Reflektion über Zerrspiegel.

Morgens gehört sie mir, verstehen Sie? Ich habe von Säure geträumt und davon, dass ich der Vergewaltigung angeklagt war.

Mein Körper spielt so etwas wie guter Cop – böser Cop mit mir und auch hier bin ich der Angeklagte, über dessen Schuld zumindest die Exekutive schon entschieden hat, es geht nur noch um das Geständnis. Wenn ich aufwache (die ersten Zigaretten des Tages oft bereits im Dämmerschlaf konsumiert) und das Licht und die Farben nach dem Öffnen der Augen immer wie ein kleines Wunder wirken, wie etwas, das alles andere als selbstverständlich ist, dann ist eigentlich der ideale Zeitpunkt, um zu einer Tastatur zu greifen und Worte niederzuschreiben. Die Technik hat es glücklicherweise geschafft, Geräte zu entwickeln, dank deren Hilfe ich dafür das Bett nicht verlassen muss. Mein Kopf ist noch leer, der vielgestaltige Seelenmüll der zu lange mit Menschen verbrachten Nacht ist weggeträumt, ein weißes Blatt liegt da und wartet darauf, gefüllt zu werden.

Diese Art, Gedanken zu verfassen, ist gewissermaßen das Gegenteil von Tagebuch schreiben, man schreibt frühmorgens, wenn man noch niemanden gesehen hat und gar nichts erlebt hat, eher prophetisch als reflektierend. Inhalte sind austauschbar, es geht immer nur um Strukturen. Der kitschigste Lovesong kann mit denselben gesungenen Worten ein Klassiker werden oder eben ein scheißkitschiger Lovesong bleiben, bei dessen akustischem Anblick sich jeder, der auch nur einen Funken von Geschmack hat, mit einem Schraubenzieher das Trommelfell ausschaben will. Meine Augen brennen, als in die Sonne gucke, da draußen wartet die Welt auf mich. Ich werde sie versetzen müssen, denke ich und lächle in mich hinein.


Isolat.

Früher Morgen im Dezember, der Schall klirrt surreal in den Ohren, wenn man spricht. Ich sitze im Park auf einer Bank und lausche über weiße Kopfhörer, die entlang dem Stoff meiner Jacke laufen und in meiner Manteltasche münden, Menschen mit Bärten, die von Liebe singen und davon, dass man unter freiem Himmel schlafen soll. Ich erinnere mich kaum noch daran, wann ich das letzte Mal unter freiem Himmel geschlafen habe, es muss zu einer Zeit gewesen sein, als wir uns noch nicht kannten, denn wir haben etwas derartiges nie zusammen getan. Nicht, dass wir es nicht geplant hätten, im Pläne schmieden waren wir immer große Klasse. Wir taten im Grunde nichts weiter, als zu zweit die Phantasien zu neuen Höhepunkten zu spinnen, die wir unabhängig voneinander schon pflegten, bevor wir uns trafen und das war wahrscheinlich unser großer Fehler. Wir multiplizierten einfach Minus und Minus und glaubten an die Geschichten aus dem Mathematik-Unterricht.

Eine Joggerin läuft mit einem Hund vorbei, mit Handschuhen kann man nicht in dieses Gerät tippen, meine Finger laufen nach einiger Zeit bläulich an. Wenn mir ein Arzt mit der routinierten Miene eines Menschen, zu dessen Job es gehört, solche Nachrichten zu überbringen („setzen Sie sich besser“) heute sagen würde, dass ich nur noch ein Jahr zu leben hätte, würde ich morgen früh anfangen bis spät in die Nacht zu schreiben, um noch einen vernünftigen Roman fertig zu bekommen anstatt mir endlich wieder ein Leben zu besorgen. Es ist ein systematischer Fehler bei mir, dass ich weiß, wie sehr das Schreiben brauche, aber dennoch immer wieder mit dieser eigentlich zementierten Notwendigkeit innere Kämpfe austragen muss, die an die Substanz gehen. Der Ausdruck Agrafie beschreibt die Unfähigkeit, Worte und Texte zu produzieren, obwohl die geistigen und motorischen Fähigkeiten dafür vorhanden sind. Agrafie tritt auf nach Schlaganfällen oder nach Isolationshaft. Es ist ein physisches Problem mit dem Gehirn. Für Schreibblockaden, also die psychische Unfähigkeit, die sich oft auch in körperlichem Unwohlsein beim Versuch des Schreibens manifestiert, gibt es meines Wissens kein Fremdwort.

Ein verwirrter Obdachloser fragt mich nach der Uhrzeit, fügt im selben Augenblick hinzu, dass sie sowieso keine Rolle spiele und ich glaube ihm. Meine Finger schmerzen jetzt bei jedem Buchstaben, den ich tippe, aber das hat auch etwas Positives, es gibt mir mehr Zeit, die Sätze so zu formulieren, dass ich sie mir selbst abkaufen kann.


Metareflexion, yeah! (XXXVIII)

Etwas ist verloren gegangen und das allumfassende man findet es nicht wieder. Nicht in der lichtumspülten Geschwätzigkeit des Tages und nicht in der tonkargen, kurzen Blickdistanz einer Nacht ohne Straßenlaternen, in der es zuallererst zu finden war. Auf einer Landstraße sprang die Magie in einem kurzen, metaphysischen Augenblick aus der Imagination in die Realität, aber das ist Jahre her und seitdem zeigt sie sich immer seltener, neuerdings scheint sie gänzlich vertilgt von der Ödnis des parataktischen Lebens, das Du und Ich unabhängig voneinander zu führen beschlossen haben. Sieben Minuten Zähneputzen jeden Tag, dazwischen mit einzelnen, inhaltsleeren Worten beschreibbare Erlebnisse, an der Grenze zur Sprachlosigkeit aufgrund der Scham, die mit ihrem Ausspruch Hand in Hand geht. Es sind Anti-Zaubersprüche, die wir auf die Frage „Und was machst Du so?“ zu äußern gezwungen sind, wenn wir nicht lügen wollen. Was ist hier passiert? Das, was immer passiert: Die Gewohnheit.


Metareflexion, yeah! (XXXVII)

„Es scheint so unerreichbar“, sagte ich.

„Unerreichbar?“, fragte er und spuckte verächtlich auf den Boden, als wolle er dieses Wort nicht länger als nötig im Mund behalten. „Unerreichbarkeit ist ein Konzept, das von Schwachköpfen erfunden wurde, die damit ihre eigene Unfähigkeit kaschieren wollen“, sagte er. „Sie sagen einfach: Etwas ist unerreichbar, meinen aber eigentlich: ‘Ich schaffe es nicht’. Sie benutzen diesen Begriff, um andere mit in ihr eigenes Scheitern hinein zu ziehen, damit sie sich nicht gänzlich alleine unfähig fühlen müssen und sich nicht vor sich zu rechtfertigen haben. Alles ist erreichbar, wenn man genug Ausdauer und Konsequenz investiert.“

Ich schwieg. Wir gingen weiter durch den Garten. Er stopfte sich mit zitterigen Fingern eine Pfeife und lächelte mich an. Ich konnte sehen, wie sich die sonnengegerbte, ledrige Haut um seine Augen in abertausende von kleinen Falten zusammen zog. Ein Gebirge von einem Lächeln.

„Aber wie?“, fragte ich kaum hörbar.

„Wenn jeden Tag ein kluger Gedanke, eine gute Idee, ein neues Konzept in Deinem Kopf wächst, dann mache Dir keine Sorgen um andere Dinge. Nimm diese Samen und pflanze jeden Tag einen davon in Deiner unmittelbaren Umgebung ein, egal, auf welche Weise. Sei Dir bewusst, dass die meisten davon nicht spriessen werden, aber irgendwann wirst Du dennoch inmitten einer Blumenwiese aufwachen“, sagte er. „Vielleicht ist es nur schwer für Dich, den sehr langsamen Prozess des Wachstums wahrzunehmen, aber er ist dennoch vorhanden. Guck Dich doch mal um.“

Ich guckte mich um. Und dann verstand ich, was er meinte.


Hirnstrom (II): Selbstgespräch

Social Media mit spießbürgerlicher Hingabe: Einkaufen, Staubsaugen, Twittern steht auf dem To-Do-Zettel in meiner Hosentasche. Randgänger: Ich kam jeden Tag wieder und holte mir blaue Augen und blutige Lippen beim Faustkampf mit Dir, Leben.

Aber jetzt nicht mehr. Ich habe das Kämpfen mit dem Leben aufgegeben.

Mein Lieblingszitat aus den letzten Monaten (und ich deklariere meine Zitate im Gegensatz zu manchen, die daraus Bücher puzzlen, als solche) lautet sinngemäß wie folgt: „Sie liebte nur zwei Dinge: Das erste war ihr langes, schwarzes Haar. Das zweite war, wie einfach sie es abschneiden konnte, ohne dabei auch nur das Geringste zu empfinden.“ Ich hab den Film, aus dem dieses Zitat stammt, leider nie gesehen, habe diese Worte nur flüchtig aufgeschnappt im Zeitstrom der Zwitschermaschine, aber sie blieben in meinem Kopf kleben wie Kaugummi in den Haaren, denn es ist eine sehr poetische Formulierung dessen, was man Freiheit nennt, die hier gemeint ist. Auch wenn es manchen Menschen, die mich nur zu kennen glauben, nicht so scheint: Ich lebe inzwischen diese Form der Freiheit, aber es war ein steiniger Weg hierher. Man gelangt, wenn man diesen Weg geht, sehr schnell an den Punkt, an dem es Probleme gibt, zuallererst mit den einen umgebenden Menschen: Freunde werden agressiv, weil man sie scheinbar nicht genug beachtet, wenn man sich den Regeln des wochenendlichen Ausgehens nicht mehr unterwirft oder sich mehr als sieben Tage nicht meldet. Sie verstehen nicht, dass Zuneigung rein gar nichts mit Quantität zu tun hat, deswegen muss man sie ziehen lassen und darauf hoffen, dass sie irgendwann begreifen, dass man sie eben doch verdammt gerne hatte. Andere Menschen sind irritiert, wenn man ihnen tatsächliche, ehrliche Beachtung und Aufmerksamkeit schenkt (ich glaube, das liegt daran, dass es da draußen, im richtigen Leben, nur wenige Menschen gibt, die wirklich das Gefühl kennen, Aufmerksamkeit geschenkt zu bekommen, die nicht-egoistischer Natur oder auf dem Wunsch nach einer Beziehung [prosaischer sollte man: „auf einem Fickwunsch“ schreiben] basiert ist).

Wie ich an den Punkt gelangt bin, an dem ich die Entscheidung fällte, diesen Weg gehen zu wollen? Es war eine sehr einschneidende Lektion durch eine Person, die nie so etwas wie eine Lehrerin in Bezug auf mich sein wollte, die mich endgültig zu dieser Haltung, mit der ich schon seit Jahren geliebäugelt hatte, führte: Die Art und Weise, wie der Mensch, von dem ich spreche, im Verlauf einiger Monate des letzten Jahres mein Leben im Sturm erobert und dann abrupt wieder verlassen hat (ohne dass es eine Liebesbeziehung in irgendeiner Form gewesen wäre, auch wenn ich mich stellenweise verliebt wähnte), ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, würden die meisten Menschen als brutale, gefühlskalte Tat einer Wahnsinnigen beschreiben (was ich zunächst ebenfalls tat), aber schlussendlich steckte in diesem nur scheinbar paradoxen Verhalten in meiner Lesart genau jener Rat, der auch in dem erwähnten Zitat enthalten ist.

Nicht abhängig von Suchtmitteln irgendwelcher Art, von Menschen, von Meinungen, von Verhaltensweisen oder auch nur von Samstagabenden zu sein: Es fühlt sich auf eine Art richtig an, die zu beschreiben Worte nicht in der Lage sein dürfen, zumindest nicht unter Berücksichtigung des gebotenen kompakten Umfangs eines Blogeintrags. Das Paradoxe an der ganzen Sache ist nur, dass ich in all dieser scheinbaren Unabhängigkeit und in der durch sie eröffneten Möglichkeit, mehr und mehr Kunst zu schaffen, nicht erkennen will, dass es genau die Kunst ist, die ich ganz am Ende ebenfalls absäbeln müsste, wenn ich die inhärente Handlungsanweisung wirklich befolgen wollte. Und so säge ich fröhlich weiter an meinem Ast, mit der Präzision eines über Jahre geschulten, manischen Workaholics und hoffe insgeheim vielleicht doch auf das Erscheinen einer Person, die mich wieder abhängig von anderen Dingen macht oder zumindest vom Sägen abhält.


Metareflexion, yeah! (XXXVI)

Suchbegriffe, mit denen verschiedene Google-Benutzer laut meinem abgefahren komplexen Besucherstatistikauswertungsprogramm bei diesem Blog landeten (XII):

-„hoax wie blöd kann man sein“
-„satz ruinen blog“
-„eigener abschied“
-„abzeichnende beule“
-„die welt muss romantisiert werden.“
-„decadence blog“
-„bermuda triangle buckethead bremen“
-„kunst maschine sinnlos nostalgie“
-„wer hat sketche und gedichte“
-„Die irrlichterkette-einladung“

Man muss schon eine sich ziemlich deutlich abzeichnende Beule in der Hose haben, um den eigenen Abschied zu  verpassen! Damit herzlich Willkommen im ultimativen Satzruinenblog und bei der illustren Googleuser Suchbegriffannahmestelle mit den Highlights der letzten Wochen. Wir steigen direkt ein mit: Wie blöd kann man sein bzgl. eines Hoaxes? Die Frage ist einfach zu beantworten: Ziemlich. Rebbi, der eindeutige Hoax- und Kettenbrief-Virus vom StudiVZ ist mit Abstand der meistgegoogelte Begriff überhaupt, der User auf diese Seite bringt. Täglich (!) schaffen es seit einem Jahr mehr als 30 Menschen, bei diesem ironischen Beitrag zu landen (und ihn, wie man an den Kommentaren sieht, leider auch noch oft genug ernst zu nehmen). Manch einer googelt sogar nach der enstprechenden URL, statt sie einfach in die Adresszeile seines Browsers zu tippen. Unfassbar. Spannend wäre es hingegen, zu erfahren, was das Bermuda Dreieck, Buckethead und Bremen außer den Anfangsbuchstaben gemeinsam haben könnten. Zumindest ein Besucher scheint dazu eine Theorie zu haben. Die beste Beschreibung für Die Irrlichterkette, die ich nie geben konnte, liefert hingegen ein anderer Suchmaschinenuser ab: „Kunst Maschine Sinnlos Nostalgie“ tippt der Bursche in das Eingabefeld des Dienstes seiner Wahl und landet direkt bei mir (Platz Eins), dem wahnwitzigen „Decadence Blog“ voller Satzruinen. Treffsicherer geht es kaum, Gedichte und Sketche inklusive, auch ohne Einladung. In diesem Sinne bleibe ich dabei: Die Welt muss romantisiert werden!


Metareflexion, yeah! (XXXV)

Suchbegriffe, mit denen verschiedene Google-Benutzer laut meinem abgefahren komplexen Besucherstatistikauswertungsprogramm bei diesem Blog landeten (XI):

-„trier antichrist analyse“
-„wirus im studivz“
-„gibt es den rebbie virus echt?“
-„5 gründe mich einzustellen“
-„nebenfächer für vampire“
-„genretypologie“
-„joachim humm“
-„sinn des lebens sketch“
-„in wie fern beeinflusst uns amerika“
-„gedicht hühner alleine im schlaf“

Ich versuche wie immer, ein paar von diesem Menschen nachträglich zu helfen, ja, so viel Altruismus muss sein: Zwar weiß ich nicht, wer Joachim Humm ist, oder wie mein Blog mit seinem Namen in Verbindung steht, dieser Eintrag wird aber wohl noch deutlich mehr Leute mit dem Begriff hierher führen, schätze ich. Ihr seid hier falsch, ok? Einen kleinen Denkansatz zum Thema Lars Von Trier gibt es hier zu lesen, eine Analyse ist das allerdings längst (noch) nicht, die folgt hoffentlich irgendwann. Zum Thema „Wiren“ und Rebbi gibt es dagegen hier was wahnsinnig Spannendes zu lesen, Amerika beeinflusst uns leider zu viel, alleine schon über die ganze Popkultur (richtige Kultur haben die ja keine *polemisier*), als Nebenfach für Vampire empfehle ich dringend Lykanthropie (aber bitte auf Magister!) und den Sketch über den Sinn des Lebens habe ich schon mehrfach gemalt, siehe hier. Ok, jetzt noch schnell fünf Gründe, warum man Dich einstellen sollte: Du bist bestimmt teamfähig, jung, dynamisch, belastbar und flexibel, oder? Na also. Fehlt nur noch das Gedicht über die armen, einsamen Hühner im Schlaf. Das schreibe ich dann demnächst. Deal?


Hirnstrom (I): Alltagsdialog

„Du denkst zu viel“, sagt Dir dann jemand und Du fragst Dich so für Dich selbst: „Zu viel im Vergleich zu wem?“, während Du freilich weißt, dass derjenige den Durchschnittsmenschen gemeint hat und (und dass nur das Normale das Gesunde ist, das wissen wir doch seit Foucault), wirfst aber direkt innerhalb dieses gerade relativierten Einwurfs weiter ein, dass man aber doch gar nicht wissen, höchstens schätzen könne, wie viel der Durchschnittsmensch so denkt, denn wer kann schon die Gedanken von anderen sehen und dann gleich von allen, die kann man höchstens erahnen, aber die Ahnung, da musst Du dem den Vorwurf formulierenden Menschen schon recht geben, die spricht doch eher dafür, dass die Allgemeinheit recht wenig denkt, sonst würden da drüben auch nicht gerade zwei Jugendliche eine Telefonzelle kaputt hauen (auch wenn sie freilich statistisch gesehen nicht gegen die 300 restlichen Leute standhalten können, die gerade friedlich in der U-Bahn sitzen), und deswegen war Deine ganze erste Reaktion am Ende dann doch eher eine Spitzfindigkeit, mit der Du Dich aus der Affäre ziehen wolltest, um nicht zugeben zu müssen, dass doch ein Körnchen Wahrheit in der Aussage liegt, eher ein Strand Wahrheit, falls mit dem Körnchen ein Sandkorn gemeint sein sollte, das musst Du Dir in diesem Moment mindestens eingestehen.

Und deswegen sagst Du: „Die anderen denken vielleicht eher zu wenig“, und willst jetzt selbst alle normalisieren, nur auf Deine eigene Norm, das ist Dir bewusst und deswegen war die Antwort höchst egostisch von Dir und darauf bist Du ein bisschen stolz, denn bevor man Dir gesagt hatte, dass Du zu viel denkst, meinte man glatt, Du wärest zu altruistisch und dem stimmtest Du eigentlich nicht zu. Und deswegen lächelst Du jetzt, während am Fenster der Hafen an Dir vorbeirauscht (freilich bewegt sich eigentlich die Bahn).


Kleines Gedicht in Klotzform (2007)

In Wahrheit,
denke ich,
denkst Du
so wie ich.


Konstellation.

(…) zumindest bis zu dem Tag, an dem er Gott begegnete. Gott war ein tätowierter und gepiercter Mann mittleren Alters, der hinter einem riesigen, quadratischen und seltsam leuchtenden Fenster am Himmel saß, welches mit komischen Symbolen und Zeichen beklebt war. Gott saß einfach so da und starrte durch eben dieses Fenster, starrte ausdruckslos und mit geröteten Augen zwischen zwei von den zweifellos magischen Symbolen, die mit kryptischen Namen wie „Arbeitsplatz“ und „Firefox“ betitelt waren, hindurch, als L. die Landstraße mit seinem Wagen entlang fuhr. L. hatte schon den ganzen Tag darüber nachgedacht, was an diesem Tag anders war als sonst, und als es ihm irgendwann auffiel, konnte er gar nicht anders, als nach oben zu blicken und dort Gott zu entdecken.

Es war an diesem ganzen Tag nämlich keine einzige Wolke am Himmel zu sehen. L. hatte es noch nie erlebt, dass keine Wolken zu sehen waren. Er hatte zwar eine ganz normale Vorstellung von Wetter und dem zyklischen Wechsel der Jahreszeiten, aber ihm war bis zu diesem in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Tag noch niemals bewusst aufgefallen, das sich das Klima auf seinen ganzen Reisen nie wirklich verändert hatte. Normalerweise war vierundzwanzig Stunden alles grau in grau. Und an diesem Tag? Leuchtendes Blau und mittendrin dieses komische Fenster mit dem Gott-Mann, der sich gerade am Kopf kratzte und sich anschließend einen länglichen weißen Gegenstand in den Mund steckte, den er mit einem anderen Gegenstand in Brand zu setzen schien. Rauch stieg auf, Gott atmete tief ein, gab ein donnerndes Seufzen von sich, bevor auch aus seinem Mund Rauch kam, der den blauen Himmel wieder halbwegs vernebelte. L. hatte längst seinen Wagen am Rand der Straße geparkt und blickte fassungslos nach oben zu dem Mann am Himmel, der gerade damit anfangen wollte, L.s Geschichte weiterzutippen, ihn irgendwo ankommen zu lassen und plötzlich stockte, als er bemerkte, dass L. nicht nur angehalten hatte, sondern sich mit ihm zu beschäftigten schien.

„Ach du heilige Scheiße!“ sagten die beiden Männer beinahe lippensynchron, als sie sich vollends bewusst wurden, dass sie nicht nur jeweils den Anderen beobachten, sondern sich auch gegenseitig als Existenzen wahrnehmen konnten, so verschieden ihre beiden Welten nicht nur auf Plot-Ebene waren.

Der Moment dauerte nur ein paar Sekunden, dann begann Gott hektisch zu tippen und L. fing intuitiv an, wegzulaufen so schnell er konnte. Er wusste, was der der Mann hinter dem Fenster vorhatte: Er wollte ihn umbringen.  Und er hatte  verdammt gute Karten, denn er schrieb schließlich L.s Geschichte.


Metareflexion, yeah! (XXXIV)

Audienz (III)

„Es läuft nicht. Was kann ich tun?“, frage ich. Es war mir ernst. Ich war kurz davor, alles hinzuwerfen. Zumindest teilweise.

„Auf keinen Fall damit anfangen, das gleiche Spiel wie alle Anderen zu spielen oder den netten Typen von nebenan zu mimen beginnen, der jeden lieb hat und dafür seine Ideen verwässert. Nicht darauf achten, ob die Dinge laufen oder nicht“, sagte er mit einem verächtlichen Unterton in der Stimme, der wohl ausdrückten sollte, dass die Lösung so offensichtlich sei, dass nur ein Dummkopf nicht von selbst auf sie stoßen konnte.

„Natürlich ist es völlig egal.“ – „Lüg Dich nicht selbst an. Es ist Dir nicht egal, überhaupt nicht. Bekomme jetzt nur keine kalten Füße: Die Anerkennung , die Du einforderst für das, was Du tust, wird kommen. Bleib kompromisslos.“ – „Aber kompromisslos kann man auch in die falsche Richtung sein, oder?“

Er zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er antwortete. Ich hatte ihn kurz Zweifeln lassen. Ich grinste, innerlich, als ich das bemerkte. „Ja, natürlich kann man das. Aber nicht, wenn man halbwegs intelligent ist. Kompromisslosigkeit ist in jedem Fall der einzige Schlüssel zu jeglichem echten Erfolg, völlig egal, wie dieser auch aussehen soll. Glaub an Dich, mach Dein Ding und kümmere Dich nicht darum, dass der Erfolg nicht heute kommt, nicht morgen und auch nicht in fünf Jahren. Mach weiter und lass Dich nicht beirren. Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber es ist die Wahrheit. Es wird sich auszahlen, aber es wird ein verdammt harter Weg, auf dem Du immer und immer wieder das tun musst, was Du gut kannst, um mehr und mehr Leute zu finden, die möglicherweise sehen, dass Du das tatsächlich gut machst. Wichtig ist auch, dass Du trotz allem für konstruktive Kritik offen bleibst. Lass Dir nicht sagen, was Du tun sollst und folge keinen Trends, aber höre genau zu, was die Leute Dir sagen. Es ist wichtig, damit Du Dich nicht in den sprichwörtlichen mentalen Elfenbeinturm verziehst“, sagte er.

„Und warum sollte das funktionieren? Warum sollten irgendwann irgendjemand etwas gut finden, nur weil es mehrmals getan wird?“ – „Aus zwei Gründen: Einerseits bewundern es die Menschen, wenn Du Ihnen Dinge immer und immer wieder mit viel Beharrlichkeit servierst, egal was es ist. Photographiere jeden Tag Deine eigene Scheiße über ein paar Jahre hinweg und Du wirst ein Star. Versprochen. Und andererseits ist der Mensch ein Traditionswesen. Was er öfter sieht oder liest, prägt sich bei ihm ein, es formt eine eigene Ästhetik, selbst wenn es zu Beginn noch völlig für sich steht. Alleine Kompromisslosigkeit und Beharrlichkeit machen den Schlüssel zum Erfolg aus. Guck Dir die Kunst- und Kulturgeschichte doch einfach mal an: Sie ist voll von Freaks, die Sachen immer und immer wieder durchgezogen haben, die eigentlich absolut schwachsinnig sind. Allein die kompromisslose Beharrung auf diesen Konzepten führte dazu, dass es die Leute irgendwann begannen, den Blickwinkel zu ändern und durch die Augen der Künstler und mit der Erfahrung des vorher schon gesehenen auf die Werke zu blicken. Wiederholung von Dingen, an die man glaubt, ist Überzeugungsarbeit. Und zwar auch an sich selbst.“


Metareflexion, yeah! (XXXIII)

Suchbegriffe, mit denen verschiedene Google-Benutzer laut meinem abgefahren komplexen Besucherstatistikauswertungsprogramm bei diesem Blog landeten (X):

-„schreiben gute besserung nach einem schiunfall“
-„üble nachrede in studivz“
-„girlfriend is older than me“
-„schlampig gute gründe“
-„wie wird man musikjournalist?“
-„surrealistisch mensch aus uhren“
-„glücksanleitung“
-„nächtliches milchtrinken in filmen“
-„bier und rocknroll ostdeutschland“
-„marilyn manson welche musikrichtung“

Ein paar von diesen Menschen kann ich wie immer nachträglich helfen, selbst wenn sie sicherlich hier nicht gefunden haben, wonach sie gesucht haben und auch wenn ich leider nicht pauschal sagen kann, was man nach einem Schiunfall so schreibt oder was es mit nächtlichem Milchtrinken in Filmen auf sich hat (wtf?): Marilyn Manson macht jedenfalls Industrial-Rock (auf „Mechanical Animals“ aber mit einer Portion Glam), Musikjournalist wird man, indem man einfach ein paar Jahre vor sich hin schreibt und sich dann bei einem Online-Magazin bewirbt, dort wieder ein paar Jahre vor sich hin schreibt und irgendwann bei einer Zeitschrift landet, Salvador Dalí hat nie Menschen aus Uhren gemalt, dafür aber zerfließende Uhren und Gründe für Schlampigkeit gibt es wirklich gar keine, denke ich. Dafür aber verbinde ich Ostdeutschland auch mit Bier und Rock’n'Roll, hatte schon einmal eine wesentlich ältere Freundin und meine kleine Glücksanleitung lautet wie folgt: Mach das, was Du gerne machst, zu Deinem Beruf! So, alles geklärt. Oder?


Instant Poetry (CL)

Jene Stelle, ganz verzaubert,
besteigst Du mit Licht und Erdenlust.

Mancher winkt an Deiner Stelle Lüften,
manche rufen donnernd nach den Kugelblitzen,
Du zerpflückst Dir Dinge innerlich.