werde.

Das Leben als ein endloser Fluchtreflex, das kann nicht gut gehen. Nicht ohne eine kontrolliert durchgeführte Flucht, besser noch: eine völlig unkontrolliert durchgeführte Flucht. Heimlich schreiben, ein Schreiben auf der Flucht vor der Bühne, die in der heutigen Zeit an jedes Schreiben automatisch angeschlossen ist, denn sie das destruktivste Element.


Restedenken (II)

Schlafen, nur damit der Tag vorbei geht. Ich brüte etwas aus und ausbrüten kann man nur Leben. Ich habe kein Bedürfnis mehr nach dem leeren Äther, der Bühne, nach Kommunikation ohne Feedback, nach Digitalität, ich suche genau das Gegenteil, aber es ist hier nicht zu finden und weiß nicht, ob ich mit ‘hier’ das Netz oder Hamburg meine oder beides. Über einen längeren Zeitraum nichts zu schreiben war nie eine Option, aber vielleicht könnte es eine werden. Wer nicht schreibt, der ist tot.

Der Schweiß tropft fast von den Wänden, das Gedränge wird immer dichter. Das hässliche Insekt zieht sich in eine Nische im Fensterrahmen zurück. Das Insekt stirbt, wenn ich es hier nicht raushole. Meine Station kommt gleich. Ich ziehe eine Visitenkarte aus der Tasche, scheuche das Insekt damit aus seinem Spalt, es wehrt sich, es will sterben, aber Sterben gibt es heute nicht im Programm. Ich fange es auf, als es sich fallen lässt, um der Belästigung durch mich zu entkommen und schließe schnell, aber vorsichtig die Hand. Ich verpasse meine Station. Die Menschen, die mich bei der Aktion beobachten, blicken mich angewidert an, als wäre ich ein Aussätziger. Ich trage das Tier raus an die Luft und als ich die Hand öffne, kriecht es meinen Ringfinger bis zur Spitze hinauf und fliegt dann davon. Auf dem langen Weg, den ich wegen der falschen Station laufen muss, fühle mich bei jedem Schritt wie ein Held.

Kommt der Sommer, bin ich allein. Wird wieder Winter, bin ich wieder allein. Ab und zu bekomme ich Besuch, oft von weit her, manchmal schlafe ich mit meinem Besuch, manchmal unternehmen wir einfach nur Dinge. Ich stelle es dann so dar, als wäre ich nicht dauernd allein, karre meine mir im Grunde fremden Bekanntschaften auf goldenen Wägen an und jeder Besuch ist beeindruckt von dem Leben, das ich hier führe. Dann fährt der Besuch wieder weg und ich bin wieder allein. Ab und zu finde ich Menschen, manchmal habe ich Affären mit einzelnen Menschen, manchmal Affären mit Menschen als Gruppen, machmal eine Art von Freundschaft, aber das geht wieder weg, weil ich zu viel arbeite und zu schnell zu viel will. Vielleicht ist das der Kern des Lebens, das ich führe, seitdem ich weggegangen bin, weil ich mehr wollte als nur ein Leben in einem winzigen Dorf im tiefsten Bayern: Aushalten, dass ich allein bin. Mit Dir war es nicht so. Mir fehlt die Metaphysik des Alltags, deren Anwesenheit ich permanent an den Orten spürte, an denen wir zusammen waren und seither nicht wieder.

„Du denkst in so bizarren Kategorien wie Extra- und Intraversion (und wunderst Dich dann, warum Du nicht herausfindest, welches von beiden Du bist), aber lässt nie Deine Persönlichkeit einfach fliessen. Zweifle alles an, aber fang nie bei Dir selbst damit an. Kannst Du kurz mal mein Gesicht halten? Ich möchte anonym wirken.“

Auf der Vernissage kommt B. zu mir und umarmt mich, dann steht sie völlig deplatziert neben mir. Ihre Fotos sind mit einem iPhone gemacht, aber besser als der meiste Hochglanzscheiß, der hier sonst noch so rumhängt. Der Koch und die Töpfe.

„Wieder nur Stücke, als würde ich kotzen.“

Das Konsumlevel ist höher als das Produktionslevel. Vermutlich bin ich immer unglücklich, wenn das geschieht. Wenn ich mich nicht fokussieren kann, wenn ich Unmengen an Texten, Bildern, bewegten Bildern in mich hineinschlinge, ohne selbst im notwendigen Maße einen Output zu schaffen. Dinge geraten dann in Schieflage, die innere Balance ist nicht mehr hergestellt. Wer nicht schreibt, der ist tot.


Restedenken (I)

Über einen längeren Zeitraum nichts zu schreiben war nie eine ernsthafte Option. Wenn man nicht schreibt, dann tun es andere dennoch und man steht nur daneben und ärgert sich über sich selbst, es bleibt einem nur noch das Lesen, der Konsum. Nicht zu lesen geht auch nicht, wenn es das einzige Konsummedium ist, dass Du dauerhaft ertragen kannst. Ohne Konsum und Produktion droht schlimmstenfalls Stumpfsinn, bestenfalls willst Du plötzlich Dinge aus Holz bauen (ich wollte eigentlich schon immer mal Dinge aus Holz bauen).

Die zum zweiten Mal vorgetragene Frage, warum sie die Dateien in wild durcheinanderfliegende Ordner in ihrem Rechner wirft, in denen sie nichts wiederfindet und nicht stattdessen ein paar vernünftig sortierte Ordner aufmacht, beantwortet sie damit, dass sie ein Lied singt und dann lacht, eine Reaktion, die ich zunächst gar nicht als Antwort auf die Frage auffasse. Ich lache einfach mit. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch mit Internetanschluss, der dieses Lied nicht kennt. Ich finde ein paar Tage später heraus, dass es „Gangnam Style“ heißt, das Wort „Gangnam“ hatte sie allerdings durch „Deutschland“ ersetzt. Die Antwort war ein deutliches: „Du verhältst Dich gerade sehr typisch für Dein Land.“

In meiner Bio-Kiste ist ein toter Schmetterling. Der Schmetterling hat keinen Kopf mehr. Ich habe das schon oft gesehen, dass bei toten Insekten die Teile, hinter denen sich organisches Gewebe befindet, zuerst sehr fragil werden und dann bei kleinsten Erschütterungen einfach zerbrechen, während andere Teile äußerst stabil sind und dem Lauf der Zeit trotzen. Bei Menschen ist es ja im Grunde auch so, nur besser nach innen und außen sortiert und ohne Zerbrechen.

Ich stehe genau dort, wo die Funken landen. Das Osterfeuer ist riesig, dummerweise hat man offenbar trockene Zweige angezündet, was die Anzahl der Funken massiv erhöht. Es ist dunkel und das alles sieht wirklich wunderschön aus. Statt den Standort zu wechseln lege ich den Kopf in den Nacken und gucke in die Richtung des glühenden Regens, der aus dem Himmel in meine Richtung fällt. Ein Funke landet auf meiner Nase, dort habe ich jetzt eine kleine rote Stelle, die aber langsam schon wieder verblasst.

Wenn man Aufmerksamkeit haben will, dann reicht der einfache Trick, ein Battle-Rapper zu werden. Tape Deinen Kopf wie ein Boxer seine Hände und zerleg ein paar Texte von anderen Autoren, die viele Leser haben. Noch leichter ist es nur, das Fernsehen oder „die Medien“ anzugreifen. Leider ist es auf Dauer auch ziemlich ermüdend und man hat am Ende selbst überhaupt nichts geschaffen, dass von Belang wäre, sondern nur dumm rumgemeckert. Oppa Deutschland Style.