„Was gibts?“, frage ich.
„Ach, eigentlich nichts. Bist du zu Hause?“
Ich überlege, ob ich lügen soll. „Ja“, antworte ich wahrheitsgemäß. Eventuell hätte sie es sonst auf meinem richtigen Telefon probiert und ich hätte den ganzen Tag nicht rangehen können, ohne mich zu verraten. Nicht, dass ich normalerweise ans Telefon gehen würde. Ich habe, wenn es um meine private Einsiedelei geht, keine Probleme damit, zu lügen. Bei einer Lüge ertappt zu werden ist dann schon wieder etwas anderes.
„Könntest du mich vielleicht um halb vier am Bahnhof abholen, wenn ich ganz unverschämt fragen darf?“
Die direkte Tour. Guter Trick. Es hilft bei solchen Fragen, wenn man die zugehörige Selbsteinschätzung gleich mitliefert. Zumindest bei mir.
Was soll ich darauf antworten? Mir schnell eine Ausrede einfallen lassen? Zu anstrengend, ich bin grade aufgewacht, habe die halbe Nacht gesoffen und an einem Stück Scheiße geschrieben, das niemals ein Roman werden wird. Ein Fragment, sozusagen. Irgendwie schreibe ich nur Fragmente.
„Klar. Ich bin da“, antworte ich in einem Ton, der darauf hinweisen soll, dass es mich stört, wenn man mir die Bedingungen diktiert, nach denen ich meine nie vorhandene Zeit zu verbringen habe.
Auf Bahnhöfen auf jemanden zu warten ist eigentlich ein richtig tolles Konzept dieser merkwürdigen Realität. Noch dazu, wenn es Herbst ist. Vielleicht fällt mir deswegen keine Lüge ein. In meiner Phantasie haben die Züge nur wegen der Leute Verspätung, die gerne im Herbst auf Bahnhöfen warten. Vielleicht sind das in Wirklichkeit mehr als man glaubt.
„Super, danke“, sagt sie.
„Kein Problem“, sage ich.
Es ist fast halb drei. Ich fahre besser gleich los. Vielleicht weiß der Zugführer gar nichts von diesen Leuten. Vielleicht ist er neu im Geschäft.