Abzweigung.

Unzulänglichkeit. Verwilderung. Da ist Hass in seinen Augen. Wer hat Dich gemacht? Erzähls mir, alles andere ist unwichtig. Ganz weit weg, in die Zeit, mit Zeit meinen wir niemals die Gegenwart oder Zukunft. Spitzwinklig. Widerborstig. Im Hakenschlagen schicken wir ihn demnächst zu internationalen Sportwettbewerben. Aber zuerst: Hinter die Fasse glotzen. Alles rausholen, falls da noch was ist. Vor der gänzlichen Verwandlung zur Fassade retten, die selbst ist unrettbar. Abgefault. Stumpfsinnig. Er redet nicht mit uns. Herausfinden, wann die falsche Abzweigung genommen wurde. Ihn dann zurückschicken, das wird der härteste Teil der Mission. Vorsätzliches Ausweichen bei diesem Gedanken. Zuckungen. Panik. Er läuft wieder gegen den Spiegel. Ich gucke ihn an, er teilnahmslos zurück.


Nanoskop (XXIX)

„Ich lass mir eine Fischsemmel tätowieren.“ / Wie treu mir das Unglück bleibt. Es muss Liebe sein. / Lebensdarsteller. / Vernichtungen bei Kaffee und Kuchen, Sprengstoff in der Tastatur. / Ein Unterschied wie Amsterdam und Hannover. / „Soll ich Dich aufwecken?“ – „Häh? Ich schlafe doch gar nicht.“ / Geständnis: Ich wäre vermutlich auch gegen geistiges Eigentum, wenn ich keines hätte. / Mir fehlt echt die Zeit für Leute, denen für Kunst und Literatur die Zeit fehlt. / Feuerfester Kummerkasten (Streichholz einwerfen, wenn voll). / Der „Wann kann ich mit Dir schlafen? Wenn mein Freund mich verlässt. Wann verlässt Dich Dein Freund? Wenn Du mit mir schläfst.“-Teufelskreis. / Selbstbildnis als Balanceakt in Öl. / „Du hörst mir nicht zu.“ – „Das liegt daran, dass Du dauernd irgendwelche Dinge sagst, aber nie mit mir redest.“ / Selbstgeschriebener Pop-Hit „I only miss you when I’m drunk.“ / Todgeweihte Mäuse und andere seltsame Erfahrungen am Rande des Älterwerdens. / „Ich lass mir ein Haus tätowieren und zieh dann da ein.“


Schallplatten & die Knöpfe an Deinem Kleid.

Ich hatte schon lange keinen so sexuellen Moment mehr wie den, in dem Du mich fragtest, ob ich Dir helfen könnte, Dein blaues Kleid zuzuknöpfen, obwohl ich in den letzten Monaten mit verschiedenen Menschen geschlafen habe. Wir sind auf diesem Konzert, eine Band mit zu vielen Mitgliedern für eine gewöhnliche Band spielt diese entrückte Folkmusik, die eine Menge beschissener Hipster angelockt hat, im Hintergrund der Bühne wird eine überdimensionale LP an die Wand projiziert und Du bemerkst plötzlich, dass Du nur den obersten Knopf Deines Kleides zugemacht hast, der Rest steht offen und entblößt die obere Hälfte Deines Rückens. Zuerst versuchst Du, das Problem selbst zu lösen, dann fragst Du mich, ob ich Dir helfen kann. Ich schließe nach und nach jeden dieser fünf Knöpfe, meine Fingerspitzen berühren dabei mehrfach Deinen Rücken und mir wird in diesem Moment plötzlich wieder bewusst, wie wenig Erotik in ihrem Kern eigentlich mit Geschlechtsorganen zu tun hat. Es geht um Vertrauen, um Vertrautheit und kleine Details, um die Dinge, die eben nicht passieren, nicht ums Ficken. Ich knöpfe Dein Kleid zu, während die Musik läuft und dieser Moment erregt mich in meinem Kopf so viel mehr als Sex mit Großstadtmenschen, die verlernt haben, was es eigentlich bedeutet, einen Menschen zu begehren, es jemals könnte.


Nanoskop (XXVIII)

„Vielleicht solltest Du Dein Umfeld ändern.“ – „Gute Idee. Wir sehen uns.“ / Basejumper, die Rapunzel die Haare kämmen. / Pro-Tipp: Immer der Einheitsmeinung hinterherzulaufen macht keine einflussreiche Person aus Dir, sondern einen Populisten. / „In Hamburg tragen sie das Kinn aus Arroganz so weit oben, dass sie sich gegenseitig nicht sehen können.“ / „Ich hab hundert niemals gelebte Leben hinter mir. Du würdest auch müde wirken.“ / Lammfromm auf der Augenweide. / Niemals gehen, immer tanzen. / Selbstbildnis als abgerissene Plakatwand, auf der früher ganz viel zu lesen stand. / Lange dürre Beinchen. / Du versuchst seit Jahren, über diese Fassade zu klettern und die Angst wird immer stärker, dass dahinter gar nichts ist. / Unsympathie beginnt dort, wo Meinung größer wird als Verstand. / Paradebeispiel „Funkenmariechen“. / „Warum tust Du das?“ – „Woher soll ich das wissen? Ich bin doch kein Psychologe!“ / Die Ewigkeit hält sich in Grenzen.


Kleines Handbuch zur Verwandlung in einen Baum.

Bei der bewussten und gezielten Verwandlung in einen Baum kann so einiges schiefgehen, also sollten Sie sich besser genau darauf vorbereiten, falls Sie einen solchen Schritt ernsthaft in Erwägung ziehen. Ganz abgesehen davon, dass die Umwandlungsprozedur an sich ziemlich schmerzhaft sein kann, sind dabei außerdem folgende Dinge unbedingt zu bedenken:

1.) Die Wahl des Standortes.

Nichts ist bei einer Baumwerdung wichtiger als die Wahl des richtigen Standortes, schließlich werden Sie an eben jenem Standort den Rest ihres Lebens verbringen, was sich ganz von selbst erklärt. Nehmen Sie sich also unbedingt eine möglichst große Menge Zeit, bevor Sie sich für den definitiven Ort entscheiden und versuchen Sie bei der Auswahl wie ein Baum zu denken. Reisen Sie. Gucken Sie sich Wälder und Bäume in vielen verschiedenen Ländern an, finden Sie am besten ein Gewässer, das gibt eine schöne Soundkulisse. Ob es fließend ist, sollten Sie von ihren persönlichen Vorlieben abhängig machen. Außerdem dringend zu empfehlen ist eine leicht erhöhte Position. Sie werden durchschnittlich etwa 15 Jahre damit verbringen, zu Ihrer vollen Größe heranzuwachsen, also stellen Sie sich nicht direkt zwischen zu viele zukünftige Artgenossen, sonst verbringen Sie diese Zeit zum Großteil damit, den Wald vor lauter Bäumen usf., Sie verstehen schon, was ich sagen will. Zu weit entfernt von anderen Bäumen wiederum sollten Sie sich aber auch nicht ansiedeln, denn auch wenn Sie nach der Verwandlung nicht mehr kommunizieren können, wird es Ihnen doch gut tun, ein paar Exemplare Ihrer Art in Sichtweite zu haben, falls Sie kein radikaler Dentrotroph werden. Entscheiden Sie aber auf keinen Fall nach Dauer der Sonneneinstrahlung oder ähnlichen menschlichen Denkkategorien. Als Baum ist es Ihnen später relativ scheißegal, ob Sie in Sibirien oder in der Wüste stehen, Ihre Jahreszeiten und Zyklen erleben Sie überall (dazu später mehr). In der unmittelbaren Nähe von Menschen oder Städten möchten Sie sich außerdem auf keinen Fall ansiedeln, aber das wird Ihnen Ihr Bauchgefühl beim ersten Nachdenken über die ganze Geschichte auch schon mitgeteilt haben.

2.) Die Entscheidung zwischen Laubabwerfend und Immergrün.

Die Wahl zwischen den beiden Varianten ist fast so schwer wie die Wahl des Plätzchens, an dem Sie sich niederlassen werden. Gehen Sie also ganz sicher, was ihren Vorlieben am besten entspricht, wenn Sie diese Entscheidung treffen und denken Sie sie in allen Einzelheiten mehrfach und gründlich durch. Machen Sie eine Liste über die Vor- und Nachteile. Wollen Sie tatsächlich in jedem Jahr eine Metamorphose miterleben, bei der Ihre Blätter zunächst verschiedene Farbstadien durchlaufen und Ihnen dann vom Leib fallen? Oder ist Ihnen das deutlich zu viel Hektik und Trubel und Sie bleiben lieber bei ihrem Gewand und tauschen es ganz in Ruhe nach und nach aus? Es ist kniffliger als es klingt. Wenn Sie ein sehr gestresster Mensch sind, der auch aus dem Grunde zum Baum werden will, dass er endlich mal zur Ruhe kommen kann, dann werden Sie sich vermutlich eher die Nadeln überstreifen und diesen Zirkus nicht mitmachen (vergessen Sie dabei auch nicht die veränderte Zeitwahrnehmung: bei uns Bäumen vergeht ein Jahr recht fix). Andererseits könnte es auch sein, dass Sie diese Entscheidung in ein paar Jahrzehnten zutiefst bereuen werden und sich dann endlich wieder etwas Abwechslung in Ihrer äußeren Erscheinung herbeisehnen. Ich verrate Ihnen noch ein kleines Geheimnis: Im Grunde hadert jeder baumgewordene Mensch irgendwann mit seiner Entscheidung in dieser Frage, fragt sich sehr ausführlich und ernsthaft, wie es wohl wäre, die andere Variante gewählt zu haben und findet meist nach länger oder kürzeren Identitätskrisen doch zu sich. Dennoch sollten Sie die Sache auf gar keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen, das wäre wirklich sehr unklug und eines Baumes nicht würdig.

3.) Die Wahl der richtigen Art.

Weniger wichtig als die Entscheidung zwischen Laufabwerfend und Immergrün, aber dennoch nicht unerheblich, natürlich auch in Kombination mit der Standortfrage, ist die schlussendliche Auswahl der Baumart, die Sie gerne sein wollen. Vielleicht denken Sie jetzt spontan an exotische Vertreter wie Palme, Ginko, Mammutbaum oder etwas noch viel Seltsameres. Aber vergessen Sie bitte nicht: Ein Außenseiter waren Sie vermutlich schon im echten Leben, es war doch einer der Gründe, warum Sie sich erst für diese ganze Baum-Nummer entschieden haben. Viel solider sind Fichten, Eichen, Kiefern und Buchen. Falls Sie einen Hang zur Melancholie haben und diesen weiterpflegen wollen, dann würde ich ihnen außerdem ans Herz legen, sich Weiden genauer anzugucken. Wenn es am Ende doch eine Nummer extravaganter sein muss, dann kann ich außerdem nur zum Olivenbaum raten, dann können Sie einerseits knorrig und massiv werden, andererseits Ihre Äste aber auch in absurd-schiefwinkligen Haltungen wachsen lassen, das ist verdammt cool. Sie werden als Olive soetwas wie der Dandy unter den Bäumen sein. Wirklich wichtig: Werden sie kein Kautschuk. Alles, nur nicht Kautschuk. Es mag aus jetziger Perspektive reizvoll klingen, dass Sie sehr viel Kontakt mit Menschen haben könnten, aber wenn Sie erstmal ein Baum sind, dann gibt es wenig, was schlimmer ist, als ein paar halbwilde Fremde, die dauernd an Ihnen herumschnippeln und Eimer an Sie hängen, um die austretenden Säfte aufzufangen. Vertrauen Sie mir: Wenn sie unbedingt Action haben wollen, dann werden Sie eine Kastanie. Es macht Spaß, diese dicken Früchte fallenzulassen. Dass Sie kein afrikanischer Baum in Dänemark werden wollen, sollte außerdem klar sein. Wer derart dumm an die Sache herangeht, hat es aber auch nicht anders verdient, als direkt einzugehen.

4.) Die Vorbereitungen auf die Verwandlung.

Es ist nicht ganz einfach, das direkte Umfeld in die Entscheidung zur Baumwerdung einzuweihen, das war es bei keinem von uns. Ihre Freunde, Verwandten und eventuell vorhandenen Partner werden Sie zunächst für völlig verrückt erklären. Eventuell werden sie sogar versuchen, Sie in eine Heilanstalt einweisen zu lassen. Falls diese Gefahr bestehen sollte, dann überlegen Sie bitte, ob Sie zum Zeitpunkt der Umwandlung nicht lieber einen plötzlichen Tod vortäuschen wollen. Das bringt natürlich Nachteile mit sich. Sie können den Angehörigen in dem Falle nicht mitteilen, wo Sie sich in Zukunft aufhalten werden. Auch wenn Ihnen als Baum beim Wachsen der Jahresringe die Menschen allmählich völlig fremd und schließlich ganz gleichgültig werden und Ihre Erinnerungen an ihre Zeit als einer von ihnen auch nach und nach verschwinden, so tut es doch gerade am Anfang gut, wenn ab und zu mal eines von den Fleischwesen vorbeikommt, sich an Ihren Stamm setzt und ein Buch liest oder ähnlich unnütze Dinge in Ihrer Nähe tut. Wenn Sie ihre Leute ernsthaft einweihen wollen und von der Sache überzeugen können, dann müssen Sie aber in jedem Fall sehr klare Regeln aufstellen. In der Rinde herumritzen ist absolut tabu, es kann scheußlich kitzeln, manchmal jahrelang. Umarmungen und generelle Anwesenheit sind dagegen völlig in Ordnung, aber das sollte nicht öfter als ein oder zweimal im Monat passieren. Es wird Ihnen als Baum deutlich öfter vorkommen, glauben Sie mir. Und es ist jedesmal unfassbar nervig, wenn Sie gerade kurz davor sind, einen Gedanken zu beenden, an dem Sie seit Wochen herumdenken und formulieren und dann plötzlich drei Zweibeiner um Sie herumhampeln. Wichtig ist außerdem, dass Sie ihren zukünftigen Besuchern klarmachen, dass Sie so gut wie kein Wort mehr von ihrem menschlichen Geplapper verstehen werden. Reden ist für Besucher also erlaubt, aber völlig zweckfrei.

5.) Die Wahl des richtigen Zeitpunkts.

Als erfahrener Baum könnte man natürlich behaupten, dass der Zeitpunkt der Umwandlung ziemlich egal ist, aber die Wahrheit ist: Das stimmt nur zum Teil und ist eine recht zynische Position. Natürlich werden Sie, wenn sie erst richtig ausgewachsen sind, mit viel Nostalgie und einem Rascheln in den Zweigen an das erste Jahr ihres Baumseins zurückdenken, egal, wie es verlaufen ist, aber während Sie es durchleben, kann es auch richtig überwältigend werden. Sie müssen sich erst umgewöhnen, die Dinge von Grund auf neu lernen und es macht dabei einen wesentlichen Unterschied, in welcher Jahreszeit Sie anfangen. Vom Herbst würde ich abraten, die anderen haben jeweils Vor- und Nachteile. Sommer ist ein toller Einstieg, weil man direkt in voller Blüte steht, Insekten, Bestäubung und der ganze Kram. Großartige Sache. Nur danach kommt dann eben auch das Erwachen. Den Winter direkt am Anfang überstehen kann verflucht hart werden, hat aber in der Folge einen umso positiveren Effekt. Sie lernen schnell die eher tristen Seiten Ihrer neuen Existenz kennen und haben dann umso mehr, auf das Sie sich freuen können. Frühling zu Beginn wird Sie ziemlich flashen und wenn dann noch der Sommer kommt, dann fühlen Sie sich absolut unbesiegbar. Das sollten Sie dann aber auch wirklich sein, denn der Abstieg ist wirklich krass. Mein Geheimtipp ist es, in der Mitte des Winters loszulegen. Dezember ist eine gute Zeit. Den Grund dafür können Sie sich aus dem, was ich gerade erzählt habe, selbst zusammenreimen. Was Sie in den ersten Jahren außerdem unbedingt im Hinterkopf behalten sollen: Wenn Sie das erst zehn Mal mitgemacht haben, dann wird es alles ziemlich einerlei. Dann zählt eher das Baumsein an sich und das hat ganz andere Aspekte als äußere Umstände. Also seien Sie am Anfang ruhig überwältigt, verängstigt oder begeistert, nehmen Sie das unbedingt mit, diese Gefühle verschwinden schneller als man sich neue Äste wachsen lassen kann.

Eine berechtigte Frage Ihrerseits ist an dieser Stelle natürlich, woher ich so viel über die Vor- und Nachteile weiß, die diese Dinge mit sich bringen. Vor allem ist es ziemlich unrealistisch, dass ich Sie über verschiedene Baumarten belehren kann, finden Sie nicht? Schließlich habe ich mich ja auch irgendwann für eine Art entschieden und kann gar nicht wissen, wie es im Detail ist, die anderen Arten zu sein. Nun: Ich hatte einerseits ziemlich viel Zeit, darüber nachzudenken, andererseits haben Sie sich ja auch gar nicht gefragt, wie ich denn als Baum in der Lage bin, einen Text zu produzieren, oder? Dieses Dinge bleiben ganz Ihnen überlassen, ich bin nicht hier, um Sie zu irgendetwas zu überreden oder mich zu rechtfertigen. Blasen Sie die Sache doch ab, wenn Sie mir nicht über den Stamm trauen. Bleiben Sie weiter ein Mensch. Leben Sie ihr Leben, in dem sie dauernd von A nach B hetzen und nie genug Zeit für irgendwas haben, zu Ende und lassen Sie sich irgendwo ein nettes Grab ausheben, dessen Ruhe zu genießen Sie aber leider nie die Gelegenheit bekommen werden. Nur kommen Sie dann auf dem Sterbebett nicht auf die Idee, sich zu beklagen, dass Sie doch kein Baum geworden sind.


Ich bin ja nur ein Atheist, aber…

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde eine Webseite bauen lassen, auf der man die ganze Bibel lesen kann, schön übersichtlich gestaltet, mit einzelnen Kapiteln, Zusammenfassungen, Illustrationen und teuflisch schicker Typographie. Man könnte einzelne Textstellen markieren und twittern oder bei Facebook und sonstigen Social Networks posten.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde dem Papst bei seinem nächsten öffentlichen Auftritt (dezent, aber sichtbar) eine Flasche Fanta auf den Schreibtisch stellen lassen, kommentarlos. Das Internet würde den Rest erledigen.

Wäre ich die katholische Kirche, dann würde ich einmal im Jahr einen Wettbewerb ausrufen, bei dem zeitgenössische Schriftsteller meine besten Stories (Mose und das Meer, Die Apokalyse, Adam und Eva etc.pp.) neu schreiben und vortragen, ohne irgendwelche Vorgaben. Die Texte gäbe es im Bundle mit den zugehörigen Originalen für jedermann kostenlos als Print- und eBook-Version.

Wäre ich die katholische Kirche, dann wäre die einzige inhaltliche Änderung, die ich direkt vornehmen würde, die Aufhebung des Zölibats, was dafür sorgen würde, dass sich bei mir nicht nur Psychopathen und Kinderficker um Stellen bewerben. Ein paar Jahre später würde ich auch Frauen zulassen, die können den Job mutmaßlich sowieso deutlich besser, weil bei mir soziale Kompetenz gefragt ist.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde alle meine abgefahren beeindruckenden Kirchen, Klöster und sonstigen Bauwerke weltweit in 3D photographieren und eine iOS-App bauen lassen, mit der man sie alle virtuell besichtigen kann. Andere mobile Betriebssysteme würde ich erstmal weglassen, mit der Begründung, dass Gott das noch nicht „approved“ hat und dahinter einen Link zum passenden Kickstarter-Projekt für die Android- und Windows-Portierung packen, das innerhalb von zwei Minuten zwanzigfach finanziert wäre, wozu ich natürlich schon eine entsprechende Pressemitteilung vorformuliert in der Schublade liegen hätte.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde sofort mehrere Kampagnen starten, in denen ich den Leuten klar machen würde, dass in der Vergangenheit zwar einiges schief gelaufen ist, aber dass meine Kernbotschaft von Nächstenliebe und sich nicht wie ein Scheißasi benehmen eigentlich ziemlich zeitlos gut ist, egal, ob man an den alten Mann in Himmel glaubt oder nicht.

Wäre ich die katholische Kirche, ich würde den Gottesdienst interaktiver und mit viel mehr Humor gestalten und würde jeden neu eingestellten Prediger dazu verpflichten, neben dem üblichen Beichtkram für die älteren Gläubigen einfach permanent für die Leute übers Netz erreichbar zu sein und bei Problemen aller Art zu helfen oder einfach nur zuzuhören.

Wäre ich die katholische Kirche, es könnte alles ziemlich cool werden, auch ohne den Inhalt groß zu verändern.


Nanoskop (XXVII)

Wahnsinn: Alles verpixelt. Ach ne, nur schmutzige Fensterscheiben. / Entscheidungen. Optionenholocaust. / „Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen, ich kann Dir auch einfach welche abgeben.“ / In einer Welt gefangen, in der Last.fm-Empfehlungen selbstverständlich davon ausgehen, dass ich nur Kram hören will, der genauso klingt. / To Do: Fähnchen im Wind stürmisch von ihren Masten reißen. / Mit Dir über blühende Tastenfelder huschen. / Ungesund: Menschenverstand. / Ich kann stundenlang was sagen, ohne zu reden. / Der Opportunist und die Tendenzieuse. Ein Wendehalsdrama in drei Meinungsumschwüngen. / Ich fühle mich, als hätte ich geistigen Sprengstoff bei mir, will aber nur diesseitige Jungfrauen erobern. / „Wollen Sie denn gar nicht wissen, wer ich bin und was ich an diesem Ort tue? Ich bin Post-Privacy-Aktivist!“ – „Bitte gehen Sie weg.“ / Verstandesverlustgemäß.


Gegenlicht.

Ich lese Deine alten Briefe, lese dort von Ideen, davon, was Du erreichen willst, koste es, was es wolle. Es klingt ernst. In meinen Antworten stand sicherlich irgendetwas über Photographie und Worte und ich frage mich, was passiert ist mit der Person, die mir diese Sätze geschrieben hat, die so überzeugt davon war, ihre Träume zu jagen? Wohin genau ist sie verschwunden und warum habe ich von ihrem Verschwinden so lange nichts bemerkt?

Vielleicht war der Unterschied zwischen uns beiden immer der, dass Du nur geträumt hast, ich geplant. Für mich sind die Dinge, zu denen es mich innerlich zieht, nie eine Illusion, nur eine Frage von Beharrlichkeit und Zeit. In dem Augenblick, in dem Du Deine eigene Vision beerdigt hast, hast Du Dich verwandelt in Sandra aus meiner Abschlussklasse, die nie irgendwelche Ambitionen hatte und heute in einem Reisebüro in dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, ihr Dasein fristet, sicherlich glücklich.

Wer nichts mehr will, der fängt unweigerlich damit an, auf den Tod zu warten.


Nanoskop (XXVI)

Selbstbildnis im Morgengrauen. / Früher dachte ich, dass wir später heiraten. Doch dann schlug der jugendliche Irrsinn bei mir kreative Wurzeln, bei Dir in Schlimmeres um. / Leerstuhl für Verlustgeschichten. / Einer der besten Debattentricks ist die Phrase „in den USA ist man da schon weiter“. / Pizza „Schneemann“. / „Nee, nüchtern halten wir uns nicht aus.“ / Halte demnächst wieder einen Vortrag über effektives Content-Management auf Microbloggingdiensten in meinem Kopf. Dranbleiben für Infos. / Innere Hühnerkatz. / Terror von Rechts, Links, Vorne und Hinten. Fußgängerzone. / Ich gehe ab heute nicht mehr mit dem Gedanken „Du musst Dein Leben ändern“ ins Bett und erfülle damit die Forderung. / Gleich schlimm: „dauernd schwer beeindruckt“ und „immer schwer zu beeindrucken“. / Möchte unbedingt dabei mithelfen, wenn endlich diese „Denkverbote“ erteilt werden. / David, Foster, Wallace & Gromit.


Kaskade 6-1

Hassobjekt A im Spiegel deutlich sichtbar. Fischfrikadellen helfen gegen zu viel Vegetarismus. Kannst Du es nicht googeln, dann existiert es eigentlich gar nicht, das denken die wirklich. Die Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft sucht Texte zum Thema „zeitgenössische Kunst digital“, der Link kursiert unter PR-Beratern, Social Media-Experten und Bloggern, die sich gegenseitig zum Mitschreiben auffordern. Ich lachte hart, Bernd. Hassobjekt B zieht seinen Slip mit einer verführerischen Hüftbewegung aus, nimmt ihn zwischen Zeigefinger und Daumen, zeigt ihn mir, lässt ihn dann auf den Boden fallen und wandert aus meinem Sichtfeld in Richtung Couch. Folgsam: Ich. Es ist so beschissen, dass die richtig guten Texte nicht im Netz stehen und dass das gar keiner von denen merken kann, die immer nur hier sind, weil sie dazu eben auch mal woanders rumlesen müssten. Ich habe einfach Vogelfutter in diesen langen Pflanzenkasten für den Balkon gekippt, vorher eine dicke Schicht Blumenerde, nachher eine dünne Schicht Blumenerde, fertig, zwei Tage später wuchs dort eine Menge Unkraut; ich finds verdammt hübsch. Hassobjekt A nimmt sein Ding in die Hand. Die Leute, die man wirklich anbeten sollte, weil sie anbetungswürdig sind, das sind fast immer die, die sich gar nicht anbeten lassen, die Dir eins auf die Fresse hauen, wenn Du es versuchst.


(Vor)Urteil.

Ich habe kein Recht, Dich für Deine Handlungen zu verurteilen. Aber ich habe ein Recht dazu, Dinge zu fühlen. Wenn sich eine Handlung wie ein Verrat anfühlt, dann habe ich alles Recht der Welt dazu, einen Verrat zu proklamieren und mich von der Person fernzuhalten, die den Verrat begeht. Ich bin vorsichtig mit Menschen, weil ich weiß, dass sehr viele von ihnen langweilige, einfach gestrickte Wesen sind, die eine Andersartigkeit nur vortäuschen, um Interesse bei ihren Mitmenschen zu wecken. Ich warte lange ab, bis ich einer Person mein volles Vertrauen schenke und beobachte sie in der Zwischenzeit. Sehr oft stellt sich heraus, dass sie nicht vertrauenswürdig ist. Die Art und Weise, wie Du mir mitgeteilt hast, dass Du jemand anderen gesucht und gefunden hast, vordergründig wegen meines Abwartens, hintergründig deswegen, weil Dir im Prinzip egal ist, wer an Deiner Seite geht, weil es Dir niemals um mich, sondern um Deine Probleme mit Einsamkeit ging, sprach das Übrige. Es lag Triumph in Deinen Worten, als ob Du mit dieser Tat gegen mich gewonnen hättest, obwohl es nie irgendeinen einen Wettkampf zwischen uns gab. Es gar nur meine Zurückhaltung und sie war in Deinem Fall ganz offenbar sehr berechtigt.


Nanoskop (XXV)

Henne hoch, das ist ein Stallüberfall! / „Es gab da immer so eine komische Dynamik, dass Du der einzige Mensch auf der Welt für mich warst.“ – „Das nennt man Liebe, Du Depp.“ / Grübelt man darüber, warum sich jemand wie ein Arschloch verhält, dann vergisst man oft die naheliegendste Erklärung: Weil er eines ist. / Stark zerklüftet, ergo massiv. / Lebenslange Feldstudien, durchgeführt von Kartoffeln. / Leute, denen Gegenstände etwas bedeuten, verlieben sich auch in Photos von Dir. / Die wirklich wichtigen Menschen im Leben sind die, mit denen man schweigen kann, ohne dass es nach einiger Zeit merkwürdig wird. / Zwischen den Tagen lesen. / „Wenns nach mir geht, dann wird Dein Platz an der Sonne demnächst frei!“ / Du auf der Lauer, ich auf der Hut.


Freiheit.

„Ich glaube, Du verstehst mich nicht. Ich will Dir Freiheit geben.“

„Ich will keine Freiheit. Ich will bloß Nähe.“

„Du willst keine Freiheit? Ich will aber Freiheit. Jeder will Freiheit. Das ist der große Menschheitstraum.“

„Freiheit ist in der Theorie etwas für Leute, die damit umgehen können. Ich kann nicht damit umgehen. Eigentlich kann das niemand.“

„Was meinst Du?“

„Diese beschissene Freiheit oder der Begriff, der Freiheit bedeutet, ist die schlimmste Erfindung unserer Generation. Freiheit, das ist unverbindliche Scheiße. Sich nicht festlegen, nie irgendetwas entscheiden. Ich kenne eine Menge Leute, die Freiheit als ein wichtiges Gut proklamieren. Es sind meistens genau die Leute, die nichts richtig auf die Reihe kriegen und am Ende niemanden haben, weil sie mal hier und dort irgendwas tun oder jemanden kennen, aber nichts richtig. Freiheit führt zu Einsamkeit und damit auch zu Unglück. Ich will mich für etwas entscheiden, ich will unfrei sein.“

„Du tust so, als wäre Einsamkeit etwas negatives. Dabei ist doch gerade Einsamkeit der einzige Zustand, in dem man sich selbst findet. Das glaubt immer keiner, weil das Paradoxe daran ist, dass es sich anders anfühlt. Es fühlt sich immer so an, als wäre Vernetzung und die Gesellschaft von anderen Menschen das, was einen zu der Person werden lässt, die man ist. Man glaubt, man wäre nichts ohne seine vielen Freunde und Bekannten. Ins Wahrheit ist man aber nichts, wenn man nicht alleine sein kann. Man ist nur abhängig.“

„Ja, und? Es gibt keinen Fehler an der Art von Vernetzung, die Du beschreibst. Was ist das Problem damit, wenn man Menschen um sich haben will, auf die man sich verlassen kann? Gibt es denn niemanden mehr, auf den man sich verdammt nochmal verlassen kann? Der nicht irgendwann mit einem schwammigen Freiheitsargument daherkommt und einem erklären will, dass sowieso alles relativ ist? Ich scheiße auf Leute, die mir damit ankommen, dass Einsamkeit nichts negatives ist und bleibe lieber bei meinen engen Freunden.“

„Das Problem damit ist, dass man nicht unabhängig ist. Man weiß nie, ob das, was man fühlt, ein echtes Gefühl ist, oder nur die wiederkehrende Angst vor der Einsamkeit, die man nie zu ertragen gelernt hat. Wenn man Angst vor dem Alleinsein hat, dann wirft man sich jedem an den Hals, der einem über den Weg läuft und gaukelt sich noch selbst vor, es wäre die große Liebe. Ist die Person weg, dann ist der nächstbeste Mensch aus dem näheren Umfeld an der Reihe. Das ist totaler Quatsch: Wie wahrscheinlich ist es denn, dass die Person, für die man wirklich gemacht ist, eine Person ist, die im gleichen Büro arbeitet? Soetwas kann nur unfreien Menschen passieren.“

„Das ist ja eine nette Theorie, die Du Dir da zusammengesponnen hast. Aber ich sag Dir mal was: Menschen, das sind auch nur Tiere. Und es gibt Tiere, die sind Herdentiere und dann gibt es Einzelgänger. Menschen sind sowas von ganz eindeutig keine Einzelgänger. Wir brauchen keine Freiheit. Wir brauchen eine Gruppe, in der wir uns wohl fühlen können. Eine stabile Gruppe. Alles andere füllt langfristig die Warteräume von Therapeuten in allen Großstädten. Und wie wir uns diese Gruppe zusammensammeln, ob es die eigene Familie oder die Clique oder die WG ist, das ist dabei sowas von irrelevant.“

„Das Gegenteil macht die Therapieplätze so kostbar. Was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist, dass er einen Willen hat. Und einen Verstand. Wir können uns entscheiden. Du kannst Dich entscheiden, ob Du ein willenloses Etwas bist, das davon gelenkt wird, dass es unbedingt mit anderen Leuten abhängen muss und es alleine nicht aushält, oder ob Du es schaffst, der Einsamkeit zu begegnen. Einsamkeit ist, wenn ich es aus Deiner Sicht betrachte, der einzige Endgegner. Aus meiner Sicht ist sie mein bester Freund. Wenn Du glücklich mit Dir selbst bist, dann ist alles andere das Sahnehäubchen und Du kannst überall sein, wo Du willst und bist glücklich.“

„Ich will gar nicht überall sein. Ich will bei Dir sein.“

„Ich auch. Aber ich will Dich nicht brauchen. Ich will es sein, weil ich es will, nicht, weil ich es muss.“

„Ich muss auch nicht. Es gibt ziemlich viele Menschen in dieser Stadt, die ich kennenlernen kann. Ich habe auch die Wahl, ob ich Dich wirklich will oder jemand anderen.“

„Hör auf mit diesem Scheiss. Sowas will ich nicht von Dir hören. Es verletzt mich, wenn Du das sagst.“

(Beide:) „Jetzt haben wir plötzlich die Rollen getauscht!“

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(Für J.)