Web 3.0 und die Zukunft (I): Dreamr
Knapp 14 Millionen Dreamr™ haben heute Nacht wieder ihre Träume live ins Netz gestreamt. Das zugehörige Produkt, die DreamrCam™ scheint seit der Preissenkung langsam, aber sicher ein richtiger Massenerfolg zu werden. Jeden Tag bekomme ich von meinem persönlich zusammengestellten Schwarm der DreamSortr™, die Träume professionell angucken und bewerten, nach ganz individuellen Kriterien ausgewählte Filme in der Anzahl zugeschickt, die ich vorher angegeben habe. Berücksichtig werden dabei zu 50% meine TopDreamr, das sind Leute, die ich wegen der interessanten Dreamz™ sowieso beobachte und zu 50% die NewDreamr, Menschen, die durch besonders gute Träume in der Nacht kollektiv aufgefallen sind. Der Ordner liegt unter Eigene Dateien > Dreamr > Dreamz. Dort sind, nach Datum und Tagen sortiert, Unterordner, in denen die komprimierten Filmdateien der Träume automatisch abgelegt werden. Mittels der Dreamr™-Software kann ich in meiner eigenen Sammlung oder dem globalen Netzwerk browsen, nach Altersbeschränkungen, Länge und Genre filtern. Lauter kleine, irre Kunstwerke. Surreales Zeug, herzzerreißene Liebesszenen, kreischbunte Comic-Sachen, schrecklicher Horror, nostalgische Erinnerungen, Pornographisches.
Früher war ich sogar eine zeitlang Abonnent, ich wollte die Dreamz™ in HD, mit den Thoughtz und Commentz des jeweiligen Dreamr™ als Extras und Surround-Sound, aber inzwischen genügen mir die Basis-Filmchen wieder. Langfristig werden sie das Kino ersetzen, da bin ich mir sicher. Ein Typ aus Russland, den ich seit letzter Woche beobachte, träumt zum Teil fünf Stunden lange, sehr kohärente Geschichten in Schwarzweiß. Er ist mit nur vier hochgeladenen Dreamz™ zu einem der 1.000 globalen TopDreamr geworden. Ein anderer NewDreamr von letzter Woche, ein Japaner, träumt seine Träume oft aus der Perspektive einer virtuellen Kamera oder hat zumindest Superkräfte in seinen Träumen, denn seine Träume fallen weniger durch den Inhalt als durch absolut spektakuläre Zooms, Schwenks, Perspektiven und Kamerafahrten auf.
Ich habe es inzwischen aufgegeben, selbst live zu träumen. Seit man den einen Typen abgeholt hat, der von einem Amok-Lauf träumte, habe ich Angst, dass mein Unterbewusstsein auch irgend etwas produzieren könnte, was den Politikern missfällt und dass ich dann nie wieder gesehen werde. Aber ich kann eigentlich auch nicht mithalten mit den 5.000 TopDreamr, die immer mein Standard waren. Die 14 Millionen täglicher belangloser Träume sind spannend, wenn man mal ein bisschen rumbrowsen will, aber es ist zu viel, um selbst zu filtern. Deswegen wurden die DreamSortr™ eingeführt. Sie sichten, kategorisieren und bewerten unermüdlich Träume. Angeblich soll die Firma, die hinter Dreamr™ steckt, schon über eine Million solcher Menschen weltweit beschäftigen. Die Bekanntesten unter ihnen sind inzwischen selbst Stars, mit eigenen Webseiten und Blogs, auf denen sie ihre Favoriten jedermann präsentieren und Artikel über die besten Dreamz™ und die vielversprechendsten Dreamr™ schreiben.
Die Idee ist so simpel wie genial, und wenn die Preise für die DreamrCam™ weiter fallen, dann wird sehr bald jeder jede Nacht zum Regisseur und jeden Tag zum Kritiker werden. Über eine eigene Dreamr™-Kategorie bei den Oscars wird schon seit Wochen heftig spekuliert und diskutiert. Und das ein halbes Jahr nach Start der Plattform. Wahnsinn.