Verlustgeschichte.

Ich bin vor Ort.

Eine Stimme. Eine männliche Stimme.

„Festgebissen in Verlustgeschichten. Die behalte ich für immer“, sagt die Stimme.

„Das ist doch völlig widersinnig“, sage ich. „Verlustgeschichten will man doch loswerden.“

„Dann wären die Verlustgeschichten verloren“, sagt sie.

„Ja“, sage ich. „Hinter sich lassen, das Zeug. Weg damit.“

„Das ist ja der Trick“, sagt sie. „Ich behalte einfach die Geschichten vom Verlust. Der Verlust, der ist verloren, den bringt mir niemand wieder. Aber die Geschichten kann mir keiner nehmen. Verstehst Du denn nicht?“

„Doch, ein bisschen. Du denkst, Du könntest es austricksen. Das ist bestimmt nicht sonderlich gesund, diese Verlustgeschichten immer mit sich herumzuschleppen. Aber was ist das mit dem Festbeißen?“

„Was ist damit?“

„Na ja, das impliziert ja eine Anstrengung! Als müsstest Du Dich auch noch anstrengen, die scheußlichen Geschichten zu behalten und nicht auch zu verlieren. Es wirkt mindestens wie ein so eine Art krampfhafter Zwang. Wie Hunde, die sich festbeißen.“

„Wenn man sich in Geschichten festbeißt, dann hat das den Vorteil, dass die sich nicht dagegen wehren, gebissen zu werden“, sagt sie.

„Psychisch schon“, sage ich. „Und dann noch das mit dem für immer: Was soll das denn heißen? Du kannst das Zeug aufschreiben. Aber Du selbst behältst es nicht für immer. Höchstens so lange, bis Du stirbst. Aber wahrscheinlich nicht einmal das. Viel wahrscheinlicher ist doch, dass Du es nach einiger Zeit selbst nicht mehr lesen kannst.“

„Aber es ist doch für immer, nämlich deswegen, weil ich es dann später nochmal lesen kann, nachdem ich es vielleicht für einige Zeit nicht mehr lesen konnte, wenn Du mir folgen kannst.“

„Vielleicht ist ja das mit dem für immer auch erst das, was die Verlustgeschichten für Dich erst zu Verlustgeschichten macht. Vielleicht sind es in Wahrheit ja alles ganz normale Geschichten, die ein normales Ende haben.“

„Du willst sagen, dass ich am Ende die Verlustgeschichten möglicherweise auch deswegen verlieren könnte, weil ich sie für immer behalten will?“

„Genau das! Wenn Du die Dinge nicht schon von Anfang an für immer behalten wollen würdest, dann hättest Du jetzt wahrscheinlich gar keine Verlustgeschichten, sondern nur Geschichten. Vermutlich ziemlich langweilige Geschichten. So aber hast Du jetzt Verlustgeschichten, die lassen sich auch viel besser erinnern, aufschreiben und wieder lesen, ich verstehe schon, was Du an ihnen findest. Die willst Du aber nicht auch wieder verlieren, also scheint es logisch, dass Du nicht zu sehr an ihnen klammern solltest.“

„Dann könnte ich sie also nur behalten, wenn ich sie absichtlich verliere. Das wäre dann doch der einzige Weg, der zumindest die Option beinhalten würde. Falls Deine Theorie stimmt.“

„Das ist nicht von der Hand zu weisen.“

„Und wie verliert man Geschichten am geschicktesten?“, fragt die Stimme.

„Indem man sie nicht aufschreibt“, sage ich.


Edge Of The Mirror (2011)

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Model: Z.


Flohmarktbriefe (XII)

Friedrich ‘Fritz’ Ritter an Maria ‘Mietze’ Priester, 29. Juni 1921

Liebe Maria!

Recht schönen Dank für die Karte und den lieben heutigen Brief!

Du erlaubst mir zwar in liebenswürdiger Weise, ruhig mit der Antwort etwas zu warten, doch liegen keine zwingenden Gründe dazu vor, und meine Dir gewidmeten Gedanken verdichten sich sozusagen von selbst zu geschriebenen Worten.

Eigentlich wiedersteht es mir einigermassen, immer nur meine unbedeutende Persönlichkeit zum Gegenstand der Briefe zu machen, Dir ein ewiges: „Ich… Ich… Ich…“ vorzusetzen, doch fühle ich mich zu allgemeinen tiefgründigen Abhandlungen zu abgespannt, und Du wirst wohl oder übel wiederum mit Berichten über die kleinen Begebenheiten meines Daseins vorlieb nehmen müssen. „Begebenheiten“ ist überhaupt schon zuviel gesagt, insofern als sich ein Tag kaum in etwas vom anderen unterscheidet. Ich arbeite etwa 8 Stunden täglich, vormittags 4, nachmittags 3, Abends 1 Stunde, ungefähr so wenigstens. Gegen 7 Uhr abends gehe ich meist etwas „an die Luft“. In der Abenddämmerung, die ja jetzt ziemlich spät hereinbricht, treibe ich meist auf dem Balkon – er ist von Wein umrankt, bietet also Schutz vor neugierigen Blicken – Gymnastik, „schlenkere die Gliedmaßen nach allen Himmelsrichtungen“, was mir körperlich ja ganz gut bekommt. Ich wünschte nur mein Kopf wäre in gleichguter Verfassung wie das Muskel-System.

Neulich sprach ich nach einem Ablauf von 10 Monaten wieder einmal Fräulein Wünsch. Bisher hatte ich sie stehts geflissentlich gemieden, diesmal gab es aber kein Entrinnen, ich lief ihr unversehens über den Weg, und sie redete mich an. Bei den paar gewechselten Bemerkungen konnte ich nich umhin, erneut ihre vollendete Grazie in Wort und Erscheinung zu „konstatieren“. Als weitere „wichtige Begebenheit“ wäre noch zu vermelden, daß ich jüngst einmal die Hosen anzog, deren famose Bügelfalten ich Gertrud wortkarger Dienstbereitschaft verdanke. Leider standen die Falten aber in genau entgegengesetzte Richtung, wie sie stehen sollten, und es tat mir ordentlich in der Seele weh, als ich die Hosen einer Umpressung unterwerfen musste. Trotz dieser Unkenntnis in der Behandlung männlicher Hosenbeine bleibt Dein Fräulein Schwester aber doch prächtiger Mensch.

Allein alle prächtigen Menschen zusammengenommen vermögen nicht, gleichsam von außen, das Glück in das Leben eines Menschen zu bringen; am Ende erwächst dies nur aus dessen Brust. Zu dieser Ansicht gelange ich mehr und mehr. Möglichst wenig erwarten – von anderen! Bringe Dir selbst das Licht oder es bleibt doch mehr oder weniger dunkel. Arbeit und Erfolg dabei erwecken einzig das starke, alles durchdringende Glücksempfinden, das die durstende Seele sonst vergeblich suchen wird. Das da übrigens ein prächtiges Wort von Jean Paul, das das Ausspähen nach zukünftigen „Glück“ verwirft, bei dem die Werte der gegenwärtigen Stunde unbeachtet bleiben, und das den tätigen kräftig aufruft: „Jede Minute sei Dir ein volles Leben! Verachte die Angst und den Wunsch, die Zukunft und die Vergangenheit. Wenn der Sekundenweiser Dir kein Wegweiser in den Eden Deiner Seele wird, so wird’s der Monatweiser noch minder; denn lebst nicht von Monat zu Monat, sondern von Sekunde zu Sekunde.“ Ist dieser Auspruch nicht Wert zur Lebensdevise gemacht zu werden? Ich will mich bemühen im „Augenblick“ und in mir das Glück zu suchen. Übrigens glaube ich, daß es mir gut tun wird, mich wieder etwas mehr in der „Öffentlichkeit zu zeigen“. Diese immerwährende Einsamkeit führt auf die Dauer zu verdüsternden Grübeleien. Die freibleibenden „Kapitalien“ mögen also diesem Zweck wieder zugerannt sein!

Hoffentlich erscheinen Dir, liebe Leserin, die vielen „Ichs“ nicht zu öde. Mit dem raschen Antworten, wie ich es die letzten Male hielt, soll auf Dich, liebes Mädchen, von mir kein „Druck“ in der Richtung häufigen Schreibens ausgeübt werden. Tue dies wirklich nur, wenn Du es tun musst, wie ich es auch halte!

Verzeih mir auch noch, ich will nicht wieder neugierig sein.

Mit herzlichem Gruß,
Dein Friedrich.

[Am Rand:] Wann kam der Brief an? Frage nur, um festzustellen, wie lange er geht, wenn er frühmorgens in den Kasten gesteckt wird.

[Beigefügter Zettel:] Richtig ist: Es (das Herz z.b.) hieß ihn etwas tun. Falsch ist: Es hieß ihn, etwas zu tun. [Rückseite:] Nach dem Studium zu zerreißen!

*Orthographie, Interpunktion und Paragraphen wie im Original. Das Copyright an diesen Texten liegt bei dem aktuellen Besitzer (dem Autor dieses Blogs). Anm. des Transkribienten.


Nanoskop (IX)

Funke Respekt auf geheimen Frequenzen. / „Alltag, das hat etwas selbstloses.“ / Spontane Zuneigung zu Menschen, die Entfernungen zwischen Orten in Anzahl der Songs messen, die man auf der Fahrt in der U-Bahn hören kann. / To Do: Nahtlose Verknüpfungen zu Weberknechten stricken. / Das hättest Du gerne! (Imperativ) / Pro-Tipp: Der einfachste Weg, sein Blog bekannter zu machen: Artikel darüber schreiben, wie man sein Blog bekannter macht. / Hirnschmalzbrot mit Runkelrübenmarmelade. / „Korrektes Zitieren ist eigentlich gar nicht so schwer.“ – Quelle: Zeitung. / (Hinter Dir steht ein dreiköpfiger Head of Quality Management.) / Am meisten frustrieren mich Leute, denen man nicht mal erklären kann, dass sie Schwachköpfe sind, weil sie die Erklärung nicht verstehen. / „Manchmal bist Du mir ziemlich Subjekt.“ – „Schreibst Du etwa schon wieder irgendwelchen Kitsch über mich?“


Rise (2011)

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Model: Nadina

Mehr.


Wortspiegel.

Mein Name ist Walter und male Sprachbilder. Bestimmt kennen sie welche von meinen Bildern, vielleicht das mit den beiden hälsisch ineinander verschlungenen Giraffen, die ein Baumhaus aus gepanschtem Acrylamid bewohnen oder das mit dem implodierenden Fixstern, um den in instabiler Umlaufbahn tausende farblose Weltraumelefanten kreisen. Meine Sprachbilder hängen in ein paar Museen, sie werden jedenfalls oft von Leuten gesehen und diese Leute malen dann oft selbst welche und schicken sie mir, oder sie schicken mir lange Briefe, aber ich werfe das meiste von diesem Zeug gleich in den Müll und lasse mein Bureau so eine vorgefertigte Dankeskarte schicken, die aussieht, als hätte ich sie selbst per Hand geschrieben. Das ist mir schon irgendwie wichtig, schließlich finanzieren diese Leute, die mir schreiben, am Ende das ganze Bureau und den ganzen unnützen Krempel, den ich hier so ansammle. Manchmal sind auch richtig gute Sachen dabei, aber das kommt eher selten vor. Mein berühmtestes Bild handelt von diesen seltenen guten Sachen, es ist das mit den Affen und den Schreibmaschinen.  Tiere sind bei mir irgendwie ein roter Faden, aber ich will sie nicht mit Kunsttheorie nerven. Jedenfalls male ich jeden Tag ein Sprachbild, schon seit meiner Kindheit. Ich kann inzwischen gut genug davon leben, um mein Haus nur dann verlassen zu müssen, wenn mir wirklich danach ist, und nicht, um irgendwelchen Zwängen zu folgen. Nahrung und andere Einkäufe lasse ich mir zum Beispiel ziemlich häufig liefern. Ich werde oft als verrückt bezeichnet, aber das ist es nicht, ich bin nicht verrückt, ich bin bei guter geistiger Gesundheit, auch nicht egozentrisch, weil ich mir nicht viel aus mir selbst mache, ich kämme zum Beispiel fast nie meine Haare. Allerhöchstens bin ich vielleicht ein kleines bisschen unnormal, aber ich benutze das Wort nicht in dem negativ konnotierten Sinne, denn „normal“ ist unter den Menschen leider kein einziger, das habe ich zu der Zeit festgestellt, als ich noch verheiratet war und mit viel zu vielen von ihnen zu tun hatte. Sie befolgen nur oft sehr merkwürdige Regeln, weil sie nicht mutig genug sind, so zu sein, wie sie eigentlich sind oder nicht kreativ genug, so etwas wie eine eigene Persönlichkeit überhaupt erst zu entwickeln (das sind die Schlimmsten, ich bin mir aber gar nicht sicher, ob es die überhaupt gibt, oder ob sie nur die größten Feiglinge unter denen sind, die nicht mutig genug sind, d.h. so feige, dass sie als Ausrede, warum sie nicht sie selbst sein können, den Trick anwenden, zu behaupten, dass es ihr selbst gar nicht gäbe).

Wegen diesen ganzen Gedanken, die ich mir mache, bin ich nun leider nicht dumm genug, um den Großteil der anderen Menschen zu ertragen. Deswegen beschimpfe ich sie manchmal in meinen Sprachbildern, was Sie vielleicht im Ansatz auch in diesem Text schon gemerkt haben. Nur hilft das leider keineswegs, sie mir endgültig vom Hals zu schaffen, im Gegenteil macht mich das für viele nur sympathischer und das kommt so: Es gibt zwei Rezeptionsgruppen von denen, die ich mit meinen Bildern oft beschimpfe: Die Einen merken gar nicht erst, dass ich sie beschimpfe (das sind absurderweise die besonders Beschimpfenswerten), sie glauben, dass ich über Andere schimpfe und lachen mit mir über diese von ihnen imaginierten Anderen, die sie eigentlich selbst sind. Die zweite Gruppe tut so, als wäre sie selbstironisch und würde über sich selbst lachen, wenn sie eine Beschimpfung gelesen hat. Sie behauptet dann, dass es wirklich gut wäre, wenn man ab und zu einen Spiegel vorgehalten bekommt. Ich kann das nicht beurteilen, aber wenn ich mir selbst einen Spiegel vorhalte, dann erschrecke ich doch meist eher etwas (manchmal über mich, manchmal darüber, dass ich das mit dem Spiegel gemacht habe), deswegen tue ich das nicht sonderlich oft. Da sich also nun im Ergebnis herausstellt, dass beide Gruppen im Kern nicht wirklich verstehen, dass ich sie eigentlich dauernd beschimpfe, stachelt mich das natürlich zu noch wüsteren Beschimpfungen an, die wiederum noch begeisterter aufgenommen werden, ich glaube, Sie verstehen das Prinzip, das ich meine, das hat im Laufe der Zeit ein ganz eigenes Genre meiner Sprachbilder hervorgebracht, das in ähnlicher Form auch von diesen amerikanischen Sprechgesangskünstlern gepflegt wird. Oft lerne ich auf meinen Vernissagen aber auch solche Menschen kennen, die Sachen machen, die mich immer wieder neu begeistern können. Wenn ich ehrlich bin, dann interessieren mich in 90% der Fälle  aber auch eher die Sachen, die diese Leute so machen, denn ganz viele von denen sind so verrückt wie Berufspolitiker oder irgendetwas noch Schlimmeres, vielleicht Hals-Nasen-Ohrenärzte. Ich kenne keine Hals-Nasen-Ohrenärzte persönlich, aber ich mag mir nicht einmal ausmalen, was mit einem passiert, wenn man sich am Abend im Bett mit der grauenhaften Erkenntnis konfrontiert sieht, für Rest seine Lebens jeden einzelnen Tag in der Hauptsache damit verbringen zu müssen, in anderer Leute Ohren hineinzugucken. Mir geht’s um die 10%.

Heute habe ich wieder ein Sprachbild gemalt. Es geht um mich selbst und ist ziemlich aufwändig gestaltet, mit vielen Sätzen und Buchstaben versehen und es hat sogar Klammern. Und irgendwie gefällt es mir nicht so richtig, das ist vielleicht so ähnlich wie diese Geschichte mit dem Spiegel. Und dann habe ich mir gedacht: Was wäre eigentlich, wenn man diese Leute, über die man sowieso immer nur schimpfen will, einfach komplett ausblenden könnte und nur noch die behält, die einen wirklich herausfordern mit dem, was sie tagtäglich so fabrizieren, und damit meine ich sicherlich nicht die, die einem nur nach dem Mund reden, was sich hoffentlich von selbst versteht. Das wäre doch eine gute Idee. Schließlich wird das Sich-Ärgern am Ende auch nur von der Zeit abgezogen, die einem bleibt, bis man, umringt von finster dreinblickenden Verwandten, unter einem Stein verbuddelt wird. Ich denke gerade darüber nach, wie man das bewerkstelligen könnte.


Spieler.

Und als es vorbei war, in dieser einen, gar nicht einmal kalten, lichtverschmutzten Nacht, in der man selbst am höchsten Punkt der Stadt keine Sterne mehr sehen konnte, als das Leben ein Full House auf den Tisch legte, drei Damen, aber nur zwei Buben, da fuhr ich nach Hause, betrunken, um sechs Uhr morgens, nicht in der Lage, meine Sinne zu beherrschen, als neben mir in der U-Bahn ein zwei Meter großer Schwarzer mit komplett weißen Klamotten Platz nahm, obwohl die Bahn zu dieser Zeit komplett leer war und er sich überall hätte hinsetzen können, der mir wie ein Bote erschien, und dann, als ich nach vierhundertdreiundsechzig (meistens brauche ich weniger) Schritten die alte Tür meiner Wohnung aufgeschlossen hatte, zog ich den Joker aus meinem Ärmel. Ich konnte nicht gewinnen, ich hatte kein einziges Ass auf der Hand, nur buntgemischte Zahlen, aber es war mir egal.

Ich rief ihn an und sagte ihm, dass er hierher kommen solle, er wusste sofort, dass ich es war, die anrief, trotzdem ich ihn geweckt hatte und er meine Telefonnummer nicht sehen konnte. Am nächsten Tag holte ich ihn vom Bahnhof ab. Ich erkannte ihn schon aus der Ferne und lief auf ihn zu und umarmte ihn und er sagte: „Ich habe Dich vermisst“, obwohl er mich noch nie zuvor gesehen hatte. Und ich sagte: „Geh nicht wieder weg“ und es war wie so ein billiger Groschenroman, aber er ging nicht mehr weg. Das alles passierte im Dezember und jetzt haben wir Juli und er sitzt drüben und liest ein Buch, irgendeins, es ist nicht wichtig, was er liest, er glaubt nicht an Groschenromane und liest sie nicht. „Und was soll diese Geschichte beweisen?“ fragt mich jemand, der ich selbst bin und dann antworte ich: Dass es nicht darauf ankommt, welche Karten man auf der Hand und wie viele Joker man noch im Ärmel hat, sondern dass man einfach nur spielen muss und im Notfall sogar ein Bluff die beste Option ist. Man kann selten dauerhaft gewinnen, das Spiel ist so konzipiert, dass das Casino am Ende immer im Plus bleibt, aber das Spielen an sich bringt doch in schöner Regelmäßigkeit Gewinne, die das Leben ausmachen, auch wenn man sie meist später wieder verzockt.


Nanoskop (VIII)

Sich in die verbeulte Seele zurückziehen wie in ein Schneckenhaus. / Religious Views: Spider Jerusalem. / Schicksalsschläge abgeblockt, Suzidversuch mit Hängen und Würgen überlebt. Kontere mit hartem linken Konsonanthaken. / Worte: klauben, Erbsen: zählen. / Let there be Spiegeleier mit Speck. / Ein schlichter Punkt am Ende ist in 99% der Fälle die bessere Lösung. Die Wucht muss im Inhalt stecken. / Hinweis, der Wenige betrifft: Anmeldungen zum exklusiven Seminar „Elitarismus für Eingeweihte“ bitte erst nach der persönlichen Einladung. / Scharlachrote Dunstquellen. / Beziehung: Gelegentlicher Sex mit Komplikationshintergrund. / „Könntest Du…“ – „Entschuldige, ich spreche nicht Konjunktiv.“ – „Kannst Du hier bleiben?“ – „Ich kann.“ – „Wirst Du?“ – „Ja.“ / Warum hab ich ne Münze im Mund und wo ist hier die Option für Tagestickets bei dieser Scheißfähre? / Ich muss ππ, Mama.


Give Me A Reason (2011)

reason - raventhird.de

Model: Nadina


Nähe.

Wie man sich fremd ist. Und oft sind sich die Menschen, die einander am nächsten sind, am fremdesten. Das liegt daran, dass sie sich Sachen hinwerfen in dem Glauben, dass der Andere schon verstehen würde, ja, verstehen müsse, nach all dem, was war, aber das doch nicht passiert. Das passiert deswegen nicht, weil wir Menschen einander nie ganz verstehen können, auch wenn wir extra die Sprache und so viele in ihr enthaltene Wörter erfunden haben, um wenigstens so zu tun, als könnten wir es. Und dann türmt sich das von beiden Seiten Hingeworfene, von dem jeder glaubt, der Andere hätte es ganz bestimmt mit sich genommen, langsam immer weiter auf, wie zu einer Mauer zwischen den beiden sich doch so nahestehenden und permanent miteinander kommunizierenden Personen und bevor sie es merken, stehen sie von einander isoliert, zwischen ihnen ein Berg aus ausgesprochenen und unausgesprochenen Gedanken. Und irgendwann sagt einer von ihnen: „Ich habe das Gefühl, Du hast mich eigentlich nie wirklich verstanden.“ Und der Andere antwortet: „Das Gefühl habe ich auch.“ Und wenn sie dann nicht anfangen, die ganzen Dinge nach und nach aufzuheben, die auf dem Haufen liegen, sie sich zu zeigen und einander zu erklären, was diese Dinge bedeuten, dann verstehen sie nicht einmal, warum sie sich nicht verstehen können und schütteln noch auf Jahre verständnislos ihre Köpfe, wenn Freunde den Namen des Anderen auch nur erwähnen.


Irrlichter & Schönheit (VIII)

Ein Tweet.Ein Bild.Ein Stück.Ein Buch.Ein Lichtspielfilm.


Kreis.

Wenn Du irgendwann zu verstehen beginnst, dass das ganze Leben ein Warten auf den Tod ist, dass jeder Mensch am Ende merkt, dass er sein ganzes Leben nur gekämpft und nach etwas gesucht hat, dass doch nie zu finden war und dass das etwas ist, das jeder von uns verstehen muss, jeder Einzelne und jeder für sich, dann wirst Du mich darum beneiden, dass ich immer nur getan habe, was ich wollte, dass ich um mein Leben geschrieben habe. Mein ganzes Leben lang habe ich für diese Momente gekämpft, in denen ich die Zeit dazu hatte und mein ganzes Leben nach den richtigen Worten gesucht.

Ich beneide Dich heimlich darum, dass Du nichts derart Sinnloses tust. 


Kaskade 2-4

Der einfache Weg ist aber nicht der Beste, ich hoffe, das ist Dir klar. Die brutale Wucht, mit der Gefühle einen überfahren können, erstaunt mich immer wieder. Schatten sind nicht schwarz, sie sind blau, man sieht es, wenn man sie photographiert und dann mit der Pipette in Photoshop die Farbe aufnimmt. Ohne die Ablenkung hätten Gedanken überhaupt keine Inhalte, überhaupt keine. Ich möchte mich an das Gestern erinnern, als ob es kein Heute gäbe. (Was würde eigentlich passieren, wenn ich Dich einfach küsse?) Ich blicke auf meine Hände und frage mich, was ich getan habe, um so zu werden. „Die Worte fliegen auf, der Sinn hat keine Schwingen“, sagt der König zu Hamlet. Damals bin ich einfach mit zu Dir gefahren und habe mit Dir geschlafen, wie einfach das war, als wäre es in einer anderen Welt passiert, in der es keine komplizierten Beziehungen zwischen Menschen gibt. Es gibt Schreibprogramme, die darauf basieren, dass man den kompletten Bildschirm zum Schreiben hat und von nichts abgelenkt wird. (Wie ich mit meinen Lippen die Zukunft verändern würde, und dafür nicht mal reden müsste, das frage ich mich.) Nicht in einer anderen Welt, in einer besseren/einfacheren Welt. Die Wahrheit ist, dass es gerade die Ablenkung ist, die das Schreiben ausmacht. Ich springe statt dem Schatten einfach über diesen Fluss, der ist auch blau.