Metareflexion, yeah! (XXXVII)

„Es scheint so unerreichbar“, sagte ich.

„Unerreichbar?“, fragte er und spuckte verächtlich auf den Boden, als wolle er dieses Wort nicht länger als nötig im Mund behalten. „Unerreichbarkeit ist ein Konzept, das von Schwachköpfen erfunden wurde, die damit ihre eigene Unfähigkeit kaschieren wollen“, sagte er. „Sie sagen einfach: Etwas ist unerreichbar, meinen aber eigentlich: ‘Ich schaffe es nicht’. Sie benutzen diesen Begriff, um andere mit in ihr eigenes Scheitern hinein zu ziehen, damit sie sich nicht gänzlich alleine unfähig fühlen müssen und sich nicht vor sich zu rechtfertigen haben. Alles ist erreichbar, wenn man genug Ausdauer und Konsequenz investiert.“

Ich schwieg. Wir gingen weiter durch den Garten. Er stopfte sich mit zitterigen Fingern eine Pfeife und lächelte mich an. Ich konnte sehen, wie sich die sonnengegerbte, ledrige Haut um seine Augen in abertausende von kleinen Falten zusammen zog. Ein Gebirge von einem Lächeln.

„Aber wie?“, fragte ich kaum hörbar.

„Wenn jeden Tag ein kluger Gedanke, eine gute Idee, ein neues Konzept in Deinem Kopf wächst, dann mache Dir keine Sorgen um andere Dinge. Nimm diese Samen und pflanze jeden Tag einen davon in Deiner unmittelbaren Umgebung ein, egal, auf welche Weise. Sei Dir bewusst, dass die meisten davon nicht spriessen werden, aber irgendwann wirst Du dennoch inmitten einer Blumenwiese aufwachen“, sagte er. „Vielleicht ist es nur schwer für Dich, den sehr langsamen Prozess des Wachstums wahrzunehmen, aber er ist dennoch vorhanden. Guck Dich doch mal um.“

Ich guckte mich um. Und dann verstand ich, was er meinte.


Metareflexion, yeah! (XXXIV)

Audienz (III)

„Es läuft nicht. Was kann ich tun?“, frage ich. Es war mir ernst. Ich war kurz davor, alles hinzuwerfen. Zumindest teilweise.

„Auf keinen Fall damit anfangen, das gleiche Spiel wie alle Anderen zu spielen oder den netten Typen von nebenan zu mimen beginnen, der jeden lieb hat und dafür seine Ideen verwässert. Nicht darauf achten, ob die Dinge laufen oder nicht“, sagte er mit einem verächtlichen Unterton in der Stimme, der wohl ausdrückten sollte, dass die Lösung so offensichtlich sei, dass nur ein Dummkopf nicht von selbst auf sie stoßen konnte.

„Natürlich ist es völlig egal.“ – „Lüg Dich nicht selbst an. Es ist Dir nicht egal, überhaupt nicht. Bekomme jetzt nur keine kalten Füße: Die Anerkennung , die Du einforderst für das, was Du tust, wird kommen. Bleib kompromisslos.“ – „Aber kompromisslos kann man auch in die falsche Richtung sein, oder?“

Er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er antwortete. Ich hatte ihn kurz Zweifeln lassen. Ich grinste, innerlich, als ich das bemerkte. „Ja, natürlich kann man das. Aber nicht, wenn man halbwegs intelligent ist. Kompromisslosigkeit ist in jedem Fall der einzige Schlüssel zu jeglichem echten Erfolg, völlig egal, wie dieser auch aussehen soll. Glaub an Dich, mach Dein Ding und kümmere Dich nicht darum, dass der Erfolg nicht heute kommt, nicht morgen und auch nicht in fünf Jahren. Mach weiter und lass Dich nicht beirren. Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber es ist die Wahrheit. Es wird sich auszahlen, aber es wird ein verdammt harter Weg, auf dem Du immer und immer wieder das tun musst, was Du gut kannst, um mehr und mehr Leute zu finden, die möglicherweise sehen, dass Du das tatsächlich gut machst. Wichtig ist auch, dass Du trotz allem für konstruktive Kritik offen bleibst. Lass Dir nicht sagen, was Du tun sollst und folge keinen Trends, aber höre genau zu, was die Leute Dir sagen. Es ist wichtig, damit Du Dich nicht in den sprichwörtlichen mentalen Elfenbeinturm verziehst“, sagte er.

„Und warum sollte das funktionieren? Warum sollten irgendwann irgendjemand etwas gut finden, nur weil es mehrmals getan wird?“ – „Aus zwei Gründen: Einerseits bewundern es die Menschen, wenn Du Ihnen Dinge immer und immer wieder mit viel Beharrlichkeit servierst, egal was es ist. Photographiere jeden Tag Deine eigene Scheiße über ein paar Jahre hinweg und Du wirst ein Star. Versprochen. Und andererseits ist der Mensch ein Traditionswesen. Was er öfter sieht oder liest, prägt sich bei ihm ein, es formt eine eigene Ästhetik, selbst wenn es zu Beginn noch völlig für sich steht. Alleine Kompromisslosigkeit und Beharrlichkeit machen den Schlüssel zum Erfolg aus. Guck Dir die Kunst- und Kulturgeschichte doch einfach mal an: Sie ist voll von Freaks, die Sachen immer und immer wieder durchgezogen haben, die eigentlich absolut schwachsinnig sind. Allein die kompromisslose Beharrung auf diesen Konzepten führte dazu, dass es die Leute irgendwann begannen, den Blickwinkel zu ändern und durch die Augen der Künstler und mit der Erfahrung des vorher schon gesehenen auf die Werke zu blicken. Wiederholung von Dingen, an die man glaubt, ist Überzeugungsarbeit. Und zwar auch an sich selbst.“


Metareflexion, yeah! (XXVIII)

Audienz (II)

„Ich drehte mich nach links, nach rechts, das letzte bisschen Bodenhaftung verschwand mit der übriggebliebenen Suppe von vorgestern, die ich im Klo hinunterspülte. Immer müssen, das ist so schlimm wie nie dürfen, steht auf einer Postkarte, die neben eben jenem Abort an der Wand befestigt ist. Und das heißt: Das Schicksal, oder noch besser: Der Glaube an das Schicksal ist ein zweischneidiges Schwert. An manchen Tagen ist der Zwang, zu erschaffen, etwas geradezu grausames, etwas, das genauso schlimm ist wie „nie dürfen“. Noch bevor der Gedanke zuende gesponnen war, verechote er sich, drehte dabei einen Kreis und verschlang sich selbst von hinten. Ein Schutzmechanismus meines Kopfes. Dann packte ich meine Sachen und kam hierher. Es sind Dinge zu tun, heute. Dinge, die scheinbar völlig zwecklos sind, aber dennoch von uns getan werden müssen, nicht nur deswegen weil wir sie tun können“, sagte er und grinste mich an.

„Ich sehe, was Du meinst“, antwortete ich. „Aber glaubst Du nicht, dass die Dinge, die wir tun müssen, auch von anderen getan werden können? Glaubst Du nicht, dass Du es alles irgendwie hochstilisierst mit Deinem Glauben an ein Schicksal?“

„Nein“, sagte er. „Das glaube ich nicht. Wenn wir die Dinge nicht selbst tun, tut sie früher oder später jemand anderes, jemand, der es eben nicht kann und dann, ganz tief in uns drin, ärgern wir uns darüber, dass wir sie nicht vorher getan haben. Dass wir sie nicht besser getan haben. Ich habe das zu oft erlebt, um auch nur einen einzigen Gedanken, eine einzige Idee wieder im Nirgendwo verschwinden zu lassen. Es wäre sicher der einfachste Weg, die Ideen einfach wieder entwischen zu lassen, ihnen nicht zu folgen und sich einen Dreck darum zu kümmern, ob es jemand anders tut. Aber irgendwas in meinem Kopf, das auch in Deinem ist, soweit ich das sehe, glaubt nicht an einfache Wege. Nicht auf lange Sicht. Irgendwann kommt eine Idee, der Du folgst und die Dich zu etwas führen wird, dass auch Dich als Person an sich betrifft und nicht nur die Kunst. Die Suche ist nicht immer nur eine Suche, von Zeit zu Zeit findet man auch Dinge, auch wenn die Suche an sich natürlich das eigentliche Ziel bleibt. Unter den gefundenen Dingen kann finanzieller Erfolg sein, kann tiefe persönliche Befriedigung sein, ein großartiges Werk, Unsterblichkeit, was auch immer. Irgendwann kommt ein Weg, der zu soetwas führt. Und wenn er kommt, dann folge ihm bis zu seinem Ziel, aber bleibe dort nicht stehen, sondern folge danach wieder den anderen Funken. Sonst wirst Du leer werden.“


Metareflexion, yeah! (XXVII)

Audienz (I)

„Mit so einem Bockmist brauchst Du mir gar nicht ankommen. Wirf das weg.“ – „Willst Du mich verarschen? Ich dachte, wir wären Freunde?“ – „Sind wir auch. Aber das heißt nicht, dass ich solchen Schmutz in irgendeiner Form loben werde. Ich beurteile ein Kunstwerk nicht nach dem Künstler. Sorry. Und außerdem entspricht das so gar nicht Deinem Stil.“ – „Na ja, es ist halt ein Experiment. Du sagst doch immer, dass man ständig experimentieren und sich nicht festlegen soll.“ – „Experimentieren heißt doch nicht: Lizenz zum Scheiße bauen. Wenn Du Scheiße bauen willst, dann bau Scheiße. Aber behalt sie für Dich und drück sie mir nicht als mit dem billigen Alibi ‚es war doch ein Experiment’ in die Hand. Auch ein Experiment muss durchdacht sein. Und nur weil es ein bisschen originell ist, brauchst Du nicht glauben, dass niemandem zumindest unterschwellig auffallen wird, wie technisch mangelhaft es durchgeführt wurde.“ – „Du machst mich fertig. Du beleidigst meine Arbeit.“ – „Oh, jetzt komm mir bloß nicht so. Den unverstandenen und sensiblen Künstler spielen wir nicht untereinander. Wir spielen den nach außen, weil wir wollen, dass die Leute uns für feinfühlige Genies halten. Wir wissen, dass es eigentlich bloß harte Arbeit ist. Metaphysisch aufgeladenes Handwerk, wenn Du es eleganter ausgedrückt haben willst.“ – „Ich bin kein Handwerker. Ich bin Künstler. Das ist etwas grundlegend anderes.“ – “Zwei Dinge will ich Dir sagen. Erstens: Nein. Es sind zwei Ausdrücke für dasselbe. Und zweitens: Nur weil ein paar hundert Leute am Tag auf Deine kleine Internetseite gucken, bist Du noch kein Künstler. Guck mich an: Ich hab so was nicht, ich brauche nichtmal einen beknackten Computer. Ich bin Künstler, weil ich es lebe und weil ich hart an meinem Zeug arbeite. Merk Dir das. Und jetzt verschwinde und komm mir nie wieder mit irgendwas an, das Du derart gedankenlos hingerotzt hast.” – „Ja, Meister.“