Mein Name ist Walter und male Sprachbilder. Bestimmt kennen sie welche von meinen Bildern, vielleicht das mit den beiden hälsisch ineinander verschlungenen Giraffen, die ein Baumhaus aus gepanschtem Acrylamid bewohnen oder das mit dem implodierenden Fixstern, um den in instabiler Umlaufbahn tausende farblose Weltraumelefanten kreisen. Meine Sprachbilder hängen in ein paar Museen, sie werden jedenfalls oft von Leuten gesehen und diese Leute malen dann oft selbst welche und schicken sie mir, oder sie schicken mir lange Briefe, aber ich werfe das meiste von diesem Zeug gleich in den Müll und lasse mein Bureau so eine vorgefertigte Dankeskarte schicken, die aussieht, als hätte ich sie selbst per Hand geschrieben. Das ist mir schon irgendwie wichtig, schließlich finanzieren diese Leute, die mir schreiben, am Ende das ganze Bureau und den ganzen unnützen Krempel, den ich hier so ansammle. Manchmal sind auch richtig gute Sachen dabei, aber das kommt eher selten vor. Mein berühmtestes Bild handelt von diesen seltenen guten Sachen, es ist das mit den Affen und den Schreibmaschinen. Tiere sind bei mir irgendwie ein roter Faden, aber ich will sie nicht mit Kunsttheorie nerven. Jedenfalls male ich jeden Tag ein Sprachbild, schon seit meiner Kindheit. Ich kann inzwischen gut genug davon leben, um mein Haus nur dann verlassen zu müssen, wenn mir wirklich danach ist, und nicht, um irgendwelchen Zwängen zu folgen. Nahrung und andere Einkäufe lasse ich mir zum Beispiel ziemlich häufig liefern. Ich werde oft als verrückt bezeichnet, aber das ist es nicht, ich bin nicht verrückt, ich bin bei guter geistiger Gesundheit, auch nicht egozentrisch, weil ich mir nicht viel aus mir selbst mache, ich kämme zum Beispiel fast nie meine Haare. Allerhöchstens bin ich vielleicht ein kleines bisschen unnormal, aber ich benutze das Wort nicht in dem negativ konnotierten Sinne, denn „normal“ ist unter den Menschen leider kein einziger, das habe ich zu der Zeit festgestellt, als ich noch verheiratet war und mit viel zu vielen von ihnen zu tun hatte. Sie befolgen nur oft sehr merkwürdige Regeln, weil sie nicht mutig genug sind, so zu sein, wie sie eigentlich sind oder nicht kreativ genug, so etwas wie eine eigene Persönlichkeit überhaupt erst zu entwickeln (das sind die Schlimmsten, ich bin mir aber gar nicht sicher, ob es die überhaupt gibt, oder ob sie nur die größten Feiglinge unter denen sind, die nicht mutig genug sind, d.h. so feige, dass sie als Ausrede, warum sie nicht sie selbst sein können, den Trick anwenden, zu behaupten, dass es ihr selbst gar nicht gäbe).
Wegen diesen ganzen Gedanken, die ich mir mache, bin ich nun leider nicht dumm genug, um den Großteil der anderen Menschen zu ertragen. Deswegen beschimpfe ich sie manchmal in meinen Sprachbildern, was Sie vielleicht im Ansatz auch in diesem Text schon gemerkt haben. Nur hilft das leider keineswegs, sie mir endgültig vom Hals zu schaffen, im Gegenteil macht mich das für viele nur sympathischer und das kommt so: Es gibt zwei Rezeptionsgruppen von denen, die ich mit meinen Bildern oft beschimpfe: Die Einen merken gar nicht erst, dass ich sie beschimpfe (das sind absurderweise die besonders Beschimpfenswerten), sie glauben, dass ich über Andere schimpfe und lachen mit mir über diese von ihnen imaginierten Anderen, die sie eigentlich selbst sind. Die zweite Gruppe tut so, als wäre sie selbstironisch und würde über sich selbst lachen, wenn sie eine Beschimpfung gelesen hat. Sie behauptet dann, dass es wirklich gut wäre, wenn man ab und zu einen Spiegel vorgehalten bekommt. Ich kann das nicht beurteilen, aber wenn ich mir selbst einen Spiegel vorhalte, dann erschrecke ich doch meist eher etwas (manchmal über mich, manchmal darüber, dass ich das mit dem Spiegel gemacht habe), deswegen tue ich das nicht sonderlich oft. Da sich also nun im Ergebnis herausstellt, dass beide Gruppen im Kern nicht wirklich verstehen, dass ich sie eigentlich dauernd beschimpfe, stachelt mich das natürlich zu noch wüsteren Beschimpfungen an, die wiederum noch begeisterter aufgenommen werden, ich glaube, Sie verstehen das Prinzip, das ich meine, das hat im Laufe der Zeit ein ganz eigenes Genre meiner Sprachbilder hervorgebracht, das in ähnlicher Form auch von diesen amerikanischen Sprechgesangskünstlern gepflegt wird. Oft lerne ich auf meinen Vernissagen aber auch solche Menschen kennen, die Sachen machen, die mich immer wieder neu begeistern können. Wenn ich ehrlich bin, dann interessieren mich in 90% der Fälle aber auch eher die Sachen, die diese Leute so machen, denn ganz viele von denen sind so verrückt wie Berufspolitiker oder irgendetwas noch Schlimmeres, vielleicht Hals-Nasen-Ohrenärzte. Ich kenne keine Hals-Nasen-Ohrenärzte persönlich, aber ich mag mir nicht einmal ausmalen, was mit einem passiert, wenn man sich am Abend im Bett mit der grauenhaften Erkenntnis konfrontiert sieht, für Rest seine Lebens jeden einzelnen Tag in der Hauptsache damit verbringen zu müssen, in anderer Leute Ohren hineinzugucken. Mir geht’s um die 10%.
Heute habe ich wieder ein Sprachbild gemalt. Es geht um mich selbst und ist ziemlich aufwändig gestaltet, mit vielen Sätzen und Buchstaben versehen und es hat sogar Klammern. Und irgendwie gefällt es mir nicht so richtig, das ist vielleicht so ähnlich wie diese Geschichte mit dem Spiegel. Und dann habe ich mir gedacht: Was wäre eigentlich, wenn man diese Leute, über die man sowieso immer nur schimpfen will, einfach komplett ausblenden könnte und nur noch die behält, die einen wirklich herausfordern mit dem, was sie tagtäglich so fabrizieren, und damit meine ich sicherlich nicht die, die einem nur nach dem Mund reden, was sich hoffentlich von selbst versteht. Das wäre doch eine gute Idee. Schließlich wird das Sich-Ärgern am Ende auch nur von der Zeit abgezogen, die einem bleibt, bis man, umringt von finster dreinblickenden Verwandten, unter einem Stein verbuddelt wird. Ich denke gerade darüber nach, wie man das bewerkstelligen könnte.