NeuRosen (XXXVII)
Das Leben ist verdammt bunt und ich fühle mich seit Tagen trotzdem nur noch grau.
Das Leben ist verdammt bunt und ich fühle mich seit Tagen trotzdem nur noch grau.
Welche Worte benutzt Du in der Regel, um Menschen zu beschreiben? Lassen sich diese Worte in verschiedene Kategorien einteilen? In welche und von welcher Art sind diese Kategorien? Denkst Du, dass Deine Art, einen Menschen zu beschreiben, sich in irgendeiner Form von der Beschreibung durch jemand anderen unterscheidet?
Ich bin einer von denen, die rübergehen, einer von den neun Männern. Aber vorher müssen wir acht Tage in einer roten, geleeartigen Flüssigkeit verbringen, nackt, am neunten Tag können wir erst das Paralleluniversum betreten, das ich unbedingt sehen will. Was denkt man, wenn man acht Tage mit seinem ganzen Körper in einer glibberigen Masse eingeschlossen ist, die Bewegungen nur wie in Zeitlupe erlaubt? Nackt an nackt, die anderen sehen alle gleich aus, das ist fast homoerotisch, sie sehen aus wie ich ohne jegliche Haare am Körper, sie sind glatzköpfige, haarlose Klone von mir. Sie haben die Augen geschlossen, sie kommen mir irgendwie wie schneeweiße Statuen vor, ab und zu zuckt einer oder bewegt verträumt den Arm. Was wollen diese Typen in dem anderen Universum? Oder kommen sie ursprünglich von dort? Gibt es mich dort acht Mal? Fragen wurden mir nicht erlaubt. Am neunten Tag weckt mich ein Geräusch, ich bemerke eine Bewegung und wie durch einen Abfluss im Geleebecken werden wir rübergesaugt, dorthin. Ich komme nicht an, irgendetwas läuft schief, ich hänge zwischen den Welten und habe das Gefühl, dass das geplant war, von irgendjemandem.
Das Bildgewitter, das über mich hereinbrach.
Mum schubste die überdimensionierte Hauskatze in den extrem überdimensionierten Rachen des roten Goldfischs als wäre es die normalste Sache der Welt. Timmy, der sich, wie auch schon beim erste Mal nur mit Widerwillen dort hineinbegab (es musste wohl eine Art angeborener Instinkt bei ihm sein, der ihm sagte, dass irgendwas nicht stimmte, wenn ein Fisch ihn verschluckte und nicht umgekehrt) knurrte und stellte die Nackenhaare auf, ließ sich aber schließlich doch nocheinmal auf die Sache ein. Mum folgte ihm. Ich wartete, bis beide sicher verstaut waren. In den Moment als ich gerade dabei war, es ihnen nachzutun, bewegte der Fisch seinen Körper nach rechts und trank einen Schluck Wasser, der mich seitlich am Magen vorbeispülte.
„Hihi, das kitzelt“, rief ich unwillkürlich. „David, wo bist Du?“, rief Mum. „Schon ok, ich glaube, der Fisch hat in dem Moment geatmet, als ich rein wollte. Ich bin wohl irgendwo im Kiemenkanal. Wenn er losschwimmt, werde ich wieder rausgespült und dann versuche ich mich, irgendwo festzuhalten“, antwortete ich. „Und wenn Du es nicht schaffst?“ „Keine Angst, ich werde es schon schaffen“, rief ich, und fügte hinzu „Ist interessant hier.“ „Aber wenn Du es nicht schaffst, wie willst Du dann nach Hause finden?“ Mum klang besorgt. „Mum, ich finde schon nach Hause. Ich kann doch einfach irgendwen fragen. Du vergißt, wo wir sind.“ „Nun, wo sind wir denn, David?“ „Es muss irgendein Märchenland sein, soviel ist sicher.“
Ich kann nicht gut mit Menschenmengen. Und ‘Menge’ fängt bei mir schon bei drei an.
Vermisse heute: das Tamtam der Nacht- und Abendstunden.
Telephonierst Du gern? Wenn Du die Wahl hättest zwischen einem echten Gespräch und einem Telephonat, was würdest Du vorziehen, wenn es nur um etwas Unwichtiges geht? Oder bevorzugst Du eher schriftliche Kommunikation? Warum?
Zusatzfrage: Lässt Du oft absichtlich Anrufer vergeblich versuchen, sie zu erreichen? Und wenn Du das tust: Ist Dir das eher peinlich oder hast Du keine Probleme damit, so zu handeln?
Liebes Mädchen aus dem Internet, das meine neue Stalkerin werden zu wollen scheint,
bitte hör’ endlich damit auf, mir eMails und Nachrichten zu schreiben, die Titel tragen wie „geteilter Schmerz“. Ich bin kein beschissener Emo, sondern das genaue Gegenteil davon, das hast Du aber anscheinend grundlegend missverstanden. Ich weiß ehrlich gesagt nichteinmal, wie Du auf meine Seite in der billigen Web 2.0-Absteige kamst, in der ich Dir auffiel und woher Du meine eMail-Adresse bekommen hast, und, um völlig offen zu sein, interessiert es mich auch nicht. Und dass Du traurig darüber bist, versehentlich die zwei für Dich so „bedeutsamen“ Zeilen gelöscht zu haben, die ich Dir als Antwort auf Deine erste Nachricht geschickt hatte, zeigt doch nur wie fern wir uns sind, denn Ich selbst habe alle Deine ellenlangen Nachrichten ohne zu zögern entsorgt, nachdem ich sie nur flüchtig überflogen und als bedeutungslos eingeordnet habe. Es braucht ein bisschen mehr, um mich zu beeindrucken. Aber versteh’ das jetzt bitte nicht als Aufforderung miß, mir weiter zu schreiben, denn Du hast nichts von dem, was ich in den Menschen suche, mit denen ich kommuniziere* und ich werde auch in Zukunft alles ignorieren, was Du mir zukommen lässt, sei es noch so pathetisch.
Ein schönes Leben noch,
Sebastian
*zb. Kreativität, Intelligenz, Geschmack, Stil.
Die Idee eines sexuellen Kontakts: Ich traf sie in einer Bar, Winterabend, siebzehn Jahre. Sie war spindeldürr, durchverwirrt und rehäugig, ich betrunken, neugierig und schwerverstört, mein Notizbuch schon im Hinterkopf. Sex gab es am Ende nicht, der fand nur in meinem Kopf statt. Als sie mir dennoch ihre Telefonnummer anbot, lehnte ich ab, die Erinnerung an die einzige Begegnung schlicht vorziehend.
Ich kauf mir zum Geburtstag: Einen Phrasendrescher.
Dann kann ich mich auf die wichtigen Dinge konzentrieren und mal so richtig die Seele baumeln lassen. Und Gott ‘nen guten Mann.
Wie zum Teufel sollte ich jemals einen Roman oder überhaupt noch irgendwas persönliches schreiben, wenn Du schon meine Blogeinträge dauernd hinterfragst? Wie sollte ich noch Dinge ehrlich ausdrücken können? Und warum, denkst Du, habe ich das wohl schon vorher erwähnt?
Von Zeit zu Zeit erscheinen mir im Traum die Leichen aus meinem Keller. Ich habe viele Leben gelebt, die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen und ich kannte viele Menschen, an die ich keinen Gedanken mehr verschwende, ein paar handvoll, deren Existenz und Wesen ich sogar komplett vergessen habe. Aber das Unterbewusstsein vergißt nicht und spuckt mir die Vergangenheit in Form von nächtlichen Gastauftritten von Zeit zu Zeit wieder vor die Füsse. Ich hasse es, wenn das passiert. Es fühlt sich an, als würde mir jemand unaufgefordert aus meinen alten Tagebüchern vorlesen und ich könnte mir nichteinmal die Ohren zuhalten.