Es ist halb zwei. Ich laufe zur Tankstelle, man kennt mich dort, die ältere Verkäuferin, die immer nachts da ist, lächelt mich an wie einen guten Bekannten. Ich komme zur Zeit fast jede Nacht, um Alkohol zu kaufen, meist nachdem ich den ganzen Tag zuhause verbracht habe, um an meiner Kunst zu arbeiten, ohne jede Art von Pause. Mein Kopf schwirrt dann von Eindrücken, von Worten und Bildern, die ich selbstständig nicht mehr abschalten kann.
Ich weiß nicht genau, warum die Dame gerade jetzt frische Brezeln gebacken hat, vielleicht kommen morgen früh viele Fernfahrer von der nahegelegenen Autobahn, vielleicht ist sie einfach nur verrückt. Sie schlägt mir vor, dass ich doch eine Brezel zu meinen Whiskey-Mischgetränken nehmen könnte. Ich sähe immer so blass aus, ich könnte Essen vertragen, meint sie, als ich kurz zögere, verwirrt von dieser Variation des normalen Ablaufs eines Einkaufs an der Tankstelle. Sie klingt dabei wie meine Mutter und für eine Sekunde sieht sie auch genau so aus. “Nein, Danke, ich habe schon gegessen”, sage ich, zurücklächelnd. Es ist eine Lüge.
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Manche Leute kennt man, manche Leute grüßt man. Manche Leute guckt man nicht mal an, manche Leute lächeln einem zu. Viele Neue irren wirr durch alle Gänge. Das absurde Theater hat wieder geöffnet, ich stehe mittendrin auf seiner Bühne und hab’ bestimmt zum zehnten Mal vergessen, wo Hörsaal Nummer 9 ist.
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Die Angst kroch meinen Rücken rauf und machte sich in meinem Gehirn breit, wo sie sich, wie bei dieser Art von Angst üblich, in Lähmung verwandelte. Ich wusste, dass ich es schaffen konnte: Einen Roman schreiben. Die Nummer Eins auf der Liste der Dinge, die ich bis zum 30. Lebensjahr gemacht haben wollte. Aber anstatt es zu tun, saß ich nur da, blickte ins Leere und trank von dem Bier, das ich mir heimlich gekauft hatte. Nebenan spielte ein Mensch, den ich in der atemberaubend kurzen Zeit von vier Monaten zum mir einzigen Vertrauten gemacht hatte, ein uraltes Computerspiel und beantwortete ein Winken im Vorbeigehen mit einem Lächeln. Kannte Sie mich? Wusste Sie von der bleieren Angst, die in diesem Moment in mir wütete, als wäre sie völlig schwerelos? Hatte Sie eine Vorstellung davon, wie schwer es für mich war, einfach wieder in dieses kleine Zimmer zu gehen und weiterzumachen mit dem fruchtlosen Herumhacken auf diesem Notebook, anstatt zu ihr ins Bett zu kriechen? Und wusste Sie, wie unausweichlich, wie dringend notwendig diese scheinbar gefühlskalte Handlung gleichzeitig für mich war? War mir eigentlich klar, wie sinnlos alles war, was ich zu dieser Zeit tat? Wie absurd es allen Menschen um mich herum scheinen musste, dass ich die Kunst zu meinem Gott gemacht hatte, zum Einzigen Ding neben der Liebe, das es wert war, meine Zeit in Anspruch zu nehmen?
Vermutlich nicht. Aber ich bin dennoch froh über den Verlauf dieser Nacht, in der ich mein neues Zuhause endlich zu akzeptieren anfing. Ich fing zwar nicht damit an, endlich den Roman zu schreiben, den zu verfassen ich schon seit Jahren unzähligen Menschen androhe, aber ich verliebte mich wieder, fand mich neu in den so begrenzten Landstrichen des Alphabets, einem der unzweifelhaft schönsten Orte meiner frühesten Kindheitserinnerungen und liess Worte in formvollendeter Choreographie über den Bildschirm tanzen, wie schon seit Monaten nicht mehr. Und ich verliebte mich neu in sie, dieses junge Mädchen im Nebenzimmer, das von all diesen Überlegungen nichts wusste. Das Leben hatte mich wieder. Oder, von außen betrachtet: Genau das Gegenteil davon.
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Als ich die Treppe zu meiner Wohnung hinaufsteige, geht vor mir eine Frau auf Stöckelschuhen, die plötzlich den linken Schuh verliert. Sie macht noch einen Schritt vorwärts, bemerkt dann, was passiert ist und dreht sich um zu mir. Ich habe längst den Schuh aufgehoben und halte ihn ihr in meiner ausgestreckten Hand entgegen, was dadurch, dass sie mir einige Stufen vorraus ist und somit höher steht, dramaturgisch kaum besser inszeniert sein könnte. “Huch, das ist ja wie im Märchen”, sagt sie und lacht. “Stimmt” antworte ich.
Sie meint die Situation, ich das Leben an sich.
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Liebe Daniela,
schon zum zweiten Mal stellst Du mir per Mail ausführliche Fragen nach meinem Kameraequipment. Ich kann es Dir nicht wirklich verübeln, muss aber anmerken, dass es langsam anfängt zu nerven, denn höre ich diese Auskunftsbitten nicht zum ersten Mal, ganz im Gegenteil: Die Frage “Was für ne Kamera benutztn Du für diese Photos?” ist die wohl mir meistgestellte Frage, seit ich ernsthaft mit der Photographie begonnen habe und ich beantworte sie normalerweise nur ungern. Die Begründung dafür dürfte im folgenden, uralten Photografenwitz verborgen sein:
Helmut Newton speist in einem Restaurant. Als er nach dem Essen noch ein Glas Wein trinkt, besucht ihn der Chefkoch, ein Bewunderer seiner Arbeit, am Tisch. “Ich liebe ihre Bilder”, sagt der Koch, “sie müssen eine tolle Kamera haben”. “Vielen Dank”, entgegnet Newton, “Ihr Essen war ebenfalls herausragend. Sie müssen tolle Kochtöpfe haben”.
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…Wohnungsamt sagt schließlich: Beantrage Studienabschlusshilfe, denn wenn Du Anspruch darauf hast, kannst Du kein Wohngeld kriegen; Studentenwerk sagt: Musst Du erst Bescheinigung vom Prüfungsamt mitbringen; Prüfungsamt füllt falsche Spalte im Formular aus, aber grundsätzlich richtig; Studentenwerk schickt mich, nachdem ich noch sieben weitere Anträge ausgefüllt habe, von meinen Eltern ausüllen ließ und doppelt bestätigt habe, zurück zum Prüfungsamt, wegen dem Zettel, den ich schon vor Wochen abgegeben habe; Prüfungsamt ist im Urlaub, Vertretung füllt generell nix aus, was sie nicht kennt, will mich am liebsten zurückverweisen; Studentenwerk sagt deshalb: Abschlusshilfe kriegste noch nicht, weil Du einen Schein im Nebenfach noch nicht hast, aber genau können wir Dir auch nicht sagen, ob das daran liegt, das kann nur das Prüfungsamt (zur Erinnerung: Die sind noch nen Monat im Urlaub und haben ne Vertretung, die sich nicht auskennt); Wohnungsamt sagt: Kann gar nicht sein, dass da ne Lücke entsteht zwischen normalem Bafög und Studienabschlusshilfe, aber stellen sie doch mal den Antrag nochmal, für den benötigen wir unter anderem folgende Nachweise: …
…und dazwischen liegen ca. 6 Wochen, um die 30 Telefonate mit verschiedensten Menschen wegen verschiedenster zugehöriger Kleinprobleme und ungelogen mehr als 25 verschiedene Anträge und Nachweise. Ich bin mitten im Kafka-Land und drehe weiter meine Kreise… zurück zum Wohnungsamt, neue Formulare besorgen…
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Ich bin die einzig funktionierende Kunstgenerierungsmaschine des Planeten Erde, ich spuke psychedelisches Hirnzuckerwerk im Sekundentakt vor die Füsse der Hirnlosen und hab dabei soviel Spass wie andere bei sinnentleertem Hin- und Herspulen von Bekanntem.
Und Eigenlob, das stinkt, igitt.
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Der beste Ratschlag, der mir im Verlauf von mehr als fünfundzwanzig Jahren gegeben wurde, stammte paradoxerweise von Jemandem, den ich gar nicht kenne und lautete sinngemäß, dass ich Menschen meiden soll, die mich in eine irgendeine Art von bestimmtem Dasein, eine bestimmte Rolle zwingen wollen, wenn auch nur indirekt und zu den Menschen gehen soll, bei denen Worte überflüssig werden, die mich ohne Erklärungen, ohne Begründungen akzeptieren, keine Bedingungen vor meine Anwesenheit stellen. Ich werde diesen Rat wohl nie vergessen, Elisa, denn er hat mein Leben grundlegend verändert.
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Liebe drückt sich paradoxerweise oft dann besonders deutlich aus, wenn der geliebte Mensch nicht da ist. Vielleicht bin ich aber nur ein verdammter Romantiker, der selbst im allkommunikativen Internetzeitalter das stereotype Ideal von Fernliebe noch hoch über seinen Kopf hält und in der Zwischenzeit seine rotglühenden Emotionen in wild pulsierende Kunst gießt.
Vermissen, Rückerwarten, Wiedertreffen und Neuerfinden. Ich sehe es kommen. Und mehr.
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Neulich, als das Wetter den Sturm in den kleinen Ort wehte und ich wieder nicht schlafen konnte, sah ich genau, was Du getan hast, damals, draußen im Regen. Ich sah es in mir, während ich auf eine Kerze blickte. Ich blickte nicht aus dem Fenster, nicht in das vom Himmel fallende Wasser, sondern ins Feuer. Und das war der Trick, der mir vorher nie eingefallen ist. Nun habe ich Dich endlich durchschaut.
Und deswegen formuliere ich hier pathetischen Kitsch, bei dem jeder kotzen muss, der kein Emo ist.
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Mein schlimmster wiederkehrender Alptraum (I) (ja, das schreib ich mit “p”, verdammt)
Ich wache auf, es ist tiefe Nacht. Irgendwie fühlt sich mein Körper anders an. So dünn, schlaksig. Meine Haare sind abgeschnitten worden, nein, sie sind auch anders. Kurz. Sehr glatt. Zur Seite gekämmt. Mich überkommt Panik, ich habe die Befürchtung, zu einem Emo mutiert zu sein. Als ich “verdammter Mist, was geht hier vor” laut vor mich hinmurmele, gefriert mir das Blut in den Adern. Ich kenne die Stimme, und fasse mir unter die Nase. Haare, dort. Ich weiß jetzt, dass ich kein Emo bin, sondern jemand anders. Ich stolpere aus dem Bett, drücke auf den Lichtschalter und renne zum Spiegel, wo sich meine Vorahnung bestätigt: Ich bin plötzlich Adolf Hitler.
Die restliche Nacht verbringe ich in meiner Wohnung und denke darüber nach, wie ich so auf die Strasse gehen soll. Wie ich es anstelle, dass man mich morgen beim Bäcker nicht erkennt.
tags: Träume, Traumtagebuch | posted in Freistil, Leben
Flaschenpost (I): Ich liebe Dich. Ich bin gefühllos ohne Dich, inspirationslos, leidenschaftslos. Ich fühle mich nach einer Woche ohne Dich wie die Frau im Aufzug, die frühmorgens extra siebzehn Stock betrunken nach unten fährt, das ist schon anstrengend genug und dann ist auch noch keine Post da und das hauseigene Hallenbad ist zu gruselig, um hinzugehen, da fährt man lieber wieder hoch und trinkt noch einen.
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