Vergessene Perlen (III)

Lauryn Hill – „The Miseducation Of Lauryn Hill”
(1998/RnB)

Es ist ein schillerndes und mächtiges Album geworden, diese erste Soloplatte von Lauryn Hill nach dem Ende der auf dem Höhepunkt des Erfolgs plötzlich kollabierten Fugees. Lauryn Hill integriert nicht nur Rap, Soul, Reggea und viel RnB in ihren ganz persönlichen Sound, sondern vermischt persönliche und politische Botschaften auf dieser Platte, deren größter Pluspunkt aber natürlich darin besteht, dass sie grandiose Songs enthält. „The Miseducation Of Lauryn Hill“ ist bis zum heutigen Tage eine der besten HipHop/RnB-Platten abseits des Mainstream. In eben dem schwamm Lauryn Hill nämlich trotz der großen Charterfolge der Vorgängerband nie absichtlich mit. Musikalisch (und zum Teil auch auf lyrischer Ebene) ist es jedenfalls kaum möglich, dieses Album zu weit oben anzusiedeln. Nur schade, dass es so schnell wieder in Vergessenheit geriet und dass Lauryn Hill bis heute keine weitere Platte aufgenommen hat (die Outtakes-Sammlung „Ms Hill“ von 2008 ausgenommen). Das spätere MTV Unplugged, das in Doppelalbumform veröffentlicht wurde, darf man übrigens ebenfalls als essentiell ansehen. 9/10

Anspieltipp: ‘Everything Is Everything’ (hier).

Strangelove – „Time For The Rest Of Your Life“
(1995/BritPop)

Die vielleicht unterbewertetste und am öftesten übersehene Band des Britpop: Strangelove könnten, wenn das Glück manchmal nicht ein ebenso entscheidender Faktor wie das Talent wäre, heute direkt neben Oasis, The Verve oder Blur stehen. Musikalisch jedenfalls hielten sie damals locker mit, auch wenn sie einen Tick düsterer zu Werke gingen. Auf ihrem Debüt „Time For The Rest Of Your Life“ wird das am deutlichsten: Großer, melodramatischer Rock, der vieles von dem vorwegnimmt, was später zu den Markenzeichen der Bands von der Insel gezählt werden sollte. Nachdem sich der Erfolg leider nie wirklich einstellte, löste sich die Band um Frontmann Patrick Duff 1998 nach nur drei Alben wieder auf, der Gitarrist Alex Lee war später bei Placebo und Suede aktiv, richtiger Ruhm ereilte aber beide bis heute nicht. Ein paar wenige Menschen wissen dieses Album aber noch immer zu schätzen: Neu kostet die selten gewordene CD-Version von „Time For The Rest Of Your Life“ inzwischen immerhin um die 40 Euro. 8/10

Anspieltipp: ‘Time For The Rest Of Your Life’ (hier).

Jerry Cantrell – „Degradation Trip Vol. 1&2“
(2002/Grunge)

Jerry Cantrell, zweiter Hautpsongwriter der legendären Alice In Chains legte sein zweites Soloalbum just in dem Jahr vor, in dem Layne Staley verstorben war. Aber dieses Album ist auch musikalisch ein Statement, steht es doch den unter dem Bandnamen veröffentlichten Werken kaum in irgendetwas nach: Schwere Gitarrenriffs, die dem Metal artverwandt sind, treffen auf hypnotische Songs, die einfach nahe gehen. Cantrell, der hier alle Vocals selbst übernimmt, klingt hier fast wie Staley. Als sich „Degradation Trip“ dann entgegen der Erwartungen der Plattenfirma auch noch prächtig verkaufte, wurde es als das ursprünglich geplante Doppel-Album-Version mit fast doppelt so vielen Songs erneut veröffentlicht, was dem Ganzen die Krone aufsetzt. Ein Stück Musik, das man dringend gehört haben sollte, wenn man sich in irgendeiner Art und Weise für den Grunge und die 90er in Seattle interessiert. Man könnte vielleicht sogar behaupten, dass das hier die letzte richtige Grunge-Platte geworden ist, der endgültige Sargnagel in eines der spannendsten Genres der letzten Jahrzehnte. 10/10

Anspieltipp: ‘Anger Rising’ (hier).