Daily Irrsinn (IV)

Ich ziehe das Pech magisch an, seit heute bin ich mir dessen zu 100% sicher. Ich habe heute nämlich meine neue 1000 GB-Festplatte erhalten, auf die ich schon seit Tagen gewartet hatte und die ich mir zu dem Zwecke bestellt hatte, meine Photos endlich sicher aufzubewahren, weil meine alte externe Platte langsam in die Jahre kommt. Ich kopiere also den ganzen Tag meine Bilder auf die neue Festplatte (weit mehr als 300 Gigabyte an RAW-Daten und PSD-Dateien) und plötzlich tritt irgendein Fehler auf. Mein PC hängt sich auf, ich starte ihn neu und ab diesem Zeitpunkt kann die neue Festplatte nicht mehr gelesen werden, während die Alte treu weiter vor sich hinschnurrt. Habe ich erwähnt, dass ich die Bilder natürlich nicht wirklich auf die Platte kopiert, sondern verschoben habe und dass diverse Datenrettungstools bisher überhaupt kein Ergebnis gebracht haben? Das fühlt sich in etwa so an, als wäre mir ein großer Teil meines Körpers (um genau zu sein handelt es sich um mehr als 75%) amputiert worden. Ich springe gleich aus dem Fenster. Das Blog ist hiermit erstmal auf Urlaub, denn ich habe nichts mehr zum Posten.


Daily Irrsinn (III)

Heute habe ich zum dritten Mal versucht, zum Arzt zu gehen. Diesesmal bin ich sogar bis zu Herrn G. durchgedrungen. Aber von vorne: Mein Termin war auf Viertel vor elf gelegt worden und ich war selbstverständlich pünktlich. Das aber änderte nichts an der Schlange an der Rezeption, die bis zur Eingangstür reichte und die eher den Eindruck von Hauptbahnhof als von Arztpraxis vermittelte. Nachdem ich meine Wegelagerergebühr entrichtet hatte und im Wartezimmer (das mehr als zehn Sitzplätze hatte) mit meinem schmerzenden Knie zunächst eine halbe Stunde stehen durfte, begann ich mich bereits zu fragen, was ich eigentlich hier tat. Eine weitere halbe Stunde später hatte ich einen Sitzplatz und es waren ansonsten nur noch Menschen anwesend, die später als ich selbst eingetroffen waren (man hat ja mehr als genug Zeit, die Leute genau zu beobachten, wenn man nichts tut außer warten). Das aber änderte bizarrerweise nichts daran, dass ich noch eine dritte halbe Stunde warten durfte, während mehr und mehr Leute aufgerufen wurden, die meinem naiven Empfinden nach erst nach mir drankommen hätten sollen. Als ich dann endlich in die Röntgenkammer geführt und anschließend erneut im Wartezimmer platziert wurde, hatte ich dann zumindest kurz das Gefühl, dass mir das Ganze am Ende weiterhelfen könnte, was sich leider als Trugschluss entpuppte, denn Herr Dr. G. teilte mir nach einer blitzschnellen, weiteren Untersuchung meines Knies in seinem Sprechzimmer mit, dass ich kerngesund bin und verschrieb mir ein Allerweltsmedikament gegen Schmerzen und Entzündungen, für das ich in der Apotheke weitere zehn Euro zu entrichten hatte. Ich denke, ich werde nun wieder einige Jahre Pause machen, bevor ich das nächste Mal eine Arztpraxis aufsuche. Zumindest davon bin ich vorläufig geheilt.


Tiefenstrukturanalyse (XXV)

Es gibt Leute, die gehen, auch wenn sie sich unbeobachtet fühlen, so, als würden sie von irgendjemandem beobachtet.


Musikalische Fundstücke (III): “Death Magnetic”-Artwork

Metallica haben vor ein paar Tagen das Cover-Artwork ihres kommenden Albums “Death Magnetic” veröffentlicht. Ansehen kann man sich das Ganze hier. Abgesehen von der Tatsache, dass das Album das erste mit dem alten Bandlogo seit dem selbstbetitelten Album von 1991 (genauer betrachtet sogar das zweite Album überhaupt in der Discographie, bei dem das alte Logo ohne 3d-Effekt abgebildet wird [nach dem Debüt "Kill 'Em All"]) ist, lässt sich dazu sagen, dass das Cover zu den schlechtesten Albumartworks des Jahres zählt, denn das, was sich dort zeigt, ist genau das Gegenteil von Subtilität, Orginalität oder Tiefgründigkeit, sondern einfach eine schlechte wortgetreue Übersetzung des Albumtitels in ein effektüberladenes, flaches Symbol, das zudem noch ganz andere Assoziationen hervorruft. Warum kann sich eine so große Band keinen richtig guten Designer (besser wäre noch: Illustrator, denn diese Platte verdient eigentlich ein richtig gutes Old-School-Metalcover, wenn sie das ist, was die Band verspricht) leisten und warum sieht auch niemand im Umfeld, dass das so eigentlich gar nicht geht? Epic Fail.


Daily Irrsinn (II)

Nachdem ich letzte Woche lernen durfte, dass manche Ärzte an manchen Tagen einfach Mittags Feierabend machen (ich hatte ja keine Ahnung – der letzte notwendige Besuch bei einem Nicht-Zahnarzt liegt bei mir fast 10 Jahre in der Vergangenheit), hatte ich mich ausführlich über die Öffnungszeiten bei dem Doktor zwei Straßen weiter informiert und kam ich heute schon recht früh in die Praxis. Ich wurde postwendend wieder nach Hause geschickt. “Immer einen Termin machen”, belehrte mich die aufgebretzelte Arzthelferin, als ob sie ein Kleinkind vor sich hätte. Dass ich darauf hinwies, dass ich Schmerzen habe und auch gerne warten würde, änderte leider nichts daran, dass Sie mich auf Montag verwies. Das Beste daran ist, dass eben jene Schmerzen im Knie heute morgen eigentlich gar nicht mehr wirklich vorhanden waren, allerdings wiederkehrten, nachdem ich den nicht ganz kurzen Fußweg von unserer Wohnung zur Bank (Praxisgebühr holen), von dort zur Praxis und wieder nach Hause hinter mich gebracht hatte.


Briefing (XIV)

Ich schreibe keine Abschiedsbriefe mehr, weil das Wort “Abschied” keinen Sinn hat, solange die betreffende Person nicht stirbt öder völlig von der Welt verschwindet. Ich meine, wir leben im Zeitalter von permanenter, digitaler Erreichbarkeit, oder? Ich kann Leute, die ich seit Jahren nichtmehr gesehen habe, jederzeit kontaktieren, wenn ich ihre Mailadresse habe. Wenn ich sie nicht habe, hilft in der Regel Google. Und wenn auch das nicht hilft, sind mindestens zehn andere Leute online, die wissen, wie man den Menschen erreicht, den man erreichen will. Ein Abschiedsbrief würde also nur Sinn machen, wenn ich sicher wüsste, dass ich den Menschen, dem ich diesen Brief schreibe, sicherlich nie wieder von mir aus kontaktieren würde und gleichzeitig sicher wäre, dass er mich nicht wieder kontaktiert und beides zugleich kann ich bei niemandem, dem ich kenne oder einmal kannte, ausschließen, wenn man von der einen Person absieht, die unter die im ersten Satz genannte Option fällt.

Was also schreibe ich dann? Einen „bis-dann“-Brief, wahrscheinlich. In drei Wochen ziehen wir hier weg. Unsere Wohnung ist wirklich schön. Liegt relativ zentral, ruhige, unspektakuläre Gegend. Wenn man von dort die paar Schritte zur U-Bahn-Station läuft, muss man eine Brücke über die Elbe überqueren, an der es ständig nach Kaffee riecht, weil in der Nähe eine Tschibo-Rösterei ist. Hamburg Hamm, einer der gefürchteten Ost-Stadtteile, wenn auch der bei weitem harmloseste. Ich habe Angst, wegzuziehen. Mein ganzer Freundeskreis, der bei weitem nicht so klein ist, wie man glauben würde, befindet sich in Bayern, in einem Radius von wahrscheinlich 200 Kilometern. Ich bin 26 Jahre alt und habe keine Berufserfahrung, dafür aber einen Haufen Schulden, die sich im Laufe meines Studiums angesammelt haben. Ich habe ein paar rudimentäre Talente, nicht wirklich in der Hinsicht ausgeprägt, dass man sie kommerziell nutzen könnte. Ich kann ganz gut photographieren, ein paar Grafikprogramme gut bedienen, ich habe im Laufe der Zeit einen eigenen Schreibstil entwickelt, ich bin in der Lage, zu beurteilen und schlüssig zu begründen, ob ein Film, ein Musikstück oder ein Buch brauchbar ist und wo es auf einer Skala von eins bis zehn Punkten anzusiedeln ist, aber ich habe keines dieser Talente so weiterentwickelt, dass man ich es auch beruflich nutzen könnte, wenn man von diversen kleineren Jobs absieht. Es gibt vermutlich Tonnen von Menschen, die das, was ich mache, ebenfalls können und zusätzlich in der Lage sind, Deadlines einzuhalten, die äußere Form zu wahren, ihren Stil konsequent und ohne Experimente weiterzuverfolgen und sich zu verkaufen. Das alles kann ich nicht. Es ist nicht so, dass ich es nicht versucht hätte, ganz im Gegenteil. Nur leider bin ich weder einer von diesen offensiven, grinsenden Gebrauchtwagenverkäufertypen noch einer von diesen überkorrekten, archkriechenden Strebern im Anzug. Ich bin introvertiert. Künstler. Ob das reicht, um einen Job zu finden?

Ich schweife ab. Thema dieses Briefes, der von einem Brief an eine spezielle Person zu einer Art offenem Brief geworden ist, ist die Tatsache, dass ich zum ersten Mal in diesem Leben für mehr als nur eine handvoll Monate die Orte verlasse, an denen ich die Menschen, die für mich von Bedeutung sind und meine Erinnerungen befinden. Ich bin im Grunde von diesen Dingen abhängig, auch wenn ich zur Einsiedlei neige. Ich mag es, so paradox das klingen mag, am liebsten, wenn ich zu drei Parties eingeladen werden, die direkt in der Nachbarschaft stattfinden und ich dann absagen kann, um zu Hause vor dem Computer zu sitzen. Es ist eher die Möglichkeit von Geselligkeit, die mich anspricht als die reale Ausübung derselben. Das wird in meiner neuen Heimatstadt, die von Millionen von Menschen bevölkert wird, sicherlich nicht so einfach sein. Menschen neu kennen zu lernen bedeutet immer auch, dass man viel Zeit mit ihnen verbringen muss. Wer drei mal absagt, gehört schon zur Vergangenheit. Aber was auch immer dort auf mich wartet, wo ich hingehe: Ich muss weg von hier. Ich muss es aus zwei Gründen tun: Der erste Grund ist der, dass es meine letzte Chance ist, den drohenden Bürgertum zu entkommen. Ich weiß, wie melodramatisch sich das anhört, aber es ist die blanke Wahrheit. Ich würde es später nicht mehr schaffen. Wenn ich erst mit dem Studium fertig bin, würde ich mitten in der bayerischen Provinz einen Job anfangen, den ich hassen würde und in dem ich von inkompetenten Menschen umgeben wäre, die mich ankotzen und würde trotzdem weiter und weiter manchen, bis ich irgendwann alt und verbittert wäre. Ich würde vielleicht irgendeine Frau kennenlernen und heiraten, ein paar Kinder zeugen und irgendwann feststellen, dass mein Leben genau zu dem geworden ist, was ich immer als schlimmsten Alptraum (ja, mit P, verdammt) im Kopf hatte. Provinziell und spießbürgerlich. Und zu weit weg von Meer. Der zweite Grund, der mich dazu zwingt, von hier wegzuziehen, ist ein wunderschönes Mädchen, das einen Vornamen trägt, der aus dem friesischen stammt und „kleiner Schwan“ bedeutet. Ich liebe dieses Mädchen schon fast seit dem Abend, an dem ich es kennenlernte, auch wenn ich nie zugeben würde.

Und weil das hier kein Abschiedsbrief ist, werde ich auch keine Abschiedsformeln finden. Und ich werde auch niemanden, nicht einmal in unpersönlicher Form, direkt adressieren. Die Menschen, die mich kennen, die Menschen die ich kannte und die Menschen, die ich leider nie so kennengelernt habe, wie ich es wollte (das dauert bei mir immer Jahre) werden wissen, dass dieser offene Brief an sie gerichtet ist. Dieser Brief ist an jeden gerichtet, der sich von ihm angesprochen fühlt. Und falls jemand von diesen Menschen irgendwann vorhatte, sowieso mal Hamburg anzugucken oder Urlaub in der Nähe zu machen, ist er hiermit herzlich eingeladen, mir zu schreiben und unsere Couch als Schlafplatz zu nutzen. Man könnte zusammen auf der Reeperbahn ein paar Bierchen trinken, im Hafen rumhängen oder irgendein Konzert besuchen und über Bayreuth plaudern. Oder diese hinterwäldlerische, dunkelfunzlige Gegend namens Oberpfalz. Ich nehm den ganzen Kram jedenfalls mit. Innenseitig.


Daily Irrsinn (I)

Nach einem unschönen Erlebnis mit einem Passbildautomaten heute morgen (der Automat hat nicht nur die Photos irgendwann einfach gedruckt, obwohl ich eigentlich noch unzufrieden damit war, sondern druckte auch einen schwarzen Querstrich in jedes der Bilder, der natürlich dazu führte, dass das Bild, das insgesamt etwa die Qualität von einem Handyphoto hatte, von der Stadt Bayreuth zurückgewiesen wurde) habe ich mein zukünftiges Passbild anschließend kurzerhand selbst photographiert. Natürlich wurde es ebenfalls abgelehnt: Es sei zu hell. Ärgerlich, aber aufgrund der tatsächlich etwas verschobenen Tonwerte (ich wollte halt blass aussehen) verständlich. Ich ging also ein drittes Mal aufs Amt, diesesmal mit vier zusätzlichen Versionen des Bildes im Gepäck, alle unterschiedlich in Kontrast, Sättigung und Tonwerten von viel zu dunkel bis viel zu hell.

Zunächst wollte der nette Herr, dem ich beim dritten Besuch zugelost wurde (man muss Nummern ziehen und wird dann dorthin gerufen, wo grade frei wird) keines der Bilder annehmen. Die seien alle viel zu dunkel. Als ich ihn darauf hinwies, dass sein Kollege mich vor einer Stunde nach Hause geschickt hatte mit der Aussage, dass eines eben dieser Bilder zu hell sei, kam er mit dem Argument, dass die Pixelzahl sowieso nicht stimmen würde. Die Pixelzahl. Bei einem ausgedruckten Bild. Ich habe ihm nicht erklärt, was DPI sind und warum mein Bild wesentlich mehr davon hat als jedes Automatenbild, sondern schlicht erklärt, dass das Bild 35x45mm hat, was den Anforderungen genau entspricht und darauf bestanden, dass das Bild genommen wird. Nachdem wir dann noch geklärt hatten, dass sich meine Augenfarbe in den letzten Jahren nicht geändert hat, war die Prozedur erledigt. Das Ganze hat insgesamt ca. dreieinhalb Stunden gedauert. Ich hatte irgendwie schon heute morgen im Gefühl, dass die Sache nicht so einfach werden würde.


Wort für Wort (XLII)

“Machst Du heute noch das Passbild?” – “Ne. Morgen. Meine Haare sehen heute komisch aus.” – “Deine Haare sehen immer komisch aus.” – “Und ich bin unrasiert.” – “Du bist immer unrasiert.” – “Ich bin nicht immer unrasiert. Und auf dem Passbild will ich das schon gar nicht.” – “Warum denn nicht?” – “Ich will nicht, dass man mich auf dem Passbild erkennt.” – “Das ist ja wohl das Bescheuertste, was ich je gehört habe.”


Bin ich

Mein naives Gemüth
denkt zuviel naive Gedanken
ich hasse mich für meine
einfache Natur.


Wort für Wort (XL)

“Lass uns woanders hingehen. Die Band ist scheiße.” – “Woher willst Du das den wissen? Die haben doch noch nicht mal angefangen zu spielen.” – “Guck Dir mal die Leute hier an. Wenn die Mehrheit der Fans einer Band Hosen anhat, die mehr als einen Reißverschluss haben, muss die Band einfach scheiße sein.”


Briefing (XIII)

Ach ja, bei Ihnen, Herr W.,

wollte ich mich noch einmal explizit bedanken. Dafür, dass sie uns über 600 Kilometer weit fahren haben lassen in dem Glauben, dass wir die Wohnung schon so gut wie sicher hätten, die sie zu vermieten hatten und die uns ganz gut gefiel. Wir hatten uns sehr gefreut, als sich herausstellte, dass wir die allerersten Bewerber waren und waren bester Dinge, als wir auch gleich einen Besichtigungstermin bekamen. Es kam uns zwar etwas spanisch vor, dass Sie wollten, dass wir ihnen eine e-Mail schicken, in der wir ausführlich etwas über uns erzählen, aber was tut man nicht alles für einen schrulligen alten Mann, der das Glück hat, in einem guten Viertel in Hamburg eine Wohnung zu besitzen. Ein bisschen schockiert waren wir dann allerdings, als wir zu unserer Besichtigung ankamen und feststellen musste, dass Sie plötzlich, ohne ein Wort davon zu sagen, eine öffentliche Besichtigung daraus gemacht hatten. Mehr als zwanzig Parteien waren dort auf einmal anwesend. Nein, Herr W., das war nicht wirklich schön, vor allem nicht, weil Sie am Telefon großspurige Versprechungen wie „wer zuerst kommt, malt zuerst und sie waren ja die Ersten“ gemacht hatten.

Da saßen sie dann mit ihrer Brille wie ein Stasi-Offizier in der Küche ihrer etwas abgeranzten Wohnung im fünften Stock, die trotz ihrer Mängel immer noch zu dem Besten gehörte, dass wir an diesem Wochenende besichtigt hatten und baten selbstherrlich in der Reihenfolge des Erscheinens zur Besichtigung alle Parteien zum jeweils viertelstündigen Verhör am Küchentisch, während der Rest draußen im Flur warten musste. Schon äußerlich erschienen Sie mir wie der Prototyp des kafka’schen Bürokraten und ihre ganze Art zu reden und die Leute von oben herab zu behandeln war mir derart zuwider, dass ich am liebsten schon in dieser Situation, obwohl wir ja noch gar nicht „an der Reihe waren“, reingekommen wäre, Ihnen eine runtergehauen und Ihnen gesagt hätte, wo sie Ihre Wohnung hinstecken können. Aber wir waren ja verzweifelt. Es ist so verdammt schwierig, eine gute Wohnung in Hamburg zu finden. Am Besten gefiel mir das Vorzeigepaar, dass vor uns zu Ihnen musste. Die beiden, (Sie: Vollblutblondine, Er: Schwiegermutter’s Liebling), machten riesiges Grinsen zum bösen Spiel. Was ich vom Flur aus mitbekommen hatte, war, wie Sie erklärte: „Wir werden heiraten“ und er kurz darauf eine Kopie seines Arbeitsvertrages hervorzog, um sein regelmäßiges Einkommen zu beweisen. Es hätte nicht mehr viel gefehlt und sie hätte mit „Ich bin schwanger!“ ein weiteres Ass aus dem Ärmel gezogen und er wäre auf die Knie gefallen und hätte angefangen, Sie oral zu befriedigen, Herr W. Aber vermutlich stehen sie genau auf den Typ Mensch. Klar, dass wir beiden Studenten, erste Kandidaten für die Wohnung und Bürgschaft beider Elternteile hin oder her, dagegen keine Chance mehr hatten. Die Mail, die ich Ihnen über uns beide geschrieben hatte, hatten sie ausgedruckt dabei, mit selbsteingefügten Anmerkungen in roter Farbe. Viele Fragen hatten sie dann an uns im Gegensatz zu allen anderen keine mehr, vermutlich hatten sie uns schon im Kopf fett durchgestrichen.

Irgendwie, Herr W., bin ich ja doch, wie am Anfang der Mail schon angedeutet, ganz dankbar, dass sie nicht angerufen haben. Denn Sie sind mit Abstand einer der unsympathischsten Menschen, denen ich seit langer, langer Zeit begegnet bin, und das liegt wirklich nicht daran, dass sie uns eine Wohnung nicht gegeben haben (wir haben an dem Wochenende so viele nette Leute kennengelernt und nette Absagen kassiert). Jemanden wie Sie als Vermieter zu haben, wäre auch nicht wirklich witzig. Aber die Wohnung hätte uns echt gefallen und wenn ich an die riesige Enttäuschung zurückdenke, die ich und meine Freundin direkt nach der Besichtigung empfanden, dann glaube ich, dass ich doch noch in irgendeiner persönlicheren Form meinen Dank zum Ausdruck bringen muss. Ich werde gleich mal nachsehen, ob ich Ihre Adresse noch gespeichert habe…

Auf diesem Weg beste Wünsche aus Bayreuth,
Ihr Sebastian B.


NeuRosen (XLVI)

Mit der zunehmenden Arbeit an Aufträgen und an Projekten fremder Menschen und der damit einhergehenden, immer mehr mangelnden Zeit zum Freistil verliere ich langsam die Fähigkeit und die Leidenschaft, eigene Dinge zu (er)finden. Meine Photographie begeistert mich nicht mehr selbst, meine Worte sind leere Hülsen von etwas, das einmal von Bedeutung war. Ich hoffe, dass das nur eine gewöhnliche Blockade ist und mache einfach weiter wie bisher.


Begegnungen (I)

Auf der Schanzenstraße spricht mich ein bärtiger Obdachloser an, der ein bisschen wie Harry Rowohl oder Karl Marx aussieht: “Hast Du mal ‘ne Mark?” Ich weise ihn nicht darauf hin, dass es inzwischen seit 8 Jahren eine neue Währung gibt, sondern antworte freundlich und wahrheitsgemäß im Vorbeigehen mit den Worten “leider nicht”, worauf er resignierend entgegnet: “Du lügst doch”. Ich drehe mich noch einmal um: “Ich habe selbst nicht viel Geld, sorry”. In jetzt agressiverem Ton gibt er mir zur Behebung dieses Problems folgenden Ratschlag: “Dann geh doch mal arbeiten, Mann!”