November. Der Monat, in dem traditionell kurz vor dem Winterschlaf noch alles den Bach runter geht, es gibt verdammt gute Songs darüber. Ich stelle mich ein auf ein paar kalte Monate mit kurzen Tagen ohne Dich, ich habe in dem leeren Zimmer meiner Wohnung Vorräte aus Zigaretten und Rotwein angelegt wie ein Eichhörnchen und die Schreibmaschine auf Körpertemperatur vorgeheizt, so dass ich mir beim Tippen einreden kann, dass McLuhan völlig Recht hatte und dass das alles kein so unnatürlicher Zustand ist, wie es sich oft anfühlt. Schreiben ist: Die eigene Seele vergewaltigen. Sie zu zwingen, alles rauszurücken, was drin ist und noch im letzten Winkel nach Resten zu kratzen, diese dann wild durcheinander zu mixen und falsch sortiert auf Papier zu kotzen, so dass am Ende keiner mehr erkennt, um was es eigentlich ging oder welcher Gedanke überhaupt Dein eigener war. Leider ist das alles in Vergessenheit geraten, seitdem der gute alte Erlebnisbericht aus Grundschulzeiten als Genre im Internet sein großes Revival erlebt.
Texte, die man ins Leben mitnehmen kann, haben nie eine knackige und in einem Satz zusammenfassbare Pointe. Witze und Binsenweisheiten schon, sie sind das Fast Food, dort, wo Zeitungsartikel, Blogeinträge und journalistische Texte mit aktuellem Zeitbezug inzwischen zu den Hauptmahlzeiten geworden sind. Nach ein paar Stunden hast Du in beiden Fällen jedesmal wieder Hunger, und wer weiß heutzutage eigentlich noch, was er vor drei Tagen gefressen hat? Von Fast Food wird man fett und krank. Aber was ist dann Literatur in dieser völlig unsinnigen Analogie? Ich verwerfe den Gedanken. Draußen vor dem Fenster werden Autofensterscheiben durch den ersten Frost ganz milchig und in meinem eigenen Erlebnisbericht steht, dass ich wieder nicht daran gedacht habe, Handschuhe und dicke Socken einzukaufen. Bringt sowieso nichts, das Frieren kommt immer von innen. Jemand, dem ich vor vielen Jahren nach dem Sex im Winter immer die Füße wärmen durfte, hat mir mal erzählt, dass Frauen mehr an den Extremitäten frieren, weil der weibliche Körper die in ihm vorhandene Wärme bei niedrigen Temperaturen mehr in die Mitte zusammenzieht, um ein dort eventuell vorhandenes Kind besser abzusichern. Mir gefällt die Geschichte, deswegen habe ich nie nachrecherchiert, ob sie stimmt. Wäre es unwahr, dann würde mir das die Illusion nehmen, dass die Natur über eine schwangere Frau im Schneesturm denkt: „Hör auf rumzuheulen und frier Dir Deine Scheißarme ab, Hauptsache ist doch: Ihr überlebt das hier beide“. Ich mag diese Illusion sehr. Sie ist ein bisschen so, als würde der statische Teil der Realität damit den schlimmstdenkbaren menschlichen Egoismus einfach per Gesetz unterbinden. Der Biologie entkommst Du niemals, selbst dann, wenn Du Dich weigerst, Kinder in die Welt zu setzen, kriegst Du Deinen Drang zur Schöpfung, zum Fortschritt, zur Evolution nie unter Kontrolle.
„Siri, was macht man, wenn die Verzweiflung überhand zu nehmen droht?“ – „Leg Dir ein dickes Fell aus Resignation zu, so dass es sich nur noch wie ein sanftes, aufmunterndes Streicheln anfühlt, wenn sie Dir den Rücken raufkriecht.“ Extensions of Man, haha, so nenne ich meinen ersten Friseursalon in dem dazu passenden Paralleluniversum, denke ich, meine Gedanken in rücksichtsloser Brutalität auf Twitterkompatibilität beschneidend. Ich tue mir nicht gut, aber wer solls denn sonst machen? Ich gucke mich um, und es weht zu dramatischer Musik und einem Windsample so ein kugelförmiges Gestrüpp durch das Zimmer, wie in einem alten Westernfilm kurz vor dem Duell. Mein Schatten steht hinter mir, denn außer dem Licht dieses Computers erhellt nichts den Raum. Selbst wenn ich schneller ziehen könnte, hätte ich keine Chance, ich müsste mich erst noch umdrehen, denke ich, da höre ich schon, wie er den Revolver spannt.